Neue und alte Archiv-Methoden verbinden sich
Robert Bühringer (l.) und Matthias Eder (r.) mit einem neuen Schwung geschlichteter, überarbeiteter, gebundener Akten. (c) Barmherzige Brüder
Aneinandergereiht würden die Akten vom Tor der Barmherzigen Brüder in Wien bis zum Schwedenplatz reichen, aber nur, wenn man dabei die Akten, die sich in den Regalen auch übereinanderstapeln, außer Acht lässt. (Gezählt wurde nicht die Bodenfläche der Akten, sondern die Fläche der Regalböden.)
Lag der Fokus der Archivarbeit in der Provinzkanzlei seit 2018 auf der Sicherung der wichtigsten Papierbestände durch Digitalisierung der historischen Bücher, was noch lange nicht abgeschlossen sein wird, so kam Ende 2022 eine zusätzliche Aufgabe für meinen Assistenten Matthias Eder und mich hinzu: die jüngere Vergangenheit und deren Akten zu bändigen. Unser Buchscan-Projekt bewegt sich zeitlich nicht nur in der weit zurück liegenden Vergangenheit, sondern umfasst die Zeit von 1614 bis heute. Letztlich beginnt eben jetzt die Vergangenheit, auf die wir und unsere Nachfahren zugreifen werden. Wir sind daher bemüht, die zumeist digitale Geschichtsschreibung des heutigen Tages ebenso im archivarischen Blick zu haben, wie die weit entfernten Anfangszeiten des Ordens in dieser Region mit ihren Registerbüchern, Inventarien und großen Doppelbögen voller Stempel und Wachs-Siegel.
Gebundene Bücher lösen schwer durchschaubare Aktenstruktur ab
2023 sind 175 Bücher entstanden. Die vormals vielfältige und schwer durchschaubare Aktenstruktur (Schachteln, Mappen, Folien, Ordner, Clip-Hefter usw.) wurde und wird durch gebundene Bücher abgelöst. Damit reihen sich die Akten jüngerer Vergangenheit (1912-2023) dann in die anderen historischen Bücher ein. Ein großer Vorteil der gebundenen Bücher ist, dass die mühsam sortierten Blätter nicht neuerlich in Unordnung geraten können. Ehe die Bücher gebunden werden, wird alles möglichst chronologisch geschlichtet. Alles wird auch digitalisiert und, wenn möglich, mit einem Volltextindex versehen, sodass wir im Ernstfall, z.B. bei einer komplexen Recherche, das physische Buch gar nicht anfassen müssen, sondern digital recherchieren können. Chronologisch geschlichtet wird, damit spätere Generationen die Bücher wie ein Tagebuch durchgehen können und unseren Weg bei Bedarf nachvollziehen können.
Ein Ergebnis der Archivarbeit bei den Barmherzigen Brüdern: Ein Professbrief aus dem Akt von Br. Jodocus Schantruczek aus 1783. (c) Barmherzige Brüder
Bei diesem Vorgang werden vergilbte, verblasste oder (ganz schrecklich!) aneinanderklebende Seiten behandelt und, wenn möglich, reproduziert. Die in der Zeit 1940 bis 1980 gebräuchlichen Durchschlagpapiere stellen eine Herausforderung dar, sie sind dünn und oft von schlechter physischer Qualität. Ihre Lagerung in Schachteln führte zu Quetschungen an den Rändern, sodass sie nicht durch Einzugsscanner digitalisiert werden können. Es bedarf oft der sorgfältigen Handarbeit meines tüchtigen Kollegen. Es bedarf aber auch Mut zum Abschied, nämlich immer dann, wenn physikalische Eigenschaften des Mediums und Lagerungsart das Ende eines Dokumentes bedeuten, wie das bei Thermopapier in Klarsichtfolien der Fall ist: die Seiten sind vollständig verblasst. Wir wollen alles unternehmen, derartige Dokumente der Anfangszeit der Kopiergeräte und Fax-Apparate aufzuspüren und zu retten.
Zum Vergleich: derartige Dokumente sind 35 bis 40 Jahre alt. Johann Axnix, ehrenamtlicher Mitarbeiter, restauriert (reinigt, glättet) historische Brüderdokumente, viele weit über 200 Jahre alt und nach Johann Axnix liebevoller Arbeit in bestem Zustand.
Platzgewinn durch Komprimierung
Viele Schachteln im Archiv quellen über, andere hingegen sind nur gering befüllt und belegen unnötig Platz. Durch die Komprimierung, also das Entfernen von Leerräumen, wird im Archiv Platz gewonnen, um die Akten aus den Konventen, die dauerhaft ohne Barmherzige Brüder bleiben werden, überhaupt ins Archiv aufnehmen zu können. Aber auch das, was die Zukunft an Dokumenten bringt, braucht seinen Platz, wie auch das Hier und Jetzt, das uns mit seinen Schriftstücken hetzt. Dabei ist die besondere Herausforderung, dass wir heute nicht wissen, was morgen gebraucht wird. Protokolle, Aktennotizen und chronologische Aktenbücher haben daher große Bedeutung, nicht nur vor Gericht.
Für die gute Bindung dieser Bücher sorgen zwei Expertinnen der feinen Buchbinderei Waniek, die ihre Werkstatt in unmittelbarer Nachbarschaft im zweiten Bezirk, nämlich in der Rotensterngasse 26 hat. Dank des frischen Blicks meines Assistenten Matthias Eder auf das Archiv und die Möglichkeiten der Buchbinderei und nicht zuletzt dank der Zustimmung von Pater Provinzial Saji kam dieser Wandel unseres Archivs in Bewegung.
Zu den bereits bewältigten Akten gehören: Bewilligungen der Generalkurie 1960-1990, Visitationen, Korrespondenzen der Provinziale, Rundschreiben, Provinzversammlungen und Brüderversammlungen, General- und Provinzkapitel 1930-2022, Bilanzen des 20. Jahrhunderts, Mitarbeiterzeitungen, Definitoriumsprotokolle 1914 bis 2023, Jahresberichte 1850 bis 1930, sowie Sonderakten mit langjährigem Verlauf oder besonderer Bedeutung.
Auch fühlbare und greifbare Dokumentation des Wirkens
Damit kann sichergestellt werden, dass neben der heute gängigen elektronischen Archivierung auch eine fühlbare und greifbare Dokumentation des Wirkens in der Ordensprovinz aufbewahrt werden kann. Wir beide konnten erst durch die fertigen physischen Bücher erkennen, weshalb wir nach getaner Arbeit erschöpft sind. Wenn der Computer scannt, sind es doch unsere Augen, die jede Seite erfassen, bewerten, beurteilen und unser Handeln auslösen. Die in früheren Zeiten geführten Memorabilienbücher und Kapitelbücher finden durch die aktuellen Protokollbücher, die mit viel Herzblut herausgegebenen heutigen Medien wie die Mitarbeiterzeitungen, die Granatapfel-Kalender und die Granatapfel-Magazine eine Ergänzung und bilden gesamthaft das Wirken der Barmherzigen Brüder in der Provinz ab.
Ein logischer weiterer Schritt, der mit Unterstützung von Matthias Eder passiert, ist die Erschließung von alten, handgeschriebenen Memorabilienbüchern/Chroniken, damit auch zukünftige Generationen deren Texte in aktueller Schrift lesen können und auch für eine Volltextsuche verfügbar sind. (Damit wollen wir die Geschichte nicht alleine den schriftbegabten Historiker:innen überlassen, sondern sie in die Hände aller bringen, die ein berechtigtes Interesse daran haben.)
Quelle: Robert Bühringer DKHBW Provinzsekretär