Kunst und Erinnerung
Vortrag beim Kulturtag im Rahmen der Herbsttagung der Orden am 29. November 2017 in Wien.
Vor einem Jahr hat das Referat für die Kulturgüter der Orden das Projekt „Sicherung und Erhaltung der Kulturgüter der Orden“ ins Leben gerufen. Der Beweggrund, warum es zur Entstehung des Projektes gekommen ist, war vor allem die Wahrnehmung, dass sich die Ordenslandschaft in einem demografischen Wandel befindet und dieser seit einigen Jahren vermehrt zu einer Zerstreuung und zu einem Verlust vieler Kulturgüter geführt hat.
Durch Profanierungen von Kapellen und Kirchen, Umnutzungen und Auflösungen einzelner Klöster und Ordenshäuser, kam es zu Besitzwechsel von künstlerisch bedeutungsvollen Werken sowie vielen im Laufe von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten angesammelten Dingen, oft stillschweigend, ohne Konzept und Dokumentation. Damit sind auch Zeugnisse verloren gegangen, die wertvolle Auskunft über das Ordensleben geben. Vieles wird als Kulturgut nicht wahrgenommen, einzigartige Objekte, die an Apostolat, Charisma und Alltag eines Ordens erinnern.
Abb.1: Klösterliches Kulturgüterdepot
Das laufende Projekt hat aufgezeigt, dass sich an einigen Standorten von Ordensniederlassungen vermehrt die Dachböden und Depots gefüllt haben, mit nicht mehr in Verwendung stehenden Möbeln und Gegenständen, Kunstgütern und einer reichen Zahl an Erinnerungsstücken aus dem Ordensleben (Abb.1). Bestands- oder Inventarlisten sind oftmals nicht vorhanden. Das Wissen über die Herkunft der Dinge ist selten dokumentiert und wird im Laufe der Zeit vergessen.
Bevor es hier aufgrund von notwendigen Strukturprozessen zu räumlichen Veränderungen oder Auflösungen kommt, ist eine fachliche Begleitung und Expertise durch eine Ansprechperson von Seiten der Ordensgemeinschaften unbedingt erforderlich. Das Angebot der Beratung durch eine Person des Referats für die Kulturgüter der Orden umfasst eine schriftliche Bestandsübersicht mit Fotodokumentation und die Erstellung einer entsprechenden Vorgehensweise (Maßnahmenkatalog), je nach Anforderung des Standortes. Externe Personen sind zu vermeiden, denn sie handeln oft im eigenen Interesse und beabsichtigen den Erwerb von Kunstgegenständen. Die Gefahr, dass es infolgedessen zu unwiederbringlichen Verlusten an wertvollen Kulturgütern und Zeugnissen aus dem Ordensleben kommt, ist gegeben.
Im vergangenen Arbeitsjahr war der Bedarf an Beratungen sehr groß, die Fragen rund um das Thema Kunst und Denkmalpflege abwechslungsreich und vielfältig. Insgesamt wurden in sechs Bundesländern 24 Klöster von 19 Ordensgemeinschaften, davon 16 Frauen- und 3 Männerorden, besucht. Für die Vereinigung von Ordensschulen Österreichs wurden an drei Standorten zwei Ordensschulzentren inventarisiert. Die vielen Eindrücke über das kulturelle Erbe der österreichischen Klöster wurden fotografisch festgehalten und durch mehr als 2.500 Aufnahmen dokumentiert.
Besuchte Ordensgemeinschaften unterteilt nach angeforderten Beratungsleistungen:
Richtige Vorgehensweise bei Sichtungen
Die Durchsicht von gefüllten Lager- und Aufbewahrungsräumen erfordert ein organisiertes Vorgehen. Vor allem bei bevorstehenden Umbauten oder Übertragungen von Ordensniederlassungen ist es notwendig, alle Räume – vom Dachboden bis zum Keller – zu sichten. Raum für Raum wird auf wertvolles Kunstgut – im ökonomischen Sinn – aufmerksam gemacht, gegebenenfalls eine fachgerechte Lagerung und Handhabung mit den Verantwortlichen besprochen. Oftmals finden sich in Schränken der Depots Archivalien und anschauliches Schriftgut, das wichtige Hinweise zur Geschichte des Ordens und dessen Traditionen geben kann.
Von besonderem Interesse sind aufbewahrte Gegenstände, die kulturhistorisch mit der jeweiligen Ordensgemeinschaft im Zusammenhang stehen. Das können zum Beispiel Statuen und Abbildungen von Ordensheiligen, Professkleider und -kränze, Ämtertafeln, Alltagsgegenstände aus dem Klosterleben, Konventglocken und Gebetbücher sein. Diese Kulturgüter erinnern an die Geschichte des Ordens und drücken dessen Spiritualität aus. Im Gegensatz zu den Kunstgegenständen sind sie meist nicht ökonomisch wertvoll, dennoch zeigen sie den Reichtum an Ordenscharismen und sind deshalb von unschätzbarem Wert.
Frage nach der Herkunft von historischen Gegenständen
Mancherorts sind es die Geschichten zu den Objekten, die den eigentlichen Wert der Dinge erst sichtbar machen. Meist ausgelöst durch die Frage nach der Herkunft eines Gegenstandes, werden bewegende Erinnerungen und Geschichten mitgeteilt. Diese Erzählungen heißt es zu dokumentieren, die Ordensleute zu ermutigen, diese aufzuschreiben und somit für nachfolgende Generationen zu erhalten.
Beispiele aus österreichischen Klöstern und Ordenshäusern:
Abb.2: Leidenswerkzeuge Christi
Konvolut von Leidenswerkzeugen Christi (Abb. 2): Diese einfachen Objekte wurden von den Nonnen in der Karwoche bei der Prozession im Klostergarten getragen. Anschaulich hat die Priorin eines klausurierten Ordens über dieses bewegende Ereignis erzählt, die einzelnen Gegenstände wurden von den Ordensfrauen selbst ausgesucht, je nach eigenem Bedürfnis oder deren Befindlichkeit. Diese Tradition wird heute im Kloster nicht mehr durchgeführt, doch die Erinnerung daran bleibt, sichtbar sind die Leidenswerkzeuge im Gang des Klosters aufgehängt und erzählen von diesem gemeinsamen spirituellen Erlebnis.
Abb.3: Muttergottesstatue
Ein weiteres Beispiel ist die Statue einer Muttergottes mit Kind (Abb. 3) aus einem ehemaligen Wiener Frauenkloster, ein Erzeugnis aus serieller Produktion aus dem 19. Jahrhundert, d.h. es stellt keinen besonderen ökonomischen Wert dar und ist für die konventionelle Bestandsaufnahme eher von geringer Bedeutung. Für die Schwesterngemeinschaft jedoch ist die Muttergottes-Statue ein kostbares Stück, denn sie stammt aus der Kapelle der ersten österreichischen Niederlassung und erinnert an die Anfänge dieser Kongregation. Hinzu kommt, dass diese Marienfigur im Zweiten Weltkrieg nach einem Bombeneinschlag im Kloster auf wundersame Weise unbeschadet geblieben ist und daher der ideelle Wert umso größer ist. So ist es nur verständlich, dass die älteren Schwestern nach der Auflösung des Klosters die Statue mit in das Altenpflegeheim genommen haben und dort für das Objekt im Gemeinschaftsraum einen besonderen Aufstellungsort gefunden haben.
Ein scheinbar gewöhnlicher Sessel aus der Biedermeierzeit wird bei genauer Begutachtung durch einen Vermerk auf der Rückseite als Sitzbehelf einer Generaloberin einer Schwesterngemeinschaft enthüllt. Schriftliche Vermerke sind ein dienlicher Hinweis für die Erstellung eines Inventares. Der erwähnte Sessel steht heute – nach Auflösung des Klosters – im Zimmer des Direktors einer Ordensschule – ein würdiges Erinnerungsstück, das weiterhin lebendig im Schulalltag bestehen bleiben darf und an jene Ordensgemeinschaft erinnert, die die Ausbildungsstätte gegründet hat.
Abb. 4: Klosterspiel
Die Vermittlung der eigenen Ordenskultur wurde früher im Kloster anhand von selbst gefertigten Spielen praktiziert (Abb. 4). Handbeschriebene Zettelrollen mit Texten zur Erbauung oder mit wissenswerten Informationen zu bestimmten Heiligen sind behutsam in kleinen Kartonschachteln aufbewahrt worden. Sie dienten auch für Novizinnen, die auf diese Weise unterhaltsam und lehrreich mit dem klösterlichen Leben vertraut gemacht wurden.
All die genannten Objekte stellen Zeugnisse dar, die unmittelbar mit der Geschichte des jeweiligen Ordens in Zusammenhang stehen. Sie tragen wesentlich dazu bei, historische Bräuche und Traditionen begreifbar zu machen. Sie spielen bei der lebendigen Vermittlung von Ordenskultur und -pädagogik eine wichtige Rolle und sollen für nachfolgende Generationen bewahrt und erhalten bleiben.
Verborgenes Kunsthandwerk
Ein fast vergessener Schatz ist das Wissen über das vielseitige Ausüben des Kunsthandwerks im klösterlichen Umfeld. Bekannt ist die Erzeugung von Handarbeiten und Textilien – wie die Herstellung von Stickereien, Klosterarbeiten (meist in Verbindung mit Reliquien) und die Paramentenerzeugung. Zunehmend verschwindet dieses Handwerk immer mehr. Oft fehlt es an Ordensnachwuchs, Zeitressourcen und finanziellen Mitteln zur Weiterführung des Betriebes.
Viele Dokumente und Aufzeichnungen bezeugen, dass unter Ordensleuten auch ausgebildete akademische MalerInnen waren und in einigen Fällen zur künstlerischen Ausstattung der eigenen Kirche oder Kapelle beigetragen haben. In den Depoträumen der Klöster kommen oft Mappen und Hefte mit Entwürfen, Zeichnungen, Fotos und Malereien zum Vorschein, die eindrucksvoll und meisterhaft das Können mit Bleistift, Feder oder Pinsel zeigen (Abb. 5).
Abb.5: Nonne als Malerin
Die künstlerische Vielfalt in der österreichischen Klosterlandschaft reicht vom geschnitzten Bilderrahmen, Beicht- und Betstuhl bis hin zu liebevoll gestalteten Dioramen, die uns mittels Schaubühne einen Einblick in das Klosterleben gewähren.
Zu den traditionellen handwerklichen Tätigkeiten vieler Frauenorden gehörte zudem das Anfertigen von Wachsfiguren, welches heute nur mehr vereinzelt ausgeführt wird. Die künstlerische Palette reicht vom kleinen Jesuskind bis zum lebensgroßen Hirten. Im Fokus internationaler Forschung stehen zur Zeit Krippenfiguren aus einem Wiener Frauenkloster, die wegen ihrer enormen Größe (ca. 120 cm hoch) und qualitätvollen Ausführung eine Besonderheit darstellen (Abb.6). Im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung hat das Referat für die Kulturgüter eine genaue Bestandsaufnahme und Inventarisierung der Figuren durchgeführt.
Abb.6: Krippenfigur aus Wachs
Anleitung für die Inventarisierung
Ein weiteres Ziel des Projektes ist die fachliche Begleitung zur Anfertigung von Inventaren und Bestandslisten. Mit einbezogen werden dabei Kulturgüter, die mit der Identität des jeweiligen Ordens in Zusammenhang stehen und Zeugnisse aus dem Alltag des Klosterlebens darstellen.
Besondere Unterstützung erfahren jene Niederlassungen, die auf Grund von Mangel an Ordensnachwuchs aufgegeben werden müssen. Die Räumlichkeiten des Ordenshauses werden dabei zu Dokumentationszwecken fotografiert, für die Ordensfrauen bzw. -männer dient dieses Bild auch als Erinnerung an einen vertrauten Ort und die dort gelebte Gemeinschaft. Die Aufgabe eines Standortes ist oft mit vielen Emotionen verbunden und der Prozess des Abschiednehmens fällt nicht immer leicht. Dem Referat für die Kulturgüter ist es daher ein wichtiges Anliegen, dass liturgische Ausstattungsstücke aus profanierten Kapellen oder Kirchen gut weitervermittelt werden können und einen angemessenen Platz finden. In anderen Einrichtungen werden Objekte für den liturgischen Gebrauch gesucht und können so wieder einer entsprechenden Verwendung zugeführt werden. Dieser Service auf der Website der Kulturgüter der Orden („Schwarzes Brett“) ist ein gern genutztes Medium.
Gebrauch, Pflege und Aufbewahrung
Eine wesentliche Rolle zur Erhaltung von Kulturgütern spielen präventive Maßnahmen. Im Zuge der Sichtungen in den Ordenshäusern werden Fragen über die geeignete Einrichtung eines Depots, zu Materialien für die Aufbewahrung und Mittel zur Pflege ebenso beantwortet wie die richtige Lagerung von Paramenten, Metallobjekten und Heiligenfiguren (Abb. 7).
Abb. 7: Lagerung von Paramenten
Das Schützen vor Staub und Schädlingen, das Beachten von richtigen klimatischen Rahmenbedingungen und das Aufmerksammachen auf vorhandene Bauschäden ist ebenso Inhalt der Beratungen vor Ort wie das Feststellen von Schäden, die Objekte gefährden und durch einen Restaurator behoben werden müssen. Je nach Anforderung wird im Bedarfsfall der Kontakt zur richtigen Fachperson hergestellt und ein Maßnahmenkatalog als Behelf zur weiteren Vorgehensweise erstellt.
Oftmals werden durch Beratungsgespräche einzelne Kulturgüter wieder erneut in das Bewusstsein der Gemeinschaft gerückt und folglich eine vergessene Ordenstradition wieder neu belebt oder auch Impulse für spirituelle Betrachtungen gesetzt.
Bereits nach einem Jahr hat dieses einmalige Projekt dazu beigetragen, Ordenskultur zu erhalten, und gezeigt, dass die Ordensgemeinschaften Österreichs viele große und kleine Schätze beherbergen. Kostbar ist der Einblick in eine besondere Lebenswelt, wo Herzlichkeit und Offenheit spürbar ist, berührende Geschichten und Erinnerungen über das gemeinschaftliche Leben in der Nachfolge Christi darauf warten, weitererzählt und dokumentiert zu werden (Abb.8).
Abb.8: Altes Schulbild über das Ordensleben