Von der Spanischen Grippe 1918 zur Covid-19-Pandemie 2020
Predigt anlässlich des Todestages von Pater Franziskus Jordan, gehalten am 8. September 2020, in Wien, St. Michael; Lesungen Mi 5,1-4a und Mt 1,18-23.
Einstieg: Maria Geburt
Seit 1918 fällt das Fest Maria Geburt mit der „Geburt zum Himmel“ von Pater Franziskus Maria vom Kreuze Jordan zusammen. Die salvatorianischen Gemeinschaften auf der ganzen Welt feiern dieses Doppelfest mit einer eigenen Innigkeit und Dankbarkeit. Sie pilgern heute mit ihren Gedanken und Gebeten nach Tafers in der Schweiz, zur ersten Ruhestätte.
Hauptteil: Betlehem–Gurtweil–Tafers
Geburt Mariens und „Geburt zum Himmel“ von Pater Jordan an einem Tag. Liturgischer Zufall? Himmlische Belohnung? Liebende Vorsehung? Erfüllung? Vielleicht Verheißung? Oder?
Das Wort Gottes spielt immer wieder mit solchen und ähnlichen Möglichkeiten. So spricht das Prophetenwort der heutigen Liturgie die Verheißung an:
Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll (Mi 5,1a). Der Engel sagt im Matthäusevangelium dem heiligen Josef: Josef, Du sollst dem Kind den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen (Mt 1,21). Dann folgt die Deutung: Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat (Mt 1,22).
In der heutigen Liturgie wird nicht, wie so oft, „Jerusalem“, die damalige religiöse und politische Hauptstadt erwähnt. Im Gegenteil. Der kleinste Ort Judas wird hervorgeholt: Du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen … (Mi 5,1). Die heutige Liturgie führt auch nicht den Namen eines mächtigen weltlichen Herrschers an. Im Gegenteil. Josef, Du sollst dem Kind den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen (Mt 1,21).
Wenn die Liturgie uns schon mit der Nase auf das damalige kleine Dorf Bethlehem drückt und wenn sie uns den Namen des Kindes Jesus als „Heiland“ oder „Erlöser“ deutet, dann sollen auch wir unsere heutige Situation deuten. Dann heißt es nicht: Was kommt aus Rom?, dem Zentrum der Christenheit, sondern dann heißt es, ähnlich wie beim Propheten Micha und beim Evangelisten Matthäus: Und Du, Gurtweil, Dorf von 1.800 Einwohnern, aus Dir ist vor 174 Jahren einer hervorgegangen, ein Johann Baptist Jordan, der mit seinem Werk Jesus, den Salvator Mundi, den Heiland der Welt, verkündete. Dann heißt es: Und Du, Tafers, Pfarrei im Sensebezirk bei Fribourg, an das Grab in Deiner Pfarrkirche wurde seit 102 Jahren ein Fluss von Sorgen, Nöten und Anliegen herangetragen. An diesem Grab ist die echte Verehrung zum Gottesmann Pater Franziskus Maria vom Kreuz entstanden. In Eurem Pfarrblatt hat Pfarrer Paul Perler damals geschrieben: Wir haben einen Heiligen begraben.1
Es lohnt sich, zu lesen, was eine Vinzentinerin heute vor 102 Jahren in der Chronik des Pflegeheimes in Tafers, wo Pater Jordan betreut wurde, eingetragen hat.
Abb. 1: Ausschnitt aus der Chronik, Spital in Tafers, nach einer Kopie des Originals im Provinzarchiv der Vinzentinerinnen in Köln.
1918. [spanische] Grippezeit! Die Hochwürden Herren Patres Salvatorianer bringen am 25. August ihren todkranken Stifter, weil alle Krankenhäuser belegt waren und die Ordensbrüder im Felde standen. Der ehrwürdige Kranke wird auf Nummer 9 gelegt und Schwester Aloysia […] hat die Ehre, ihn zu pflegen. Der heiligmäßige Patient erbaut uns durch seine Geduld im Leiden und durch sein innig frommes Beten. Er stirbt am 8. September 1918. Der Leichnam wird in Gegenwart des Oberamtmannes Poffet in einen Bleisarg und dann in einen Eichensarg gelegt, in der Pfarrkirche beigesetzt. Das Zimmer Nummer 9 bleibt für uns stets ein heiliger Ort, und Pater Jordan bleibt wohl für immer unser berühmtester Patient.2
Diese Worte aus der Chronik vom Spital Sankt Joseph in Tafers wurden geschrieben während der damaligen in Europa furchtbaren und bei den meisten unserer Zeitgenossen viel zu wenig bekannten Pandemie, genannt Spanische Grippe. Es starben mehr als 50 Millionen Menschen, mehr als die Gesamtzahl der Opfer des Ersten Weltkrieges.
Diese Erzählung der Schwester Chronistin über Pater Jordan bekommt auf einmal nach 102 Jahren in unserer gegenwärtigen Pandemie Covid-19 (Corona-Virus) eine besondere Bedeutung. In der damaligen Pandemie waren in Fribourg und Umgebung alle Krankenhäuser überfüllt und die eigenen Mitbrüder konnten den todkranken Pater Jordan nicht versorgen, weil sie „dem Vaterland dienen“ mussten. Trotz Weltkrieg und Pandemie ist die Chronistin überzeugt: Das Zimmer Nummer 9 bleibt für uns stets ein heiliger Ort, und Pater Jordan bleibt wohl für immer unser berühmtester Patient.
Das Zimmer Nr. 9 gibt es schon seit längerer Zeit nicht mehr, das Gebäude wurde wegen Baumängeln abgebrochen. Aber der wohl für immer […] berühmteste[r] Patient hat sich in den letzten 100 Jahren zu einem anderen, geistlichen „heiligen Ort“ entwickelt. Die offizielle Kirchenleitung wird Pater Jordan im kommenden Jahr, am 15. Mai 2021, in der Lateranbasilika in Rom seligsprechen.
Einfachheit beeindruckt
Abb. 2: Der Autor am Grab von Pater Jordan im Generalatshaus der Salvatorianer, Rom, am 17.9.2020 anlässlich eines internationalen Seminars über den Gründer.
Es fällt mir mal wieder auf, wie der einfache und unkomplizierte Pater Jordan die Schwestern des Altenheimes beeindruckte. Sie schildern den 70-jährigen Mann, den sie wahrscheinlich nur vom Hören-Sagen kennengelernt haben, mit vier verschiedenen Ausdrücken in dieser Reihenfolge: todkranker Stifter, ehrwürdiger Kranker, heiligmäßiger Patient, Pater Jordan! Innerhalb von 14 Tagen, die er im Altenheim verblieb, beeindruckte er die Kommunität durch seine Geduld im Leiden und durch sein innig frommes Beten.
Und im Jahr 2017 erzählte mir im Pflegeheim in Fribourg der 86-jährige Schweizer Salvatorianer Pater Moritz Sturny (*1934), dass seine Mutter ihren Kindern immer wieder erzählte, dass im Jahr 1918 ein heiligmäßiger Generalsuperior ins Altenheim gebracht wurde. Hier ist der O-Ton von Pater Moritz: Meine Mutter Anna, geborene Bongard, die 1917 meinen Vater Martin geheiratet hat, hatte gehört, dass ein heiligmäßiger Mann von Rom nach Fribourg gekommen sei und dann in dem Altersheim [in Tafers] war. Das war ein altes, eher armes [fürchterliches] Haus. Sie war bei der Beerdigung [von Pater Jordan]. Das hat sie mir öfters erzählt bevor ich in das salvatorianische Studentat Gottschalkenberg (Kanton Zug, Schweiz) übersiedelte.3
Verehrung entsteht
Was ist es, so fragen wir uns, was in diesem Menschen Pater Jordan, intuitiv und instinktiv überzeugt und fasziniert? Im Ort Tafers entstand ein neuer Ort, wo Wunder auf Fürsprache „unseres berühmtesten Patienten“ geschahen. Sie wurden schriftlich festgehalten. Es entstand so etwas, das wir Verehrung, innere Faszination und äußere Überzeugung, nennen. Und Pater Jordan konnte nur seliggesprochen werden, weil „das Wunder von Brasilien“ auf seine Fürsprache von den theologischen Konsultoren der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen am 5.12.2019 anerkannt wurde.
Schluss: Der himmlische Geburtstag
Abb. 3: Schwester Oberin Huberta Dehotty (l.) und Schwester Aloisia Bellwald, die Pater Jordan pflegten, inmitten von Bewohnern des Armenhauses. Quelle: Salvatorianer Chronik 3 (1918) Nr. 2 vom 1. Oktober 1918, 193.
Schwester Huberta Dehottay, die Oberin der Schwestern in Tafers, hat uns folgendes Zeugnis über Pater Jordan hinterlassen. Sie hat den Kranken in den letzten 14 Tagen liebevoll versorgt. Über den letzten Tag von Pater Jordan hat sie festgehalten: Als man dem Sterbenden sagte: Heute ist Muttergottesfest, schlug er die Augen auf und lächelte4. Ein Sterbender reagiert wie ein Lebender auf sein Lieblingswort, „Muttergottesfest“, er schlägt die Augen auf und lächelt. Amen.
P. Peter van Meijl SDS absolvierte die Theologie sowie philosophische Studien an der katholischen Universität Löwen (BE) und wurde mit einer Dissertation über Pater Jordan promoviert. Von 2002 bis 2016 leitete er die Pfarre St. Michael in der Wiener Innenstadt. P. Peter ist Ordenshistoriker und Provinzarchivar der Salvatorianer in Wien sowie stv. Vorsitzender der ARGE Ordensarchive Österreichs.
Kontakt: peter.vanmeijl@salvatorianer.at
1 Paul Perler, 34 Jahre als Pfarrer in Tafers tätig (von 1938–1972), in: St. Martins-Glocken. Pfarrblatt von Tafers, 15.05.1955, 79.
2 Provinzarchiv Vinzentinerinnen Köln, 05–137, Chronik Spital St. Joseph Tafers, Rechtschreibung angepasst. Kopie im Generalatsarchiv SDS, Rom, APS, F 56, 8.
3 Gespräch mit Pater Moritz Sturny am Samstag, 18.11.2017, im Pflegeheim der Schwestern vom Guten Hirten, Fribourg.
4 Zitiert nach Peter van Meijl SDS, Von Gurtweil in Baden/Deutschland nach Tafers in der Schweiz (Wels 2016) 176.