Namenlose Frauen – Historischer Spitalsfriedhof der Elisabethinen in Wien
2018 und 2019 wurden im Innenhof des Elisabethinen-Konvents Grabungsarbeiten durchgeführt. (c) Novetus GmbH
18. Jahrhundert, Wien: Alte gotische Handwerker- und Bürgerhäuser, barocke Mietshäuser, geräumige Adelspalais, prächtige Kirchen und öffentliche Bauten prägen das Stadtbild. Das Geräusch der eisenbeschlagenen Wagenräder auf dem Kopfsteinpflaster ist allgegenwärtig, der Geruch von Unrat und Kot liegt in der Luft. Die Stadt ist geprägt von Gegensätzen, frivolem Treiben und tiefer Frömmigkeit, Glanz und Elend, Armut und großer Lebenslust. Und die Stadt wächst: Die Marke von 100.000 Einwohner:innen ist bereits überschritten, die Zuwanderer aus vielen Ländern werden von den Wiener:innen gastfreundlich empfangen. Wien im Barock ist eine multikulturelle Stadt.
Erstes Wiener Frauenspital im barocken Wien
Inmitten dieses Treibens nehmen sich die Elisabethinen der Pflege von „kranken und armen Weibspersonen“ an. Ihr Spital, das erste Wiener Frauenspital, ist seit 1710 in Betrieb und es ist das Gegenstück zum Spital der Barmherzigen Brüder, das die männliche Wiener Bevölkerung medizinisch versorgt. Die Patientinnen der Elisabethinen stammen fast ausschließlich aus der Unter- und Mittelschicht, sie sind Dienstbotinnen, Handwerkerinnen oder Händlerinnen. Sie sind hart arbeitende Frauen. Die Klosterschwestern, die das Spital führen und die Pflege leisten, leben in strenger Klausur und stammen zu dieser Zeit aus der adeligen und gutbürgerlichen Gesellschaft. Und sie bringen beim Eintritt in die Ordensgemeinschaft eine Mitgift mit, die für den Spitalsbetrieb stets dringend benötigt wird.
Ein Spitalsfriedhof wird errichtet
Neben dem großen Bevölkerungswachstum sorgen wiederkehrende Pestepidemien gleichzeitig für hohe Opferzahlen. Nach dem Pestausbruch im Jahr 1713 errichten die Elisabethinen nicht nur eine Gruft für die Schwestern, sondern auch einen Spitalsfriedhof für die Patientinnen, der ab 1715 benutzt wird.
Die verstorbenen Patientinnen wurden in Schachtgräbern bestattet. (c) Novetus GmbH
Und die Elisabethinen beweisen ihren guten Ruf, der sie von Graz nach Wien geführt hat: Während der Pestepidemie ist kein einziger Pestausbruch im Spital zu verzeichnen, ein Hinweis auf eine besonders gute hygienische Sorgfalt im pflegerischen Alltag. Dennoch versterben zwischen 1710 und 1747 über 650 Patientinnen, während rund 5.200 Patientinnen entlassen werden können. Name, Alter, Aufnahme-, Sterbe- oder Entlassungsdatum, sowie die Diagnose, erstellt vom Stadtphysikus, werden in Büchern sorgfältig vermerkt.
Joseph II. und vieles wird anders
Maria Theresia, den Elisabethinen sehr zugetan, verstirbt 1780 und ihr Sohn, Joseph II. besteigt den Thron. Und er startet ein großes Reformpaket, das von der Bevölkerung nicht in allen Facetten positiv erlebt wird. So drängt er den Einfluss von Adel und Klerus zurück, löst 700 Orden und Ordensgemeinschaften in Österreich auf, die ihm unproduktiv erscheinen. Deren Klosterbesitz wird verstaatlicht und fließt in einen Religionsfonds ein, der ab 1782 rund 3.000 Pfarren finanziert.
Der Fortbestand der Elisabethinen ist gesichert, schließlich sind sie „nützlich“, indem sie der Bevölkerung etwas Gutes tun, ihre Hingabe und Mildtätigkeit wird benötigt. Und dennoch spüren auch sie die Reformen: Joseph II. verbannt alle Friedhöfe aus dem Stadtzentrum, um das Grundwasser zu schonen. Und so muss auch der Spitalsfriedhof im Jahr 1783 stillgelegt werden.
Bauarbeiten erfordern Exhumierung
235 Jahre später wird der Standort der Elisabethinen in Wien saniert, mit Neubauten erweitert und der historische Spitalsfriedhof muss im Vorfeld der Bauarbeiten durch Archäolog:innen exhumiert werden. Die leitende Archäologin Michaela Binder erinnert sich gerne an die Ausgrabungsarbeiten in den Jahren 2018 und 2019 zurück: „Der Friedhof stellte sich größer dar, als in den Karten verzeichnet. Wir waren überrascht, wie gut er trotz immer wieder kehrender Bautätigkeiten in den letzten Jahrhunderten erhalten war.“ Knapp 400 Skelette werden in der 9 Monate dauernden Grabungsarbeit geborgen, 133 Schachtgräber mit bis zu 13 übereinanderliegenden Toten werden dokumentiert.
Eine Totenkrone als Grabbeigabe für unverheiratete Frauen. (c) Novetus GmbH
Zwischen den Skeletten befinden sich kaum Erdreste, was darauf schließen lässt, dass die Gruben bis zur vollständigen Belegung offenstanden. Die Sterblichkeit war hoch und eine zwischen den Begräbnissen liegende Verfüllung nicht notwendig. Auch Grabbeigaben werden geborgen: Amulette, Rosenkränze, Haarnadeln und vier Totenkronen, die unverheirateten Frauen in das Grab mitgegeben wurden, um ihre Vermählung nach dem Tod zu symbolisieren.
Forschungsprojekt mit vielen Fragen
In einem dreijährigen Forschungsprojekt, das vom österreichischen Wissenschaftsfonds finanziert wird, wollen Bioarchäolog:innen und Historiker:innen nun den Lebensgeschichten dieser namenlosen Frauen nachgehen. Großes Interesse liegt auch auf der Bedeutung des Spitals in der Entwicklung moderner Krankenhäuser in Wien und inwieweit die Pflege von ausschließlich Frauen im Spital der Elisabethinen einen geschlechter- und sozialspezifischen Kontext zeigt. Ein Thema, das auch heute aktuell ist und anhand des Gender-Health-Gaps thematisiert wird. Die Antworten sollen anhand der Untersuchungen der Skelette und Grabbeigaben, sowie einer gründlichen Erforschung der Patientenbücher, Sterbematriken und Professbücher gefunden werden.
Skelettfunde offenbaren Teil der Lebensgeschichte
„Man kann aus Skeletten wie in einem Buch lesen“, meint Michaela Binder, „und wir sehen anhand der Skelette, dass viele Frauen harter körperlicher Arbeit ausgesetzt waren.“ Geschlecht, Alter, verschiedene Krankheiten und die Ernährungsgewohnheiten können festgestellt werden. Zusätzliche Zahnschmelzanalysen zeigen die Herkunft der Frauen. Die Untersuchung der Knochen wird von der Anthropologin Hannah Grabmayer durchgeführt: Jeder einzelne auch noch so kleine Knochen wird begutachtet, lose Zähne zugeordnet, Skelette zusammengesetzt. Im wahrsten Sinn eine „Knochenarbeit“, die viel Geduld und noch mehr Wissen erfordert.
Großes Interesse führte die Elisabethinen zu einem Besuch bei Anthropologin Hannah Grabmayer. Generaloberin Sr. Barbara Lehner, Hannah Grabmayer, Sr. Helena Fürst und Michael Etlinger (v.l.). (c) die elisabethinen
Wissenslücke soll gefüllt werden
„Parallel dazu versuchen wir anhand der schriftlichen Aufzeichnungen und der bioarchäologischen Befunde einen besseren Einblick in das Leben der Frauen der Unter- und Mittelschicht im 18. Jahrhundert zu bekommen. Wir stellen uns die Frage, was Gesundheit im Barock bedeutete“, erklärt der am Projekt beteiligte Historiker Martin Scheutz. Es gibt noch wenig Wissen, wie das Leben dieser mittellosen Frauen in Wien ausgesehen hat, im Gegensatz dazu ist Geschichte und Leben des Hochadels im Barock gut erforscht.
Das Forschungsprojekt kann daher spannende Erkenntnisse zur gesellschaftlichen und sozialen Geschichte Wiens im 18. Jahrhundert bringen und auch neues Licht auf die Anfangsjahrzehnte der Elisabethinen in Wien werfen. Alle Forschungsdaten werden digital gesammelt und mit Projektabschluss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Und wer weiß? Vielleicht gelingt es auch, der einen oder anderen im Spital verstorbenen Frau durch einen Match von Skelettbefund und schriftlichen Aufzeichnungen wieder einen Namen zu geben.
Quelle: Magazin „die elisabethinen“/M. Vogl