Begegnungsraum Bibliothek
Vortrag gehalten am 22. Mai 2017 bei „Waffen des Geistes? Jahrestagung der kirchlichen Bibliotheken Österreichs“ in Stift Herzogenburg.
Öffentliche Bibliotheken als niederschwellige Einrichtungen, deren Angebote allen Menschen im Bereich von Information, Bildung und Unterhaltung zur Verfügung stehen, sind Kinder des 19. Jahrhunderts. Besonders in der Phase des Kulturkampfes zu Mitte des 19. Jahrhunderts setzten die unterschiedlichen weltanschaulichen Richtungen auf die Macht des Wortes und der Bücher und entwickelten ihre Konzepte in der Unterstützung ihrer Positionen und Haltungen.
In Deutschland lässt sich das Wesen kirchlicher Bibliotheksarbeit im Bereich öffentlicher Bibliotheken am besten an der Geschichte des Borromäusvereins Bonn ablesen. Gegründet 1845 bezieht sich diese heute noch bestehende Einrichtung in ihrem Namen auf den im 16. Jahrhundert lebenden Mailänder Erzbischof Karl Borromäus, der mit seinen Reformen und Bildungsbestrebungen die Gegenreformation vorantrieb: Bildung als Waffe des Geistes. Bis heute setzt sich dieser wesentlich von der Katholischen Bischofskonferenz getragene Verein die Aufgabe, seine 2.500 Mitgliedsbibliotheken im Bereich von Medienempfehlungen, Leseförderungsmaßnahmen und Aus- und Weiterbildungsangeboten zu unterstützen.
Mit zeitlicher Verspätung und in starker Anlehnung an das deutsche Vorbild bündelten sich im Österreich der Zwischenkriegszeit ähnliche Bestrebungen, deren Umsetzung mit dem Anschluss an Hitlerdeutschland 1938 ihr jähes Ende fand. Mit der Gründung des Österreichischen Borromäuswerks im Jahr 1947 setzte die Österreichische Bischofskonferenz ein Zeichen, um die Bibliotheksarbeit in den Pfarren und Diözesen auch von einer gesamtösterreichischen Einrichtung zu begleiten und zu koordinieren. 1996 erfolgte die Umbenennung dieses Vereines in "Österreichisches Bibliothekswerk" und markiert damit die bereits zuvor vollzogene Abkehr von einem überwundenen Modell einer kulturellen Speerspitze hin zu offenen Foren der Begegnung, Unterhaltung und kulturellen Vermittlung.
Kirchliche Bibliotheksarbeit in Österreich
Im Unterschied zu Deutschland, wo es klare Trennlinien zwischen der Bibliotheksarbeit von Bundesländern und Diözesen sowie Pfarren und Kommunen gibt, ist in Österreich ein breites Miteinander anzutreffen. Von etwa 1.500 öffentlichen Bibliotheken in unserem Land sind an die 900 in kirchlicher Trägerschaft oder in kooperativer Trägerschaft mit Kommunen. In ihren Angeboten und Zielsetzungen unterscheiden sich diese meist kleinen und mittleren Bibliotheken kaum von Bibliotheken in rein kommunaler Trägerschaft. Ein dezidiert kirchlicher Bezug ist vor allem dort wahrnehmbar, wo sich die Bibliotheksräume in Pfarrhöfen und anderen kirchlichen Gebäuden befinden. Der in früheren Zeiten stark verbreitete Begriff "Pfarrbücherei" ist zunehmend im Verschwinden, die Bibliotheken verstehen sich als offene Begegnungsräume jenseits konfessioneller und weltanschaulicher Schranken. Damit ist auf der einen Seite die kirchliche Identität in der Bibliotheksarbeit weniger stark ausgeprägt, zugleich schafft diese Offenheit aber auch eine Breitenwirkung, öffentliche Anerkennung und die Chance hoher Wirksamkeit in regionalen wie überregionalen Netzwerken.
Abb. 1: Pfarrbibliothek Ebenau (c) Reinhard Ehgartner
Die Arbeit kleinerer und mittlerer Bibliotheken ist in Österreich weitgehend von ehrenamtlicher Arbeit geprägt. Den 1.300 neben- oder hauptberuflich tätigen BibliothekarInnen stehen ca. 9.000 ehrenamtlich Tätige gegenüber. Dieses hohe ehrenamtliche Engagement ermöglicht eine große Bibliotheksdichte in Österreich und garantiert die Versorgung auch des ländlichen Raumes, geht aufgrund der ständig wachsenden Anforderungen an eine moderne Bibliotheksarbeit aber auch vielfach mit Überforderung einher.
Öffentliche Bibliotheken im Wandel
In der Euphorie des wachsenden Internets wurde in der Mitte der 1990er-Jahre mit einem Ende der Gutenberg-Galaxis auch den öffentlichen Bibliotheken ein baldiges Verschwinden prophezeit. Wer sollte sich in einer Zeit allgemeiner Verfügbarkeit von Wissen und Information noch in eine öffentliche Bibliothek begeben? Das Gegenteil ist eingetreten: Die Propheten hatten ihren Blick einseitig auf die Ebene von Information gelegt und übersehen, dass Bibliotheken sich in der Dreiecksbeziehung von Raum, Medien und Menschen definieren und in einer Phase voranschreitender Anonymisierung gleichzeitig das Bedürfnis nach realer Begegnung wächst.
Jede Zeit schafft sich ihr Modell von Bibliothek. Hier der Versuch, aktuelle Umbrüche in einigen Überschriften und kurzen Erklärungen zu bündeln:
Weniger Regalmeter, größere Medienvielfalt
Über lange Zeit hinweg wurde positive Bibliotheksentwicklung mit dem Wachsen der Medienbestände gleichgesetzt. In Zukunft werden Bibliotheken ihre Zielbestände nicht mehr in gleicher Weise nach oben schrauben, manche Bibliotheken werden sogar bewusst ihre Bestände reduzieren. Aktualität, Medienpräsentation und kreative Auseinandersetzung bestimmter Zielgruppen mit einzelnen Medien wird dem Gegenüber stark an Bedeutung gewinnen.
Der Sozialraum Bibliothek gewinnt weiter an Bedeutung
In der Thekenbibliothek vergangener Zeiten standen die BibliothekarInnen zwischen den LeserInnen und den Medien. Eine Institution, die einen beraten konnte, vielmehr aber auch eine bevormundende Barriere, die es zu überwinden galt. Die Bibliothek von heute stellt sich nicht über die BenutzerInnen, sondern versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Bibliotheken sind Orte, wo Medien und Menschen einander begegnen. Das spannendste Medium der Zukunft ist nicht digital, sondern biologisch: der Mensch!
Abb. 2: Pfarrbibliothek Vils (c) Cilly Ledl
Jede Menge Technik – aber vielfach im Hintergrund
Die digitale Revolution hat die öffentlichen Bibliotheken in vielerlei Hinsicht grundlegend verändert. Es war wesentlich die technische Vernetzung, die den verstärkten Austausch unter den Bibliotheken und eine Entwicklung von überregionaler Bibliothekskultur in Gang gesetzt hat. Dabei ist es überhaupt keine Frage der Größe, welche Rolle die Technik innerhalb eines Bibliothekskonzepts spielt – sowohl in kleinen wie in großen Bibliotheken finden sich Beispiele für techniknahe und technikferne Bibliothekskultur.
Bibliotheken werden zunehmend individueller, differenzierter, bunter und kreativer
Sind Bibliotheken die Orte, an denen man seinen eigenen Interessen nachgehen kann und an denen Individualität gelebt wird, so hat dies natürlich Auswirkungen auf die Programmgestaltung und Angebote. Noch nie gab es im Veranstaltungsprogramm der öffentlichen Bibliotheken so bunte, originelle und interessante Angebote. Für BibliothekarInnen bildet dieser Trend eine Herausforderung auf dem schmalen Grat zwischen Begeisterung und Überforderung.
Abb. 3: Pfarrbibliothek Ebenau (c) Reinhard Ehgartner
Entwicklung gelingt in Kooperation
Dort, wo Bibliotheken in Austausch mit lokalen und regionalen Bildungseinrichtungen und Institutionen kommen, werden vielfältige Entwicklungsprozesse eingeleitet. Der Typus isolierter EinzelkämpferInnen ist eindeutig auf dem Rückzug – in einer zunehmend komplexer werdenden Welt können zahlreiche Aufgaben einzelkämpferisch gar nicht mehr bewältigt werden. Wechselseitige Unterstützung und gemeinsames Umsetzen von Projektideen bestimmen die Arbeitsformen der Zukunft.
Ehrenamt braucht Unterstützung
Aus dem Wissen heraus, dass positive Bibliotheksentwicklung ganz wesentlich mit Vernetzung verbunden ist, haben viele Länder und Diözesen Konzepte regionaler Betreuung und Begleitung entwickelt oder sind gerade dabei, dies zu tun. Dort, wo dies positiv umgesetzt und professionell begleitet wird, entsteht innerhalb weniger Jahre ein stärkendes Wir-Gefühl, ein selbstverständliches System wechselseitiger Unterstützung und ein wichtiger Informations- und Kompetenzaustausch.
Fortbildung wird zunehmend wichtig
Die Bedeutung bibliothekarischer Ausbildung liegt längst nicht mehr darin, dass man damit das nötige Rüstzeug für die praktische Arbeit der nächsten Jahrzehnte erwerben könnte. Es geht vielmehr darum, Grundlagen zu erhalten, auf denen die ständig neu erforderlichen Lernprozesse passieren können. In unserer hochtechnologischen Welt mit ihrer rasanten Wissensvermehrung erfolgt Lernen zunehmend informell, die vorhin skizzierten Netzwerke des Austausches und der Betreuung spielen hierbei eine große Rolle.
Die hier kurz skizzierten Entwicklungen sind in der österreichischen Bibliothekslandschaft bereits ablesbar und in ihren Auswirkungen belegbar. Zusammenfassend könnte man davon sprechen, dass in den öffentlichen Bibliotheken ein lebendiger Gegenpol zu Anonymität und Ubiquität des Internets wächst, der Lernen als soziales Geschehen versteht, interkulturelle und intergenerationelle Begegnung fördert und kulturelle Beheimatung bietet. All dies sind Trends, die dem christlichen Weltbild entsprechen. Eine lebendige Bibliothek gehört so gesehen zum Grundbestand einer lebendigen Pfarre.
Reinhard Ehgartner ist Geschäftsführer des Österreichischen Bibliothekswerks (www.biblio.at) und ehrenamtlicher Leiter der Bücherei Michaelbeuern.