Die Auflassung von Ordensniederlassungen und die Auswirkungen auf das Archiv
Vortrag gehalten am 12. Juni 2017 bei der gemeinsamen Jahrestagung der Diözesanarchive und der Ordensarchive in Innsbruck (Bearbeitetes Vortragsmanuskript).
Die Zahl der Ordensleute ist in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig. Der fehlende Nachwuchs stellt alle Orden vor neue Herausforderungen. Obwohl laut der neuesten Statistik der Ordensgemeinschaften Österreichs die Männerorden im Jahr 2016 kaum einen Rückgang zu verzeichnen haben,1 ist dennoch das hohe Durchschnittsalter und der fehlende Nachwuchs ein großes Problem. Der Orden der Kapuziner in Österreich kann sich derzeit lediglich über einen Novizen und einen Junior freuen.
Diese Umstände führen zu vermehrten Auflassungen von Klöstern. Auch die Kapuziner der Provinz Österreich-Südtirol mussten deshalb im Jahr 2016 drei Standorte verlassen. Dabei handelte es sich um die Klöster Hartberg (Steiermark), Imst (Tirol) und die schon des Längeren dem Kloster Innsbruck zugehörige Brüdergemeinschaft in Fügen in Tirol.
Ein Kloster zu verlassen ist ein schmerzhafter Prozess für alle Beteiligten und bringt Konsequenzen in vielen Bereichen des täglichen Ordensleben mit sich, die bereits im Vorfeld wohl überlegt sein müssen. Auch die Verwaltungsstellen der Kulturgüter stehen hier deshalb immer mehr vor großen Herausforderungen.
Abb. 1: Depotsituation in einem Kapuzinerkloster (c) Miriam Trojer.
Die Strukturen einer Ordensprovinz und das Archiv
Ein Archiv spiegelt die Institution wider, der es angehört, und somit ist es untrennbar mit der Geschichte und Veränderung derselben verbunden. Im Unterschied zu den monastischen Orden sind Bettelorden in Provinzen unterteilt, welche zentralisiert von einem Ort aus geleitet werden. Somit könnte man einen Bettelorden mit einer Firma vergleichen, die verschiedene Standorte besitzt.
Die jetzige Provinz der Kapuziner wurde im Jahre 2011 konstituiert, die Provinzen Österreich und Südtirol (Brixner Provinz) wurden vereint. Vier Jahre vorher schlossen sich die ehemalige Wiener Provinz und die ehemalige Nordtiroler Provinz zur Österreichischen Provinz zusammen. Provinzsitz ist Innsbruck, was aufgrund der relativ zentralen Lage und dem Umstand, bereits über gewisse Infrastrukturen zu verfügen, die beste Lösung für die doch sehr große neue Provinz darstellte.
Die Provinzen werden vom Provinzialminister und seinem Provinzrat geleitet. Die wichtigste Organisationseinheit der Kapuzinergemeinschaft ist somit nicht das Kloster, sondern die Ordensprovinz. Jedes Kloster ist zwar in erster Linie dem Guardian unterstellt und dieser kann eigenmächtig Entscheidungen treffen, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad – im Grunde hängt es vom Guardian und dem jeweiligen Provinzial selbst ab, wie dies in der täglichen Praxis gehandhabt wird. Im Unterschied zu monastischen Orden jedoch ist hier die Abhängigkeit von der Provinzleitung viel größer und die Verwaltung zentralisiert. Deshalb befinden sich im Kloster Innsbruck neben dem Sitz des Provinzialministers alle nötigen Verwaltungsstellen wie Ökonomie, Sekretariat, Kommunikationsbüro, Provinzbibliothek, -schatzkammer und -archiv.
Das heute genannte „Zentrale Provinzarchiv der Kapuzinerprovinz von Österreich-Südtirol“ erfüllt demnach seit dem Jahr 2011 zwei Aufgaben: Es ist zentrale Verwaltungsstelle aller historischen Provinzarchive (Wiener und Nordtiroler Provinzarchiv bis 2007, Brixner Archiv bis 2011) und gleichzeitig das aktuelle Archiv des Provinzialats seit 2011. Dass es sich dabei um ein One-Woman-Archiv handelt, erschwert natürlich eine umfassende Ausführung aller notwendigen Tätigkeiten.
Rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Umsetzung
Ordensarchive sind bekanntlich privater Natur. Nichtsdestotrotz sind sie dem Bundesdenkmalgesetz, dem kanonischem Recht, den Ordenssatzungen und weiteren staatlichen Gesetzen wie dem Datenschutzgesetz oder Urheberrecht unterworfen. In der Praxis ergeben sich deshalb oft Unklarheiten, die Frage nach der aktuellen Relevanz eines Gesetzes oder einer Richtlinie tritt einem Ordensarchivar/einer Ordensarchivarin immer wieder entgegen. Meistens fehlen auch juristische Vorkenntnisse oder aber Zeitressourcen, sich die nötigen Kenntnisse anzueignen. Hinzu kommt, dass jede Ordensleitung anders mit dem Thema Kulturgüter umgeht und auch durch die unterschiedlichen Ordensstrukturen sind etwa monastische Orden, ihr Umgang mit Archiven und dergleichen kaum mit jenen der provinzstrukturierten Orden zu vergleichen. Dies ergibt schon der Grundsatz, dass ein Archiv die Infrastruktur wiederspiegelt, der es angehört. Hinzu kommen unterschiedliche Ordenssatzungen, die Frage nach der diözesanen Abhängigkeit, die Größe der Provinz (in Südtirol etwa greifen viele der Gesetze nicht, die für Österreich gelten) etc.
Im Jahr 2011 veröffentlichte die Generalkurie des Kapuzinerordens im Auftrag des Generalministers Br. Mauro Jöhri ein so genanntes „normatives Dokument“ – als Zusatz zu den Ordenssatzungen, genannt „Vademecum für die Kulturgüter des Ordens“2. Dies war mit Sicherheit ein Meilenstein für die Kulturgüter der Kapuziner weltweit. In diesem Dokument sollen „Kriterien für die Rettung, die Inventarisierung, die Erhaltung und den Schutz unserer Kulturgüter“3 aufgezeigt werden und, „wo angezeigt, diese Güter auch bekannt machen.“ Unter Kulturgüter werden hier „materielle, also physisch greifbare Gegenstände wie z.B. Gemälde, Skulpturen, Dokumente usw.“ verstanden. Als normativer Schlusssatz in diesem Absatz finden wir: „Dieser spezielle Begriff der Kapuzinerkultur muss von allen Mitgliedern des Ordens beachtet werden.“4
Zusammenfassend regelt dieses Vademecum die Gründung und Verwaltung von Archiven, Bibliotheken und Museen des Ordens und – als Zusatz – so genannten „Kapuziner-Orten“. An der Generalkurie besteht eine Kommission für Kulturgüter mit der Aufgabe, die Verbindung, Zusammenarbeit und Koordination unter den kulturellen Einrichtungen auf General-, Provinz- und Lokalebene zu unterstützen. Mit dem „Vademecum“ wurde veranlasst, dass auch jede einzelne Provinz und Vizeprovinz eine Kommission für Kulturgüter einrichten muss. Diese wird vom Provinzialminister für drei Jahre bestellt. In der Provinz Österreich-Südtirol wird für gewöhnlich ein Provinzratsmitglied nach jeder Funktionsperiode von demselben bestellt. Zusätzlich besteht die Provinzkommission aus den Zuständigen für die diversen Kulturguteinrichtungen der Provinz (Bibliotheken, Archive, Museen).
Abb. 2: Organigramm der kulturgutverwaltenden Einrichtungen der Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol © Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol.
In Bezug auf das Archiv finden wir bereits in den Ordenskonstitutionen folgende Direktive: „Gemäß den Konstitutionen unseres Ordens ist in der Generalkurie sowie in allen Zirkumskriptionen des Ordens für die Archive und die archivierten Dokumente Sorge zu tragen. Sie sind in Ordnung zu halten, zu inventarisieren und instand zu halten, denn sie stellen das historische Gedächtnis des Ordens dar.“5
Im Vademecum wird dieser kurze Satz eingehender erklärt: „Daher müssen die Archive nach präzisen Vorschriften des Ordens bzw. der Provinz betreut und so ihre Erhaltung garantiert werden. Die Generalkurie, die Provinzen, die Vizeprovinzen und Kustodien des Ordens sind verpflichtet, ihr historisches und aktuelles Archiv regelmäßig auf dem Laufenden zu halten. Man trage also in jeder Zirkumskription Sorge für die Bewahrung, die Ordnung und die Sicherheit der Dokumente.“6
Auch der Auflösung von Ordensniederlassungen wird im Vademecum bedacht:
„Der Rückgang unseres Ordens und die Kulturgüter - Die Verantwortlichen
- 59 Wenn der Generalminister die Aufhebung oder die Veräußerung eines Konvents genehmigt (vgl. Konstitutionen Nr. 112, §2), berät er sich mit der Provinzkommission für die Kulturgüter und bestimmt, wohin die Kulturgüter des betreffenden Konvents kommen sollen.“
In der Praxis ist es natürlich nicht möglich, dass sich der Generalminister mit der Provinzkommission für die Kulturgüter zusammensetzt. De facto wird das vom delegierten Provinzialminister und in letzter Instanz von der Kommission für die kulturgüterverwaltenden Einrichtungen der Provinz übernommen. Dabei steht hier die Übernahme eines Archivs außer Frage, das Maß an Skartierung hingegen kann natürlich in der Kommission besprochen werden, ist jedoch letzten Endes Entscheidung des Provinzarchivars/der Provinzarchivarin.
In der Generalkurie gilt nach wie vor der Wunsch, die Kulturgüter bei einer Klosterschließung auf keinen Fall in öffentliche Hände zu geben, sondern bei Bedarf viel mehr nach Rom in die zentralen Instanzen zu überführen: „§66 Wenn Kulturgüter aus verschiedenen Gründen an einen anderen Ort als den ihrer Zugehörigkeit bzw. Provenienz verlegt werden müssen […] beachte man folgende Prioritäten: Verlegung in andere Konvente der Provinz, an andere zur Provinz gehörige kulturelle Institutionen, an andere Provinzen oder Bezirke des Ordens, an zentrale kulturelle Einrichtungen des Ordens wie Generalarchiv, Zentralbibliothek der Kapuziner oder Franziskanisches Museum.“
Dieser Paragraph wird ambivalent angenommen: Es gibt Provinzen, die diese Linie rigoros verfolgen und ihre Kulturgüter nach Rom abgeben. Die Kulturgüterkommission der Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol hingegen wehrt sich hier noch: Abgesehen von den Auflagen, die wir beispielsweise durch das Bundesdenkmalamt oder das Denkmalschutzgesetz (DMSG) haben, wäre es ein Sakrileg österreichische Kulturgüter nach Rom zu bringen, der regionale Bezug wäre damit gänzlich verloren.
Das Vademecum hilft den kulturgüterverwaltenden Einrichtungen auch hinsichtlich einer geregelten Abfolge an Arbeitsschritten bei einer Klosterauflösung: „§61 Bevor man mit der Verteilung der Kulturgüter beginnt, muss festgestellt werden, ob ein genaues, detailliertes Inventar der Kulturgüter existiert. Wenn nicht, muss es vor der Veräußerung des Konvents erstellt werden. Eine Kopie des Inventars wird im Provinzialat verwahrt und eine zweite Kopie an das Generalat gesandt.“
Eine Inventarisierung aller Kulturgüter vor der Veräußerung gestaltet sich gerade im archivalischen Bereich als schwierig: Kunstgüter werden vorsorglich immer vor der Aufhebung inventarisiert, die Archive jedoch sind nicht Bestandteil eines gewöhnlichen Aushebungsinventars. Dies hat zur Folge, dass sie ohne vorherige gröbere Bewertung und Skartierung in das Provinzarchiv überstellt werden müssen – wie bereits erwähnt gibt es bei den Kapuzinern von Österreich nur bedingt Aktenpläne der neueren Hausarchive.
Natürlich muss man bei einer Klosterschließung und der Verlegung von Kulturgut nicht nur die Richtlinien des jeweiligen Ordens befolgen, vielmehr gilt es auch die nationalen Gesetze zu beachten, die auf Grundlage der jeweiligen Staatskirchenverträge geltend sind. Auch das kapuzinische Vademecum weist darauf hin: „§62 Vor jeder Veräußerung sollen die im betreffenden Territorium geltenden Gesetze studiert werden, welche diese Angelegenheit regeln.“
Dass die geltenden Gesetze im betreffenden Territorium studiert werden, gebietet auch das kanonische Recht bzw. die päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche mit ihrem Schreiben vom 2. Februar 1997, immer unter Beachtung der in §22 des Codex Iuris Canonici vorgesehenen Bedingungen.7 Konkret bedeutet dies, dass kirchliche Archive unter anderem dem Bundesdenkmalgesetz Folge leisten müssen.
Nach den Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes8 sind dem Österreichischen Staatsarchiv die Unterschutzstellung von Archivalien und die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen übertragen. Das Österreichische Staatsarchiv fungiert somit als Denkmalschutzbehörde. Gleichzeitig gilt auch für Archivalien das DMSG von 2000. Archivgut wird als bewegliches Kulturgut betrachtet und kann bei Gefahr von Zerstörung, Zerstreuung, z.B. durch Verkauf ins Ausland, unter Schutz gestellt werden. Hinzu kommt natürlich der Umstand, dass alle beweglichen und nicht beweglichen Kulturgüter der Kirche, die über 50 Jahre alt sind und nicht aus einer seriellen Produktion stammen, automatisch unter Denkmalschutz stehen.
In Österreich gelten Archive der Orden als Archive von Körperschaften öffentlichen Rechts. Der Denkmalschutz kommt bei Denkmalen kraft gesetzlicher Vermutung (d.h. automatisch) zum Tragen, wenn der alleinige oder überwiegende Eigentümer der Bund, ein Bundesland, eine sonstige öffentlich rechtliche Körperschaft, ein Fonds oder eine gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgemeinschaft ist.
Doch gerade was Archivgut betrifft, können die Richtlinien oft als etwas schwammig empfunden werden. Im DMSG von 2000 wird festgelegt, dass Kulturgüter („Denkmäler“) nur verändert, ausgefahren oder verkauft werden dürfen, wenn sie nicht unter Schutz stehen. Ansonsten ist eine Genehmigung des Bundesdenkmalamtes bzw. in unserem Fall des Österreichischen Staatsarchivs nötig. Demzufolge müsste jeder Archivar bei der Überstellung von Archivalien, etwa von einem aufgelassenen Kloster ins Provinzarchiv, beim Staatsarchiv um eine so genannte Verbringungsgenehmigung ansuchen. Dies betrifft jedoch lediglich jene Akten, die vor 1950 entstanden sind.
In der Praxis ist es oft jedoch kaum möglich, derartige Schritte zu setzen. Als Beispiel kann die Verbringung einzelner Ordner aus dem laufenden Guardianatsbestand – d.h. alles, was bei einem Hausoberen an Akten produziert wird – gesehen werden: Bei den Kapuzinern ist es gängige Praxis, bei Platzproblemen dem Archiv „einige Unterlagen“ abzugeben. Dabei kann es sich um ältere oder auch neuere Akten handeln, meist zusammengefasst in einem Ordner und kaum zu trennen. Es ist auch fast nicht möglich, dem jeweiligen Ordensmitglied zu erklären, dass derartige spontane Übergaben nicht möglich sind. Als Archivare sind wir meistens glücklich darüber, wenn Ordensmitglieder Unterlagen an das Archiv freiwillig abgeben.
Es ist anzunehmen, dass sich auch das Österreichische Staatsarchiv derartiger Situationen bewusst ist und letzten Endes reicht es, eine kurze Meldung über die Verbringung eines Bestandes wie etwa eines gesamten Hausarchivs bei der zuständigen Stelle zu tätigen. Dass dies in der Vergangenheit nicht beachtet wurde liegt auf der Hand – die Brüder waren sich kaum bewusst, dass sie ihre eigenen Kulturgüter nicht ohne Erlaubnis dem anderen Kloster im benachbarten Bundesland schenken oder übergeben können.
Theorie und Praxis
Kurz nach dem Vereinigungskapitel im Jahre 2011 wurde von der Kommission für die kulturgüterverwaltenden Einrichtungen der Kapuziner entschieden, wie in Zukunft mit den Archiven und deren Dokumenten umgegangen werden soll.
Folgendes Szenario gilt derzeit (noch) als Richtlinie: In Innsbruck als zentrales Provinzarchiv werden die aktuellen Akten aus dem Provinzialat gesammelt und verwahrt. Die Hausarchive von aufgelassenen Klöstern werden nach wie vor in das Archiv der ehemaligen Provinz gebracht. Dies ist durchaus nachvollziehbar, möchte man ja auch die regionale Nähe für eventuelle Forschungsanfragen garantieren. Wenn von den „Provinzarchiven“, ob ehemalige oder aktuelle, gesprochen wird, so werden damit im engeren Sinne die Verwaltungsakten des Provinzials und seiner Delegierten seit Anbeginn der Provinz gemeint – in der modernen Verwaltung nun als Stabstellen bezeichnet. Im Gegenzug beinhalten die Klosterarchive grob die Verwaltungsakten des Guardians oder der Brüder im Haus, die mit gewissen Funktionen betraut sind wie etwa jener des Hausökonom.
Bei den Brüderakten, welche gemeinhin Personalakten, Nachlässe und Medienbestände umfassen, wird es schwierig: Hier wurde 2011 entschieden, die Personalakten in Innsbruck zu sammeln, die Nachlässe jedoch im Archiv der ehemaligen Provinz des Bruders.
Dies gilt vielleicht auf den ersten Blick als durchaus nachvollziehbar, ist jedoch logistisch schwierig. Auch die Sammlung aller Personalakten im Provinzialat ist im alltäglichen Leben nicht immer durchsetzbar. Der Guardian eines jeden Hauses kümmert sich etwa um die Krankenpflege, die Pflegeheimaufenthalte, die Beerdigung eines Bruders, jedoch alles Finanzielle wird von Innsbruck aus geregelt. Oftmals braucht man originale Dokumente demzufolge im Kloster selbst, oftmals im Provinzialat. Diese Aktenverwaltung gestaltet sich demzufolge bereits im laufenden Betrieb als schwierig – für das Archiv bedeutet dies, dass nach dem Tod eines Bruders in erster Linie alle Dokumente zusammengetragen werden müssen. Wir erhalten für gewöhnlich nach der Beendigung der Verlassenschaftsregelung vom Provinzial den Personalakt, vieles muss aber im Kloster selbst vom Guardian beantragt werden, einiges wiederum befindet sich in der Zelle des Bruders. Hier hat der Provinzarchivar/die Provinzarchivarin durch die Ordenssatzungen Zugang, aus Respekt vor dem verstorbenen Bruder wird eine Begehung zusammen mit dem Guardian des Hauses oder dem Provinzial angestrebt. Anders verhält es sich mit dem Zimmer in einem Pflegeheim, sollte der jeweilige Bruder die letzten Monate seines Lebens dort verbracht haben. Hier hat auch ein Provinzarchivar/eine Provinzarchivarin keinen Zutritt, lediglich die Oberen oder auch Familienmitglieder dürfen das Zimmer ausräumen.
Aufgrund der logistischen Schwierigkeit und des Umstands, ein One-Woman-Archiv zu sein, wird derzeit die von der Kommission für die kulturgüterverwaltenden Einrichtungen der Provinz beschlossenen Regelung so gelöst, dass alle Dokumente in Innsbruck zusammengetragen, sortiert, skartiert, geordnet, in der Datenbank erfasst und anschließend in das jeweilige Provinzarchiv überstellt werden.
Auch bei den so genannten Hausarchiven bedarf es aus praktikablen Gründen einer zeitweisen Umgehung der Richtlinien des Ordens.
Unterschiedliche Ausgangslagen
Abb. 3: Repertorium des Klosterarchivs Kitzbühel von P. Johannes Baptist Baur (c) Provinzarchiv der Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol, Klosterarchiv Kitzbühel, Index.
In jeder ehemaligen Provinz wurde bisher anders mit den jeweiligen Klosterarchiven umgegangen. Ende des 19. Jahrhundert etwa wurde in der Nordtiroler Provinz, welche damals auch noch Südtirol umfasste, von P. Johannes Baptist Baur ein Aktenplan für die Provinzleitung, jedoch ebenfalls für jedes einzelne Kloster, erstellt. Dies hatte zur Folge, dass die älteren Akten der Klöster allesamt nach demselben Schema gesammelt, geordnet und archiviert wurden. Diese Ordnung erhielt sich in der Nordtiroler Provinz bis ca. 1950 aufrecht, dann wurde man nachlässig – eigentlich bis heute. In Südtirol hingegen wurde diese Ordnung bis zum Vereinigungskapitel im Jahr 2011 akribisch gepflegt und weitergeführt. Als sich 1926/28 die Provinzen Nordtirol und Brixen wegen des italienischen Faschismus trennen mussten, wurden die Klosterarchive in Südtirol dem neuen Brixner Provinzarchiv unterstellt. Ab 1919 versuchte man für die im Vertrag von Versailles festgelegte Grenzziehung mitten durch Tirol eine Zwischenlösung für die Verwaltung der Tiroler Kapuzinerprovinz zu finden, indem man 1923 ein Provinzkommissariat für Südtirol erstellte. 1928 musste man sich jedoch geschlagen geben: Jegliche Zusammenarbeit mit Tirol wurde durch die radikale Trennung und Unterdrückung des Tirolischen unmöglich, der Druck aus Rom war zu stark. So wurde am 30. März 1928 die Brixner Kapuzinerprovinz konstituiert. Die meisten der älteren Dokumente zur Gründung, Entwicklung und Betreuung des Klosters, die vom Provinzial gesammelt wurden, wurden damals von Nordtirol an Südtirol abgegeben.
In der Nordtiroler Provinz entschied man auch, dass die Klöster ihre älteren Unterlagen an das Provinzarchiv abgeben könnten, wenn der Platz fehle. Deshalb lagern in Innsbruck bereits sämtliche „älteren“ Archive auch noch bestehender Klöster. Dies hat natürlich zur Folge, dass das System von P. Johannes Baptist Baur spätestens bei der Übergabe des jeweiligen Archivs durchbrochen wurde und die Guardiane anschließend aufs Geratewohl ihre Unterlagen aufbewahrten, ohne Aktenplan oder Eingangs- und Ausgangsbuch.
Anders als in der Nordtiroler Provinz blieben die meisten der Südtiroler Klosterarchive bis zu ihrer Schließung vor Ort, d.h. heute finden wir die alten Archive noch existierender Häuser vor Ort vor. Aus archivischer Sicht ist diese Regelung zwiespältig zu betrachten: Einerseits wurde dadurch der Aktenplan von P. Johannes Baptist Baur gründlicher eingehalten, andererseits jedoch genügen die konservatorischen Gegebenheiten der einzelnen Klöster heute nicht mehr dem archivarischen Wissensstand. So finden wir oft Hausarchive in schlechtem Zustand, da das Raumklima nicht den Normen entspricht.
In Wien verhält es sich wiederum anders. Hier wurde nie ein Aktenplan eingeführt. Das zeigt sich auch in den Klosterarchiven – sie existieren im eigentlichen Sinne kaum. Bei der Schließung des Klosters Hartberg war es deshalb keine Überraschung, dass in der Bibliothek ein Schrank stand, der unsortiertes Papier aus den letzten hundert Jahren enthielt – vor allem Postkarten, Kapitelberichte, einige Briefe und Zeitungsausschnitte, kaum Chronistisches, kaum Unterlagen aus dem Guardianat – insgesamt konnten gerade zwei Umzugskartons sicher gestellt werden.
Im Wiener Archiv sind die Akten der Klöster und der Provinz von 1600 bis 1921 (Gründung der Wiener Provinz) in Regestenblättern erfasst, der Großteil davon in einem streng chronologischen Verzeichnis (Einzelstückerfassung nach Datum). Die Akten von 1922 bis 1944 sind nach Klöstern und Datum geordnet, jedoch wurden keine Regestenblätter angelegt. Das meiste dieser Ordnung ist P. Benno Sulzbacher zu verdanken. Die Aktenstücke ab 1945 sind nach Klöstern und Sachgebieten (innerhalb nach Datum geordnet) in nahezu 400 beschrifteten Archivboxen abgelegt.
Auf den ersten Blick mag so das Wiener Archiv geordnet und gut durchdacht wirken, doch bedenkt man heutige archivische Standards, wird diese Ordnung schwierig. Sucht man derzeit Unterlagen zu einem bestimmten Kloster, finden sich zwar sofort entsprechende Kartons, jedoch enthalten diese vermischt unterschiedliche Provenienzen: zum einen jene Akten, die der Provinzial über das Kloster gesammelt hat, zum anderen jedoch in derselben Ordnung jene Unterlagen des Guardians.
Im Nordtiroler und Wiener Provinzarchiv neueren Datums wurde demnach die Provenienz nicht unterschieden. Dies bedeutet, dass das Klosterarchiv, das irgendwann in das jeweilige Provinzarchiv überstellt wurde, bei jenen Akten des Provinzialats bezüglich des Klosters eingeordnet wurde. Das wäre im Grunde kein Problem für eine heutige Erschließung, wenn der Guardian sachgerecht den Stempel des Klosters und der Provinzarchivar jenen der Provinz verwendet hätte. De facto sieht es aber z.B. in der ehemaligen Tiroler Provinz so aus, dass die Brüder zwar den Klosterstempel benutzten, jedoch nicht konsequent und als die Archivalien im Provinzarchiv Eingang fanden, alle mit dem Provinzstempel versehen wurden.
Praxistipps und Vorbereitung
Wie sieht nun eine Klosteraufhebung aus der Sicht des Archivs in der Praxis aus? Welche Schritte müssen bzw. können gesetzt werden?
Der wichtigste Schritt ist ohne Zweifel die Sensibilisierung der Ordensmitglieder in Hinblick auf diese Thematik. Oftmals werden Klöster regelrecht „ausgeräumt“, Klosterautos unorganisiert vollgepackt und die Inhalte irgendwohin transportiert, wo gerade Platz ist. Jedoch führt diese Praktik zu weitreichenden Konsequenzen, die sich oft erst Jahre später zeigen. In erster Linie ist es wichtig, geplant und strukturiert an eine Klosteraufhebung heranzugehen. Aus Erfahrung müssen mit den Oberen unabhängig von der jeweiligen Ordensstruktur die jeweiligen Kompetenzen, Wünsche, Anforderungen und Ressourcen frühzeitig besprochen werden. Eine geregelte Klosterschließung benötigt unabhängig von Verhandlungen zur Nachnutzung der Liegenschaft – eben etwa für die Vorbereitung zur Übernahme von Kulturgütern – ungefähr ein Jahr Vorlaufzeit.9 Dabei hätte man die Möglichkeit, noch vor Ort das Archiv genau zu untersuchen, gegebenfalls zu ordnen, zu skartieren und zu erschließen. Auch können anschließend die nötigen Platzressourcen, die am neuen Standort benötigt werden, besser kalkuliert werden. Als Negativbeispiel können die Hausarchive der ehemaligen Nordtiroler Provinz herangezogen werden: Durch eine ungeordnete Übergabe des Klosterarchivs wurde in den letzten Jahrzehnten bei dem jeweiligen Regal einfach Neues dazugestellt oder aber eine komplette Übernahme wurde ohne Vorselektieren vorgenommen. Dies hatte zur Folge, dass enorme Platzressourcen über Jahre vergeudet wurden. Bis dato wurden drei Hausarchive nach den neuen Standards erschlossen und bei allen dreien konnte eine Platzreduktion von 60% erzielt werden. Auffallend bei den bereits im Provinzarchiv gelagerten Beständen ist der Umgang mit dem Hausarchiv nach der Schließung des jeweiligen Klosters. Das Archiv eines geschlossenen Klosters gilt eigentlich als historisch, vor allem wenn die Liegenschaft veräußert wurde. Jedoch sah sich bisher der Provinzarchivar auch gleichzeitig als Chronist bzw. Dokumentationsstelle, weshalb die Hausarchive, zumindest im Provinzarchiv in Innsbruck auch 30 Jahre nach der Schließung noch offen waren – es wurden Zeitungsausschnitte, etwaige Berichte und Fotografien gesammelt. Dabei ist es jedoch aus Provenienzgründen wichtig mit dem Datum der Schließung bzw. Veräußerung eines Klosters das Hausarchiv als historisch zu betrachten. Weitere Sammlungen bedürfen demnach eines eigenen Bestandes.
Abb. 4: Archiv des Kapuzinerklosters Meran (c) Miriam Trojer.
Zusätzlich zu einem strukturierteren Umgang mit den Platzressourcen würde eine ausreichende Vorlaufzeit weitere Vorteile mit sich bringen. Klosterarchive beherbergen des Öfteren für die jeweilige Region relevante wenn nicht gar wertvolle archivalische Artefakte. Natürlich muss der Orden selbst entscheiden, wie er mit derartigen Kulturgut grundsätzlich umgehen möchte, jedoch wäre es durchaus wünschenswert, die für die Region wichtigen Artefakte als Dauerleihgabe etwa in einem Bundesland zu belassen. Dabei wäre die Zeit nötig, um sich mit eventuellen Kooperationspartnern für etwaige Leihgaben in Verbindung zu setzen. Gerade bei öffentlichen Stellen ist der bürokratische Entscheidungsweg oft langwierig.
Es empfiehlt sich – unabhängig von einer aktuell anstehenden Klosterschließung – einige Maßnahmen im Vorfeld zu treffen. Eine Sensibilisierung des Ordens hinsichtlich des Umgangs mit Kulturgütern kann sich oft als langwierig erweisen.
Die Kulturgüterkommission der Kapuziner in Österreich und Südtirol hat etwa ein Handbuch für Guardiane, Vikare und Mitarbeiter der Provinz erstellt für einen richtigen Umgang mit Kulturgut. Ein Aktenplan oder in kleinerer Form eine Aufbewahrungsrichtlinie können den Guardian praktisch aufzeigen, was er ablegen oder verwerfen kann. So können bei einer eventuellen auch kurzfristigeren Klosteraufhebung zusätzliche Arbeitsschritte des Archivars/der Archivarin vermieden und der Prozess optimiert werden. Gleichzeitig können die Hausoberen im richtigen Umgang mit Akten, Klosterstempel etc. instruiert werden. Auch Empfehlungen zur richtigen Lagerung von Beständen, zur Chronikführung (etwa Beratung bei Fragen nach dem geeigneten Papier) oder aber Ratschläge bzw. Hilfestellungen im weiten Feld einer digitalen Ablage.
Durch die neue digitale Welt fällt besonders in den Klöstern ein starker Rückgang von analogen Unterlagen auf. Vieles wird nicht mehr ausgedruckt, Briefverkehr findet nur mehr über E-Mail statt. So wird jedoch – auch mangels vieler Hauschronisten – die Tradition des Klosters gebrochen. Deshalb war es bei den Kapuzinern notwendig, eine entgegenwirkende Strategie zu entwickeln, die vor allem für die Guardiane einfach und praktikabel ist. Die Daten alle paar Jahre per USB-Stick abzuholen war zu unsicher, vor allem wenn man die Strukturen des Ordens bedenkt: Ein Guardian besetzt diese Stelle maximal zwei Perioden von je drei Jahren. Die meisten verwenden ihre „privaten“ Laptops für die eigene Arbeit und nehmen sie anschließend mit, wohin der Provinzrat sie auch schickt. Da die Provinzverwaltung in Innsbruck bereits über eine sehr gute Serverlandschaft verfügte, bot es sich an, diese Ablagemöglichkeit auch den Hausoberen zur Verfügung zu stellen. Somit erhält jeder Guardian die Möglichkeit, sich über VPN (Virtual Private Network) auf den zentralen Server der Provinz einzuloggen und hier vor allem chronistische Unterlagen wie Fotos von Veranstaltungen, Wochenpläne, etc. abzulegen.
Eine weitere, überaus wichtige Maßnahme liegt in der stetigen Präsenz des Archivars/der Archivarin. Die Beratung der laufenden Verwaltung bei Schriftgutbelangen gehört mitunter zu seinen/ihren Aufgaben. Hausobere sind oftmals dankbar, wenn in diesem Punkt jemand beratend zur Seite steht und ein Einblick vor Ort ermöglicht es dem Archivar/der Archivarin bereits im Vorfeld zu intervenieren oder zumindest die Ablage salopp gesagt in die richtige Richtung zu lenken. Diese beratenden Besuche schaffen oft auch ein Vertrauensverhältnis, insbesondere gegenüber Laien. Gerade Vorarbeiten bei einer Klosterschließung sind durch die schmerzlichen Umstände erschwert und unabhängig davon, ob ein Laie die Position des Archivars/der Archivarin einnimmt oder ein Ordensmitglied selbst – Fingerspitzengefühl ist immer gefragt, der Trauerprozess der Glaubensgemeinde muss als Zeitfaktor in eine Schließung miteinberechnet werden.
Fazit
Der Rückgang der Ordensleute und -häuser bringt für die Kulturgüter der Orden viele Konsequenzen mit sich. Die vermehrte Schließung von Klöstern ist in erster Linie ein emotionaler Prozess, die Aufgabe der kulturgutverwaltenden Stellen ist es jedoch, die Geschichte und Traditionen der Klöster so gut es geht zu wahren und zu dokumentieren. Schließungen stellen Archivare/Archivarinnen tagtäglich vor neue Herausforderungen: sei es mit der Einhaltung der verschiedenen rechtlichen Ordnungen oder mit der Sensibilisierung der Ordensleute für ihr eigenes Kulturgut. Die Budgets werden kleiner, die Anforderungen größer, die Depots laufen über. Dennoch sollte das vorrangige Ziel eines Archivars/einer Archivarin sein, dieses wertvolle Kulturgut zu erhalten. Dazu können auch kleine Schritte und wenige Mittel reichen, um irgendwann der Theorie näher zu kommen.
1 Vgl. Statistik vom 01.01.2017 der Ordensgemeinschaften Österreich, online unter: https://www.ordensgemeinschaften.at/medienbuero/texte/20170314_statistik_auswertung.pdf [Zugriff: 10.10.2017].
2 Curia Generalis Fratrum Minorum Cappuccinorum (Hg.), Vademecum per i beni culturali dell’Ordine (Rom 2011), online unter: https://foederisarca.files.wordpress.com/2016/05/vademecumbeniculturali-testouff.pdf, [Zugriff: 13.10.2017].
3 Derzeit noch inoffizielle deutsche Übersetzung von Br. Erhard Mayerl, in Auftrag gegeben von der Kommission für die kulturgüterverwaltenden Einrichtungen der Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol.
4 Vgl. Vademecum, §2.
5 Curia Generale der Frati Minori Cappuccini (Hg.), Die Konstitutionen der Minderen Brüder Kapuziner (Rom 2013), Konst. 142, Verordnungen 8/28f.
6 Vgl. Vademecum, §4.
7 CIC, Can. 22: Weltliche Gesetze, auf die das Recht der Kirche verweisen, sind im kanonischen Recht mit denselben Wirkungen einzuhalten, soweit sie nicht dem göttlichen Recht zuwiderlaufen und wenn nicht etwas anderes im kanonischen Recht vorgesehen ist.
8 BGBl. Nr.170/1999, §§ 24–25a.
9 Diese Zeitspanne wird als ungefähre Richtlinie angegeben, in der Annahme, dass eine Klosterschließung nicht die einzige Arbeit des Archivars/der Archivarin im Laufe des Arbeitsjahres ist.