Überlieferungsbildung – Grundlagen, Ziele und Methoden
Perspektiven aus Archivtheorie und -praxis
Welchen Unterlagen kann dauerhafter Wert und somit Archivwürdigkeit1 zugesprochen werden, der ihre permanente Verwahrung in einem Archiv mit allen damit anfallenden Kosten rechtfertigt?
Ab den 1990er Jahren wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine rege fachinterne Diskussion zur Überlieferungsbildung angestoßen, die bis heute weitergeführt wird und den Versuch unternimmt, Bewertungsentscheidungen auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu stellen und im Zuge dessen nach Möglichkeiten sucht, die Bewertungspraxis2 im Sinne einer planmäßigen, effizienten und transparenten Überlieferungsbildung zu optimieren. In Österreich waren der archivischen Kernaufgabe Bewertung zuletzt in Band 58 der Zeitschrift Scrinium aus dem Jahr 2004 zahlreiche Beiträge gewidmet und auch im Band 70 aus dem Jahr 2016 findet sich eine Überblicksdarstellung zum aktuellen Stand der bundesdeutschen Diskussion.3
Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Referat, das am 25. Januar 2016 im Archiv der Erzdiözese Salzburg im Rahmen des Studientages4 der Fachgruppe der Archive der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) gehalten worden ist und versucht, einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Bewertungsdiskussion im deutschsprachigen Raum zu geben. Angesichts der Komplexität des Themas liegt der Schwerpunkt vor allem auf methodischen Fragen, die archivtheoretische Bewertungsdiskussion wird nur exemplarisch vorgestellt, ferner wird auf die Überlieferungsbildung betreffend digitale Unterlagen nicht näher eingegangen.5 Der Großteil der vorgestellten Konzepte ist in staatlichen und kommunalen Archiven entwickelt worden und basiert somit auf Strukturtypen betreffend Organisation und Unterlagen, die sich von kirchlichen Archiven zum Teil stark unterscheiden. Die archivfachlichen Prinzipien sind jedoch grundsätzlich ungeachtet des jeweiligen Archivträgers gültig, sie gelten auch unabhängig davon, ob es sich um analoge oder digitale Archivalien handelt.
Grundlagen der Überlieferungsbildung
Im Leitbild der Österreichischen Archivarinnen und Archivare des VÖA wird die archivische Fachaufgabe Überlieferungsbildung und die verantwortungsvolle Rolle von Archivarinnen und Archivaren dabei wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Wir sorgen für die Bewahrung historischer Überlieferungen und bestimmen deren Auswahl und Umfang“6. Diese Formulierung umreißt pointiert das Spannungsfeld, in dem sich Überlieferungsbildung stets bewegt, jener Entscheidungsprozess, an dessen Ende über das Aufbewahren oder Nicht-Aufbewahren von Unterlagen entschieden wird: Unterlagen, denen Wert beigemessen wird, werden Teil der historischen Überlieferung, die anderen werden der Skartierung (Kassation) zugeführt und scheiden daraus aus.7 Aus dieser wichtigen, irreversiblen Entscheidung ergibt sich der besondere Stellenwert der Bewertung im archivischen Aufgabenspektrum, denn ohne sie wäre Archivgut letztlich weder zugänglich noch finanzierbar. Ihre strategische Bedeutung bei der Steuerung aller weiteren Arbeitsprozesse findet ihren Niederschlag unter anderem in Bezeichnungen wie „Königsdisziplin“8 und „Kernkompetenz“. Nicht nur aus Gründen eines effizienten Archivmanagements ist Überlieferungsbildung daher stets im Zusammenhang mit den weiteren archivischen Fachaufgaben zu betrachten, kommt ihr doch eine „Gateway“-Funktion zu, von der alle weiteren Arbeitsschritte im Archiv abhängen: denn was als archivwürdig bewertet wurde, soll bestandserhaltenden Maßnahmen9 zugeführt und nicht zuletzt auch erschlossen werden. Überlieferungsbildung sollte deshalb idealerweise stets eine Bestandserhaltungs- und Erschließungsstrategie mit einbeziehen.
Wovon ist im Einzelnen die Rede, wenn von „Überlieferungsbildung“ gesprochen wird? Eine prägnante Definition des Begriffs lautet: „Oberbegriff für den fachlich prospektiv gesteuerten Gesamtprozess der Übernahme und des Erwerbs von Archivgut durch Archive“10. Terminologisch gesehen kann der Begriff „Bewertung“ als Unterbegriff zu „Überlieferungsbildung“ gelten. Zu „Bewertung“ gibt Angelika Menne-Haritz, die ehemalige Leiterin der Archivschule Marburg, folgende Definition: „Ermittlung der archivwürdigen Teile des Schriftgutes, die dauerhaft aufzubewahren sind“11. Bewertung bezieht sich ihr zufolge sowohl auf das „Verfahren zur Ermittlung des archivischen Werts von Schriftgut und anderen Überlieferungsformen“ als auch auf dessen beabsichtigtes Ergebnis: „Die Entscheidung über den Archivwert beurteilt die potentielle Nutzbarkeit des Archivguts für die Auswertung“12. Eine weitere Begriffsbestimmung von Bewertung, die wiederum den Kontext, in dem sich diese archivische Tätigkeit vollzieht, in den Blick nimmt, lautet: „Appraisal is an activity conducted on existing records in relation to values defined by an archival policy“13.
Legaldefinitionen von „Archivwürdigkeit“ sowie die der Überlieferungsbildung zugrunde gelegten Wertmaßstäbe finden sich in den einschlägigen archivrechtlichen Bestimmungen, die zugleich die fachliche Zuständigkeit des jeweiligen Sprengelarchivs für die Bewertung festlegen („Bewertungskompetenz“ bzw. „Bewertungshoheit“). So erfolgt Bewertung in der Regel „nach Anhörung“ der abgebenden Stelle. In den von der Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Österreichs erstellten „Richtlinien zur Sicherung und Nutzung der Archive der Ordensgemeinschaften in der Katholischen Kirche Österreichs“ ist beispielsweise in § 6 „Übernahme und Bewertung“ nachzulesen: „Das Archiv entscheidet nach Anhörung der abgebenden Stelle über die Archivwürdigkeit der Unterlagen, und zwar auf Grundlage einer allgemeinen, von dem höheren Oberen/der höheren Oberin bzw. dem zuständigen Oberen/der zuständigen Oberin der Ordensgemeinschaft zu erlassenden Anordnung über die aufzubewahrenden und zu vernichtenden Unterlagen der Ordensgemeinschaft, ihrer Einrichtungen, Häuser und Werke“14. Die Bewertungsgrundlage bilden in diesem Zusammenhang die vom Archivträger festgelegten Kriterien. Die „Richtlinien“15 bestimmen hierzu in § 1: „(1) Die Ordensgemeinschaften in der Katholischen Kirche dokumentieren ihr Wirken in Geschichte und Gegenwart […]. (2) Die Ordensarchive tragen zur Wahrung der Rechtssicherheit bei und unterstützen die Verwaltungsführung. (3) Die Ordensarchive sind ein nützliches Instrument für die Pastoraltätigkeit, denn als Gedächtnisorte überliefern sie die Erfahrungen der Inkulturation des Evangeliums und verleihen der Tradition Konkretheit. (4) Das Archivieren in den Ordensgemeinschaften liegt darüber hinaus im öffentlichen Interesse und schafft Voraussetzungen für historische und sozialwissenschaftliche Forschung ebenso wie für kulturvermittelnde Tätigkeit“16. Archivwürdigkeit17 leitet sich dabei von den übergeordneten Archivierungszielen ab, wie in § 3 ausgeführt wird: „(3) Archivwürdig sind Unterlagen, die für die unter § 1 genannten Funktionen eines Ordensarchivs von Bedeutung und darum von bleibendem Wert sind“18. Darüber hinaus können Unterlagen auch aus anderen Gründen, etwa wegen eines „historischen, wissenschaftlich-technischen oder künstlerischen Quellenwertes“19 archivwürdig sein.
Im Zusammenhang mit der Bewertungshoheit kommt der ─ ebenfalls in den Archivgesetzen geregelten ─ Anbietungspflicht der abgebenden Stellen und den üblicherweise damit verbundenen Fristennote1top20 große Bedeutung zu. Nur wenn die Anbietungspflicht in der Verwaltung ausreichend bekannt ist, können Überlieferungslücken vermieden werden.21 Wichtig ist, dass die Anbietungspflicht auch jene Unterlagen betrifft, die aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen vom Schriftgutproduzenten nach einer bestimmten Frist gelöscht werden müssten, denn in dieser Frage gilt folgender Grundsatz: „Die Anbietung und Archivierung zu löschender Daten bzw. zu vernichtender Unterlagen an ein zuständiges Kirchenarchiv ist als Löschungssurrogat anzusehen“22. In der Rahmenordnung zur Sicherung und Nutzung der Archive der Katholischen Kirche in Österreich heißt es zu dieser Frage ─ leicht abweichend von der staatlichen Archivgesetzgebung ─ in § 3 Abs. 4: „Dürfen Unterlagen nach anderen Rechtsvorschriften vernichtet oder gelöscht werden, sind sie dessen ungeachtet dem zuständigen Archiv zur Übernahme anzubieten, wenn nicht rechtliche Verpflichtungen zur Vernichtung oder Unkenntlichmachung vorliegen“23
Überlieferungsbildung: Ziele und Methoden
Botho Brachmann, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Archivwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, kommt, das Thema Überlieferungsbildung aus der Perspektive der Skartierung betrachtend, zu folgendem Schluss: „Bewertung bedeutet, einen Informationsverlust zu organisieren und diesen optimal zu steuern“24. Aus der Fülle der entstehenden Dokumente aussagekräftige Unterlagen zu überliefern, lautet demgemäß ein zentraler Bewertungsgrundsatz. Eine solche Informationsverdichtung unter der Maxime der Auswertungsoffenheit zu erreichen, stellt hohe Anforderungen an die methodische Sorgfalt bei der Bewertungsentscheidung, insbesondere bei massenhaft gleichförmigem Schriftgut (Fallaktenserien), deren Umfang oft erheblich reduziert werden muss.
Als wichtigstes übergeordnetes Ziel der Überlieferungsbildung ist die dauerhafte Sicherung authentischer Unterlagen25 anzusehen. Im „Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare“ des Internationalen Archivrates wird dementsprechend darauf hingewiesen, jede Bearbeitung von Archivgut unter Wahrung von dessen Authentizität durchzuführen.26 Authentizität von Archivgut und seine Beweiskraft beruhen neben der Sicherstellung einer „unbroken chain of custody“27 (= Aufbewahrungskette bzw. unverbrüchlicher Archivgewahrsam) im Wesentlichen auf der Wahrung von Kontextinformationen28 zum Archivgut, denn Informationen zum Entstehungs-, Nutzungs- und Überlieferungskontext von Unterlagen sind essentiell für ihr Verständnis, die zukünftige Nutzung und Auswertung und zudem relevant für die Erstellung von Findmitteln. Spätestens im Zuge der Übernahme von Unterlagen ins Archiv sollten daher – sofern dies nicht bereits an anderer Stelle erfolgt ist ─ alle wesentlichen Kontextinformationen zum Bestand schriftlich festgehalten werden, wobei nach Möglichkeit sämtliche Überlieferungsschichten (einschließlich der Nutzungsgeschichte) dokumentiert werden. Falls Unterlagen ihren ursprünglichen Kontext verloren haben, sind sie auf dem Wege der Verzeichnung nach Möglichkeit zu rekontextualisieren.29 Denn gemäß dem „Kodex ethischer Grundsätze“ haben Archivarinnen und Archivare „Archivmaterial in seinem historischen, rechtlichen und administrativen Kontext zu bewerten, auszuwählen und aufzubewahren, um so das Provenienzprinzip zu bewahren und die ursprünglichen Zusammenhänge der Schriftstücke zu erhalten und zu verdeutlichen“30.
Auch eine geordnete Schriftgutverwaltung trägt dazu bei, dass Archive die Integrität und Authentizität von Archivalien sichern können und gilt daher als wichtige Voraussetzung für eine planmäßige Überlieferungsbildung, weshalb der Beratung bei der Schriftgutverwaltung eine immense Bedeutung zukommt.31 Generell sollten Archive daher darauf hinwirken, dass Überlieferungsbildung als eine gemeinsame Verantwortung von Aktenproduzenten, Archiv und Archivträger wahrgenommen wird.32 Nur so kann in den Verwaltungen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es sich bei Schriftgut um potentielles Archivgut handelt und können die für eine geordnete Überlieferungsbildung notwendigen Maßnahmen bereits im Vorfeld eingebracht werden. Archive können sich zu diesem Zweck auf die einschlägigen Ausführungen in der Norm DIN ISO 15489-1: Information und Dokumentation – Schriftgutverwaltung berufen.33 Eine regelmäßige Kontaktpflege mit dem Kanzleipersonal – und idealerweise auch mit der jeweiligen Führungsebene ─ hilft außerdem dabei, ad-hoc-Bewertungsentscheidungen unter Zeitdruck seitens der abgebenden Stelle oder gar „wilde Kassationen“ zu vermeiden. Bewertung sollte möglichst früh im Entstehungsprozess von Schriftgut ansetzen, idealerweise sogar vor dessen Entstehung (prospektiv) und den gesamten Lebenszyklus von Unterlagen begleiten, so dass eine reibungslose Aussonderung und Übernahme ins Archiv gewährleistet ist. Dies erfordert unter Umständen einen hohen Beratungsaufwand seitens des Archivs.
Abb. 1: Bewertung im Lifecycle: Schweizerisches Bundesarchiv (BAR), Arbeitshilfe „Von der Geschäftsablage ins Bundesarchiv - Angebot und Bewertung von Unterlagen des Bundes", 2013, 7.
Eine geordnete Schriftgutverwaltung erreicht man idealerweise durch Verwendung eines Aktenplans. Sofern noch kein Aktenplan34 vorhanden ist, sollte ein solcher erstellt werden, stellt dieser doch einerseits ein wichtiges Instrument zur Aktenführung dar und dient andererseits als Hilfsmittel bei der Bewertung. In Abwesenheit eines Aktenplanes ist zumindest die Führung von Übersichten über die tatsächlich angelegten Akten notwendig. Langfristig ist die Erstellung eines Aktenplans35 gemeinsam mit der Verwaltung zu empfehlen. Ein Aktenplan ist jedenfalls unerlässlich als Grundlage für einen Skartierungsplan,36 eine systematische Erfassung sämtlicher Unterlagen aller Dienststellen inklusive Bewertungsentscheidung, die es aktuell vor allem für große Organisationen gibt, in denen viel Schriftgut produziert wird. Eine planmäßige und kontinuierliche Überlieferungsbildung bedarf darüber hinaus regelmäßiger Aussonderungen, weshalb es empfehlenswert ist, diese im Rahmen von Informationsgesprächen mit den abgebenden Stellen zu vereinbaren. Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass sich VerwaltungsmitarbeiterInnen mit den archivrechtlichen Regelungen und der archivischen Fachterminologie selbstständig vertraut gemacht haben, empfiehlt sich neben den persönlichen Informationsgesprächen die Erstellung schriftlicher Handreichungen zur Aktenaussonderung und -übergabe,37 die der allgemeinen Information über den Bewertungsprozess dienen. Dies kann in Form von Broschüren oder in Form von FAQs auf einer Homepage38 geschehen. Auf der Internetseite oder im Intranet können zudem Muster für Aussonderungsverzeichnisse bzw. Anbietungslisten39 zur Verfügung gestellt werden. Nach erfolgter Bewertung wird auf der Grundlage der Anbietungsliste ein Übergabeverzeichnis als Nachweis über die tatsächlich akzessionierten Unterlagen angefertigt, das sowohl in der abgebenden Stelle als auch im Archiv dauerhaft aufzubewahren ist und als vorläufiges Findmittel genutzt werden kann. Zum Zwecke der Bewertungsdokumentation ist es außerdem erforderlich, ein Bewertungsprotokoll40 anzulegen, das zwecks Nachvollziehbarkeit die Bewertungsentscheidung samt Begründung sowie die angewandte Methode enthält. Das Bewertungsprotokoll dient als Grundlage für diesbezügliche Angaben im Archivinformationssystem bzw. Findmittel. Da Angaben zur Bewertungsentscheidung zudem für eine seriöse Auswertung von Archivgut unerlässlich sind, findet sich im Erschließungsstandard ISAD(G)41 zu diesem Zweck das Verzeichnungselement 3.2 „Bewertung und Skartierung“, in dem den Nutzerinnen und Nutzern diese wichtige Information zum Bestand (in der Regel auf der Verzeichnungsstufe Bestand) zur Verfügung gestellt werden kann.42 Etwaige Überlieferungsverluste oder Bewertungsentscheidungen der Vergangenheit werden im ISAD(G)-Element 2.3 Bestandsgeschichte festgehalten. Auf diese Weise werden die durch das Archiv erfolgten Arbeitsschritte transparent und nachvollziehbar gemacht.43
Transparenz über den Bewertungsprozess herzustellen,44 sowohl gegenüber den abgebenden Stellen, als auch gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern und nicht zuletzt gegenüber der archivischen Fachgemeinschaft wird heute als conditio sine qua non in der archivischen Fachgemeinschaft angesehen.45
Bewertungsverfahren und -methoden
Bewertung ist ein Prozess voneinander abhängiger Arbeitsschritte46, an deren Anfang die Analyse der schriftgutbildenden Stelle und ihrer Aufgabenfelder steht. Da es sich bei Akten um prozessgeneriertes Schriftgut handelt, empfiehlt sich zur Bewertungsvorbereitung die genaue Analyse der Strukturen und Prozesse, aus denen die Akten hervorgegangen sind. Neben den Rechtsgrundlagen für die Arbeit der Dienststelle und Organisationsvorschriften können Verwaltungsgliederung (Organigramme), Geschäftsverteilungspläne, Selbstdarstellungen im Internet, Broschüren und Jahresberichte etc. als Grundlage der Analyse und zur Vorbereitung von Informationsgesprächen mit den Schriftgutproduzenten herangezogen werden. Da die jeweilige Strukturform der Unterlagen die Auswahl des verwendeten Bewertungsverfahrens bestimmt, wird die Analyse der Verwaltungsstrukturen durch eine systematische Schriftgutanalyse ergänzt.47 Mögliche Bewertungskriterien48 können hier nur in einer Auswahl genannt werden: ein wichtiges formales Kriterium ist die Vermeidung von Mehrfachüberlieferung, inhaltliche Kriterien können, neben dem Sprengelbezug, die Entstehungszeit sowie – bei Vorliegen von Überlieferungsverlusten – eine Funktion von Unterlagen als Ersatzüberlieferung sein. Der physische Zustand der Unterlagen kann als Kostenfaktor ebenfalls eine Rolle spielen. Außerdem können mögliche Interessen Betroffener49 in eine Bewertungsentscheidung mit einbezogen werden.
Was die Typologie der Bewertungsmethoden50 betrifft, kann grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Ansätzen unterschieden werden: einem Bottom-up-Ansatz, dessen Ausgangsfrage lautet „Was wird zur Archivierung angeboten?“ sowie einem Top-down-Ansatz mit der Grundfrage „Was soll in Übereinstimmung mit meinen Zielen archiviert werden?“. Einem Bottom-up Ansatz entspräche beispielsweise eine Bewertung „am Regal“ (Aktenautopsie) oder anhand einer Aussonderungsliste (Listenbewertung).
Spezielle Anforderungen gelten bei der Bewertung von massenhaft gleichförmigen Einzelfallakten (Fallaktenserien bzw. „Massenakten“).51 Die Bewertungsmethode Auswahlarchivierung (im Unterschied zu Totalarchivierung und Totalkassation) kann bei Fallaktenserien mittels einer Stichprobenziehung52 („Sampling“) umgesetzt werden. Mögliche Samplingmethoden sind die Zufallsstichprobe, die systematische Stichprobe und die Klumpenstichprobe, wobei nur die Zufallsstichprobe repräsentativ ist. Auswahlarchivierung kann darüber hinaus oder in Ergänzung zu statistischen Verfahren auch durch eine Musterarchivierung erfolgen: einer Auswahl typischer Fälle und/oder einer Auswahl des Besonderen („dicke Akten“) bzw. prominenter Fälle.
Bewertungsmodelle
Im Bereich staatlicher Archive in der Bundesrepublik sind in den vergangenen Jahren für unterschiedliche Aktengruppen – in der Regel große Fallaktenserien – verstärkt Bewertungsmodelle53 entwickelt worden. Ein Bewertungsmodell54 ist ein standardisiertes, planmäßiges Konzept zur Bewertung der Überlieferung eines Registraturbildners oder eines ganzen Verwaltungszweiges. Vorteil eines Bewertungsmodells ist, dass es eine systematische Steuerung der Überlieferungsbildung (Übernahmestrategie) ermöglicht, das Aussonderungsverfahren vereinfacht und darüber hinaus Vergleichbarkeit und Transparenz schafft.
Abb. 2: Bewertungsprozess, aus: Angelika MENNE-HARITZ, Archivische Bewertung. Der Prozess der Umwidmung von geschlossenem Schriftgut zu auswertungsbereitem Archivgut. Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 51 (2001) 448–460, hier 458.
Bewertungsmodelle werden in der Regel im Rahmen eines Projekts entwickelt und müssen angesichts wechselnder Zuständigkeiten aktuell gehalten werden.
Ein Konzept zur Erstellung archivübergreifender Bewertungsmodelle ist die aus dem Bereich der staatlichen Archive in Baden-Württemberg stammende „horizontal-vertikale Bewertung“55, in deren Fokus die Vermeidung von Mehrfachüberlieferung liegt. Ausgangsfrage bei der horizontal-vertikalen Bewertung ist, welche Stellen an der Erfüllung einer Aufgabe beteiligt sind und auf welcher Ebene und an welcher Stelle der diesbezüglich maßgebliche Einfluss ausgeübt wird (Federführungsprinzip), da davon auszugehen ist, dass dort durchwegs die aussagekräftigste Überlieferung entsteht, was jedoch in jedem einzelnen Fall geprüft wird. Bei der horizontal-vertikalen Bewertung werden nicht nur einzelne Behörden, sondern ganze Verwaltungsbereiche (z.B. Justiz, Polizei) formal und inhaltlich analysiert, wobei jede einzelne Aufgabe in der Behördenhierarchie von der obersten zur untersten Behörde untersucht wird (vertikaler Abgleich) und – wenn beteiligte Verwaltungsstellen auf einer Ebene sind – ein horizontaler Abgleich der Behörden untereinander vorgenommen wird. Der vertikale und horizontale Abgleich wird vorgenommen, weil die aussagekräftigsten Unterlagen nicht immer auf dem administrativ höchsten Level zu finden sind und die dichtere Überlieferung gegebenenfalls auf einer unteren administrativen Ebene entsteht. Neben der Analyse der Aufgabenerledigungsprozesse wird das daraus hervorgehende Schriftgut genau analysiert und beschrieben.
Dokumentationsprofile
Überlieferungsbildung kann zusätzlich zu den Beständen, die aufgrund der Zuständigkeit für einen Provenienzbildner archiviert werden, eine ergänzende Sammeltätigkeit umfassen. Zum institutionellen Mandat eines Archivs kann daher auch ein Sammelauftrag gehören, der den Erwerb von Sammlungen und Fonds privater Provenienz,56 beispielsweise von Vor-/Nachlässen,57 beinhaltet, die den Bestand sinnvoll ergänzen. Sammeln erfolgt idealerweise im Hinblick auf den bereits im Archiv befindlichen Bestand und im Rahmen einer Sammelstrategie, die auf Kontinuität ausgerichtet sind (Sammelschwerpunkte).
Ein Trend hin zu einer verstärkten Sammeltätigkeit, sofern es die Ressourcen erlauben, ist aktuell vor allem im Bereich der Kommunalarchive58 zu beobachten, die sich in jüngster Zeit nicht mehr in erster Linie als „Gedächtnis der Verwaltung“ verstehen, sondern zunehmend als „Gedächtnis der Gesellschaft“, was einen Niederschlag in der Entwicklung von Dokumentationsprofilen59 findet. Amtliches Schriftgut wird als zunehmend weniger aussagekräftig angesehen, weshalb Archive aktiv und mit dem Ziel sammeln, Überlieferungslücken zu schließen (Ergänzungsdokumentation). Aufspüren lassen sich Überlieferungslücken mithilfe eines Dokumentationsprofils. Ein Dokumentationsprofil ist ein sachthematisch ausgerichtetes Konzept für Ziele und Wertmaßstäbe der Überlieferungsbildung, das konkrete Bewertungsentscheidungen für bestimmte Unterlagengruppen beinhaltet. Die bislang in der Fachwelt für Kommunalarchive und Universitätsarchive publizierten Dokumentationsprofile stellen insofern einen Paradigmenwechsel dar, als ihr Ausgangspunkt nicht mehr das entstandene Schriftgut ist, sondern die „lokale Lebenswelt“, die in ihrer gesamten Pluralität abgebildet werden soll60 und zum Erreichen dieses Zieles amtliches und nicht-amtliches Schriftgut gleichrangig betrachtet werden.
Zur Erstellung eines Dokumentationsprofils werden Dokumentationsziele formuliert und es wird für die einzelnen Kategorien der lokalen Lebenswelt jeweils ein Dokumentationsgrad festgelegt (niedrig, mittel, hoch), was sie zu einem Instrument der strategischen Überlieferungssteuerung macht. Die Kategorien der lokalen Lebenswelt werden mithilfe folgender Leitfragen ermittelt: Welche Personen, Institutionen, Strukturen, Entwicklungen und Ereignisse sind für die Erforschung des Archivsprengels relevant? Auf dieser Grundlage wird ein sogenannter „Kataster der Registraturbildner“ erarbeitet, eine Auflistung der Ämter, Institutionen, Personen, Unternehmen etc., die für das Erreichen der Dokumentationsziele relevant sind. Anschließend wird der an diesen Stellen entstehende Quellenfundus im Hinblick auf seinen Wert zur Erreichung der Dokumentationsziele untersucht.
Exkurs: Neuere deutsche Bewertungsdiskussion61
Am Anfang der „neueren deutschen Bewertungsdiskussion“ steht die deutschsprachige Rezeption des Bewertungsmodells des amerikanischen Nationalarchivars Theodore R. Schellenberg62 aus dem Jahr 1956. Schellenberg unterscheidet bei Archivgut zwischen dem Primärwert, mit dem er den Nutzen von Unterlagen für die Aufgabenerledigung der Behörde bezeichnet und dem Sekundärwert, dem Nutzen von Unterlagen als „Informationsquelle über ihre Entstehung und Verwendung“63 . Beim Sekundärwert differenziert Schellenberg zwischen dem Evidenzwert und dem Informationswert, wobei mit Evidenzwert die „Aussagekraft von Unterlagen über Abläufe und Verfahren in der Ursprungsstelle“64 gemeint ist und mit Informationswert der „Aussagewert von Archivgut über Fakten zu Personen, Orten und Ereignissen, die Gegenstand von Verwaltungshandeln geworden waren“65
Verwaltungsschriftgut ist prozessgeneriert, daher sieht Angelika Menne-Haritz, Vertreterin der Schellenbergschen Bewertungstheorie, die Aufgabe von Archiven darin, „Evidenz über organisierte Aufgabenerledigungsprozesse herzustellen“66 . Da sich Aufgaben und Entscheidungsprozesse in Akten abbilden, könne auf diese Weise das Verwaltungshandeln transparent gemacht werden. Evidenzorientierte Bewertung gemäß dem Provenienzprinzip wird von Menne-Haritz daher als am besten geeignet angesehen, um möglichst viele potentielle Forschungsfragen unterschiedlicher Disziplinen abzudecken, ohne diese Nutzungsmöglichkeiten selbst jedoch in den Fokus der Bewertung zu stellen. Bodo Uhl lehnt in diesem Sinne inhaltsorientierte Bewertungsansätze mit folgenden, häufig zitierten Worten, ab: „Wir sollten uns in aller Bescheidenheit nur die Aufgabe stellen, die Tätigkeit der verschiedenen Registraturbildner unserer jeweiligen Archivträger in den wesentlichen Zügen zu dokumentieren und nicht vorrangig versuchen, auf von wem auch immer als bedeutend erkannte Fakten, Ereignisse, Entwicklungen abzuheben.67 “ Im Gegensatz dazu vertrat der ehemalige Präsident des deutschen Bundesarchivs Hans Booms einen in erster Linie inhaltsorientierten Bewertungsansatz, den er der Fachöffentlichkeit in einer programmatischen Rede auf dem Deutschen Archivtag 1971 präsentierte, die bis heute diskutiert wird. Das von ihm darin vorgeschlagene Ziel archivischer Überlieferungsbildung in einer pluralistischen Gesellschaft ist „eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation des öffentlichen Lebens in allen Interessens- und Bindungsgemeinschaften“68 Erreicht werden sollte dieses Ziel mithilfe eines „Dokumentationsplans“. Während der „neueren deutschen Bewertungsdiskussion“ wurde folglich von Vertretern der Boomsschen Bewertungstheorie eine Abkehr vom strengen Provenienzprinzip gefordert, denn die Fokussierung auf den Nachweis der Tätigkeit des Bestandsbildners allein wurde mit Etatismus und dem Denken des 19. Jahrhunderts gleichgesetzt. Vielmehr sei eine „gesamtgesellschaftliche Überlieferungsbildung“ anzustreben und diejenige Information zu sichern, die die gesellschaftliche Entwicklung belege.69 In der westdeutschen Archivwissenschaft wurde der „Dokumentationsplan“ von Booms jedoch mehrheitlich abgelehnt, zum einen, weil es sich um ein Konzept aus der DDR-Archivistik handelte und zum anderen, da man die damit verbundenen Vorschläge zur Ermittlung von Bewertungsgrundlagen in Frage stellte und überhaupt die Inhaltsorientierung als archivischen Grundprinzipien zuwiderlaufend ansah. Die Ideen von Booms zum „Dokumentationsplan“ sind in den USA hingegen im Rahmen der „documentation strategy“70 produktiv aufgegriffen worden und auf diesem Umweg wieder nach Deutschland gelangt. Heute herrscht in der archivischen Fachwelt weitgehend Konsens darüber, dass sich provenienz- und inhaltsorientierte Bewertungsansätze ergänzen.71
Überlieferungsbildung im Verbund
Überlieferungsbildung im Verbund72 bezeichnet die sparten- und sprengelübergreifende Kooperation von Archiven mit anderen Gedächtnisinstitutionen, die auch eine Absprache bei der Sammeltätigkeit umfasst, wobei das Provenienzprinzip und die Sprengelzuständigkeit grundsätzlich gewahrt bleiben. Strategisches Ziel der Überlieferung im Verbund ist – neben der Vermeidung von Redundanzen – eine quantitative Reduktion der Überlieferung bei gleichzeitiger Verbesserung ihrer Qualität. Dokumentationspläne zur systematischen Erfassung relevanter Überlieferung innerhalb und außerhalb des Zuständigkeitsbereichs und Bewertungsmodelle spielen dabei als Grundlagen für eine archivübergreifende Abstimmung eine wichtige Rolle. Für Max Plassmann ergibt sich das Sammeln im Verbund aus dem Vorhandensein von Dokumentationsplänen geradezu selbstverständlich.73 In Bezug auf Bestände privater Provenienz, beispielsweise Nachlässe, wird angestrebt, diese nicht zu teilen und sie in einem adäquaten Archiv zu verwahren, wo die Zugänglichkeit gesichert ist. Überlieferung im Verbund berücksichtigt somit auch die Nutzungsmöglichkeiten von Archivgut. Nutzerorientierung ebenso wie das Einbeziehen künftiger Auswertungsmöglichkeiten in die Bewertungsentscheidung sind Themen, die in den vergangenen Jahren in der Fachwelt verstärkt diskutiert wurden. Das Landesarchiv Baden-Württemberg hat in diesem Zusammenhang betreffend Personalakten ein systematisches Entscheidungsverfahren vorgestellt, bei dem die Frage nach dem Nutzerinteresse das entscheidende Bewertungskriterium darstellt: für jedes angestrebte Benutzungsziel wird dabei das geeignete Verfahren ermittelt.74
Überlieferungsbildung in der Informationsgesellschaft
Das Internet bietet mannigfaltige Möglichkeiten zur Vernetzung und Kollaboration, die von Archiven nicht nur für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch bei der Überlieferungsbildung genutzt werden können. So wird im Positionspapier des Arbeitskreises „Archivische Bewertung“ im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare aus dem Jahr 2014 vorgeschlagen, zur Überlieferung im Verbund Web 2.0-Technologien einzusetzen. Im Einzelnen regt das Papier den Aufbau eines Online-Katasters an, in dem Archive ihre Dokumentationsprofile, Bewertungsmodelle sowie Abstimmungsergebnisse im Verbund dokumentieren.75 Und im Zuge einer Tagung der Initiative „Sammeln in Verbund“ wurde zwecks besserer Abstimmung zwischen Archiven bei der Überlieferungsbildung die Einrichtung einer zentralen Datenbank bzw. Internetplattform zum Austausch von Informationen über Sammlungsschwerpunkten angeregt.76 Beruht doch das Prinzip des Sammelns im Verbund grundsätzlich darauf, dass Einzelarchive diese Informationen mit der Fachöffentlichkeit teilen. Kooperationsmöglichkeiten für den Bewertungsvorgang selbst bieten zudem Social Media-Anwendungen: die Arbeitsgemeinschaft Kreisarchive in Baden-Württemberg hat beispielsweise im Jahr 2006 zur fachinternen Diskussion von Bewertungsentscheidungen ein geschlossenes Bewertungsforum im Internet eingerichtet.77 Das Universitätsarchiv Osnabrück wiederum setzt seinen Blog gezielt zur Ergänzung des Archivbestandes ein und wirbt auf diesem Wege Akquisitionen ein.78
Überlieferungsbildung vollzieht sich stets im Rahmen der jeweiligen Medientechnik einer Zeit, die nicht nur Einfluss auf die Form und den Umfang der entstehenden Dokumente hat, sondern auch zu ihrem weiteren gesellschaftlichen Kontext zu rechnen ist. Was den gesellschaftlichen Kontext der Überlieferungsbildung betrifft, so besitzen Luciana Duranti zufolge nicht nur die archivierten Unterlagen selbst Aussagekraft, sondern auch die Tatsache ihrer Archivierung: „The choices of a given society in preserving its documentation constitute sources for understanding that society which are even more precious than the documents themselves“.79 Die Schweizer Archivarin Anna Pia Maissen schließlich betont die mannigfaltigen Auswertungsmöglichkeiten jener Unterlagen durch künftige NutzerInnen und Nutzer und rückt folglich den informationswissenschaftlichen Aspekt des archivischen Produktes „bewertete Bestände“80 in den Fokus: „Denn unsere bewerteten und zugänglich gemachten Unterlagen machen uns zu vertrauenswürdigen Orten, wo die Herkunft und Auswahl des Archivguts verlässlich nachzuvollziehen ist. Das ist ein nicht zu vernachlässigender Marktvorteil, den wir gegenüber der Suche in einem unstrukturierten Meer von Material, das oft schwer durchschaubaren Interessen dient, ausspielen sollten“81 . In diesem Sinne können sich Archive – das gilt gleichermaßen für kirchliche Archive im Rahmen ihres vom Archivträger bestimmten Mandats – als kompetente historische Informationsdienstleister82 in der Informationsgesellschaft positionieren.
1„Archivwürdigkeit als positives Ergebnis einer Bewertungsentscheidung oder als gesetzlich normierte Eigenschaft bezeichnet den bleibenden Wert von Unterlagen mit historisch oder rechtlich bedeutsamer Belegfunktion, die dauerhaft im Archiv aufzubewahren sind.“ Aus: Artikel „Archivwürdigkeit (-reife), Terminologie der Archivwissenschaft, Archivschule Marburg, 2015. http://www.archivschule.de/uploads/Forschung/ArchivwissenschaftlicheTerminologie/Terminologie.html [Zugriff: 30.09.2016].
2 Beklagt wurde meist eine mangelhafte Bewertungspraxis aufgrund unzureichender Bewertungsgrundlagen bzw. eine mangelnde Anbindung der Theorie an die Praxis und vice versa. Vgl. Peter K. WEBER, Archivische Bewertung aus kommunalarchivischer Sicht. Ein Plädoyer für mehr Transparenz und Effizienz. Unsere Archive. Mitteilungen aus rheinland-pfälzischen und saarländischen Archiven 45 (April 2000) 23–30; Matthias BUCHHOLZ–Angelika RASCHKE–Peter K. WEBER, Vom ungeliebten und schwierigen Geschäft der archivischen Bewertung. Eine Bestandsaufnahme zur Bewertungspraxis in rheinischen Kommunalarchiven. Archivkurier 11 (1997) 1–23; Hans-Jürgen HÖÖTMANN–Katharina TIEMANN, Archivische Bewertung. Versuch eines praktischen Leitfadens zur Vorgehensweise bei Aussonderungen im Sachaktenbereich. Archivpflege in Westfalen und Lippe 52 (2000) 1–11, 2. https://www.lwl.org/waa-download/archivpflege/heft52/03_Hoeoetmann.PDF [Zugriff: 30.09.2016].
3 Jürgen Treffeisen, Zum aktuellen Stand der archivischen Bewertungsdiskussion in Deutschland. Entwicklungen, Trends und Perspektiven. Scrinium 70 (2016) 58–92. Für eine umfassende Bibliographie siehe: Karin SCHWARZ, Internationale Bibliographie zur archivischen Bewertung (Potsdam 2013), https://www.fh-potsdam.de/sites/default/files/2022-06/internationale-archivbibliographie-publikation-2013-karin-schwarz-fachbereich-informationswissenschaften-fhpotsdam.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
4 Veranstaltet wurde der Studientag mit dem Thema „Bewertung analog & digital“ von der Fachgruppe der Archive der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare, der Arbeitsgemeinschaft der Diözesanarchive Österreichs, dem Referat für die Kulturgüter der Orden sowie dem Archiv der Erzdiözese Salzburg.
5 Zur digitalen Langzeitarchivierung siehe die speziell an kirchliche Archive gerichtete Publikation von Christine M. GIGLER, Archivierung digitaler Unterlagen. Konzepte und Strategien für kirchliche Archive in Österreich. Scrinium 69 (2015) 5–89; sowie Susanne FRÖLICH, Digitale Archivierung leicht gemacht?!? Ebd., 90–114.
6 VÖA - Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare, Leitbild der österreichischen Archivarinnen und Archivare. https://www.voea.at/index.php/verband/#leitbild [Zugriff: 30.09.2016].
7 Brien BROTHMAN, Orders of Value. Probing the Theoretical Terms of Archival Practice. Archivaria 32 (Summer 1991) 78–100, 81: „Archival appraisal, for example, is not merely a process of value identification, but of value creation or destruction. It entails more than simply identifying archival or historical value that already exists in a document before archivists encounter it. As they make determinations about archival or historical value, archivists in effect create, initiate or perpetuate an axiological commitment which is manifested in the permanence of the order that emerges.“
8 Clemens REHM, Überlieferungsbildung als Kommunikationsprozess. Modell – Verbund – Bürgerbeteiligung. Brandenburgische Archive 31 (2014) 3–8, hier 3f.
9 Mario Glauert bezeichnet Bestandserhaltung auch als „zweite Bewertung“. Vgl. Mario GLAUERT, Strategien der Bestandserhaltung. Archive in Bayern 7 (2012) 109–127, hier 127.
10 Glossar ausgewählter archivfachlicher Begriffe: https://www.ub.uni-frankfurt.de/archive/glossar.html [Zugriff: 30.09.2016].
11 Angelika MENNE-HARITZ, Archivische Bewertung. Der Prozess der Umwidmung von geschlossenem Schriftgut zu auswertungsbereitem Archivgut. Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 51 (2001) 448–460, hier 456.
12 Ebd., 456
13 Luciana DURANTI, „Rethinking Appraisal - Conference Overview“, November 16, 2007 – Closing overview speaker. DELOS International Conference, „Appraisal in the Digital World“ in association with Digital Preservation Europe and InterPARES, 15-16 November 2007, Accademia Nazionale Dei Lincei, Rome, Italy, S. 8, http://www.interpares.org/display_file.cfm?doc=duranti_delos_2007_overview.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
14 Richtlinien zur Sicherung und Nutzung der Archive der Ordensgemeinschaften in der Katholischen Kirche Österreichs. Ordensnachrichten 45/2 (2006) 26–30, hier 28, http://kulturgueter.kath-orden.at/files/anhang/richtlinien_sicherung_archiv.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
15 Helga Penz weist auf den Empfehlungscharakter der Richtlinien hin. Vgl. Helga PENZ, Wen interessieren Klosterarchive? Scrinium 60 (2006) 115–117, hier 116: „Die Richtlinien können nur Empfehlungen sein, deren Umsetzung den Oberen und Oberinnen der Ordensgemeinschaften in ihren Jurisdiktionsbereichen angeraten wird. Denn jede Ordensgemeinschaft regelt ihre Archivangelegenheiten selbständig.“
16 Richtlinien (wie Anm. 14) 26.
17 Vgl. Kassationsordnung für Pfarren: http://www.kirchenarchive.at/benuetzung/kassationsordnung [Zugriff: 30.09.2016]: „Archivwürdig sind alle Dokumente, die über das kirchliche Leben, historische Sachverhalte sowie über alle Arten von Rechts- und Besitztiteln einer Pfarre Auskunft geben können (vgl. CIC; Rundschreiben über die pastorale Funktion der Archive). Hierzu zählen grundsätzlich alle Akten vor 1945.“
18 Richtlinien (wie Anm. 14) 27.
19 Kassationsordnung (wie Anm. 17), vgl. Anweisung zur Benützung des Archivs der Vereinigung Deutscher Ordensobern und des Deutschen Katholischen Missionsrats vom 1. März 2001: http://www.orden.de/dokumente/benuetzungsordnung.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
20 In Bezug auf die Aufbewahrungsfrist gilt, dass diese grundsätzlich keine Aussage über die Archivwürdigkeit trifft.
21 Umzüge und Personalwechsel bedürfen ebenfalls der besonderen Aufmerksamkeit seitens der Archive.
22 Peter PFISTER, Novellierung der „Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche“. Einführung, Text und Kommentar. Archivar 67/2 (Mai 2014) 172–180, hier 173.
23 Rahmenordnung zur Sicherung und Nutzung der Archive der Katholischen Kirche in Österreich vom 06.11.1997, http://www.kirchenarchive.at/benuetzung/archivordnung [Zugriff: 30.09.2016; red. Anm. 04.2024 zu Archiv- und Benützungsordnung online unter: https://www.ordensgemeinschaften.at/kultur/fachbereiche/archive].
24 Botho Brachmann, Die Auswirkungen der modernen Informationsüberlieferung auf die Wechselbeziehungen zwischen Geschichtsbild und Informationsbasis. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 17 (1969) 63.
25 Luciana Duranti, Authenticity and Appraisal: Appraisal Theory Confronted With Electronic Records, in: Proceedings of the 3rd International Colloquium on Library and Information Science: „The Refined Art of the Destruction: Records' Appraisal and Disposal“, October 9–11, 2002, Salamanca, Spain (Salamanca: University of Salamanca, 2002), 2: „An authentic record is one that is what it purports to be. Record authenticity comprises identity and integrity.“, http://www.interpares.org/display_file.cfm?doc=ip1_dissemination_cpr_duranti_clis_2002.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
26 International Council on Archives (ICA), Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare: „3. Archivarinnen und Archivare haben die Authentizität der Schriftstücke während der Bearbeitung, Aufbewahrung und Benutzung zu schützen“, https://www.ica.org/resource/ica-code-of-ethics/ [Zugriff: 30.09.2016].
27 Vgl. International Council on Archives (ICA), Multilingual Archival Terminology, http://www.ciscra.org/mat/ [Zugriff: 30.09.2016].
28 Helga Penz weist darauf hin, dass in Ordensarchiven das Pertinenzprinzip nach wie vor verbreitet ist. Vgl. Helga PENZ, How many Jesuits does it take to change a light bulb? Kooperationsmodelle der Ordensgemeinschaften im Archivwesen – ein Werkstattbericht. Scrinium 66 (2012) 34–43, hier 40, https://www.voea.at/wp-content/uploads/2023/09/Scrinium_66_035-044.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
29 Dokumentation aller aufgefundenen Überlieferungsschichten und des historischen, administrativen und rechtlichen Kontextes, Vgl. „Context is not completely different from Provenance, but it is potentially richer, and above all, does not focus on the fonds as a physical entity, but on understanding the meaning of records, how they were created, used, and maintained across space and time.“ Peter HORSMAN, Wrapping records in narratives. Representing Context through archival description, In: Usability of the Archives of the International Tracing Service — Workshop at the ITS, 10/11 October 2011, Bad Arolsen, https://www.its-arolsen.org/fileadmin/user_upload/Metanavigation/Aktuelles/2011_PDF/04_Horsman_text.pdf [Zugriff: 30.09.2016; red. Anm. 04.2024 Artikel ist online unter: https://www.academia.edu/88882181/Wrapping_records_in_narratives].
30 Kodex (wie Anm. 26).
31 Vgl. Robert KRETSCHMAR, Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert. Archivische Bewertung, Records Management, Aktenkunde und Archivwissenschaft. Archivar 63/2 (2010) 144─150, hier 146; Vgl. Hessisches Landesarchiv, Beratung zur Schriftgutverwaltung, https://landesarchiv.hessen.de/für-behörden/beratung-zur-schriftgutverwaltung [Zugriff: 30.09.2016].
32 Jim SUDERMAN, An Accountability Framework for Archival Appraisal, Presented to the 17th Eastern and Southern Africa Regional Branch of the International Council of Archives Conference, 22─26 July 2003, Maputo, Mozambique, 17: „If archival appraisal is in fact a business process, then as such it must be clearly defined and understood as a prerequisite to establishing any kind of accountability structure. I have tried to outline the process as a shared responsibility of the record creators, archivists, and the institutions that sustain the endeavour.“, http://www.interpares.org/display_file.cfm?doc=ip1_dissemination_cp_suderman_esarbica_2003.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
33 Manual zur DIN ISO 15489─1 Information and documentation – Records Management – Part 1: General, Archivschule Marburg, https://www.archivschule.de/DE/forschung/fremde-projekte/internationales-normungsvorhaben-iso-15489.html [Zugriff: 30.09.2016]; ISO 15489, First edition 2001, Summary by Docuteam, http://www.docuteam.ch/wp-content/uploads/2016/01/Zusammenfassung_ISO-15489-1.pdf [Zugriff: 30.09.2016]; Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten, 4. Dezember 2007, Handreichung zur Führung von Archiven der Ordensgemeinschaften. Eine Anleitung in fünf Schritten, mit einem Exkurs zur Schriftgutverwaltung“, http://www.orden.de/dokumente_oa/hausarchive_schriftgutverwaltung_agoa.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
34 Beispiel Aktenplan: Rahmenaktenplan Pfarre, Erzbistum Köln https://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/kirche_vor_ort/service_pfarrgemeinden/.content/documentcenter/visimport/Verwaltung/Pastoralbuero/08-Schriftgutverwaltung/08.2_Aktenplan_0000011918.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
35 Angesichts einer im kirchlichen Bereich verbreiteten Aktenführung in Form einer uneinheitlichen und häufig ungeordneten Sachbearbeiterablage empfiehlt Christine M. Gigler einen Aktenplan, der sich nicht an der Organisationseinheit orientiert, sondern nach den Aufgaben gegliedert ist. Vgl. Christine M. GIGLER, Das Archivwesen der katholischen Kirche in Österreich. Aktuelle Entwicklungen und künftige Herausforderungen, in: Archivwissen schafft Geschichte, hg. im Auftrag des Geschichtsvereines für Kärnten von Barbara FELSNER–Christine TROPPER–Thomas ZELOTH (Klagenfurt am Wörthersee 2014) 47–62, hier 61.
36 Zeiträume erschließen: Wiener Stadt- und Landesarchiv, hg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien (Wiener Geschichtsblätter Beiheft 2, Wien 2012), 14–15; Brigitte RIGELE, Skartierungsfristen und Bewertung – zentrale Kontaktstelle Archiv. Ein Erfahrungsbericht aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv. Scrinium 61/62 (2007/08) 120–129.
37 Hans-Jürgen Höötmann, Schriftgutverwaltung und Überlieferungsbildung, in: Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Fachrichtung Archiv, hg. von Norbert REIMANN (Münster ³2014) 65f.
38 Fernuniversität Hagen, Universitätsarchiv, FAQ für Beschäftigte der FernUniversität, http://www.fernuni-hagen.de/universitaetsarchiv/service/ [Zugriff: 30.09.2016]; Landesarchiv Baden-Württemberg: Behördenbetreuung: http://www.landesarchiv-bw.de/web/46770 [Zugriff: 30.09.2016]; Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz: Anbietung und Aussonderung, https://www.landeshauptarchiv.de/unser-auftrag/staatliche-behoerden/anbietung-und-aussonderung?no_cache=1&sword_list%5B0%5D=anbietung&sword_list%5B1%5D=aussonderung [Zugriff: 30.09.2016].
39 Hessisches Landesarchiv, Handreichung und Checkliste Aussonderung, Muster Aussonderungslisten, https://landesarchiv.hessen.de/fuer-behoerden/aussonderung-bewertung [Zugriff: 30.09.2016].
40 Inhalt Bewertungsprotokoll: zeitliche Angaben zum Bewertungsvorgang , abgebende Dienststelle, namentliche Nennung des Archivars/der Archivarin, Umfang der bewerteten Akten, Laufzeitangabe sowie die Bewertungsentscheidung. Vgl. HÖÖTMANN–TIEMANN, Archivische Bewertung (wie Anm. 2) 9; „Die Dienststelle sollte dazu angehalten werden, die archivwürdig befundenen Akten in einer Aussonderungsliste zusammenzustellen, die bis zu einer ausführlichen Verzeichnung als vorläufiges Findmittel dient.“ Vgl. Hessisches Landesarchiv: Handreichung zur Bewertung von kommunalem Archivgut, 2, https://landesarchiv.hessen.de/fuer-behoerden/aussonderung-bewertung [Zugriff: 30.09.2016].
41 Vgl. Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare, Umsetzungsempfehlungen zu ISAD(G) und ISDIAH, u.a. mit Beispielen aus dem Stiftsarchiv Herzogenburg sowie aus dem Archiv der Österreichischen Provinz der Gesellschaft Jesu https://www.voea.at/index.php/empfehlungen/ ISAD(G) und ISDIAH.pdf [Zugriff: 30.09.2016].
42 Ebd.,23: ISAD(G) 3.2 Bewertung und Skartierung: „informiert den Benutzer/die Benutzerin über Skartierungsmaßnahmen und die Bewertungskriterien“.
43 Luciana DURANTI, The concept of appraisal and archival theory. American Archivist 57/2 (Spring 1994) 328–344, hier 343: „The circumstances of creation endow archives with certain innate characteristics, which must be maintained intact for the archives to preserve their probatory capacity. Finally, archival theory posits that it is the primary function of the archivist to maintain unbroken, continuing custody of societal archives, and to protect their integrity by keeping them physically and intellectually uncorrupted.“