Kirchenpädagogik: Menschen zum Heiligen führen
Zusammenfassung des Vortrags über Theorie-Grundlagen der Kirchenpädagogik bei der Jahrestagung Kirchenpädagogik am 3.Mai 2019 im Kollegium Kalksburg in Wien.1
Menschen zum Heiligen führen, einen hohen Anspruch, fast an der Grenze zum Blasphemischen, vermittelt die Beschreibung des Zieles der unterschiedlichen kirchenpädagogischen Zugänge, die dem Standardwerk „Kirchenpädagogik“ des Theologen und Religionspädagogen PD Dr. Holger Dörnemann entnommen ist. Ob eine klassische kunsthistorisch-baukundliche Führung, eine theologieorientiert-liturgische Heranführung, eine biographische Erforschung oder ein ganzheitliches Erleben des Kirchenraumes – Kirchenpädagogik möchte Menschen an die Begegnung mit „dem Heiligen“ heranführen und die Voraussetzungen dafür bereiten. Die Begegnung ist ein Geschenk, das nicht evoziert werden kann, doch kann – gerade in Kirchenräumen – dafür sensibilisiert und der Boden für solche Erfahrungen bereitet werden.
Kirchen sind die neuen Museen
Ende des vorigen Jahrhunderts stiegen die Besucherzahlen in Museen in Deutschland von 22 Millionen 1975 auf 91 Millionen 1992 an. Ich nehme an, dass Ähnliches auch für Österreich zu verzeichnen ist. In einer Zeit, in der Religionen als Orientierungs- und Ankerpunkte in der Gesellschaft an Relevanz verlieren, werden Museen zu heterotopen Orten, die gesellschaftliche Beheimatung und Verankerung, eine gewisse Form von objektiven Werten und Stabilität vermitteln und ein Angebot der Sinnsuche mittels Kultur und Ästhetik leisten. Seit einigen Jahren gewinnen auch Kirchen eine neue Ausstrahlungskraft für BesucherInnen. Nicht nur in Touristenorten, sondern vielerorts steigt der Kirchenbesuch (außerhalb der Gottesdienstzeiten) nachweislich. Neben dem messbaren Indiz der Kerzenverkäufe, ist auch ein Zeichen dafür, dass 2010 mit dem Kölner Dom und der Dresdener Frauenkirche zwei Kirchen in einer Umfrage des Deutschen Tourismusverbandes zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands gewählt wurden. Es scheint eine neue Sehnsucht nach Räumen und Orten erwacht zu sein, die über eine kulturelle Beheimatung und Vergewisserung hinausgeht, und der Kirchenräume mit ihrer auratischen und affektiv aufgeladenen Ausstrahlung begegnen können. Im Gegensatz zu Museen haben Kirchenräume nicht nur den Anspruch, als Symbole das Stadtbild zu prägen, sondern in ihnen soll als Ikonen die Anwesenheit Gottes durchscheinen und spürbar werden.
Der Heilige Raum – dem Heiligen Raum geben
41 % der Menschen sind potentiell kirchlichen (Kultur-)Angeboten gegenüber offen, 28 % ablehnend eingestellt, und 30 % interessieren sich schon verlässlich für kirchliche Kulturleistungen. Holger Dörnemann hat diese Sinus-Milieu-Studie aus dem Jahr 2005 hinsichtlich der Kirchenpädagogik ausgewertet und beschreibt eine hohe Erwartungshaltung und Vertrauensvorschuss der potentiell interessierten Gruppen Kirchen gegenüber. Als Erwartungen werden insbesondere „Kontrast zum Alltag“, „kognitive und sinnliche Erlebnisse und Anregungen“, „persönliche Involvierung und Authentizität“ sowie „Orte des kulturellen Erbes“ und „Plattformen für Informationen und Austausch“ genannt.
Diese Erwartungen korrespondieren stark mit der Selbstdefinition von Kirchenräumen. Die Religionsphilosophen Rudolf Ott und Mircea Eliade beschreiben, dass „das Heilige“ als Gegensatz zum Profanen wahrgenommen wird. Dieser Kontrast manifestiert sich auf erfahrbar sinnliche Weise in Kirchen als Kontrasträume von außen und beim Eintreten: Im Stadtbild sind sie meist markant durch ihre Größe, die zentrale Lage, die Türme und Glocken. Im Inneren sind sie leise, überdimensional groß, kühl, nicht funktional und wertvoll gestaltet. Die oft alten Gebäude und die kulturell meist wertvolle Ausstattung tragen viel Potential für die Auseinandersetzung mit gelebter Geschichte und kulturellem Erbe in sich. Lebendige Kirchengemeinden mit einladenden Angeboten, kulturelle Angebote in Kirchen und kirchenpädagogische Vermittlungen ermöglichen es, aktives Erleben und persönliche Involvierung vor Ort zu gestalten, die über ein reines „Öffnen der Kirchen für Besichtigung“ und „klassische Führungen“ hinausgeht.
Dreischritt der Kirchenpädagogik: STOP – LISTEN – GO
Holger Dörnemann fasst und systematisiert in seiner 2011 als Buch veröffentlichten Habilitationsschrift den wissenschaftlichen Stand und die Praxis der Kirchenpädagogik. Neben den zu Beginn des Artikels erwähnten, verschiedenen Wegen zum gemeinsamen kirchenpädagogischen Ziel, „den Menschen zum Heiligen zu führen“, beschreibt Dörnemann einen verschieden benannten und unterschiedlich ausgerichteten und geformten Dreischritt der meisten kirchenpädagogischen Theorien und Handreichungen. Dörnemanns Analyse der verschiedenen Zugänge identifiziert drei Hauptkriterien, die er als die Phasen „Regression – Expression – Impression“ zusammenfasst und verbildlicht. Nach dem „zur Ruhe Kommen“ und dem „zu sich Kommen“ der BesucherInnen in der Regression folgt in der Phase der Expression das „zum Ausdruck Bringen“ des je spezifischen Heiligen, das im Kirchenraum gegenwärtig ist, durch den/die KirchenvermittlerIn. In der Impression, der Phase der Reflexion und Veränderung, soll der Bogen zum je eigenen Erleben des/der BesucherInnen geschlagen und bewusst gemacht werden, was sich für die Menschen ereignet und eingeprägt hat. Diese aus der Analyse von Theorie und Praxis gewonnenen Phasen der Kirchenpädagogik korrespondieren für mich mit dem einprägsamen Dreischritt der Spiritualität, wie er in verschiedener Form von David Steindl-Rast bekannt ist: So stimmen „Stop – Listen – Go“ nicht nur für die Erfahrung von Transzendenz, sondern auch für die Kirchenpädagogik. BesucherInnen sind eingeladen, anzukommen und aus dem Alltag auszusteigen – sich Neuem zu öffnen – und Bereicherndes wieder in den Alltag mitzunehmen.
Resümee: Kirchenpädagogik als Haltung
Als Fremdenführerin und Seelsorgerin sind mir sowohl die „klassische Führungstätigkeit“ als auch das Erschließen des Kirchenraumes als spirituelle Ressource für Menschen mit all ihren Chancen und Schwierigkeiten vertraut. Auch nach dem Vortrag bei der Jahrestagung Kirchenpädagogik ergab sich eine Diskussion über die Praktikabilität kirchenpädagogischer Ansätze in der Praxis. Im pfarrlichen Kontext, bei Erstkommunionkindern oder Firmlingen können persönliche Involvierung, langsame Annäherung und eine Konzentration auf Weniges bereichernd sein. Dagegen sind für viele BesucherInnen Gewohnheit, Erwartung und Anforderung an einen Kirchenbesuch – wenn geführt – noch immer „klassischer“ Natur: So wird viel Information über Geschichte und Baustile erwartet, und bei Busreisen sollen möglichst viele verschiedene Kirchen und Orte besichtigt werden. Dies ist für viele Kirchen und Klöster sicherlich eine herausfordernde Realität, der kirchenpädagogisch noch so wertvolle Alternativangebote nur in einem geringen Ausmaß begegnen können. Dennoch möchte ich auch als Fremdenführerin den kirchenpädagogischen Anspruch nicht ganz beiseitelassen, wenn ich mit Gästen Kirchenräume besuche. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass oft kleine Elemente dieser drei Phasen – in „klassische Führungen“ eingebaut – schon viel persönliche Involvierung bewirken. Kirchenpädagogik ist viel mehr als wissenschaftliche Vermittlungstheorien und praktische Handlungsleitfäden. Kirchenpädagogik ist eine Haltung – die Haltung, Menschen zum Heiligen führen zu wollen.
Theresa Stampler studierte Theologie und Kunstgeschichte und ist als Fremdenführerin tätig. Seit 2019 ist sie im Leitungsteam für Kirchenpädagogik für die Ordensgemeinschaften Österreich und Mitarbeiterin bei der Vereinigung von Ordensschulen Österreich. Zudem ist sie für die Caritas der Erzdiözese Wien für den Bereich Seelsorge und Spiritualität tätig. Kontakt: theresa.stampler@ordensgemeinschaften.at
1 Der Vortrag orientierte sich vor allem an: Holger DÖRNEMANN, Kirchenpädagogik. Ein religionsdidaktisches Prinzip. Grundannahmen – Methoden - Zielsetzungen (Berlin 2014).