Richtig verbunden!
„Wir verstehen uns nicht als Rückzugsort, sondern als Ausgangspunkt für Kommunikation. Meine Lieblingsbeschäftigung ist es, Verbindungen herzustellen und Menschen zusammenzubringen, die einander gut tun“.1
Dieses Zitat, das in der Ausgabe der Ordensnachrichten 3/2021 – treffenderweise mit dem Titel #gemeinsamarbeiten – beim Jubiläums-Portrait des Augustiner-Chorherrenstiftes St. Florian abgedruckt ist, ist bei uns im Stift sozusagen Programm. Und diese Verbindungen sind vielfältig. Nach innen im „Kosmos“ Stift und genau so auch nach außen.
Erzabt Korbinian Birnbacher, Erzabt von St. Peter und Vorsitzender der Österreichischen Ordenskonferenz, hat auf dem Ordenstag im November 2020 in seinem Beitrag auf die Relevanz der Orden und Klöster in der heutigen Zeit hingewiesen. Klöster und Orden spielen nach wie vor im Leben vieler Menschen eine Rolle und sind weder out noch passé.2
Dass vielen in der Bevölkerung die Welt der Klöster heute vielleicht schon fremd geworden ist, ist ebenso zu konstatieren. Die folgenden zwei Beispiele aus dem Augustiner Chorherrenstift St. Florian sollen auf diesem Hintergedanken aufbauend verschiedene Zugänge der Zusammenarbeit und Verbindung zeigen.
Abb. 1: Luftaufnahme Stift St. Florian © Stift St. Florian/Werner Kerschbaummayr
Das erste Beispiel ist ein (mittlerweile erfolgreich abgeschlossenes) Dissertationsprojekt aus den Kunstsammlungen des Stiftes – konkret aus dem Bereich der Grafiksammlung und schildert die enge Zusammenarbeit der Augustiner Chorherren von St. Florian mit einer Restauratorin und einer Studierenden bzw. Mitarbeiterin.3 Das zweite Exempel ist eine Formulierung des Zuganges der Kulturvermittlung im Stift und die Neuerarbeitung von Kulturvermittlungsprogrammen zunächst für Kinder und Jugendliche und in weiterer Folge auch für Erwachsene – ein Beispiel der Zusammenarbeit der Chorherren mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kulturvermittlung.
1. Mit christlichen Gütern leben… Die Kunst als Lebenswelt der Augustiner Chorherren
Die Sammlungen eines Stiftes, und so auch die Kunstsammlung, kommen durch das private Engagement der Pröpste und Chorherren in der jeweiligen Amts- und Wirkungszeit zustande, sowohl durch die Überlassung persönlicher Gegenstände und Sammlungen als auch durch das persönliche Vorantreiben von Kunstprojekten und der Vergabe von Aufträgen.4 Zugegeben, die Zusammenarbeit von Orden bzw. Klöstern und wissenschaftlichen Institutionen wie Universitäten etc. zur Erarbeitung der Bestände ist keine Besonderheit und wird vielerorts sehr erfolgreich praktiziert. Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich allerdings sozusagen um die Befragung der Meta-Ebene. Denn als Fragestellung behandelt die Arbeit als Fallstudie die Eigenheiten der St. Florianer Stiftssammlung und beschreibt auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse den allgemeinen (Sammlungs-)typus.
Der Studie mit dem Titel: „Sammlungsgeschichte(n) zur Grafik. Die Grafiksammlung des Stiftes St. Florian. Eine Stiftssammlung im Spannungsfeld zwischen privatem Interesse und öffentlichem Auftrag“ 5 stellte ich ganz zu Beginn ein Zitat des Hirnforschers Manfred Spitzer6 voran: „Was den Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen“.7
Der folgende Teil des ersten Kapitels ist der Einleitung der 2020 eingereichten Dissertation entnommen – eine Hinführung zur Kunst als Lebenswelt im Stift St. Florian:8
Was hat mich in den letzten Jahren umgetrieben? Wie passen diese Worte des Hirnforschers Manfred Spitzer zur vorliegenden Abhandlung und was hat die Aufarbeitung der Grafiksammlung in einem oberösterreichischen Barockstift mit Gefühlen und Geschichten zu tun?
Fragen über Fragen … Für die Beantwortung dieser Themen und für die Formulierung meiner einleitenden Worte habe ich das oben genannte Zitat ein wenig adaptiert. Ich habe der These die Schärfe des Gegensatzes genommen. Ich behaupte, es sind nicht nur die Fakten und Daten, die den Menschen umtreiben, und es handelt sich auch nicht in entgegengesetzter Weise nur um Gefühle und Geschichten, die den Menschen beschäftigen, sondern es ist die Kombination all dieser Faktoren, die den Menschen faszinieren. Es ist kein „nicht … sondern“, kein „entweder … oder“, sondern ein „sowohl … als auch“. Das, was den Menschen fasziniert, kann manchmal nicht rein strukturell und mechanisch ausgedrückt werden, es sind oft keine thematisch-logischen Zahnräder, die ineinandergreifen, sondern Einzelteile eines Organismus, die ein Ganzes konstruieren. Ein Ganzes, das bei zahlreichen Fragestellungen in seiner Gesamtheit mehr ist als die bloße Summe seiner Teile.
Dieses Zusammenspiel aus faktischem Wissen oder dem, was wir auch Tatsachen nennen, und dessen, was dieses Wissen konstituiert, ist für manche Themen bzw. Fragestellungen besonders fruchtbar. Daten und Fakten sind in gewisser Weise immer Wissen von jemandem für jemanden. Es ist immer Wissen von Menschen für Menschen. Ich möchte mich nicht zu weit auf das Terrain der Wahrnehmungsphilosophie vorwagen, doch ein Gedanke scheint mir an dieser Stelle zentral: Sollten die Zahlen, Daten und Fakten auch ohne die Wahrnehmung von uns Menschen existent sein (können wir es wissen?), so sind sie in diesem Augenblick wohl für uns nicht relevant. Sie sind sozusagen abstrakt. Manchmal ist dies zur Beantwortung von speziellen Fragestellungen aber nicht genug bzw. scheint in vielen Fällen die reine Benennung und Bezeichnung von Umständen, das Messen, Zählen und Abwägen von Fakten nicht ausreichend und befriedigend zu sein. Um Zusammenhänge näher zu schildern und Gesetzmäßigkeiten abzubilden, ist der Mensch immer wieder versucht, die Dinge für sich greifbar zu machen. Das mag einer der Gründe sein, warum uns die Geschichten, die die Hintergründe für diese Fakten und Tatsachen bilden, faszinieren. Vielleicht auch, weil wir Menschen in dieser Weise die Daten so besser an- und be-greifen können und die allgemeinen Dinge für uns dadurch immer konkreter und somit verständlicher werden.
Die Schwerpunkte zwischen, verkürzt gesagt, Fakten und Geschichten, sind zu verschiedenen Zeiten, zu verschiedenen Anlässen und für verschiedene Vorhaben unterschiedlich gewichtet gewesen und sie sind es auch in der Gegenwart noch. Dieser Umstand ist für die Bereiche der Einzelwissenschaften sinnvoll und notwendig. Beide Stränge greifen aber stets ineinander.
Dies sind einige Gedanken und Gründe, warum das genannte Zitat als guter Ansatzpunkt für die Studie erscheint. Ich beschäftigte ich mich kurz gesagt mit einer Sammlung und deren Geschichte. Dabei waren viele Hintergründe und Zwischentöne von großer Bedeutung: das Sammeln selbst, die Bearbeitung, die verschiedenen Ordnungen, die Weiterführung, die Auflösung, das Verständnis der Sammlung, die Vermittlung, etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Und es beschäftigten mich auch vor allem die Geschichten und Hintergründe rund um diese Thematik.
Von zentralem Interesse waren und sind die Besonderheiten einer Sammlung. Die Besonderheiten oder, anders formuliert, die verschiedenen Parameter, die die Sammlung in der Vergangenheit konstituierten und dies in der Gegenwart noch immer tun. Ich möchte mich davor hüten, dezidiert vom Wesen einer Sammlung zu sprechen,9 doch kann diese Frage nach der Wesenhaftigkeit in verkürzter Weise durchaus hilfreich sein. Nämlich dann, wenn „Wesen“ im Sinne einer allgemeinen und bleibenden Bestimmtheit verstanden wird. Für diese Deutung des Wesens wird in der philosophischen Tradition auch die Bezeichnung Essenz verwendet. Und diese Essenz, das Sosein, ist auch das, nach dem mit „Was ist das?“ gefragt wird. Und genau diese Frage „Was ist das?“ hat mich umgetrieben.
Dass das Thema der Stiftssammlungen, deren Genese und Entwicklung eine stark mit konkreten Personen verknüpfte Thematik ist, liegt vielleicht in vielerlei Hinsicht auf der Hand. Bei vielen verschiedenen Sammlungen spielen spezielle Persönlichkeiten eine tragende Rolle, im kirchlichen Bereich und noch konkreter bei Stiften. Die Bezeichnung Stiftssammlung oder auch im Plural Stiftssammlungen wird in Österreich häufig verwendet, auf Homepages ebenso wie in Referaten, in Ausstellungskatalogen oder vor allem auch im täglichen Sprachgebrauch. Bei genauerer Analyse, oder anders formuliert: bei näherem Hinschauen, erweist sich der alltagssprachlich gebrauchte Terminus aber als nicht konkret bestimmt.
Genau hier setzten meine Überlegungen an. Ganz im Sinne der scheinbar simplen Frage nach dem „Was ist das eigentlich?“ – Was ist die sogenannte Stiftssammlung/Was sind die sogenannten Stiftssammlungen?
Im Fokus war vorerst eine Teilsammlung einer umfassenden Stiftssammlung, die aber als Pars pro Toto vom konkreten Beispiel auf die größere Gesamtheit verweist. Man könnte dieser Teilsammlung also prototypischen bzw. modellhaften Charakter zusprechen.
Ausgangspunkt waren die Daten und Fakten der Objekte einer Sammlung, die sich bei näherem Betrachten immer mehr mit den Geschichten zu verflechten begannen. Der Beitrag dieser Studie ist neben der Aufarbeitung eines Teiles der Grafiksammlung des Stiftes St. Florian im Besonderen auch das Zeigen und Aufzeigen dieser Verwobenheit und der damit verbundenen Besonderheiten der Sammlung(en). Ziel des Vorhabens war sozusagen ein Benennen der Parameter der Sammlung(en) und ein Zeigen dessen, was der Sammlung genuin, also wesentlich, ist.
Auf Basis dieser genannten Gedanken wurden die Überlegungen in der Studie genauer formuliert und das Vorhaben konkretisiert. War dies eine mögliche Zielsetzung oder blieb es bei einem Versuch? Kann man das Wesentliche einer Sammlung überhaupt in Worte fassen? Und wenn ja, wie kann das gelingen?
Abb. 2: Adlerbrunnen im Stift St. Florian © Stift St. Florian/Andreas Etlinger
Zunächst galt es festzuhalten, dass die Tätigkeit des Sammelns an sich im Stift St. Florian eine lange Tradition hat. Kunstgegenstände, Objekte des Kunstgewerbes, Musikinstrumente oder auch Gegenstände aus den naturwissenschaftlichen Disziplinen haben sich wie in vielen sakralen Einrichtungen aufgrund des liturgischen Gebrauches, der Verehrung von Heiligen, aus Repräsentationszwecken oder auch zu Schulungs- und Lehrzwecken an einem Ort zunächst zu einer Ansammlung und erst später zu mehr oder weniger geordneten Sammlungen konstituiert. Bevor man aber beim Thema Sammlungen an die Kunstgegenstände im „klassischen“ Sinn denkt, fällt einem an einem Ort wie St. Florian als Erstes auch die umfangreiche Bibliothek ins Auge. Diese wurde als Zeugnis der Dokumentation und Bewahrung von Wissen geschaffen und dann über die Jahrhunderte weitergeführt. Auch die verwendeten Ordnungssysteme, die in der späteren Zeit auf die Sammlungen übertragen wurden, haben hier ihren Anfang genommen. Die Bibliothek ist somit quasi eine der ursprünglichsten Sammlungen, die große Bedeutung für das Stift und die weiteren Sammlungen hatte.10 Man kann im Stift St. Florian sogar von einer Verschränkung von klassischer Bibliothek und Sammlungen mit eigenem Charakter sprechen – eine enge Verbindung, die für uns mit dem heutigen Verständnis der Wissenschaften auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz alltäglich erscheint, in ihrer Entstehungszeit Mitte des 18. Jahrhunderts aber des Öfteren praktiziert wurde. Wie andernorts auch erlebte diese Symbiose im Laufe der Geschichte verschiedene Formen der Zusammenarbeit, letztere ist auch heute noch sehr eng. Dieser Umstand hängt vor allem mit dem Selbstverständnis der Chorherren im Haus, deren Verhältnis zu den Kunstgegenständen, zu den Sammlungen und zum Begriff der Kunst im Allgemeinen zusammen.
Abb. 3: Kustos der Sammlungen Mag. Harald R. Ehrl CanReg in der Barockgalerie des Stiftes
© Stift St. Florian/Werner Kerschbaummayr
Gerade das Selbstverständnis der St. Florianer Chorherren, die Verbundenheit zu („ihrer“) Kunst in Geschichte und Gegenwart spielt bei der Frage nach dem, was die Stiftssammlung ausmacht, eine zentrale Rolle.11 Eine These, die an dieser Stelle vorweggenommen werden darf, ist, dass in St. Florian die Integration der Kunstsammlungen in den Bereich der Bibliothek Auswirkungen auf dieses Selbstverständnis im Umgang mit der Kunst und den Kunstsammlungen hatte und immer noch hat. Es handelt sich bei dieser Verschränkung nämlich sowohl um eine räumliche Verbindung der Bibliothek mit einer Schaugalerie, wie die beeindruckende Neubauanlage des Stiftes Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt, als auch um eine inhaltliche bzw. organisatorische, da die Sammlungen und das Stiftsarchiv verwaltungstechnisch in den Bereich der Stiftsbibliothek fallen. Diese enge Verbindung ist natürlich keine dezidierte Besonderheit von St. Florian. Dass diese Thematik gegenwärtig interessiert, zeigt sich beispielsweise am Forschungsstand zur Sammlungsgeschichte und zu einzelnen Privatsammlungen allgemein. In gewisser Weise sind die Tätigkeiten des Sammelns, der Reflexion und der Beforschung immer kontextgebunden. Man könnte sagen, die Kunst- und Sammlungsgeschichte ist immer (auch) eine Geschichte der jeweiligen handelnden Personen. Diese Geschichten sind von Ort zu Ort verschieden und somit individuell.
Bezogen auf das Stift St. Florian hat der Kunsthistoriker Otto Wutzel versucht, die Sammlungsgeschichte nachzuzeichnen, und er konstatiert in seinem Aufsatz zur Entstehungsgeschichte der Kunstsammlungen des Stiftes, dass es zu Beginn kunstsinnige Prälaten waren, die maßgeblich für das Sammeln, die Auftragswerke und quasi für den ganzen Aufbau der (Kunst-)schätze, die man dann auch schon explizit als Sammlungen bezeichnen könnte, verantwortlich waren. Im Laufe der Zeit wurden die einzelnen Bereiche dann von separaten Kustoden verwaltet.12 Dies war besonders im 19. Jahrhundert der Fall, als die Historikerschule von St. Florian ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung entfaltete und sich mehrere Chorherren rege der Erforschung der österreichischen und regionalen Geschichte widmeten. Die Kunstsammlungen haben hier gewissermaßen forschungs- und betreuungsmäßig Nutzen gezogen, was zusätzlich auch der Tatsache geschuldet war, dass das Stift mit ca. 100 Mitbrüdern zu dieser Zeit den höchsten Personalstand hatte – die Beschäftigung mit der Kunst ist immer im direkten Bezug zur personellen und finanziellen Situation des Stiftes zu sehen.13
Wie wurde bei der jüngsten Untersuchung der Stiftssammlungen genau vorgegangen? Die Studie gliedert sich grundsätzlich in zwei Abschnitte, einen praktischen und einen theoretischen, literaturgestützten Teil. In den konkret-praktischen Kapiteln wurde ein Bereich der traditionellen Grafiksammlung des Stiftes aufgearbeitet. Mit dem Erfassen jener von zwei Teilsammlungen, der Digitalisierung dieser und einer Überarbeitung des Inventarisierungssystems, in das in weiterer Folge alle druckgrafischen Werke aufgenommen werden können, wurde in der Forschungsgeschichte des Stiftes ein Schritt vorwärts gemacht. Wenn man den Umfang der Sammlungen betrachtet, so ist es ein nicht allzu großer, aber es wurde wichtige museale Basisarbeit geleistet, auf der in Zukunft aufgebaut werden kann. Doch die Studie geht darüber hinaus und kann in ihrer Gesamtheit auch als kunstwissenschaftliche Reflexion bezeichnet werden. Ausgehend von der Grafiksammlung des Stiftes, folgte ein Brückenschlag zur Stiftssammlung von St. Florian und weiterführend zur Definition der Stiftssammlung im Allgemeinen.
Es erschien mir wichtig, dass sich die Studie nicht nur auf die Analyse der geschichtlichen Vorgänge konzentrierte, sondern dass im Zuge der Abhandlung auch die derzeitige Situation thematisiert bzw. auf die aktuelle Haltung der Chorherren zu den Kunstschätzen eingegangen wurde. Es ist eine Aktualisierung des Themas, ganz im Sinne eines lebendigen (Ordens-)Hauses, als das sich die St. Florianer Chorherren verstehen, das eben auch Kunst beherbergt, dessen vordergründige Motivation aber nicht die Verwaltung dieses Erbes ist.
Am Anfang meiner Nachforschungen und beim Arbeiten in diesen Bereichen sprachen sich meine Fragestellungen im Stift „herum“ und es kam in der Folge zu einigen informellen Gesprächen, in denen Chorherren auch Wünsche bzw. Anregungen in genau diese Richtung äußerten, was mich in meinem Anliegen bestärkte. Diese Gespräche führten in weiterer Folge auch zu einer besonderen Art der Bearbeitung, die dann in der Auswahl der Methoden abgebildet wurde. Es wurden Themen und Aspekte, Schilderungen und Zugänge dieser informellen Gespräche aufgenommen und es wurde sowohl eine Befragung der Chorherren mittels Fragebögen als auch ein Workshop durchgeführt.
Diese Reaktion, das „Anstoßen“ und das Interesse an dieser Thematik zeigen sich in der Arbeit nicht nur in der Miteinbeziehung dieser genannten quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, sondern ich bin noch einen Schritt weitergegangen: Gewählt wurde ein Zugang zur Aufarbeitung, der aktuell in die wissenschaftliche Arbeit in der Bibliothek und die Kunstsammlungen einfließt bzw. in diesem Umfeld praktiziert wird und der sich möglicherweise aus der engen Verschränkung von Sammlungen, Bibliothek und Stiftsarchiv ergibt. Vielleicht könnte man es als eine Art „narrative Geschichtsforschung“ bezeichnen, ein Erzählen der Hintergründe und Kontexte, basierend auf detaillierten historischen Fakten, verfasst in epischer Sprache, der Narration und der Umgebung genügend Platz einräumend.
Gesammelt wurde im Stift St. Florian schon immer. Und zwar Verschiedenstes – auch Grafik. Wie in den meisten Sammlungen, hier im klösterlichen Umfeld stark ausgeprägt, hängt die Sammlung zentral mit den Vorlieben und den Möglichkeiten einzelner Personen und/oder mit den Umständen in und um die kirchliche Institution zusammen. Pröpste und Kustoden, Freunde, Privatpersonen und Institutionen, spezielle Anlässe und Auftragswerke, Reise-Souvenirs aus aller Welt, Spiel- und Ansichtskarten, Original- und Reproduktionsgrafik, all das konstituiert diese äußerst heterogene Sammlung in St. Florian. Publiziert wurde auch immer über die Kunstwerke im Stift – eine umfassende Arbeit über das gesamte grafische Werk ist bis dato aber nicht erschienen.14
Die Forschungsfragen, die einen roten Faden durch die Arbeit bilden, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
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Wer sammelt und warum?
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Was wurde und wird gesammelt?
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Wie wurde die Sammlung rezipiert?
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Was macht eine Stiftssammlung aus?
Ziel der Studie war die Charakterisierung des Profils der Sammlung, eine Empfehlung zur Integration und zur Aufnahme aller Werke und eine umfassende theoretische Darstellung der Sammlung in Geschichte und Gegenwart sowie darüber hinaus eine Empfehlung zur Dokumentation zu erarbeiten, die auf weitere Werkgruppen angewendet werden kann.
Auf die ganze Arbeit im Detail einzugehen ist im Rahmen dieses Beitrages natürlich nicht möglich und auch nicht sinnvoll, für das Thema der Verbundenheit und der Wirkungskraft darf ich besonders einen Punkt der Conclusio herausheben. Unter den verschiedenen Parametern, die als Eigenheiten der Sammlung formuliert werden konnten stellte sich besonders die Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsbereiche sowohl intern als auch extern als zentral heraus.
Formuliert wurde dies in der Conclusio folgendermaßen: „Die Weiterentwicklung und Weiterbearbeitung der Sammlung sollten als interdisziplinäres Projekt durchgeführt werden.“15
Oder mit anderen Worten: Die erfolgreiche Bearbeitung von derartigen Sammlungen benötigt eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Einerseits, was die Ebene der Sammlungsverantwortlichen bzw. der Chorherren mit fachspezifischen Expertinnen und Experten betrifft, und andererseits betreffend die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Stiften selbst. Mögliche Themen sind hier zum Beispiel bei finanziell knappen Ressourcen eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsabteilung und ähnliches. Bei diesen Gedanken handelt es sich um einen möglichen Ansatz für ein „Further-Research-Projekt“, das im Sinne einer Bewusstseinsbildung von Kulturgüterschutz in der Innen- wie der Außenwirkung angesehen werden kann. Die interdisziplinäre Arbeit an diesen Themen und Fragestellungen ist eine mögliche Reaktion auf fehlende personelle wie finanzielle Ressourcen, durch die einzelnen verwobenen Ebenen im Stift und oft unausgesprochene gängige Praxis. Eine konkrete Definition von einzelnen Projekten, an der mehrere Fachbereiche anknüpfen, ist notwendig. Sie erleichtert die interne Durchführung und die Darstellung nach außen, beispielsweise um potentielle Unterstützer und Geldgeber ansprechen zu können oder um Kooperationsprojekte für die wissenschaftliche Bearbeitung zu ermöglichen.16
2. Mit christlichen Gütern wirken… was wir zu zeigen versuchen.
Als zweites Beispiel folgen die Gedanken zur Kunst und Kulturvermittlung im Stift St. Florian oder anders formuliert: Wie wir versuchen diese „Lebenswelt Kunst“ die ein Teil der Lebenswelt der Augustiner Chorherren ist, zu kommunizieren. Hier handelt es sich vor allem um ein Beispiel interner Zusammenarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Chorherren. Und wie es der Vermittlung genuin ist, ist das Ziel vor allem die Wirkungskraft - nach innen und außen. Im folgenden Abschnitt sind die zentralen grundlegenden Gedanken formuliert, auf denen wir unsere Konzepte sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Erwachsenen aufbauen oder: Wie wir versuchen die Objekte und Kulturgüter zum Sprechen zu bringen.
Abb. 4: Pfarrer Rupert Baumgartner erzählt über ein ganz besonderes „gekauftes Geschenk“ © Stift St. Florian/Werner Kerschbaummayr
Als Einstieg „entführt“ uns der Augustiner Chorherr und emeritierte Pfarrer von St. Florian, Rupert Baumgartner (geb. 1940), in einer Erzählung in die Welt der Kunst: „Das Lieblingsstück“ oder: „Das gekaufte Geschenk“. Er spricht über eines seiner Lieblingsstücke.
„Ich bin 1956 vom Petrinum ins Stiftsgymnasium Schlierbach gewechselt. Dort wurden die Studenten der oberen Schulstufen immer auch in die Glasmalerei zu Gesprächen mit den Künstlern eingeladen, die gerade ein Kunstwerk vollendet hatten.
Die Künstlerin Margret Bilger faszinierte mich besonders. Die Art, wie sie sprach, ihr Aussehen mit schlohweißem Haar und ihren bodenlangen Kleidern, in denen sie durch die Stiftsgänge mehr schwebte als ging. Sie konnte stundenlang still in der Kirche sitzen, das hat mich damals besonders beeindruckt! Sie war für mich der Inbegriff einer überaus sensiblen Frau und Künstlerin.
Umgekehrt war sie offensichtlich über mein Interesse an ihrer Kunst erfreut. Im Maturajahr durfte ich sie jederzeit im Atelier besuchen und sie nahm sich viel Zeit für mich. Frau Bilger arbeitete damals an dem Riesenfenster für die neue Kirche in Hernau in Salzburg, das dort die ganze Altarwand einnimmt. Sie zeigte mir die ersten Entwürfe, berichtete von den schwierigen Verhandlungen, arbeitete oft bis zur Erschöpfung an der Auswahl der Farben für die fast unzählbaren Glasteile. Und dann die Freude als alles vollendet war! Als ich zwei Jahre später als Kleriker des Stiftes in Salzburg zum Philosophiestudium war, konnte ich öfter in der Kirche Hernau das riesige Fenster in seiner ganzen Pracht bewundern.
Ein für mich ganz besonderes Ereignis war es, als Frau Bilger mich fragte, ob sie von mir eine Porträtzeichnung machen dürfte. Natürlich freute ich mich, denn auch für ihre vielen Kohleporträts war sie damals schon sehr bekannt. Ich musste mich an einem späten Nachmittag ans Fenster im Atelier setzen. Sie legte eine Schallplatte mit Schubertliedern auf und dann wurde kein Wort mehr gesprochen. Es dauerte nicht lange und sie hatte zwei Kohlezeichnungen gemacht. Sie fragte mich, welches Porträt mir am besten gefällt. Die Entscheidung fiel mir leicht. Frau Bilger setzte noch eine kurze Widmung darunter und schenkte mir die Zeichnung. Ich hatte große Freude!
Einige Zeit später fragte sie mich, ob sie die Zeichnung noch einmal haben könnte, sie möchte sie auf einer Ausstellung zeigen. Das freute mich!
Dann kam im Juni 1960 die Matura und damit der Abschied von Schlierbach. Ich war gern dort gewesen. Zum Augustinusfest 1960, am 28. August, trat ich ins Chorherrenstift St. Florian als Novize ein. Einmal besuchte mich Frau Bilger im Stift. Es war ein sehr herzliches Wiedersehen. Sie schenkte mir dabei das zweite (!) Porträt, das mir nicht so gut gefallen hatte. Bei aller Freundschaft getraute ich mich nicht zu fragen: Was ist mit dem anderen Bild? Ein absichtliches wieder Zurücknehmen des bereits geschenkten und mir gewidmeten Bildes schloss und schließe ich aus. Das hätte Margret Bilger niemals getan! Allerdings wusste ich auch um ihre Zerstreutheit. Aber ich hatte auch noch ein eindrucksvolles Hinterglasbild von ihr, das sie mir zur Matura schenkte.
Im Jahr 1986 brachte Melchior Frommel, der den Nachlass von Margret Bilger bearbeitete und schon mehrere Bücher über sie geschrieben hatte, einen neuen schönen Bildband mit dem Titel „Porträtzeichnungen von Margret Bilger“ heraus. Ich war damals schon Stiftskaplan. Höchst neugierig blätterte ich das Buch durch, mein „verschwundenes“ Porträt war auch in diesem Buch nicht zu finden! Auf den letzten Seiten aber gab es noch eine Zusammenstellung der nicht in diesem Buch abgebildeten Porträts, geordnet nach den Entstehungsjahren. Unter dem Jahr 1960 fand sich eine Zeile: Baumgartner Rupert/Bumsti, Kohle, Sebba.
Endlich eine Spur! „Bumsti“ war mein Spitzname seit der 1. Klasse im Petrinum. Ich war einer der Kleinsten in meiner Klasse und die unendliche Fortsetzungsgeschichte „Zwerg Bumsti´s Abenteuer“ in der Kinderzeitschrift „Wunderwelt“ war sehr präsent. Übrigens blieb mir dieser „Spitzname“ die ganze Kaplanszeit. Mit dem Amt des Stiftspfarrers hat er sich dann nicht mehr vertragen! Schade!
Ich rief sofort den Verfasser des Buches Melchior Frommel an, mit der Bitte, ob er mir Auskunft geben könnte, wo „mein“ Porträt hingekommen ist und ob ich nicht wenigstens ein Foto davon haben könnte. Ich hatte ja gar keine genaue Vorstellung mehr von dem Bild. Lange kam keine Antwort! Dann aber: „Sebba ist ein amerikanischer Kunsthändler, der das Bild erworben hat. Da er inzwischen verstorben ist, möchte die Witwe Sebba die Kunstsammlung auflösen. Vielleicht kann man es noch käuflich erwerben.“ Ich bat Herrn Frommel um seine Mithilfe, ich wollte das Bild unbedingt wieder haben. Und es funktionierte! Über den Umweg von Amerika kam „mein“ Bild wieder in meine Hände. Nun war es mir doppelt wertvoll. Einerseits durch die liebe Schenkung von Frau Margret Bilger, andererseits durch den (nicht so billigen!) Ankauf von Frau Sebba. Was soll es! Ich hatte mein Porträt wieder! Und das zählt! Frau Margret Bilger werde ich immer dankbar sein!“17
Diese kleine Erzählung einer wahren Begebenheit kann vielleicht ein Weg sein um sich einem Bild zu nähern, zumindest aber soll die kurze Geschichte über das Portrait Rupert Baumgartners der Künstlerin Magret Bilger, das Teil der diesjährigen Sonderausstellung zum 950 Jahr Jubiläum der Augustiner Chorherren in St. Florian war, uns in medias res führen.
„Kunst zum Sprechen bringen.“ war Titel des diesjährigen oberösterreichischen Museumstages auf dem ich mit meiner Kollegin der Jungen Kulturvermittlung Mag.a Lydia Zachbauer eingeladen war unsere Überlegungen öffentlich zu präsentieren.18 Der Titel ließ Großes vermuten, trifft er doch in der Tat den Zeitgeist. Bei der Literaturrecherche waren mir zahlreiche neuere Buchtitel, Berichte und Blogartikel zu diesem Thema begegnet. Es scheint auf vielen Ebenen wichtig zu sein künstlerische oder vor allem bildnerische Tätigkeit in Worte zu übersetzen um – das dürfte ja der allgemeine Sinn sein – sie besser zugänglich zu machen. Ich vermeide bewusst das Wort „verstehen“.
Buchtitel wie „Was spricht das Bild?“,19 „Wie die Dinge Sprechen lernten“20 oder „Die Sprache, die wir sprechen, wenn wir über Kunst sprechen“21 sollen nur einige Beispiele hierfür sein.
Man merkt schon – das Thema ist sehr umfangreich. Für diese Ausführungen und den oberösterreichischen Museumstag 2021 sehr von Bedeutung war der Untertitel der Veranstaltung: „Aspekte der Kunstvermittlung für Regionalmuseen.“ Genauso wie für Museen können die folgenden Gedanken auch für Klöster, Orden und weitere (Kunst-)präsentationen herangezogen werden.
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Ganz am Anfang meiner Überlegungen zu diesem Thema steht ein Faktum: In den vielen Museen und Sammlungen werden unzählige Gemälde, Fotos, Zeichnungen, Plastiken und weitere derartige Objekte der verschiedenen künstlerischen Gattungen gezeigt. No-Na könnte man jetzt sagen. Aber:
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Auch am Anfang des Nachdenkens über das Thema steht darüber hinaus quasi ein „Verdacht“: Die Präsentation erfolgt auf verschiedene Arten: Einerseits werden in vielen Fällen Kunstwerke als Objekte gezeigt, um einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang zu verdeutlichen bzw. zu illustrieren.22 Andererseits werden viele dieser Gegenstände als Kunstobjekte – als Objekte der Kunst an sich – gezeigt.
Diese unterschiedliche Präsentation implizieren ein unterschiedliches Verständnis von ein und demselben Objekt. Es sind sozusagen unterschiedliche Perspektiven. Verdeutlicht wird dies in vielen Fällen durch begleitende Texte und/oder die Vermittlung. Es geschehen vielfach mindestens zwei verschiedene Annäherungen an dasselbe oder zumindest an ähnliche Objekte und der Fokus was gezeigt werden kann und gezeigt werden soll ist somit kein festgelegter.
Wenn man hier nun weiterdenkt: Oft tauchen in diesem Zusammenhang Fragestellungen auf inwieweit sich diverse Objekte überhaupt kategorisieren lassen… oder spitz formuliert: Was ist Kunst? Ist das Kunst? (oder kann das weg…) – Und wer definiert, was nun für wen Kunst ist und sein kann?
Bevor ich mich bei diesen spannenden Fragestellungen auf schwieriges Terrain begebe, darf ich gleich zurückrudern – und zwar deutlich. Es soll nun nicht der Kunstbegriff als solcher neu verhandelt werden – das würde viel zu weit führen – die Fragestellung darf aber durchaus im Hintergrund mitschwingen. Und: es ist spannend den Fragen nachzugehen wie sich die Unterschiede in den Museen zeigen, ob sie bewusst sind und wie mit Objekten bei verschiedenen Präsentationen umgegangen werden kann.
Kunst ist eine sehr individuelle Angelegenheit und doch darf diese Individualität eben nicht auf die bloße „Geschmacksebene“ heruntergebrochen werden. Kunst ist nämlich genau nicht nur das was gefällt. Dass dies oft – und ich habe jetzt vor allem unsere Besucherinnen und Besucher vor Augen – passiert, lässt sich dennoch nicht leugnen.
Ich darf einen Vorschlag ins Feld führen: Die methodische Vorgehensweise könnte, um diesem Thema gerecht zu werden, ein Konvergieren, ein Annähern sein. Dies führt zum Kern der These. Sinnvoll erscheint, nicht zu fragen: Was ist das Trennende der verschiedenen Objekte und deren Präsentationen, sondern was ist das Verbindende, das Gemeinsame? Wie kann man sich (und wie kann sich in weiterer Folge auch die Besucherin, der Besucher) an das Objekt annähern?
Auch wenn sich ihr oder ihm ein Kunstwerk auf den ersten Blick nicht erschließt und vielleicht auch auf den zweiten nicht. Wenn sie oder er, wie man öfters hört, „nichts damit anfangen kann“?
Für diese Annäherung, diese „Konvergenz“, werden (unter vielleicht vielen anderen möglichen) folgende drei Wege beschritten:
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Über das Vermitteln der Wahrnehmungsprozesse und in weiterer Folge der sogenannten „ästhetischen Kategorien“.23
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Über eine Annäherung durch die Materialität/Techniken/Präsentation.
Alle diese drei Wege können in verschiedenen Sichtweisen auf präsentierte Objekte angewendet werden und eröffnen Überlegungen aus verschiedenen Blickwinkeln.
Wie gesagt – es ist der Versuch von drei Wegen, neben vielen anderen möglichen. Was ist nun konkret damit gemeint?
Ad I) Annäherung an Objekte über das Vermitteln der Wahrnehmungsprozesse und in weiterer Folge der sogenannten „ästhetischen Kategorien“ oder auch anders formuliert im Sinne einer je individuell „erspürbaren Kunsterfahrung“.
Jede/jeder hat ganz unmittelbar seine eigene „Kunsterfahrung im doppelten Sinn: erstens wie er das Objekt, den (Kunst)raum etc. wahrnimmt und erfährt und auch seine je eigene Kunsterfahrung, das heißt das Wissen, das jede/jeder mitbringt, wenn sie/er sich einem Objekt nähert.
Klassische Begriffe und Kategorien wie: das Schöne, das Hässliche, Nachahmung oder das Erhabene – erweitert um vielleicht nicht ganz so gängige oder auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt mit Kunst in Zusammenhang gebrachte Termini wie: Atmosphäre, Zeichen, Zeitlichkeit oder auch Handlung/Performance/Transformation spielen eine Rolle.
Für unsere Zusammenhänge ist entscheidend: „Ästhetik, ästhetische Erfahrung, ästhetische Kategorien – dies setzt fundamentalphilosophisch durchdacht, den Gedanken der Einheit von Ausdruck und Darstellung der Subjekt-Subjekt-Objekt-Identität voraus.“26
Klingt kompliziert etwas vereinfacht und dann gleich ganz logisch:
„Es geht um das Bewusstsein dessen, dass der Mensch bereits in der der sinnlichen Wahrnehmung immer schon den Doppelblick auf den Gegenstand und sich selbst übt, wobei dieser Blick zugleich die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen des Wahrgenommenen mitreflektiert.“27 Oder anders formuliert: Abstrahieren ist nicht. Niemand von uns kann ein Bild, eine Skulptur, ein Objekt jeder Gattung komplett unabhängig betrachten.
Unabhängig von der eigenen Erfahrung, unabhängig von dem jeweils gelernten, unabhängig von der gesellschaftlichen Konnotation. Schlicht: Die Betrachtung eines Objekts im Museum bringt immer zu Vorwissen, Erfahrungen und nicht zuletzt Interpretationen mit sich.
Dieser Weg ist mehr weniger die Basis oder vielleicht besser die Voraussetzung für die folgenden beiden Annäherungsversuche:
Ad II) Über eine Annäherung durch die Materialität/Techniken/Präsentation. Jeder, der sich mit Kunstwerken beschäftigt hat diesbezüglich unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Dennoch: gerade bei Kunstwerken, die „nicht gefallen“, wie es ja auch oft – ich will jetzt nicht schubladisieren – bei der zeitgenössischen Kunst vorkommt, sind die Materialität, der Prozess und die Technik oft Aspekte, bei denen viele gut anknüpfen können, sich auf ein Werk einlassen und sich dem Objekt „nähern“. Einer unserer Wege führt über die Auseinandersetzung mit dem Material.
Ad III) Über den Ansatz des „Storytellings“. Dieser Ansatz meint nicht ein bloßes „Geschichtln erzählen“ oder einen Reduktionismus, sondern kann eher gegenteilig im erweiternden Sinne methodisch als Übergang zum jeweiligen Kontext gesehen werden (beispielsweise zur illustrierenden Verwendung zum Verdeutlichen der Ortsgeschichte oder ähnlichem). Dies ist auch ganz stark immer ein: „Es kann so sein, aber es kann auch ganz anders“.
Abb. 5: Türe zum Beichthaus © Stift St. Florian/Andreas Etlinger
Genauere Ausführungen müssen an dieser Stelle ausgespart bleiben – ich lade sehr herzlich dazu ein, sich diese beiden Projekte näher anzusehen. Wir freuen uns über Austausch und Besuch, Anfragen und Kontaktaufnahme. Am Schluss dieser Ausführungen darf ich noch einen zusammenfassenden Gedanken formulieren. Als Mitarbeiterin der Augustiner Chorherren im St. Florian möchte ich festhalten, dass den beiden gezeigten Projekten mehrere Dinge gemeinsam sind. Es zeigte sich als zentral, dass bei einer derart engen Zusammenarbeit zur Aufarbeitung der Sammlung und bei der Kommunikation der gemeinsamen Ergebnisse Verbundenheit, Mut, Geduld und Vertrauen eine wichtige Rolle spielen. Das wird von den Chorherren an uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergegeben und bei allen Herausforderungen die an klösterliche (Kunst-)sammlungen in der heutigen Zeit gestellt sind gilt folgende Aussage des Kirchenvaters Aurelius Augustinus ganz bestimmt: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst… Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.“28
Bernadette Kerschbaummayr (Jg. 1985) studierte Kunstwissenschaft und Philosophie an der KU Linz und ist seit 2005 im Stift St. Florian tätig. Seit 2018 ist sie Mitarbeiterin in den Kunstsammlungen und im Ausstellungswesen und seit 2022 Leiterin der Stabstelle für Kunst- und Kulturvermittlung.
1 OrdensNachrichten 3/2021, online unter https://www.ordensgemeinschaften.at/portal/mediathek/ordensnachrichten [Zugriff: 15.03.2022].
2 Ordensgemeinschaften Österreich, Rückblick auf den Kulturtag 2020, https://www.ordensgemeinschaften.at/kultur/aktuelles/1544-rueckblick-kulturtag-2020 [Zugriff: 15.03.2022].
3 Bernadette KERSCHBAUMMAYR, „Sammlungsgeschichte(n) zur Grafik“. Die Grafiksammlung des Stiftes St. Florian. Eine Stiftssammlung im Spannungsfeld zwischen privatem Interesse und öffentlichem Auftrag (Diss. KU Linz 2020).
4 Letzteres spielt im Stift St. Florian in der Gegenwart nur eine untergeordnete Rolle, in der Vergangenheit war dieser Aspekt aber von großer Bedeutung. Dass dem so ist, hat vor allem mit der derzeitigen finanziellen Lage des Stiftes zu tun. Da eine Änderung in diesem Bereich natürlich nicht ausgeschlossen ist, sei an dieser Stelle auch dieser Umstand berücksichtigt.
5 KERSCHBAUMMAYR, Sammlungsgeschichte(n) (wie Anm. 3). Im ersten Abschnitt des vorliegenden Beitrags werden ausgewählte Teile der genannten Dissertation, insbesondere das Vorwort „Wie über eine Sammlung schreiben?“ wortwörtlich übernommen.
6 1958 in Darmstadt geboren, deutscher Neurowissenschaftler und Psychiater, Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm und seit 1998 ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL).
7 Marie LAMPERT–Rolf WESPE, Storytelling für Journalisten (Praktischer Journalismus Bd. 89, 3, Konstanz 2013) 1.
8 Der folgende Abschnitt gibt Teile von KERSCHBAUMMAYR, Sammlungsgeschichte(n) (wie Anm. 3), insbesondere die Seiten 7–12 und 20 größtenteils unverändert wieder.
9 Der Begriff des Wesens hat im philosophischen Diskurs eine lange Geschichte, auf die verschiedenen Bedeutungen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Zur Begriffsgeschichte siehe: Max APEL–Peter LUDZ, Philosophisches Wörterbuch (Berlin 1958) 305.
10 Eine frühe und umfassende Beschreibung der Stiftsbibliothek findet sich bei Albin CZERNY, Die Bibliothek des Chorherrenstiftes St. Florian. Geschichte und Beschreibung (Linz 1874).
11 Beim Thema Selbstverständnis der Chorherren ist vordergründig keine Bezugnahme des Ordens der Augustiner Chorherren zur Tradition von Kunst und Kultur innerhalb der Ordensregel gemeint (dies ist als Fundament bzw. Metaebene anzusehen), sondern die Überlieferung und der Umgang mit der Kunst lokal vor Ort. Jeweils natürlich zeitgebunden, und nicht nur zeitgebunden, sondern, wie sich zeigte, auch maßgeblich personengebunden.
12 Vgl. Otto WUTZEL, Die Kunstsammlungen des Augustiner-Chorherrenstiftes St. Florian in ihrer historischen Entwicklung, in: Die Kunstsammlungen des Augustiner Chorherrenstiftes St. Florian (Österreichische Kunsttopographie Bd. XLVIII, Wien 1988) 12.
13 Vgl. Stift St. Florian, Geschichte des Hauses, http://www.stift-st-florian.at/die-chorherren/die-st-florianer-chorherren/hausgeschichte.html [Zugriff: 15.03.2022].
14 KERSCHBAUMMAYR, Sammlungsgeschichte(n) (wie Anm. 3) 20f.
15 Ebd., 197.
16 Ebd.
17 Auszug aus: Rupert BAUMGARTNER, Freude an Kunst und Musik. Wie ich zu meiner Freude an Kunst und Musik kam, in: Harald EHRL (Hg.), 950 Jahre. Immer noch da, FLORinside. Begleitheft zur Sonderausstellung der Augustiner Chorherren von St. Florian (St. Florian 2021).
18 Eine Nachlese wird in der Reihe OÖ Museumsinfo, der Schriftenreihe des Oberösterreichischen Museumsbundes erscheinen.
19 Monika LEISCH-KIESL–Johanna SCHWANBERG (Hg.), Was spricht das Bild? Gegenwartskunst und Wissenschaft im Dialog (Bielefeld 2011).
20 Mario SCHULZE, Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjekts 1968-2000 (Bielefeld 2017).
21 Martin HOCHLEITNER, Die Sprache, die wir sprechen, wenn wir über Kunst sprechen. Notizen, Bilder & Glossar (Salzburg 2021).
22 In Orden und Klöstern auch um beispielsweise den Interessierten die Liturgie näher zu bringen o.ä.
23 Vgl. beispielsweise Monika LEISCH-KIESL–Max GOTTSCHLICH–Susanne WINDER (Hg.), Ästhetische Kategorien. Perspektiven der Kunstwissenschaft und der Philosophie (Bielefeld 2017).
24 Wolfgang MÜLLER-FUNK, Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung (Wien u.a. 2008).
25 Konkret zur Verwendung des Ansatzes in Stiftssammlungen wie am Beispiel dieses Beitrags und weiterführende Literatur zum Thema: KERSCHBAUMMAYR, Sammlungsgeschichte(n) (wie Anm. 3).
26 Max GOTTSCHLICH, Ästhetik – ästhetische Erfahrung – ästhetische Kategorien. Zur systematischen Orientierung, in: Monika LEISCH-KIESL–Max GOTTSCHLICH–Susanne WINDER (Hg.), Ästhetische Kategorien. Perspektiven der Kunstwissenschaft und der Philosophie (Bielefeld 2017) 17.
27 Ebd.
28 Augustinus Aurelius von Hippo (354–430, Kirchenvater).