Uns noch teurer als selbst Rom und Jerusalem!
Vortrag anlässlich der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Österreichs am 4. April 2016 in Graz
Das Zitat, mit dem der Vortrag übertitelt ist, stammt aus einem Brief der ersten Äbtissin von St. Gabriel Adelgundis Berlinghoff an den späteren Erzabt der Beuroner Kongregation Ildefons Schober1 und soll die Wertigkeit und Bedeutung der Klausur für eine streng kontemplative Frauengemeinschaft wiedergeben.
Der Kirchenrechtshistoriker Philipp Hofmeister hielt in seinem 1934 erschienen Werk über die Klausur fest: „Die ganze Geschichte der Klausur ist ein Beweis unglaublicher Nachgiebigkeit seitens der Bischöfe, und einer wahrhaft virtuosen Findigkeit der Nonnen, diese Gesetze zu umgehen; eine äußerst milde Doktrin hat getreulich dazu geholfen, alle Anstrengungen der Päpste illusorisch zu machen!“2
Die Geschichte der Klausur ist demnach ein weites – und an vielen Stellen – sogar noch unbebautes Feld.3 Vorab daher einige Begrifflichkeiten zu diesem großen Thema:
Begrifflichkeiten
Im materiellen Sinn bezeichnet der Begriff Klausur ein Klostergebäude oder den Teil eines solchen Objektes, der ausschließlich den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft reserviert und daher nur diesen zugänglich ist. Formal sind unter dem Begriff jene gesetzlichen Bestimmungen zu verstehen, die Verlassen und Zutritt zu diesem Bereich regeln.4
Als aktive Klausur bezeichnet man in diesem Zusammenhang, das Verbot den Klausurbereich verlassen zu dürfen – ausgenommen sind jene Fälle, die das Recht vorsieht –, als passive Klausur das Verbot des Betretens eines solchen Bereichs durch Außenstehende, wiederum ausgenommen jene Fälle, in denen das Recht dies gestattet.5
Die Kirche versteht die Klausur in ihrer asketischen Dimension, insbesondere auch als einzigartige Form der Zugehörigkeit zu Gott. In der Instruktion Verbi Sponsa aus dem Jahr 1999 über die Klausur von Nonnen heißt es dazu: Das Kloster … zielt mit seiner besonderen Architektur darauf ab, einen Raum der Trennung, der Einsamkeit und Stille zu schaffen, wo man Gott freier suchen und nicht nur ihn und mit ihm, sondern auch von ihm allein leben kann.6
Der rechtliche Rahmen
Das kirchliche Gesetzbuch des Jahres 1983 regelt die Bestimmungen zur Klausur in einem einzigen Kanon (CIC c. 667). Danach ist in allen Niederlassungen … eine der Eigenart und der Sendung des Instituts angepasste Klausur nach den Bestimmungen des Eigenrechts einzuhalten.7
Heute sind zwei Arten von Klausur zu unterscheiden, die sich wiederum in zwei weitere Formen differenzieren lassen: Das kirchliche Gesetzbuch des Jahres 1983 unterscheidet zwischen allgemeiner Klausur und der Klausur der Nonnen (moniales).
Die allgemeine Klausur lässt sich wiederum in die Klausur von Gemeinschaften differenzieren, die ein kontemplatives Leben führen und jener mit einem konkreten Apostolat in der Welt. Bei letzteren wird die Klausur nach Eigenrecht des jeweiligen Instituts geregelt, hat jedoch stets gewisse Minimalerfordernisse zu erfüllen, etwa einen ausschließlich den Mitgliedern reservierten Teil des Klostergebäudes. Die allgemeine Klausur der auf ein kontemplatives Leben ausgerichteten Gemeinschaften unterliegt strengeren Bestimmungen, ohne dass das Gesetz dazu Näheres ausführt. Doch diese Klausur ist keine sog. päpstliche Klausur, sondern durch Eigenrecht festgelegt. Eine päpstliche Klausur bei Männerorden gibt es im Übrigen heute nicht mehr.
Die zweite Art der Klausur ist die Nonnenklausur. Hier wird im Gesetz zwischen der päpstlichen Klausur der rein beschaulichen Nonnenklöster und der Klausur der nicht zur Gänze kontemplativen Nonnenklöstern unterschieden. Für letztere gilt, dass sie eine der besonderen Eigenart ihres Instituts entsprechende und in den Konstitutionen festgelegte Klausur zu beachten haben. Zur päpstlichen Klausur ist festzuhalten, dass diese in der Hauptsache durch päpstliches Recht geregelt ist. Dem Eigenrecht des jeweiligen Klosters kommt dabei geringeres Gewicht zu.
Über den Ausdehnungsbereich der Klausur bestimmt die Instruktion Verbi Sponsa u.a., dass die Form der Trennung … von der Außenwelt materiell und wirksam, nicht nur symbolisch oder „neutral“ sein muss. Dies gilt für das Klostergebäude und alle den Nonnen vorbehaltenen Räume ebenso wie für den Chor und das Sprechzimmer.8
Anspruch und Wirklichkeit – Streiflichter auf die historische Entwicklung
Erste allgemeine Anordnungen für die Klausur gehen auf das Konzil von Chalkedon (451) zurück, das auch Strafbestimmungen bei Verstößen gegen die Klausur erließ. Kontakte der Religiosen mit der Außenwelt waren allerdings stets unumgänglich. Tatsächlich war es so, dass die Bestimmungen über die Klausur bei Nonnen stets strenger gehandhabt wurden als bei Mönchen. Milderungen der formal rigiden Bestimmungen wurden zumeist stillschweigend geduldet.9
Über lange Zeit dürften auch keine gesonderten Klausurbestimmungen bestanden haben. Die Oberin erteilte im Regelfall die Erlaubnis, dass eine Nonne das Kloster verlassen oder Besuch durch Außenstehende im Kloster empfangen durfte. Synoden des 9. Jahrhunderts legten erstmals fest, dass eine Äbtissin das Kloster nur mit Erlaubnis des Bischofs verlassen durfte, während für Nonnen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts die Erlaubnis der Äbtissin genügte. Das Betreten der Klausur durch Außenstehende wurde jedoch zunehmend erschwert und von der bischöflichen Erlaubnis abhängig gemacht. Trotzdem lebten letztlich nur die in einer Klause eingemauerten Inklusen in einer vollkommenen Klausur.10
Das 12. und 13. Jahrhundert waren eine Zeit, in der die Klausurvorschriften für die neu gegründeten Frauenorden (Prämonstratenserinnen, Zisterzienserinnen, Dominikanerinnen und Klarissen) verschärft wurden. Auch von päpstlicher Seite wurde eine strengere Handhabung der Klausur eingefordert. Die Konstitution Periculoso (1298) von Papst Bonifaz VIII. verpflichtete Nonnen zur genauen Einhaltung einer strengen Klausur. Ein Verlassen der Klausur war fortan nur im Fall einer schweren Erkrankung erlaubt, Besuche im Kloster wurden nur gestattet, wenn es sich beim Besucher um ehrenhafte Personen handelte. Zudem musste ein triftiger Grund vorliegen und von der Oberin hierzu die Erlaubnis erteilt werden.
Gleichzeitig wurden auch die Reisemöglichkeiten von Äbtissinnen und Priorinnen eingeschränkt. Die jeweilige Oberin war demnach verpflichtet, zum Verlassen des Klosters die Erlaubnis des Bischofs oder des Regularprälaten einzuholen. Wenngleich die Konstitution von 1298 ein „Markstein in der Geschichte der Nonnenklausur“ war, ließ sich die Einhaltung einer strengen Klausur nur langsam durchsetzen. Tatsächlich dürften die Bestimmungen von 1298 im Regelfall so gehandhabt worden sein, dass die jeweilige Oberin „kleinere oder größere Generalvollmachten“ bezüglich der Klausur erhielt, schon allein aus praktischen Gründen, da eine Einholung der Dispens für jeden Einzelfall schlichtweg nicht administrierbar war.11 Daran wurde bis in das Pontifikat von Papst Pius V. (1566–1572) festgehalten.
Parallel ist ab dem 12. Jahrhundert neben der Verschärfung der Klausurbestimmungen auch eine rigidere Handhabung von Besuchen in Klöstern zu beobachten. Dies äußerte sich in der Einführung von Gittern im Sprechzimmer wie in der Kirche. Bei den Zisterzienserinnen wurde das Gitter durch den Beschluss des Generalkapitels von 1242 eingeführt.12
Verschärfend sollte das Tridentinum in die Klausurbestimmungen eingreifen. Papst Pius V. erließ 1566 die Konstitution Regularium, die die strenge Klausur der männlichen Regularen ordnete. Die Klausur der Ordensfrauen wurde 1566 durch die Konstitution Circa pastoralis geregelt. Fortan waren auch Tertiarinnen mit feierlichen Gelübden zur Klausur verpflichtet. Gemeinschaften, die dazu nicht bereit waren, durften keine Kandidatinnen mehr aufnehmen. Die Klausur wurde auch auf die Laienschwestern, die die Alltagsarbeit besorgten, ausgedehnt. Oberinnen und Nonnen durften die Klausur nur im Fall von Lebensgefahr verlassen. Der Zutritt (Handwerker, Priester, Ärzte) wurde streng reglementiert.13
Die Umsetzung der tridentinischen Reform ging in unseren Breiten nur langsam von Statten. Dies betraf insbesondere auch die Klausur. Aus dem Kärntner Benediktinerinnenstift St. Georgen am Längsee wissen wir, dass dort im frühen 17. Jahrhundert wiederholt Versuche der kirchlichen Obrigkeit scheiterten, eine strengere Handhabung der Klausur durchzusetzen. Schließlich gestattete man den Nonnen sogar Kuren in verschiedenen Bädern.14
Etwas besser war die Lage im ältesten steirischen Kloster, dem Benediktinerinnenstift Göß, wo man noch vor der Wende zum 17. Jahrhundert mit der Durchsetzung strenger(er) Klausurbestimmungen begonnen hatte. Doch auch dort bedeutete ein klösterliches Leben nicht zwangsläufig einen völligen Rückzug von der Welt, vor allem in einer Kommunität mit überwiegend adeliger Besetzung. Ebenso wie die Verwirklichung des Armutsideals (Verbot der Verwendung von Spiegeln, Seidenstoffen, Handschuhen, Schmuck oder die Haltung von Hunden) nicht nur am Widerstand der Klosterfrauen, sondern auch an dem ihrer Verwandtschaft immer wieder zu scheitern drohte, unterliefen großzügige Klausurdispensen den geforderten Abschluss von der Welt.15
Besuche in der Klausur gehörten zum Alltag. Aus dem Kloster Göß sind eine Reihe von Klausurlizenzen erhalten, die Aufschluss darüber geben, dass die Klosterfrauen nicht nur Besuche erhielten, sondern diese auch immer wieder in die Klausur eingelassen wurden, wie etwa 1691 die Frau Landtshauptmann in Steyer, die mit ihren 3 Töchtern ihre in dem Frauen Clostter sich befindendte Tochter haimb zu suchen … und deretwegen in die Clausur … eingelass[en] zu werden wünschte.16
Christine Schneider hat in ihrem Beitrag über die Wiener Augustiner-Chorfrau Isabella von Thürheim gezeigt, dass eine Ordensfrau der Barockzeit ein wichtiger Teil des familiären Netzwerkes sein konnte, vor allem, wenn vom Kloster aus die alten Verbindungen zu den gesellschaftlichen Eliten, insbesondere dem Kaiserhaus und dem Hof gepflegt wurden.17 Die Kontaktpflege war auch deshalb möglich, da Besuche in Klöstern Teil des höfischen Zeremoniells waren.18 Dem Regenten und seiner Familie stand dabei das Recht zu, mit ihrer Begleitung die Klausur betreten zu können.19 Dies galt auch für Niederlassungen strenger Observanz. Maria Theresias Obersthofmeister Fürst Khevenhüller berichtet uns in seinem Tagebuch von einem Besuch der Kaiserin und ihrer Schwägerin bei den Karmelitinnen anlässlich eines Aufenthalts in Prag im Jahr 1754, bei dem er und sein Kollege im Gefolge der Kaiserin in die Klausur gehen durften.20
Dieses Privileg – im Übrigen galt es in republikanischen Zeiten auch für Staatsoberhäupter – haben erst die jüngsten Kodifikationen beseitigt.21 Am Rande vermerkt sei, dass es diese Haustradition in modifizierter Form in einzelnen Niederlassungen nach wie vor gibt, so im Zisterzienserinnenkloster Lichenthal in Baden. Dort ist es bis heute üblich, dass der Chef des ehemaligen großherzoglichen Hauses bei seinem ersten Besuch in der Abtei nach dem Tod seines Vorgängers in die Klausur eingelassen wird.22
Die genaue Beobachtung der vom Tridentinum geforderten strengen Klausur erfuhr durch das Aufkommen neuer Orden eine Änderung bzw. Adaption. Ein zur Gänze auf kontemplative Abgeschiedenheit ausgerichtetes Leben hätte ein Apostolat in der Welt unmöglich gemacht. Es waren daher Modifikationen zugunsten jener Gemeinschaften notwendig, die sich der Erziehung oder Krankenpflege widmeten, wie die Ursulinen oder Elisabethinnen.23
Dieses neue Selbstverständnis lässt sich an einem Satz des hl. Vinzenz von Paul ablesen, der jener Frauengemeinschaft, die er 1617 als „Bruderschaft der Damen der christlichen Liebe“ gegründet hatte, folgenden Leitsatz mit auf den Weg gab: Ihr habt als Kloster die Häuser der Kranken, als Zelle eine Mietkammer, als Kapelle die Pfarrkirche, als Kreuzgang die Straßen der Stadt, als Klausur den Gehorsam, als Gitter die Gottesfurcht und als Schleier die heilige Bescheidenheit.24 Dieses Konzept gab einige Jahre später Louise de Marillac den Anstoß zur Gründung der „Genossenschaft der Töchter der christlichen Liebe vom Hl. Vinzenz von Paul“ oder „Barmherzigen Schwestern“, deren Apostolat und Struktur prägend und beispielgebend für zahlreiche andere geistlicher Gemeinschaften dieses Zuschnitts werden sollten.
Seit dem Tridentinum waren die strengen Klausurbestimmungen zugunsten einzelner Gemeinschaften immer wieder gelockert worden. Es bildete sich dadurch auch ein regionales Gewohnheitsrecht heraus, das von Rom akzeptiert wurde bzw. akzeptiert werden musste.25
Eine weitere Aufweichung der strengen Klausurbestimmungen brachten die Französische Revolution und die Säkularisation mit sich. Der Heilige Stuhl sah sich veranlasst, Indulte gewähren zu müssen, da sich durch die politischen Veränderungen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts die ökonomische Basis vieler Gemeinschaft verändert hatte. Die Bestreitung des Lebensunterhaltes aus den Erträgen von Grundbesitz und aus den eingebrachten Mitgiften wurde zunehmend unmöglich. Man war darauf angewiesen, weitere Einkünfte zu erschließen, die an und für sich den strengen Klausurbestimmungen widersprachen.26
Eine Folge der sich veränderten ökonomischen Verhältnisse war, dass auch Nonnen nur noch einfache und keine feierlichen Gelübde ablegten. Sie hatten daher keine päpstliche, sondern nur die sog. bischöfliche Klausur zu beachten. Der CIC 1917 fasste schließlich in mehreren canones (cc. 597–604) die bisherige Rechtstradition zusammen. Er unterschied eine dreifache Klausur, nämlich eine päpstliche Klausur für die männlichen Regularen, eine päpstliche Klausur für Nonnen und die Klausur in männlichen und weiblichen Kongregationen, die gemeinhin als „bischöfliche Klausur“ bezeichnet wurde.27
„Aggiornamento“ oder: „Die virtuose Findigkeit der Nonnen“
Dass es zu allen Zeiten die Notwendigkeit der Anpassung des monastischen Alltags gegeben hat, ist unbestritten. Klausur wurde – ungeachtet ihrer monastisch-spirituellen Dimension – stets auch als Mittel der Disziplinierung verstanden, wohl auch, weil sich an ihrer Beachtung genaue oder mangelnde Observanz ablesen ließ. Der Visitator der Wiener Ursulinen kritisierte 1737 die Unterhaltungen der Schwestern mit Weltlichen am Fenster des Chores.28 1904 klagten einzelne Mitglieder des Grazer Karmels dem Visitator, Mitschwestern würden die Tätigkeiten an der Winde in der Sakristei zu unnötig langen Gesprächen mit den Laienbrüdern der Karmeliten mißbrauchen und damit die Klausur verletzten.29 1931 berichtete der Visitator, er habe die Schwestern des Grazer Karmels auch zu größerer Einschränkung bei der Winde und im Sprechzimmer gemahnt30.
Pforte und Sprechzimmer waren sensible Bereiche des Überganges. Daher galt ihnen der besondere Blick. 1728 trug man den Wiener Ursulinen auf, Besucher seien an der Klosterpforte mit Sittsamkeit und gutter geistlicher Arth anzuhören und ohne getös und geschrey schnell abzufertigen.31 Knapp ein Jahrzehnt später wurde die Pfortenschwester Mater Columba ermahnt, ihre verschidenen schrek reden gegenüber Besuchern zu unterlassen.32
Der Eintritt in die Klausur kontemplativer Gemeinschaften war besonders streng geregelt. An der Außenpforte der Beuroner Frauenklöster taten Windenschwestern Dienst, die außerhalb der Klausur lebten und diese nur im Ausnahmefall betreten durften. Die Kommunikation mit der inneren Pforte, an der eine Chorfrau die Aufsicht führte, erfolgte durch ein mit Stoff bespanntes Fenster, das erst nach der Anmeldung mittels Glocke geöffnet wurde. Sämtliche Gegenstände des täglichen Bedarfs mussten durch die Winde zwischen äußerer und innerer Pforte transportiert werden. War eine Öffnung der Pforte unumgänglich, so durfte die Ordensfrau dies nur mit herabgelassenem Gesichtsschleier tun.33 Der Gesichtsschleier war im Übrigen bei verschiedenen Gemeinschaften üblich, bei den Karmelitinnen war er bis zu den Reformen des Zweiten Vatikanums auch im Sprechzimmer zu tragen, ausgenommen bei Besuchen von Eltern und Geschwistern.34
Die Klausur war auch bei geöffneter Tür einzuhalten. Dass die Türschwelle nicht überschritten werden durfte, braucht nicht betont zu werden. 1746 wurden die Wiener Ursulinen ermahnt, dass die Schulmeisterinnen nicht „unter der Tür“ stehen dürften, wenn die Kinder das Schulgebäude betraten oder verließen.35 Die Beuroner Chorfrau Marcellina Korb hielt in ihren Erinnerungen fest, in St. Gabriel war es nur erlaubt, an der geöffneten Tür vorbeizugehen, sofern sich niemand im davor liegenden Vestibül befand. Ein Blick durch die geöffnete Klausurtür war untersagt, ebenso ein Blick aus dem Fenster oder gar über die Klausurmauer.36 Anlässlich seiner Visitation bei den Grazer Karmelitinnen schärfte 1895 der damalige Fürstbischof Schuster ein, die Klausur gehe über die Fenster hinaus.37
Besonderes Augenmerk galt stets dem Sprechzimmer. Teresa von Avila hatte in ihrer Ordensregel niedergelegt, Gespräche seien kurz zu halten, insbesondere auch gegenüber den eigenen Verwandten, ausgenommen, wenn sie gerne über göttliche Dinge sprechen wollen.38
Neben den alten Orden gab es unter den Neugründungen des 19. Jahrhunderts solche, für die eine strenge Handhabung der Klausur elementarer Teil ihres monastischen Selbstverständnisses war. Die Brüche und Umbrüche des 20. Jahrhunderts erschwerten jedoch zunehmend die Umsetzung dieses Anspruchs. Die streng klausurierten Benediktinerinnen von St. Gabriel, die 1919 von Prag auf die alte südoststeirische Grenzburg Bertholdstein übersiedelten, sind ein gutes Beispiel dafür. Auf der im Kern mittelalterlichen Anlage war eine Umsetzung der päpstlichen Klausur nicht mehr möglich.39 Hatte die Äbtissin dies noch gehofft, so war der damalige Nuntius klarsichtiger. Die Umfassung des gesamten Areals mit einer Mauer sei unrealistisch, meinte er und schrieb: Ein gutes Gitter … und der Schutz einiger Wachhunde würden – zumindest vorerst – auch genügen.40
Schon vor dem Konzilsdokument „Perfectae caritatis“ (1965) formulierte man in den einzelnen Gemeinschaften Wünsche und Vorstellungen über eine zeitgemäße Anpassung der Klausur. Kongregationen wie die in der Krankenpflege tätigen Vorauer Schwestern kannten bereits in den 1950er-Jahren die Möglichkeit eines regelmäßigen Heimat- oder Erholungsurlaubs.41 Bei Gemeinschaften mit päpstlicher Klausur waren selbst Besuche erkrankter Mitschwestern im Krankenhaus nur im Ausnahmefall möglich und Ausbildungen außer Haus oder auch Treffen von Ordensoberen, wie sie der Salzburger Erzbischof Rohracher in den 1950er-Jahren auch für weibliche Obere angeregt hatte, scheiterten nicht selten am Veto Roms.42 Die Bertholdsteiner Äbtissin Augustina Glatzel stellte dazu Ende der 1950er-Jahre fest: Die Klausurbestimmungen sind in ihrer jetzigen Art eine schwere Gewissensbelastung für die Oberen. Immer wieder muß man sich mit seinen Bitten nach Rom wenden, wo man so wenig die hiesigen Verhältnisse überblicken kann.43
Im Vorfeld, während und insbesondere nach dem Konzil wurde in den einzelnen Frauengemeinschaften über die Anpassung der Klausurbestimmungen diskutiert und der Hierarchie gegenüber deutlich artikuliert. Bertholdsteins Äbtissin Cäcilia Fischer forderte als Abbatissa moderatrix der Beuroner Frauenklöster, man müsse in der Klausurfrage regionale Traditionen und die unterschiedlichen kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse stärker berücksichtigen. Das Ergebnis einer zeitgleichen Umfrage unter 223 europäischen Frauenklöstern über Beibehaltung oder Abschaffung der Klausurgitter gab ihr Recht. 72 Gemeinschaften, vornehmlich in Italien, Polen und Jugoslawien, hatten für die Beibehaltung plädiert, 110 (überwiegend in Österreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz, Belgien, Niederlande und Dänemark) für die Abschaffung, während 41 (darunter in Frankreich) sich für eine Modifizierung aussprachen.44
Manche Ordensfrau ging in der Klausurfrage noch weiter. Die Benediktinerin Maria Antonia Schönburg-Glauchau definierte 1963 die Klausur zwar als Schutz des kontemplativen Lebens, zu dem sich die Nonnen freiwillig entschlossen haben, führte jedoch aus: Folglich sollte die diesbezügliche Gesetzgebung vor allem den Geist dieser Weltabgeschiedenheit fördern und sich nicht in kleinlichen, äußerlichen, die persönliche Würde der Frauen verletzenden und die Weltleute – Gläubige und Ungläubige – abstoßenden Vorschriften erschöpfen. … Abgrenzung von der Außenwelt ist heutzutage kein materieller Schutz mehr für leibliche Gefahr, wohl aber eine Hilfe für die innere Ruhe. … Kirchliche Vorschriften müssten zu Verantwortungsbewusstsein erziehen, aber niemanden zwingen gegen das eigene Gewissen und die eigene Überzeugung zu handeln.45
Resümee
Die Aufbruchsstimmung dieser Jahre mit ihren Herausforderungen, ihren Schwierigkeiten und enttäuschten Hoffnungen, aber auch den geglückten Positionierungen und Adaptierungen lassen sich in den einzelnen Gemeinschaften auch an den Diskussionen über Handhabung und Bedeutung der Klausur ablesen.
Es sei daher abschließend ein Zeugnis aus diesen Jahren zitiert, das m. E. allgemeingültig auf die unterschiedlichen Dimensionen der Klausur hinweist. Es stammt aus einem Entwurf der Beuroner Frauenklöster, die sich am Ende ihres Diskussionsprozesses zur Aufgabe der päpstlichen Klausur und zur Annahme einer in ihren Konstitutionen geregelten Klausur entscheiden sollten. Sie hielten 1973 Rom gegenüber fest: Die Klausur soll nicht Selbstzweck sein, sondern … Hilfe, unsere monastische Berufung so zu leben, dass sie – ohne Stille und Sammlung aufzugeben – den Gliedern unserer Gemeinschaft, aber auch den Menschen, denen wir Anteil geben sollen an unserem Leben, zum Heil gereicht.46
Abb. 1: Klausurgitter in der Kirche der Benediktinerinnen von St. Gabriel, um 1900
1 Schreiben von Adelgundis Berlinghoff an Ildefons Schober vom 3. Dezember 1900, zit. nach Ulrike WAGNER-HÖHER, Die Benediktinerinnen von St. Gabriel/Bertholdstein (1889–1919) (St. Ottilien 2008) (= Studien zur monastischen Kultur Bd. 1) 228 sowie Anm. 186 (Original des Schreibens im Archiv der Erzabtei Beuron).
2 Philipp HOFMEISTER, Von den Nonnenklöstern. Archiv für katholisches Kirchenrecht 114 (1934) 3–96 und 353–457, hier 86.
3 Zur Klausur neben den Ausführungen von HOFMEISTER (wie Anm. 2) die historische Entwicklung zusammenfassend Peter WIESFLECKER, „Wir haben strenge Klausur“. Kirchenrechtliche und kirchenrechtshistorische Aspekte der päpstlichen Klausur am Beispiel der Benediktinerinnenabtei St. Gabriel/Bertholdstein (Graz 2010) (= Allgemeine Wissenschaftliche Reihe Bd. 15) 9–28 [Kurzbeleg: WIESFLECKER, Klausur]. Philipp HOFMEISTER, Die Nonnenklausur heute, in: Karl SIEPEN– Joseph WEITZEL–Paul WIRTH (Hg.), Ecclesia et ius. Audomar Scheuermann zum 60. Geburtstag (München–Paderborn–Wien 1968) 311–321 [Kurzbeleg: HOFMEISTER, Klausur]. Zur Begriffsbestimmung vgl. LThK 6 (1997) 118–120, hier 118. Vgl. dazu weiters Bruno PRIMETSHOFER, Ordensrecht auf der Grundlage der nachkonziliaren Rechtsentwicklung unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts Österreichs, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz (Freiburg ²1979) 255–267, hier 256. Ders., Ordensrecht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983 unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz (Freiburg ³1988) 136–137. [Kurzbeleg: PRIMETSHOFER, Ordensrecht mit dem Erscheinungsjahr der jeweiligen Ausgabe] Ders., Die Religiosenverbände, in: Joseph LISTL–Heribert SchMITZ (Hg.), Handbuch des Katholischen Kirchenrechts (Regensburg ²1999) 604–633, hier 621–622. Hugo SCHWENDENWEIN, Das neue Kirchenrecht. Gesamtdarstellung (Graz–Wien–Köln ²1984) 275–276 [Kurzbeleg: SCHWENDENWEIN, Kirchenrecht]. Aspekte der Klausur dreier geistlicher Frauengemeinschaften behandelte der Vortragende auch in: Peter WIESFLECKER, „… man erwartet von Euch keine Heiligen …“. Struktur und Transformation geistlicher Frauengemeinschaften im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der Grazer Karmelitinnen, der Benediktinerinnen von St. Gabriel und der Vorauer Marienschwestern (Graz 2015) (= Grazer Universitätsverlag, Allgemeine wissenschaftliche Reihe 39, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 72) [Kurzbeleg: WIESFLECKER, Struktur].
4 PRIMETSHOFER, Ordensrecht (1979) 256.
5 LThK 6 (1997) 118.
6 Verbi sponsa. Instruktion über das kontemplative Leben und die Klausur der Nonnen (13. Mai 1999). Hg. v. d. Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, § 5. (Das Zitat beruht auf der auf www.vatikan.va/roman_curia/congregationes [30.09.2016] publizierte deutsche Fassung der Instruktion), § 5.
7 Vgl. dazu sowie für die folgenden Ausführungen: WIESFLECKER, Klausur 24–25. Primetshofer Ordensrecht (1979), 256. Ders., Ordensrecht (1988) 136–137. SCHWENDENWEIN, Kirchenrecht 275.
8 Verbi sponsa, II, 14, § 2. Zur Instruktion vgl. WIESFLECKER, Klausur 25–28.
9 WIESFLECKER, Klausur 10. LThK 6 (1997) 118.
10 WIESFLECKER, Klausur 11. HOFMEISTER Klausur, 314. LMA 5 (1991) 1196.
11 HOFMEISTER, Klausur 315. WIESFLECKER, Klausur, 12.
12 HOFMEISTER, Klausur 319.
13 HOFMEISTER, Klausur 311–312. WIESFLECKER, Klausur 13.
14 Christine TROPPER, St. Georgen am Längsee, in: Germania Benedictina III/1 (2000) 575.
15 Rudolf HÖFER, Göß. In: Germania Benedictina III/1 (2000) 724.
16 StLA, A. Göß, Stift, K. 13, H. 44.
17 Christine SCHNEIDER, Briefe von Nonnen als Quelle für die Analyse familiärer Netzwerke: Die Augustiner-Chorfrau Isabella von Thürheim (1663–1723). Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 122/1 (2014) 62–81.
18 Zum kirchlichen Zeremoniell am Beispiel des Wiener Hofes im 18. Jahrhundert vgl. Elisabeth KOVÁC, Kirchliches Zeremoniell am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts im Wandel von Mentalität und Gesellschaft. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32 (1979) 109–142. Peter WIESFLECKER, Kirchen, Klöster und Klausur. Geistliche Niederlassungen als Stationen höfischer Reisen. In: Tagungsband der Tagung „Hofreisen im 18. Jahrhundert“ (erscheint im Herbst 2016).
19 Vgl. dazu: Peter WIESFLECKER, Das Privileg des Klausureintritts für Staatsoberhäupter und Mitglieder regierender Häuser. Analecta Cisterciensia 61 (2011) 168–221 [Kurzbeleg: WIESFLECKER, Klausureintritt].
20 Rudolf Graf KHEVENHÜLLER-METSCH/Hans SCHLITTER (Hg.), Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlichen Obersthofmeisters, 1742–1776 (Wien–Leipzig–Berlin 1905–1926), hier Teilband 3, 194 (Eintragung vom 25. August 1754).
21 WIESFLECKER, Klausureintritt 210 u. 217.
22 WIESFLECKER, Klausureintritt 211–212 sowie 220–221.
23 HOFMEISTER, Klausur 312.
24 Zit. (in deutscher Übersetzung) nach Mary Elizabeth O'BRIEN, Spirituality in Nursing (Sudbury 2011) 45.
25 HOFMEISTER, Klausur 312.
26 HOFMEISTER, Klausur 312.
27 WIESFLECKER, Klausur 14–16.
28 Christine SCHNEIDER, Kloster als Lebensform. Der Wiener Ursulinenkonvent in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1740–1790) (Wien–Köln–Weimar 2005) (L´homme Schriften Bd. 11) 162–163 [Kurzbeleg: SCHNEIDER, Ursulinen].
29 Diözesanarchiv Graz, Karmelitinnen, K. 1, H. Visitationen (1869–1931): Bericht an Fürstbischof Schuster vom 17. Dezember 1904. Vgl. WIESFLECKER, Struktur 332.
30 Diözesanarchiv Graz, Karmelitinnen, K. 1, H. Visitationen (1869–1931): Bericht an Fürstbischof Pawlikowski vom 4. Mai 1931. VGl. WIESFLECKER, Struktur 332.
31 Zit. nach SCHNEIDER, Ursulinen 163.
32 Zit. nach SCHNEIDER, Ursulinen 163.
33 WIESFLECKER, Klausur 50–52.
34 WIESFLECKER, Struktur 333.
35 SCHNEIDER, Ursulinen 163.
36 WIESFLECKER, Klausur 49 und 52.
37 WIESFLECKER, Struktur 331.
38 Konstitutionen 1567, Nr. 20, in: Regel und Konstitutionen der Unbeschuhten Schwestern des Ordens der Allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel erneuert nach den Richtlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils und den geltenden Bestimmungen des Kirchenrechts, approbiert vom Hl. Stuhl im Jahre 1991, hg. v. d. Generalkurie OCD, Rom 1991 bzw. hg. v. Provinzialat des Theresianischen Karmels München (München 1993) 24. Vgl. auch Konstitutionen 1581, 3 Kap., Nr. 7, in: Regel und Konstitutionen, 64. Vgl. WIESFLECKER, Struktur 333.
39 Vgl. neben der ausführlichen Darstellung bei WIESFLECKER, Klausur, zusammenfassend WIESFLECKER, Struktur 333–341.
40 StLA, A. St. Gabriel, K. 19, H. 104-3a: Abschrift eines Schreiben des Nuntius Teodoro Valfrè di Bonzo an Adelgundis Berlinghoff vom 29. Juli 1919. Zitiert wird nach der der Abschrift beiliegenden Übersetzung.
41 WIESFLECKER, Struktur 341–342.
42 Vgl. dazu WIESFLECKER, Klausur 80–89.
43 StLA, A. St. Gabriel, K. 19, H. 104-3a, Abschrift des Schreibens Glatzels an den Generalprokurator P. Engelbert Giersbach OSB vom 2. Juli 1963.
44 WIESFLECKER, Klausur 93–95.
45 StLA, A. St. Gabriel, K. 19, H. 104-2, Maria Antonia Schönburg-Glauchau (?), Gedanken für die Anpassung der Klausurvorschriften des Ordensrechtes an die heutige Zeit (August 1963). Vgl. dazu ausführlich WIESFLECKER, Klausur 91–93.
46 StLA, St. Gabriel, K. 115, H. 542-2, Über die Klausur des Klosters (Februar 1973). Vgl. dazu WIESFLECKER, Klausur 102–103.