400 Jahre Teresianischer Karmel in Österreich
Vortrag gehalten bei der Eröffnung der Karmelausstellung am 16. Juli 2022 in der Karmelitenkirche in Wien-Döbling.
Einleitung
400 Jahre Freundschaft mit Gott! 400 Jahre Teresianischer Karmel in Österreich. 400 Jahre des ununterbrochenen Betens, wie Kardinal Schönborn es in seiner Predigt beim Jubiläumsgottesdienst ausdrückte. Ein bedeutender runder Geburtstag, ein Fest für uns alle. Es ist ein großartiger Anlass und für uns auch eine Verpflichtung, dieses Ereignis gebührend zu feiern.
Abb. 1: P. Paul Saji Bavakkat © ÖOK/Elisabeth Mayr-Wimmer
Ein kurzer Überblick zu den Jubiläumsjahren
Mit einem festlichen Pontifikalamt mit Kardinal Schönborn am 28. Mai 2022 haben wir die Jubiläumsjahre eröffnet. Ja, es sind Jubiläumsjahre, denn es reiht sich ein Jubiläum ans andere: In Wien feiern wir 400 Jahre Karmel in Österreich, 2024 folgt das Jubiläum 350 Jahre Klostergründung in Linz und 2026 feiern wir 300 Jahre Weihe der Karmelitenkirche in Linz.
Ein reichhaltiges Programm wurde von vielen Abteilungen unseres Ordens in Österreich zusammen mit Fachleuten verschiedener Sparten erarbeitet. Ich möchte sagen, dass jedes einzelne Element es verdient hat, dass man sich darauf freuen kann. Ohne nun den gesamten Katalog vorzutragen, möchte ich ankündigen, dass es im nächsten Jahr 2023 ein Dominicus (P. Dominicus a Jesu Maria OCD 1559–1630) Symposium und eine Dominicus Ausstellung geben wird, in dem der spanische Karmelit und Gründer unserer österreichischen Ordensniederlassung gewürdigt werden wird. Außerdem ist eine Kunstinstallation sowohl in Wien als auch in Linz geplant. Dazu wird es eine Reihe von Veröffentlichungen geben, insbesondere zu unserem Leben in der klösterlichen Karmelgemeinschaft, zur Geschichte, zum Wachsen und Werden unseres Ordens hier in Österreich.
Die Karmelausstellung
Ein weiterer markanter Punkt der vielfältigen Jubiläumsfeierlichkeiten ist die Eröffnung der Karmelausstellung: 400 Jahre Freundschaft mit Gott. Sie gewährt einen Überblick und Einblick in diese 400 Jahre sowie auch einen Ausblick auf Kommendes. Diese Ausstellung, die am 16. Juli 2022 eröffnet wird, wandert Mitte August von Wien zum Kloster Linz, wo sie Anfang Oktober 2022 zu sehen sein wird.
Freundschaft mit Gott
So ist auch der Titel unserer Jubiläumsjahre und auch unserer Ausstellung: 400 Jahre Freundschaft mit Gott. Woher kommt diese karmelitische Maxime?
Für unsere großen Ordensheiligen war die biblisch verbriefte Freundschaft mit Gott eine feste Säule ihres Ordenslebens.
Blicken wir einmal auf den Hintergrund dieser Freundschaft
Unsere menschliche Erfahrung könnte diese Freundschaft in Frage stellen, wenn man an zwischenmenschliche Freundschaft denkt und dabei eine oft zerbrechliche Beziehung von Menschen auf gleicher Augenhöhe im Blick hat. Und so kommt die Frage auf: Kann es denn wirklich Freundschaft zwischen Gott und Mensch geben, eine Freundschaft so ungleicher Partner? Die Antwort finden wir in einer biblischen Aussage: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, ich nenne euch Freunde!“ (vgl. Joh 15,15). Jesus hat menschliche Freundschaft im Blick, weil er ja nicht nur unser Herr ist, sondern in der Menschwerdung unser Bruder geworden ist.
Wenn dieses Bild ernst gemeint ist, dann bedeutet es, dass unser altes Gottesbild überdacht werden muss. Es war das Bild, das Gott als Herrscher gesehen hat, der seine Untertanen ständig überwacht hat und dauernd Leistungen abverlangt und bewertet hat. Ein solches Bild hat keinen Bestand. Gott ist unser Schöpfer und bietet uns seine Freundschaft an. Aber Gott bietet seine Freundschaft nicht heute an, um sie morgen wieder zurückzunehmen. Seine Freundschaft ist auf Beständigkeit ausgerichtet, und sie ist von seiner Seite her nicht gefährdet.
Aber was kann auf der anderen Seite unsere Freundschaft ihm geben? Sind wir es nicht gewohnt bei Freundschaften, dass es ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist? Freunde halten zueinander, dieses Zueinanderhalten ist es, was wir Gott zurückgeben können. Wir können ihm versprechen, uns für seine Anliegen einzusetzen. Aber in Anbetracht unserer Schwächen und Nachlässigkeiten, unseres Wankelmuts werden immer wieder Trübungen auftreten, weil wir eben nicht immer zuverlässig sind.
Dieses Versagen haben auch unsere Ordensheiligen erfahren, aber immer erfuhren sie auch Gnade und Vergebung ihres Freundes, wenn sie ihre Zusagen nicht einhalten konnten. Gott kennt sehr wohl alle menschlichen Schwächen. Er weiß, dass unser Tun oft nicht der Art Gottes entsprechen kann. Wichtig ist, dass wir wissen, wer unser Freund ist, und wir niemals vergessen, ihm mit Respekt zu begegnen, ihm, der immer der Vollkommene bleiben wird.
„Es ist eine wunderbare Sache, dass die Freundschaft, die normalerweise zwischen Gleichen besteht, dennoch zwischen Gott und dem Menschen zu finden ist; und noch dazu eine so große und wahre Freundschaft, wo die Ungleichheit doch so groß ist.“1. In dieser vertrauensvollen Haltung versuchen wir Karmeliten, unseren Weg zu gehen. Und diese Haltung, dieser Weg, soll in der Ausstellung dargestellt werden.
Abb. 2: Einblick in die Karmelausstellung in der Seitenkapelle der Karmelitenkirche in Wien-Döbling © ÖOK/Elisabeth Mayr-Wimmer
Was erwartet uns in dieser Ausstellung?
Inhalte, Begegnungen, Aussagen
Die Ausstellung befindet sich in der linken Seitenkapelle in der Karmelitenkirche in Wien-Döbling. Sie zeigt die 400-jährige Geschichte unserer Ordensgemeinschaft in Österreich, vor allem die wichtigen Standorte Wien und Linz. Darüber hinaus blickt sie zurück auf die Gründung des Ordens vor rund 800 Jahren. Sie erfahren hier auch, woher unser Name kommt: Unbeschuhte bzw. Teresianische Karmeliten.2
Näher befasst sich die Ausstellung mit den wichtigsten Heiligen des Ordens, angefangen mit der hl. Teresa von Jesus, bekannt als Teresa von Ávila (1515–1582). Mit ihr war der hl. Johannes vom Kreuz (1542–1591) ein bedeutender Ordenserneuerer mit ganz besonderer Spiritualität und bewundertem Charisma. Hier begegnen Sie auch der kleinen hl. Thérèse von Lisieux, deren Schrein wir ja bei uns vor einigen Wochen haben durften.3 Und schließlich eine bedeutende Heilige aus unserer Zeit: Edith Stein (1891–1942) mit dem Ordensnamen Sr. Teresa Benedicta vom Kreuz. Wir können jeweils wichtige Zitate nachlesen und erfahren viel über ihre Biografien. Es wird nicht über sie erzählt, vielmehr erzählen sie selbst in der Ich-Form über ihr Leben. Für sie alle und auch für unsere weiteren Heiligen steht die Freundschaft mit Gott im Mittelpunkt ihres Lebensweges.
Die Ausstellung ist so konzipiert, dass Sie sich mit etwas Zeit natürlich selbst ein Bild unserer Ordensentwicklung, unserer Geschichte und unseres Lebens in der Gemeinschaft machen können. Es ist unwesentlich, welchen Weg Sie nach der Betrachtung des Zentrums wählen. Jede Person, jedes Objekt und jede Texttafel sprechen für sich, so dass Sie Schwerpunkte setzen können.
Sie finden die Hauptexponate [das Kaffeehäferl, den Kristall und das Herz], die unser Charisma visuell darstellen. An den Bildschirmen sind Interviews zu verfolgen mit Brüdern und Schwestern aus unserem Orden. Dazu werden Kopfhörer verwendet. Auch Mitglieder unseres Säkularordens sind in Interviews zu sehen. In den Vitrinen erfahren wir etwas über die Lebensweise und die Spiritualität der Karmeliten. In den Texttafeln finden wir Informationen zur Ordensgeschichte, Ordensfamilie, zum Skapulier, zum inneren Gebet und über unsere weiteren Heiligen.
Die Tafel mit einem Zeitstrahl erzählt die Geschichte unseres Ordens im Allgemeinen und später auf anderen Darstellungen die Geschichte hier in Österreich, in Wien und in Linz.
Abb. 3: Ordensheilige von links nach rechts: Teresa von Ávila, Thérèse von Lisieux, Edith Stein und Johannes vom Kreuz © P. Paul Saji Bavakkat OCD
Geschichte unseres Ordens
Darauf möchte ich kurz eingehen: Begonnen hat alles mit einer kleinen Gruppe von Einsiedlern, die sich für den Lebensweg des Propheten Elia begeisterten. Dieser Prophet steht biblisch im Zusammenhang mit dem Berg Karmel im heutigen Israel. Genau dort, an der sogenannten Quelle des Elia, siedelten sich Ende des 12. Jahrhunderts die Einsiedler an. Sie bekamen vom hl. Albertus von Jerusalem eine Ordensregel. Sie lebten in der Stille der Zurückgezogenheit für die Betrachtung des lebendigen Gottes. Das war der Beginn schon vor 800 Jahren.
Zum Skapulier4 (zum heutigen Festtag): Nachdem unser Orden im 12. Jahrhundert nach Europa gekommen war, geriet er wegen der veränderten Lebensumstände in eine Identitätskrise. Um diese Not zu überwinden, bat der damalige Ordensgeneral, der hl. Simon Stock (um 1200–1265), Maria um Hilfe, um ein Zeichen des mütterlichen Schutzes. Daraufhin wurde er am 16. Juli einer Vision der Gottesmutter gewürdigt und ihm das Skapulier als Zeichen ihres Schutzes für den Orden gegeben:
Die heiligste Jungfrau sprach zu ihm: "Das ist das Privileg, das ich dir und all deinen Kindern um Karmel gebe. Wer immer mit diesem Gewand bekleidet stirbt, wird gerettet werden.“5 Darum feiern wir Karmeliten am heutigen Tag, dem 16. Juli das Hauptfest unseres Ordens, das Hochfest Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel.
Abb. 4: Karmeliten © Karmel Österreich
Unsere Ordensfamilie in Österreich
Eine weitere Vitrine unterrichtet über unsere Ordensfamilie in Österreich, die über mehrere Zweige verfügt:
Der männliche Zweig lebt in Klöstern in Wien, Linz und Graz. Die zurzeit 22 Karmeliten engagieren sich im Apostolat mit Angeboten von Exerzitien, Vorträgen, Gebetskreisen, Bibelrunden und dem Sakrament der Versöhnung.
Die zurzeit 112 Karmelitinnen leben in 11 Klöstern in Österreich. Sie wirken für Gottes Reich durch ein ausgewogenes Miteinander von gemeinsamem Stundengebet, Eucharistiefeier, persönlichem Gebet und Arbeit. Sie engagieren sich in verschiedenen apostolischen Tätigkeiten und laden die Menschen zu einer Freundschaft mit Gott ein.
Außerdem gibt es einen Säkularorden, auch Dritter Orden genannt, von zurzeit 82 Frauen und Männern. Auch ihr privater und beruflicher Alltag ist geprägt von Freundschaft mit Gott. Sie gestalten ihr Leben aus den geistlichen Quellen des Karmel.
Erwähnen möchte ich auch die Marienschwestern vom Karmel. Diese Kongregation gehört organisatorisch nicht direkt unserem Orden an, lebt aber aus der gleichen Spiritualität und ist mit uns befreundet. Die Marienschwestern wurden 1861 in Linz gegründet. Zurzeit sind 62 Schwestern in dieser apostolisch-kontemplativen Kongregation in Österreich tätig.
Gefragt werden wir immer auch – insbesondere von Jugendlichen – nach unserem täglichen Miteinander, nach den Regeln und dem Tagesablauf.
Hierüber informiert eine eigene Texttafel in der Ausstellung. Natürlich sind nicht alle Tagesabläufe gleich. Es gibt örtlich spezielle Notwendigkeiten bei der Tagesstruktur zu berücksichtigen. Immer aber hat das bei Teresa von Ávila beschriebene Innere Gebet seinen Platz. Es ist ein besonderer Ausdruck Teresianischer Spiritualität. Es ist der ganz persönliche freundschaftliche Austausch mit Gott. Hierfür finden Sie sogar eine Anleitung mit einem Grundrezept von sechs Punkten und mit der Empfehlung, dieses direkt auszuprobieren, zum Beispiel in unserer Kirche in Wien-Döbling.
Charisma
Bei allem ist uns wichtig, über das Charisma unserer Ordensgemeinschaft etwas zu vermitteln. Dazu haben wir im Zentrum des Ausstellungsraumes Gelegenheit. Dort treffen wir auf eine große Lichtsäule, die das symbolische Zentrum der Ausstellung bildet und die drei Elemente der Karmelspiritualität erklärt. An dieser dominanten Lichtsäule mit den drei Elementen: Gemeinschaft – Gebet – Gaben erfahren wir alles Wesentliche über unsere Ordensspiritualität. Vielleicht ist das Ordenscharisma am intensivsten dargestellt durch die drei Hauptexponate, nämlich durch das Kaffeehäferl, den Kristall und das Herz. Diese Gegenstände, in drei Vitrinen präsentiert, mögen uns zunächst überraschen. Dann erfahren wir aber, was diese Exponate mit dem Charisma des Ordens zu tun haben:
Die drei Hauptexponate
Gemeinschaft (Kaffeehäferl)
Das Kaffeehäferl ist Zeichen für gemeinschaftliches Miteinander. Man kann die Freundschaft mit Gott nicht allein leben. Deshalb hat das Teresianische Charisma eine ausgeprägte Gemeinschaftsdimension. Da wir alle Kinder des einen Gottes sind, sind wir insofern Brüder und Schwestern. So wie wir den Glauben nicht als Einzelne leben können, so können wir auch nicht auf die geschwisterliche Gemeinschaft verzichten. Hier macht Teresa von Ávila noch einen wichtigen Zusatz: Auf die Gemeinschaft mit ihren Freuden und Plagen, ergänzt sie. Das alles brauchen wir im täglichen gemeinsamen Leben, um der Berufung zu Freunden Gottes gerecht zu werden. Denn Teresa weiß natürlich um den untrennbaren Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe. So schreibt sie in der Inneren Burg einmal: „Ob wir Gott lieben, kann man nie wissen (auch wenn es deutliche Anzeichen gibt, um zu erkennen, ob wir ihn lieben), die Liebe zum Nächsten erkennt man aber sehr wohl. Und seid sicher: Je mehr ihr euch da vorankommen seht, umso mehr tut ihr es in der Gottesliebe.“6
Teresa lädt ihre Mitschwestern ein, mit Freude ihren Weg zu gehen, denn von traurigen Heiligen hält sie nichts. Diese Freude ist ein Weg, den man das ganze Leben gehen muss, sagt sie. Vor allem den jungen Menschen empfiehlt sie diesen Weg. Wörtlich sagt sie: „Hört nicht auf, freudig voranzugehen“.7
Abb. 5: Eines der drei Hauptexponate der Karmelausstellung © ÖOK/Elisabeth Mayr-Wimmer
Gebet (Kristall)
Teresa hatte eine außergewöhnliche Begabung, ihre inneren Erfahrungen anschaulich und psychologisch sehr genau und einfühlsam zu beschreiben und andere auf dem Weg zu begleiten. In ihrem letzten Werk „Die innere Burg“ gibt sie eine systematische Darstellung der Phasen, durch die sie in ihrer eigenen Entwicklung gegangen ist. „Ich möchte unsere Seele als eine Burg betrachten, die ganz aus einem Diamanten oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind.“8
So ist es ein Symbol für die einzigartige Würde unserer Seele. Teresa betrachtet unsere Seele wie eine aus einem sehr klaren Kristall bestehende Burg, in der es viele Gemächer gibt. Hier steht der Kristall für diese so strahlend schöne Burg. Das Eingangstor zu dieser Burg ist das Innere Gebet und die Kontemplation. Teresa hält das innere Beten für nichts anderes als das Verweilen bei einem Freund, mit dem wir gern zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein und von dem wir sicher wissen, dass er uns liebt.
Mit diesem Bild beschreibt Teresa den Weg der Seele zu Gott. Denn wie ein König im innersten Palast seiner Burg wohnt, so wohnt Gott im Innersten der menschlichen Seele und wie ein Bräutigam sich mit seiner Braut vereinen möchte, so möchte Gott sich mit der Seele vereinen. Doch der Mensch weiß nichts von diesem großen Reichtum in seinem Inneren. Er treibt sich außerhalb der Burg herum und kennt sich selbst nicht. Erst wenn er bereit ist, sich nach innen zu wenden, beginnt der Weg.
Das innere Gebet braucht keine vorgefertigten Texte. Es ist Begegnung mit Gott auf einer persönlichen Ebene. Aber mit diesem persönlichen Freund werden manche Besucher unserer Ausstellung ihre Schwierigkeiten haben, wie vielleicht auch mit dem Gebet überhaupt. Vielleicht ist für sie auch überhaupt fraglich, wie die moderne Welt der Wissenschaft und Technik mit Gottes Offenbarung in Einklang gebracht werden kann. Aber vielfach sind die religiösen Vorstellungen vage.
Weitgehend hält man nicht mehr für möglich, dass Gott ansprechbar ist, dass er handelt und hören kann. Da hört man zuweilen: Da gibt es irgendetwas, eine höhere Macht, eine kosmische Energie. Fragen wir uns: Können wir unsere Erfahrungen mit einem persönlichen Gott den Skeptikern vermitteln? Können wir einen Weg zeigen, einen Unsichtbaren als unseren Freund zu entdecken? Auch im Kloster gibt es nur indirekte Erfahrungen mit Gott. Aber sein Wirken können wir erspüren.
Johannes vom Kreuz zeigt uns dafür einen Weg. Er macht uns klar, dass die eigentliche Kraft von Gott ausgeht, denn er wirkt in unser Herz hinein, indem er uns Glaube, Hoffnung und Liebe schenkt. Er ist der Hauptaktive, während wir nur unser Herz zu öffnen brauchen, vor allem, indem wir uns von manchem Überflüssigen befreien.
Wenn wir tief in unser Herz hineinhören, erspüren wir Gott. Er sehnt sich nach uns, er möchte mit uns Gemeinschaft haben. Er kennt jede und jeden von uns ganz genau, er hat sogar einen Plan für jede und jeden von uns. Aus dieser Erkenntnis heraus ist für Teresa das Gebet wie ein Gespräch mit einem Freund. Sie kann ihm alles sagen, alle Gefühle, alle Sorgen, alle Zweifel, weil er mitfühlend ist.
Gaben (Herz)
Blicken wir auf das Herz in der dritten Vitrine: Was es damit auf sich hat, erklärt uns niemand besser als Thérèse vom Kinde Jesus in ihrer Selbstbiografie: „Ich begriff, dass, - wenn die Kirche einen aus verschiedenen Gliedern bestehenden Leib hat, ihr auch das notwendigste, das edelste von allem, nicht fehlt – ; ich begriff, dass die Kirche ein Herz hat und dass dieses Herz von Liebe brennt. Ich erkannte, dass die Liebe allein die Glieder der Kirche in Tätigkeit setzt, …..“9 Die Liebe, symbolisiert durch das Herz, ist also die eigentliche Antriebskraft, die Erneuerung und Veränderung schafft. Das bestätigt uns Jo. 3,16 „...denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das Ewige Leben hat.“ Er sucht Beziehung zu uns. Seine Liebe zu uns Menschen ist wie die zu Freunden.
Die Karmel Heiligen zeigen uns, was in unserem Leben wirklich wichtig ist: Wir sollen das letzte Ziel unseres Lebens nicht aus dem Blick verlieren. Wenn wir Gott auf unsere Weise entsprechen wollen, so müssen wir vor allem Liebe zu unseren Mitmenschen und zu Gott selbst zeigen. Das tun wir durch unser Apostolat.
Abb. 6: Einblick in die Karmelausstellung in der Karmelitenkirche in Wien-Döbling © ÖOK/Elisabeth Mayr-Wimmer
Der Teresianische Weg
Teresa und Johannes wissen, dass der Weg, uns Gott anzugleichen, ein langer Weg sein wird. Es wird ein Prozess der Läuterung und Umformung sein, der das ganze Leben lang dauert, bis zu diesem Ziel. Diese beiden großen Kirchenlehrer eröffnen uns Wege zu diesem Ziel. Sie sind überzeugt, dass wir diesen Weg nicht allein gehen. Denn es geht um eine Liebesbeziehung, die von Gott ausgeht; und er ist immer schon unser Freund. Unsere Sache ist es, in diese Beziehung allmählich hineinzuwachsen. Gott schenkt uns die Kraft dazu.
Teresa und Johannes werden nicht müde, uns immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass der, der uns seinem Bilde ähnlich erschaffen hat, nicht nur ein unfassbares Interesse an uns hat; er will sogar Gemeinschaft mit uns haben, indem er uns in seiner Nähe haben will, für immer mit uns leben will. Wie sehr muss er von Liebe zu uns Menschen erfüllt sein, dass er unser Menschsein für immer angenommen hat. Das ist der tiefe Grund, weshalb er nicht mit Untertanen leben will, sondern mit Freunden, die zu ihm passen. Dementsprechend heißt es im ersten Johannesbrief auch: „Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden…“ (1 Joh 3,2). Das versteht Johannes vom Kreuz so, dass wir bereits in unserem irdischen Leben unser Denken und Handeln immer mehr Gott anpassen, dass wir vor allem eine immer stärkere Liebe zeigen, die der seinen ähnlich wird.
Aber sind wir – mit Blick auf die heutige Welt – nicht weit davon entfernt? Ist diese Welt – damals wie heute – nicht voller Unheil? Deshalb ist Johannes überzeugt, dass mehr Verwirklichung des Göttlichen in uns, der Liebe, unseren freien Willen erfordert. Wir dürfen mit der Gnade Gottes mitwirken, so dass wir uns allmählich in das Reich Gottes einleben, von dem Jesus gesagt hat, dass es bereits begonnen hat. Wir können fähig werden für das Reich Gottes.
Wie erwirbt man und wie pflegt man diese Freundschaft mit Gott?
Für uns Karmeliten ist das Leben Jesu auf Erden ein lebendiges Vorbild. Er zeigt Güte, Demut, Sanftmut, Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Friedensliebe, alles Haltungen, die er seligpreist. Für diesen Weg Jesu werben wir.
Statt Ungerechtigkeit zu unterstützen, treten wir für ein gerechtes und friedliches Leben ein. Statt sich rücksichtslos durchzusetzen, versuchen wir Sanftmut zu üben, Verständnis zu haben. Statt Schätze anzuhäufen, üben wir den Geist des Teilens und kämpfen für die Würde der Schwächsten.
Bereitschaft und Vertrauen
Leuchtende Vorbilder im Karmel für die kontemplative Lebensform sind unsere großen Ordensheiligen. Jede und jeder kann ein kontemplativer Mensch werden, wenn er seine Zustimmung gibt zu dem Plan, den Gott für ihn hat. Mehr ist nicht nötig, aber auch nicht weniger. Sein Bemühen geht dahin, nicht weiter unverrückbar an seinen eigenen Vorstellungen festzuhalten, sondern seine bisherigen Prinzipien, Vorurteile und Gewissheiten zu überdenken. Die Bereitschaft, zu einem gottgemäßen Leben, der Entschluss, sich dem Wesen Gottes mehr und mehr anzupassen, bedeutet nicht, ein ungetrübtes Leben führen zu können, auch bei unseren Heiligen nicht.
Wir begegnen bei einigen von ihnen der „Dunkelheit des Glaubens“:
Was ist unter dieser Dunkelheit des Glaubens zu verstehen? Wo ist die Freundschaft mit Gott in solcher Dunkelheit? Diese Frage ist vor allem dann drängend, wenn das Nichtverstehen einen Menschen trifft, der bis dahin die Nähe Gottes ganz intensiv erfahren hat und sie nun nicht mehr spürt. Es ist, als ob der göttliche Freund nicht mehr erreichbar wäre. In solchen Anfechtungen hilft das unerschütterliche Vertrauen, dass sich eine Tür der Hoffnung öffnet. Es ist, als ob wir durch eine enge Schlucht gehen, aber mit dem sicheren Gefühl, dass unser göttlicher Freund uns immer begleitet – entgegen allem äußeren Schein der Verlassenheit.
Immer wird uns aber die Frage bedrängen, warum uns der Freund durch diese schmerzvolle Schlucht schickt. Diese Frage haben sich auch unsere großen Ordensvorbilder gestellt. Johannes vom Kreuz sieht das als verlorene Wärme empfundene Dunkel in Wahrheit sogar als Zeichen verstärkter Zuwendung; als eine notwendige Etappe auf dem Weg unseres spirituellen Erwachsenwerdens: „Diese Nacht und Läuterung […] bringt dem Menschen so große Güter und Vorteile […], dass man sich […] im Himmel darüber freut, weil Gott diesen Menschen aus den Windeln herausnimmt, ihn von den Armen herablässt und auf eigenen Füßen laufen lässt.“10
Denn Gott entzieht uns seine Freundschaft zu keiner Zeit. Es ist eine Prüfung, sie soll uns zu einer Standortbestimmung veranlassen, ob wir dem Plan Gottes voll und ganz vertrauen. Wir Menschen möchten immer wieder verstehen können, was um uns geschieht. Wir wollen in alles Dunkle Licht bringen. Wir dürfen aber nie vergessen, dass Gott, obwohl er sich uns offenbart hat, dennoch ein großes Geheimnis bleiben wird. Alle Anfragen zum Leid in der Welt, alle Antworten auf die Frage, warum Gott selbst den Weg des Leidens geht, stoßen an die Grenzen unseres Verstehens.
In solchen Schwächephasen ist es in der Ordensgemeinschaft wichtig, einander zu stärken und im gemeinsamen Gebet Kraft zu schöpfen und auch sich darüber zu informieren, wie andere Ordensbrüder und -schwestern solche Phasen gemeistert haben.
Zu unserem Apostolat gehört es auch, dass wir Menschen in Lebenskrisen jeder Art beistehen. Wenn Menschen das Gefühl haben, alles um sie herum bricht zusammen, dass sie keinen Ausweg sehen, dass sie sich in tiefer Verzweiflung befinden, dann ist es unser großes Anliegen, diesen Menschen zu helfen, ihnen „Freund“ zu sein und zugleich auch zu zeigen, dass sie einen göttlichen Freund haben, der ihnen immer zur Seite ist, auch dann, wenn sie den Blick dafür erst wieder finden müssen.
Kurzgefasst, entspricht bei aller Zerbrechlichkeit, aller Unvollkommenheit allen Enttäuschungen und Verwirrungen eine von Hoffnung und Vertrauen getragene positive Lebenseinstellung dem Charisma unserer Ordensgemeinschaft.
Die positive Lebenseinstellung unseres Charismas:
400 Jahre Teresianischer Karmel in Österreich
400 Jahre Freundschaft mit Gott im und durch den
Teresianischen Karmel
Ich hoffe sehr, dass diese Ausstellung den Besuchern einen gesamten Eindruck vom Karmel vermittelt. Die Spiritualität des Karmel ist zwar mystisch, aber unser Versuch ist es immer, die Menschlichkeit auszustrahlen, Freundschaft zu schließen. Das Faszinierende an Teresa waren nicht die außergewöhnlichen Ereignisse ihres Lebens, sondern das wirklich Beeindruckende war ihre warme Menschlichkeit.
Teresa ist schlicht, natürlich und herzlich. Sie ist fähig, auf andere Menschen zuzugehen und Freundschaft zu schließen. Teresa hat ein großes Herz und sie setzt es ein. Dabei ist sie weder verträumt noch sentimental. Im Gegenteil, sie steht auch als Mystikerin fest auf dem Boden der Realität, ist entscheidungsfreudig und voll Energie. Einfach und vertrauensvoll kommt sie jedem entgegen, der ihr begegnet, und jeden nimmt sie als Menschen radikal ernst. Teresa verlangt viel von sich, aber auch von den anderen, was an der Leitung ihrer Klöster besonders sichtbar wird. Sie weiß ja selbst am besten, was es bedeutet, wenn man sich in einem von Lauheit zumindest bedrohten Konvent der allgemeinen Stimmungslage widersetzt und ernsthaft nach Vollkommenheit strebt.
Sie wacht streng darüber, dass die Ordensregel eingehalten wird. Sie duldet keine verweichlichenden Milderungen. Gleichzeitig lehnt sie aber auch alle übertriebenen Bußübungen entschieden ab. Es gehört zum Geheimnis ihrer Menschenführung, dass sie, die Wiederentdeckerin der ursprünglichen Regel des Karmel, keinerlei Rigorismus duldet.
Teresa war von einer heiligen Eile getrieben, hinauszugehen auf die Wege ihrer Zeit mit dem Evangelium in der Hand und dem Heiligen Geist im Herzen. Wörtlich sagt sie: „Die Welt steht in Flammen! […] Und da sollen wir keine Zeit vergeuden […]. Nein, meine Schwestern, nein, es gibt keine Zeit, um mit Gott über Geschäfte von wenig Bedeutung zu verhandeln“.11 Damit bestärkte sie noch einmal die Maxime ihres Lebens, immer neu voranzugehen. Als Kirchenlehrerin darf sie auch uns diese Ermahnung mitgeben.
Auf vielen Wegen kann Gott die Seelen zu sich führen. Der sichere Weg aber ist das Gebet. Auf diesem Weg voranzugehen, das empfiehlt uns Teresa, und zwar, ohne anzuhalten bis zum Ende. Am Anfang dieses Weges mag unsere eigene Anstrengung und unsere Leistung uns bedeutsam erscheinen. Aber irgendwann erkennen wir, dass wir das Entscheidende gar nicht selbst tun können, auch nicht tun müssen, sondern es uns schenken lassen dürfen. So werden wir immer bereiter sein für das, was Gott an uns tun will, aber auch bereiter sein für das, was er durch uns wirken will.
Teresa sagt es so: Deine Augen sind es, durch die Christi Erbarmen auf diese Welt blicken will. Dieser lange Weg stellt einen Prozess dar, der einen Preis hat: Teresa hat dafür das Bild einer Seidenraupe. Mit diesem Bild möchte ich meine Ausführungen schließen. Die Seidenraupe muss sich selbst den Kokon weben, in dem sie stirbt, um eines Tages als schöner Schmetterling herauszuschlüpfen. Für Teresa ist dies ein Bild für unsere Umwandlung in Christus: „Sobald nun die Raupe ausgewachsen ist, beginnt sie die Seide hervorzubringen und das Haus zu bauen, in dem sie sterben soll. Dieses Haus aber – so möchte ich hier klarmachen – ist Christus.“
Worin gleichen wir Menschen der Seidenraupe? Wenn wir unseren Kokon weben, dann wirken wir mit Gott mit. Das heißt aber nicht, dass wir das Leid suchen, aber während wir weben, weichen wir dem Leid nicht aus. Wir verstehen es als Chance zur inneren Reifung. So drückt es Teresa wörtlich aus. Wir werden unsere irdische Raupenhülle zurücklassen und zu herrlichen Schmetterlingen gewandelt. Gibt es ein schöneres Bild für die Auferstehung?
Ich danke Ihnen, dass Sie mit mir auf Wegen und Spuren des Teresianischen Karmel gegangen sind. Wir wünschen Ihnen dann und auch bei einem späteren Besuch Zeit zum Verweilen und zum Eintauchen in die Atmosphäre unseres Charismas. Dankbar sind wir, wenn der Besuch bei 400 Jahre Freundschaft mit Gott Ihr Interesse für unsere Lebensweise findet und die Erkenntnis gestärkt wird: Gott ist und bleibt unser Freund.
Prior P. Paul Saji Bavakkat OCD wurde 1975 in Kerala in Indien geboren. 1996 trat er in den Karmelitenorden ein, die Priesterweihe folgte 2004. Er wirkte im Priesterseminar und als Rektor einer Klosterschule. Sein weiterer Weg führte ihn 2007 für neun Jahre nach Deutschland, wo er im Bistum Essen drei Jahre als Kaplan und weitere sechs Jahre als Pfarrer sowie als Prior des Karmelitenklosters Dilldorf tätig war. 2016 kam P. Paul Saji nach Österreich, um an der Katholischen Universität Linz im Fach Kirchenrecht ein weiterführendes Studium zu beginnen. Seit 2017 ist er Prior und im Provinzrat der Karmeliten in Österreich.
Kontakt: linz@karmel.at
1 Dominicus A JESU MARIA: Geistreiche Lehrsprüche, Dritter Teil: Der Weg der Vereinigung. Übersetzt aus dem italienischen Original (Sententiario spirituale, Rom 1676) (Prag 1776) 82.
2 https://www.karmelocd.de/geschichte-und-spiritualitaet/wer-wir-sind.html [Zugriff: 14.10.2022].
3 https://www.katholisch.at/aktuelles/138856/reliquienschrein-der-theresia-von-lisieux-tourt-durch-sterreich [Zugriff: 11.10.2022].
4 https://www2.karmel.at/Kloester/Karmelitenkonvent-Wien/Aktuelle-Nachrichten/Was-ist-das-Skapulier [Zugriff: 14.10.2022].
5 Philippe DE JESUS-MARIE OCD, Das Geheimnis des Karmel (Wien 2010) 23. (Zitiert nach Elisee Alford, Le scapulaire du Carmel (Toulouse1958) 12.
6 Ulrich DOBHAN OCD–Elisabeth PEETERS OCD (Hg.), Teresa von Ávila, Wohnungen der Inneren Burg, Fünfte Wohnung, 3,8 (2005) 200.
7 Ulrich DOBHAN OCD–Elisabeth PEETERS OCD (Hg.), Teresa VON ÁVILA, Teresa von Ávila, Noch nie habe ich euch so geliebt wie jetzt, Briefe-Band 2, 284, 4.
8 Ulrich DOBHAN OCD–Elisabeth PEETERS OCD (Hg.), Teresa VON ÁVILA, Wohnungen der Inneren Burg, Erste Wohnung, 1,1 (2005) 78.
9 Thérèse VON LISIEUX, Selbstbiographie, Handschrift B,(Einsiedeln 2009) 200.
10 Ulrich DOBHAN OCD–Elisabeth HENSE–Elisabeth PEETERS OCD (Hg.). Johannes VOM KREUZ, Die Dunkle Nacht, Band I (Freiburg‒Basel‒Wien 1995) 75–76.
11 Ulrich DOBHAN OCD–Elisabeth PEETERS OCD (Hg.), Teresa VON ÁVILA, Der Weg der Vollkommenheit 1,5 (Freiburg 2015) 1071.