900 Jahre Prämonstratenserorden
Als Norbert von Xanten 1120/21 sich mit seinen Gefährten in der Einsamkeit von Prémontré bei Laon in Nordfrankreich niederließ, dachte er nicht an die Gründung eines weltweit agierenden Ordens. Anhand der Graphik lässt sich aber die Geschichte des daraus entstandenen Ordens vergegenwärtigen.
Die Zahl der selbständigen Kanonien (Stifte) des Ordens von der Gründung bis 1990. Aus: Ulrich G. Leinsle, Die Prämonstratenser, Stuttgart 2020, S. 53.
Ausbreitung
Am Anfang steht eine explosionsartige Ausbreitung des Ordens, getragen von den Ideen der Gregorianischen Kirchenreform. Ganze Kanonikerverbände und einzelne Stifte schlossen sich dem Orden an. Scharen von Männern und Frauen traten ein, vor allem auch Adelige als Konversen (Laienbrüder und -schwestern). Das 12. Jahrhundert weist ca. 300 Neugründungen auf, von Skandinavien bis nach Palästina, von Spanien bis Lettland. Für das 13. Jahrhundert sind 110 neue Klöster zu verzeichnen, im 14. nur noch sechs. Dies hat innere und äußere Gründe.
Nach Norberts Weggang nach Magdeburg 1126 war die Stabilisierung der Gemeinschaft das Werk Hugos von Fosses, des ersten Abtes von Prémontré, vor allem durch Festlegung und Niederschrift der ersten verbindlichen Gebräuche, durch die Institutionalisierung des jährlichen Generalkapitels und der Visitationen und durch die päpstliche Privilegierung.
Doch gegen Ende des 12. Jahrhunderts war der Reformimpuls verflogen. Die Prämonstratenser orientierten sich zunehmend an den Lebensgewohnheiten weltgeistlicher Stifte oder anderer alter Orden mit Pfründensystem. Dagegen entstanden im 15. Jahrhundert vor allem in Magdeburg, England und Ungarn Reformbestrebungen, die zum alten Klosterleben mit Gütergemeinschaft und strenger Einhaltung der drei Gelübde der persönlichen Besitzlosigkeit, Ehelosigkeit und des Gehorsams zurückkehrten.
Einbruch
Einen tiefen Einschnitt zeigt die Kurve im 16. Jahrhundert durch die Reformation in Europa, der die Klöster in den protestantischen Territorien zum Opfer fielen, so dass der Orden von einstmals knapp 500 auf ca. 250 Klöster reduziert wurde. Auch in den katholisch gebliebenen Territorien waren viele Klöster am Aussterben oder sind ausgestorben, vor allem Frauenklöster, die teilweise in Männerklöster umgewandelt wurden. Hinzu kommt das Ende der ungarischen Ordensprovinz durch die Eroberung durch die Türken (1526).
Die von Prémontré ausgehende Reformbewegung im Sinne des Konzils von Trient konkurrierte mit Reformbestrebungen von päpstlicher und landesherrlicher Seite. In Spanien führte dies zur Abspaltung einer eigenen Kongregation mit anderer Verfassung und Jurisdiktion. In Lothringen entstand eine eigene Kongregation strengerer Observanz. 1626 gelang es dem Strahover Abt Kaspar von Questenberg, mit Unterstützung Kaiser Ferdinands II. die Gebeine des hl. Norbert im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg erheben und nach Prag überführen zu lassen.
Der nun auf die katholischen Länder Europas reduzierte Prämonstratenserorden war im 17. und 18. Jahrhundert durch die Durchsetzung und Verinnerlichung der vom Trienter Konzil beeinflussten Ordensreform in den Klöstern und auf den Pfarreien, durch eine rege Bautätigkeit, die die Stifte in barockem Glanz erstrahlen ließ, und durch eine neue Blüte der Wissenschaften gekennzeichnet.
Abb.: Die Ausbreitung der Prämonstratenser bis zum 18. Jahrhundert (nach: Lexikon für Theologie und Kirche 8. 2. Ausg. 1963. Ausführung: A. Hermes, Hardegsen).
Am Boden?
Eine zweite markante Veränderung zeigt die Kurve um 1800, bedingt durch die Französische Revolution und die durch die anschließenden Kriege und die aufgeklärte Zeitströmung ausgelösten Klosteraufhebungen in Europa. Durch die Aufhebung der Mutterabtei Prémontré 1790 war der Orden seiner Zentrale beraubt. Es existierten nur noch die institutionellen Reste des Ordens in den habsburgischen Ländern, allerdings unter bischöflicher Jurisdiktion und staatlicher Gesetzgebung. Das Konkordat von 1855 stellte die Exemtion wieder her, und 1859 wurden die Statuten der Österreichischen Kongregation verabschiedet.
In Belgien wurden ab 1834 Klöster wieder zugelassen und fünf Abteien wiederhergestellt, die bald ein reges Gemeinschaftsleben entfalteten und starke Anziehungskraft ausübten. Dank des guten Nachwuchses konnten neue Gründungen in Frankreich in Angriff genommen werden und nach 1890 eine reiche Missionstätigkeit in Afrika (Kongo, Südafrika), Lateinamerika und Indien entfaltet werden, aus der im 20. Jahrhundert neue Kanonien erwuchsen. Die mehrmals versuchte Wiederrichtung von Prémontré scheiterte allerdings.
Für die Vertretung des Ordens auf dem I. Vatikanischen Konzil wurde von einer Konsultation der österreichischen und brabantischen Abteien am 17. März 1869 Abt Hieronymus Zeidler von Strahov zum Generalabt des Ordens gewählt, der am 1. März 1870 in Rom starb. Auf dem ersten Generallkapitel wurde 1883 Abt Sigismund Stary von Strahov zum Generalabt mit Sitz in seiner Abtei gewählt. Beim Generalkapitel 1896 in Schlägl vereinigte sich auch die bisher eigenständige französische Kongregation mit dem wiedererstandenen Orden.
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte der Orden auch in Deutschland neu Fuß fassen (Speinshart 1921, Windberg 1923). 1921 wurde in Rom beim Sitz des Generalprokurators ein Kolleg für die in Rom studierenden Mitbrüder errichtet. Damit war ein Schritt zu einer neuen Ordenszentrale (Sitz des Generalabtes) in Rom getan, die dann in das 1950 neu errichtete Haus mit Kolleg (Viale Gotto 27) übersiedelte.
Die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs brachte einen weiteren Einschnitt durch die Aufhebung von Stiften (Wilten, Schlägl), die Verfolgung, Inhaftierung und Hinrichtung von Mitbrüdern. Durch die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen waren die dortigen Prämonstratenser und Schwestern erneut in ihrer Existenz bedroht.
Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgetragene „zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens“ nahm der Orden unter Generalabt Norbert Calmels (1908–1985) auf dem Generalkapitel 1968/70 in Wilten in Angriff. Als Fundament prämonstratensischen Ordenslebens arbeitete man das Prinzip der Communio heraus, die „das Dasein von Personen in Hinordnung aufeinander und füreinander“ bedeutet und die innere Einheit umschreibt, die sich in äußeren Formen ausdrückt.
Erst nach dem Ende der kommunistischen Systeme konnte an einen schwierigen materiellen, geistigen und personellen Wiederaufbau der Klöster in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien gedacht werden.
Was nun?
Laut Ordensstatistik vom 31. Dezember 2020 umfasste der männliche Zweig des Ordens 1236 Personen (ohne die 78 Postulanten) in 97 Häusern. Davon sind 39 selbstständige Kanonien. Diese verteilen sich auf die Erdteile Amerika (USA 5, Brasilien 3, Kanada 1), Australien (1), Afrika (1), Asien (Indien 2) und Europa (Belgien 6, Tschechien 4, Deutschland und Österreich je 3, Frankreich, England und Ungarn je 2, Niederlande, Irland, Slowakei, Rumänien je 1). Hinzu kommen im Zweiten Orden mit über 100 Mitgliedern je eine Schwesternkanonie unter der Jurisdiktion des Ordens in den Niederlanden, in Belgien, in Tschechien und in den USA sowie Schwesternkanonien unter bischöflicher Jurisdiktion in Polen (2) und Spanien (1).
[Text und Abbildungen: G. Leinsle O.Praem. Weitere Beiträge zur Ordensgeschichte sind im Magazin "Lumen" Ausgabe 2020 erschienen.]
Büchertipp zum Weiterlesen: Ulrich G. Leinsle, Die Prämonstratenser (2020).