Ordensarchive aus der Sicht des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
Vortrag gehalten bei der Jahrestagung der ARGE Ordensarchive Österreichs am 12. Juni 2023 in Wien, Kardinal König Haus.
Als Oswald Redlich (*1858, †1944), seines Zeichens Professor für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien, 1904, wenige Monate nach dem überraschenden Tod Engelbert Mühlbachers (*1843, †1903), Vorstand des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung von 1896 bis 1903 und Augustiner-Chorherr des Stifts St. Florian, ein Manuskript des Verstorbenen aus den 1870er Jahren unter dem Titel „Die literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts“ zum Druck brachte, schrieb er in seinem Vorwort:
„Es ist nicht bloß ein Akt der Pietät gegen den allzu früh dahingeschiedenen Gelehrten und Freund, wenn diese seine früheste größere Leistung auf historischem Gebiete vor der Vergessenheit bewahrt wird […]. Es [das Buch] bringt aus den Schätzen des Archives und der Bibliothek von St. Florian, aus dem reichen Erbe an Korrespondenzen der Stiftsmitglieder eine Schilderung der literarischen Bestrebungen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von ganz und gar selbständigem und nicht geringem Werte. Denn die Leistungen der Chorherren von St. Florian namentlich auf historischem Gebiete bilden einen bedeutsamen Anteil am geistigen Leben in Österreich. In einer Zeit, da an den österreichischen Universitäten der Betrieb der Geschichtswissenschaft noch nicht seinen Aufschwung genommen, war das Stift St. Florian eine hervorragende Stätte für die Pflege historischer Studien. Die eingehende, liebevolle und doch unbefangene Würdigung, welche Mühlbacher dem Wirken von Franz Kurz [*1771, †1843] und Josef Chmel [recte: Joseph Chmel, *1798, †1858; beide St. Florianer Historiker] widmet, bietet ein anziehendes und charakteristisches Bild jener Zeit.“1
Was hier in diesen Worten Oswald Redlichs, nachmals 1926 bis 1929 selbst Vorstand des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, so eindrücklich entgegentritt, ist die enge Verflechtung zwischen den Klöstern und Stiften Österreichs und dem 1854 gegründeten Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Dieser reichen Verflechtungsgeschichte möchte ich mich hier zunächst vor allem widmen, um dann in einem zweiten Schritt die Gegenwart zu beleuchten und abschließend einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu wagen. In meiner historischen Rückschau werde ich die handelnden Personen in den Mittelpunkt rücken und die Institutionen demgegenüber bewusst zurücktreten lassen, weil es meine Überzeugung ist, dass die zu erzählende Verflechtungsgeschichte vor allem eine der Menschen ist. Am Anfang dieser Verflechtungsgeschichte steht der Marienberger Benediktinerpater Albert Jäger (*1801, †1891), seit 1851 Professor für österreichische Geschichte an der Universität Wien, der bei der Gründung des Instituts 1854 zu dessen erstem Vorstand berufen wurde.2 Ihm, der noch ganz „in der Tradition der benediktinischen Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts“3 stand, fiel die keineswegs einfache Aufgabe zu, das Institut und die bei seiner Gründung handlungsleitenden Ideen Josef Alexander von Helferts (*1820, †1910) und Minister Leo Graf Thun-Hohensteins (*1811, †1888) zu verwirklichen und mit Leben zu erfüllen. Wie sehr es bei der Institutsgründung nicht allein um eine Stätte der Geschichtsforschung, sondern auch um eine Bildungseinrichtung ging, kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, dass das Institut zunächst als „Schule für österreichische Geschichtsforschung“ bezeichnet wurde.4 Und hier konnte Jäger auch den wohl uneingeschränkt nachhaltigsten Erfolg erzielen. Während die mit der Institutsgründung verbundenen Hoffnungen auf Stärkung eines gesamtösterreichischen Gemeingefühls, gleichsam eines übernationalen, auf eine Staatsnation bezogenen Nationalgefühls, im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie nicht einzulösen waren, konnte schon 1855 der erste Ausbildungslehrgang bzw. Institutskurs starten, dem bis 2004 nicht weniger als 62 weitere nachfolgen sollten. An diesem Punkt muss ich nun doch die Institutionengeschichte zu ihrem Recht kommen lassen. In den ersten von Minister Thun 1857 „vorläufig“ genehmigten Statuten wird das Institut für Österreichische Geschichtsforschung als „eine mit der Philosophischen Fakultät der Universität Wien verbundene, unter dem unmittelbaren Schutz und der obersten Leitung des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht stehende Anstalt“ beschrieben.5 Damals nahm die ungewöhnliche Stellung des Instituts zwischen Universität und Ministerium ihren Anfang, verlieh dem Institut für mehr als 160 Jahre den Status einer staatlichen Einrichtung bzw. nachgeordneten ministeriellen Dienststelle, die gleichzeitig immer auf das engste mit der Universität verschränkt und seit dessen Fertigstellung in den 1880er Jahren im Universitätshauptgebäude am Ring untergebracht war, eine Zwitterstellung, die erst vor wenigen Jahren, nämlich 2016, durch die formelle Eingliederung des Instituts in die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien endgültig beseitigt wurde.
Doch zurück zu Albert Jäger. Zu seinem Professkloster Marienberg im Vinschgau unterhielt Jäger, der im März 1852 die erbetene Säkularisierung bzw. Exklaustrierung erhalten hatte, auch während seiner Tätigkeit als Professor in Wien und Vorstand des Instituts beste Beziehungen.6 Am Institut selbst bedeutete der Rückzug Jägers 1869 tiefgreifende Veränderungen, die sich schon seit der Berufung Theodor Sickels (*1826, †1908) als ao. Professor für Historische Hilfswissenschaften abgezeichnet hatten.7 Mit Sickel, der in Nachfolge Jägers 1869 auch die Leitung des Instituts übernahm und dessen Geschicke für gut zwei Jahrzehnte maßgeblich bestimmen sollte, zog ein gänzlich neuer Geist ins Institut ein, der dieses zu einem weithin anerkannten Zentrum diplomatisch-hilfswissenschaftlicher Forschung werden ließ. Welche Anziehungskraft von Theodor Sickel und eben diesem neuen Forschungsgeist auch auf Ordensmänner in vielen österreichischen Stiften und Klöstern ausging, sei am Beispiel des St. Florianer Augustiner-Chorherrn und nachmaligen Vorstands des Instituts Engelbert Mühlbacher8 und des späteren Abts von St. Peter in Salzburg und bedeutenden Historikers Willibald Hauthaler (*1843, †1922)9 gezeigt. Die beiden gleichaltrigen (geb. 1843) Ordensmänner, die ein lebenslanger Briefwechsel verbinden sollte, lernten einander 1872 in Innsbruck kennen, wohin beide von ihren jeweiligen Ordensoberen zum Geschichtestudium geschickt worden waren. Der weit über die Universität Innsbruck hinaus bekannte Karl Friedrich Stumpf-Brentano (*1829, †1882) lud die beiden Studenten damals jeden Samstag zu sich und erteilte ihnen Privatunterricht in Paläographie und Diplomatik – Hauthaler war Stumpf bei seinen Arbeiten im Archiv des Benediktinerinnenstifts Nonnberg aufgefallen.10 Während Hauthaler ab Herbst 1874 bereits den Unterricht am Collegium Borromaeum in Salzburg aufnahm, zog es Mühlbacher auf direktem Weg nach Wien, wo er von Theodor Sickel, ohne formell einem Kurs anzugehören, weitergebildet wurde. Dazu schrieb Hauthaler am 1. November 1874 an Mühlbacher, nachdem er diesem von seinen Arbeiten in Wien im vergangenen Sommer am Staatsarchiv für das geplante Salzburger Urkundenbuch berichtet hatte: So wünsche ich Ihnen also schließlich alles Beste und besonders auch große Fortschritte in der Schule Sickels; möchte wohl auch 1 Jahr Sickels Schüler sein.11 Daraus ist nichts geworden. Hauthaler, zu dessen Lebenswerk das erwähnte Salzburger Urkundenbuch werden sollte, verfolgte Mühlbachers akademischen Weg, der ihn zunächst zur Privatdozentur in Innsbruck und dann an die Universität Wien führte, gleichsam aus der Distanz. Der Briefwechsel der beiden Ordensmänner intensivierte sich wieder, als Mühlbacher die Redaktion der 1879 ins Leben gerufenen Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG) übernahm. Freut mich sehr, das wir in Oest(erreich) auch einmal so was haben, kommentierte Hauthaler seine Lektüre des ersten Heftes der neuen Zeitschrift.12
Ich mache einen Zeitsprung von fast einem Jahrhundert und halte im Jahre 1977, jenem Jahr, in dem das Benediktiner-Stift Kremsmünster sein 1200-Jahrjubiläum mit einer imposanten historischen Ausstellung beging, die als insgesamt fünfte in der Reihe der oberösterreichischen Landesausstellungen zu einem eindrucksvollen Publikumserfolg wurde.13 Spiritus rector und treibende Kraft hinter diesem zukunftsweisenden Projekt der Vermittlung des kulturellen Erbes war der Archivar und Bibliothekar des Stiftes P. Willibrord Neumüller (*1909, †1978), der diese Krönung seines jahrzehntelangen Wirkens in Kremsmünster gerade noch erleben durfte – im Jahr darauf, am 17. Juni 1978, ist er nicht einmal 70-jährig einer schweren Krankheit erlegen.14 Eingeleitet wurde das große Stiftsjubiläum durch ein vom oberösterreichischen Landesarchiv veranstaltetes, von P. Willibrord Neumüller angeregtes Symposium am 15. – 18. Mai 1977 mit dem Titel „Die Anfänge des Klosters Kremsmünster“,15 wobei das Institut für Österreichische Geschichtsforschung unter den Referenten durchaus prominent vertreten erscheint und zwar durch die Professoren Erich Zöllner (*1916, †1996) und Herwig Wolfram (*1934) sowie durch den Kunsthistoriker Kurt Holter (*1911, †2000)16, der gemeinsam mit P. Willibrord den 39. Kurs von 1933 bis 1935 besucht hatte und lebenslang zu den engsten wissenschaftlichen Weggefährten P. Willibrords zählte. Und natürlich nahm der damals amtierende Vorstand des Instituts Heinrich Fichtenau (*1912, †2000) an der Tagung regen Anteil, Kurskollege P. Willibrords aus dem 39. Kurs auch er, und im Übrigen ein intimer Kenner der Frühgeschichte von Kremsmünster. Fichtenau habe, wie Hans Sturmberger (*1914, †1999), Direktor des Oberösterreichischen Landesarchivs in seinen Begrüßungsworten zur damaligen Tagung treffend formulierte, „ganz gewaltig gerüttelt … an den Grundfesten der alten Auffassungen über den Stiftbrief von Kremsmünster“.17 Es ist eine breite Palette von Aufgaben, die P. Willibrord Neumüller in seinem Professkloster Kremsmünster wahrnahm. Das Stiftsarchiv bildete hier nur einen Teil. Daneben galt seine Aufmerksamkeit vor allem der Bibliothek, wo er den Anstoß zu einem großen Handschriften-Katalogisierungsprojekt gab. Das Institut für Österreichische Geschichtsforschung hatte, das sei in Dankbarkeit gesagt, in seinem Mitglied P. Willibrord über Jahrzehnte einen wertvollen Ansprech- und Kooperationspartner für Stiftsarchiv, Stiftsbibliothek und historische Forschung.
Als Abt Albert Bruckmayr (*1913, †1982) in seiner Grußadresse am gerade erwähnten Symposium anlässlich des 1200-Jahrjubiläums des Benediktiner-Stifts Kremsmünster 1977, wohl mehr als nur en passant, vermerkte, dass „drei … Mitbrüder im Institut für Österreichische Geschichtsforschung das Mitgliedsrecht“ besitzen,18 war dies ein schöner Ausdruck der Verbundenheit zwischen Stift und Institut und beleuchtet einen Aspekt, der seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für das Institut für Österreichische Geschichtsforschung immer größere Bedeutung gewinnen sollte, nämlich der Ausbildungskurs, dessen Absolvierung mit der Verleihung der Mitgliedschaft einherging.
Zunächst noch sehr selten begegnen Ordensleute als Kursteilnehmer, so am 28. Kurs 1909–1911 P. Josef Karl Strasser (*1870, †1939), Archivar in Salzburg St. Peter, er zunächst noch als außerordentliches Mitglied (ohne sich der Prüfung zu unterziehen)19, dann im 35. Kurs (1925–1927) P. Maurus Schellhorn (*1888, †1973; mit Prüfung)20 und im 37. Kurs (1929–1931) Gebhard Rath (*1902, †1979)21, Archivar im Zisterzienserstift Wilhering (bis 1940), später Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, schließlich im 39. Kurs (1933–1935) P. Willibrord Neumüller22 aus Kremsmünster. Die Reihe lässt sich fortsetzen: 40. Kurs (1935–1937) der Klosterneuburger Chorherr Felix Wintermayr (*1908, †1984)23, nachmals Archivar im Niederösterreichischen Landesarchiv, 42. Kurs (1939–1941) der St. Peterer Profess Karl Hermann (*1913, †1997)24, nachmals Professor für Kirchengeschichte in Salzburg.
Maßgeblich zum Interesse der Ordensleute am Kurs des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung mag damals beigetragen haben, dass seit Anfang des 20. Jahrhunderts bei der Ausbildung vermehrt das Augenmerk auf Archivkunde gelegt wurde. Zuerst ab 1874 zunächst nur eine einstündige Vorlesung, wurde „Archivkunde“ ab 1898 als zweistündiges Kolleg mit praktischen Übungen unterrichtet. Die neue Lehrveranstaltung wurde von Oswald Redlich gehalten, der vor seiner 1893 erfolgten Berufung an die Universität Wien elf Jahre lang in Innsbruck als Archivar gearbeitet hatte.25 So empfahl die Absolvierung des Institutskurses zunehmend auch für die Tätigkeit in Archiven und so mancher Ordensobere mag jüngere Mitbrüder nicht zuletzt mit Blick auf die Betreuung des eigenen Stiftsarchivs an das Institut nach Wien zum Besuch des Kurses entsandt haben.
Von Ordensfrauen war bis hierher noch gar nicht die Rede. Und auch von den Archiven geistlicher Frauengemeinschaften hören wir bis in die 1930er Jahre ausnehmend selten. Während das Philosophische Studium in Österreich wohl seit den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts für Frauen endlich geöffnet war, traf dies auf den Ausbildungskurs des Instituts nicht zu. Hier finden sich erst in den 1930er Jahren weibliche Absolventinnen. Unter den ersten begegnet auch der Name einer Ordensfrau, Henriette Peters (*1919, †1997), die ich in meinen frühen Dienstjahren am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in den 1980er Jahren noch persönlich kennenlernen durfte. Geboren 1919 in Meersen in den Niederlanden kam sie mit einem Stipendium der Humboldt-Stiftung 1941 nach Wien, wo sie am 43. Kurs bis 1945 teilnahm, vorerst aber keine Abschlussprüfung ablegte, erst im Rahmen des 47. Kurses 1953–1956 schloss Peters die Ausbildung ab. Dissertiert hatte sie noch in den letzten Kriegstagen zu einem mediävistischen Thema „Die politischen Beziehungen der Habsburger zum Erzstifte Salzburg 1273–1365.“26 Henriette Peters trat 1949 in den Orden der Englischen Fräulein (Congregatio Jesu) ein, deren Gründerin Mary Ward (*1585, †1645) sie 1991 die bis heute maßgebliche Biographie widmete.27 Beruflich fand Peters ihre Lebensaufgabe in dem nach dem zweiten Weltkrieg notwendig gewordenen Neuaufbau bzw. der Neuordnung des Wiener Diözesanarchivs, dessen Leitung von 1963 bis 1976 in ihren Händen lag.
Sucht man in der jüngeren Vergangenheit nach Verbindungslinien zwischen den Ordensarchiven in Österreich und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung, dann stößt man unwillkürlich auf einen Namen, der diese von mir nachgezeichnete Verflechtungsgeschichte, wie kaum jemand zuvor, verkörpert. Die Rede ist von Helga Penz. Von 1995 bis 1998 besuchte sie den 61. Ausbildungslehrgang des Instituts, gemeinsam übrigens mit dem 2020 tragisch verunglückten P. Wolfram Hoyer OP (*1969, †2020).28 Österreichische Ordensarchive sind schon kurz nach Abschluss ihres Studiums zur hauptsächlichen Wirkungsstätte von Helga Penz geworden. Und sie hat nicht zuletzt der Vernetzung der Ordensarchive untereinander ihre ganze Kraft gewidmet – die ARGE Ordensarchive Österreichs verdankt diesen vielfältigen Bemühungen wesentlich ihre Gründung bzw. Entstehung. Mir steht es hier nicht zu, zu würdigen, wohl aber im Namen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung zu danken für eine jahrzehntelange Verbundenheit, die dem Institut sehr wertvoll ist und zuletzt in einem schönen Buch auch sinnbildhaft Ausdruck gefunden hat. In diesem Kalenderjahr 2023 nämlich hat Helga Penz unter dem Titel „Die Tüchtigkeit der Frauen. Die Wiener Barmherzigen Schwestern und die freie Wohlfahrt von 1832 bis 1945“ eine breit angelegte Studie, Frucht langer Forschung und Arbeit, als 68. Ergänzungsband der Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung publiziert.29
Fast in der Gegenwart angekommen, richte ich meinen Blick nochmals ein wenig auf das Institut für Österreichische Geschichtsforschung und hier insbesondere auf die institutionelle Entwicklung der letzten eineinhalb Jahrzehnte, die ich unlängst am letzten österreichischen Archivtag im Oktober 2021 als „doppelte Integration“ bezeichnet habe.30 Zentrale Stichjahre, Zäsuren im eigentlichen Sinn, waren 2004 und 2016. Im Jahr 2004 endete, wie schon eingangs erwähnt, der letzte als außeruniversitärer Lehrgang organisierte Kurs und es begann der Umbau der Ausbildung zu einem Regelstudium auf der zweiten Stufe des Bologna-Prozesses. Sichtbarste Folge dessen war, dass man die Ausbildung ab nun jedes Jahr anstatt nur jedes dritte Jahr beginnen konnte. Mit dem Umbau des Kurses zu einem Regelstudium ging allerdings auch die Regelungskompetenz für dieses Studium an die Universität und deren für das Studium zuständige Gremien über. Reformen in Sachen Curriculum sind dementsprechend nur mehr über den Weg dieser Gremien realisierbar und bedürfen langer Vorbereitung. Umgekehrt sind gesamtuniversitäre studienorganisatorische und studienrechtliche Veränderungen in diesem Studiengang direkt umzusetzen bzw. nachzuvollziehen.31
Zur zweiten Zäsur 2016: Mit dem 1. Jänner 2016 wurde das Institut für Österreichische Geschichtsforschung Teil der Universität Wien, wurde als Universitätsinstitut der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät eingegliedert. An der räumlichen Unterbringung im Hauptgebäude am Ring änderte sich nichts, und auch sonst blieben auffällige Einschnitte zunächst aus. Heute, gut sechs Jahre nach diesem Ereignis, lässt sich das volle Ausmaß der Veränderung, auch seine Folgen etwa für das Masterstudium „Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft“, noch nicht wirklich abschätzen.32
Aus dem eben Geschilderten könnte der Eindruck entstehen, dass das Masterstudium „Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft“ gegenwärtig die einzige Aufgabe des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung darstellt, also gleichsam eine Verengung des Institutsprofils eingetreten ist. Tatsächlich trifft dies zu einem gewissen Grad zu, im Selbstverständnis des Instituts sind Langzeitprojekte der geschichtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, namentlich große Quelleneditionsprojekte (Monumenta Germaniae Historica, Papstregister, Regesta Habsburgica) aber nach wie vor fest verankert, nach Maßgabe der finanziellen Ressourcen versteht sich. Mit Stolz darf ich außerdem darauf hinweisen, dass es einen dritten Arbeitsbereich des Instituts gibt, dessen Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten als überaus dynamisch beschrieben werden kann. Gemeint sind die Publikationsreihen des Instituts. Zu den Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG), Ergänzungsbänden (Erg. Bd.) und Veröffentlichungen (VIÖG), sind zuletzt noch die Quelleneditionen (QIÖG) mit einer starken digitalen Komponente hinzugekommen.
Die Publikationen bieten mir die Möglichkeit, zu meinem Thema, den Beziehungen des Instituts zu den Ordensarchiven, zurückzukehren. Hier sei nochmals an das 2023 als Ergänzungsband der MIÖG erschienene schöne Buch von Helga Penz erinnert, von dem zuvor schon die Rede war. Mit großer Freude und gleichzeitig Dankbarkeit kann ich auch berichten, dass das Masterstudium als Ausbildung für Ordensarchivarinnen und -archivare gute Akzeptanz findet, regelmäßig Studierende zum Besuch der Ausbildung entsandt werden bzw. Absolventinnen und -absolventen in Ordensarchiven eine Anstellung bekommen.
Abschließend sei ein vorsichtiger Blick in die Zukunft gewagt: Am Institut für Österreichische Geschichtsforschung war und ist das Bewusstsein stark ausgeprägt, dass die österreichischen Ordensarchive eine ganz spezielle Bedeutung für das kulturelle Erbe des Landes besitzen. Sie bewahren dieses bedeutende kulturelle Erbe zumeist noch am Ort der Entstehung in einer bis heute lebendigen Gemeinschaft – und dies ist nur noch in wenigen anderen europäischen Ländern so der Fall. Hierzu einen Beitrag zu leisten, sei es durch das Ausbildungsangebot im Rahmen des Masterstudiums „Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft“, sei es aber auch durch Kommunikation und Austausch mit den Verantwortlichen in den Ordensarchiven, muss dem Institut ein unbedingtes Anliegen sein. Ich versichere Sie an dieser Stelle der großen Wertschätzung seitens des Instituts. Und ich bin zuversichtlich, dass die lange Verflechtungsgeschichte von Institut und Ordensarchiven, die ich in diesem kleinen Beitrag historisch nachzuzeichnen versucht habe, auch in der Zukunft eine für beide Seiten fruchtbare Fortsetzung finden wird.
Abb.: Eingangsportal des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung im Hauptgebäude der Universität Wien © IÖG
Christian Lackner studierte Geschichte und Französisch an der Universität Innsbruck. Er absolvierte den 57. Ausbildungskurs (1983–1986) am Institut für Österreichische Geschichtsforschung und ist seit 1987 ebendort als wissenschaftlicher Beamter sowie seit 1989 als Lektor an der Universität Wien tätig. 2001 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die österreichischen Herzoge in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Seit 2020 ist Christian Lackner Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Kontakt: christian.lackner@univie.ac.at
1 Oswald REDLICH, Vorwort des Herausgebers, in: Engelbert MÜHLBACHER, Die literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Innsbruck 1905) IVf.
2 Thomas WINKELBAUER, Das Fach Geschichte an der Universität Wien. Von den Anfängen um 1500 bis etwa 1975 (Schriften des Archivs der Universität Wien. Fortsetzung der Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien 24, Göttingen 2018) 94. – Zu Albert Jäger siehe Othmar PARTELI, Marienberg: seine Äbte und Konventualen. 200 Jahre Klostergeschichte, in: Der Schlern 90 (2016) Heft 7/8 26–174, hier bes. 61–77 und zuletzt auch David FLIRI, Albert Jäger (1801–1891) „Erinnerungen aus meinem Leben“. Ein österreichischer Historiker als Chronist seiner selbst (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung [QIÖG] 19, Wien–Köln 2023) 8–12.
3 WINKELBAUER, Fach Geschichte (wie Anm. 2) 94–97.
4 WINKELBAUER, Fach Geschichte (wie Anm. 2) 97.
5 Zitiert nach WINKELBAUER, Fach Geschichte (wie Anm. 2) 98.
6 PARTELI, Marienberg (wie Anm. 2) 69f. u. 73.
7 Alphons LHOTSKY, Geschichte des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854–1954 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung [MIÖG] Ergänzungsband [Erg. Bd.] 17, Graz–Köln 1954) 46–53, 61–74, 109–117; zuletzt WINKELBAUER, Fach Geschichte (wie Anm. 2) 99–101.
8 Vgl. zu ihm LHOTSKY; Geschichte des Instituts (wie Anm. 7) 169, 215–217, 234–237, 259–262; Daniela SAXER, Die Schärfung des Quellenblicks. Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 37, München 2014) hier bes. 101, 151–153; WINKELBAUER, Fach Geschichte (wie Anm. 2) 103–105.
9 Zu Willibald Hauthaler siehe Franz MARTIN, Abt Willibald Hauthaler, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 63 (1923) 1–8; Friederike ZAISBERGER, Willibald Hauthaler als Historiker, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 93 (1982) 335–360 u. zuletzt Korbinian BIRNBACHER, Willibald Hauthaler (1843–1922). Historiker und Abt von St. Peter zu Salzburg, in: Andreas SOHN (Hg.), Benediktiner als Historiker (Aufbrüche. Interkulturelle Perspektiven auf Geschichte, Politik und Religion 5, Bochum 2016) 115–124.
10 ZAISBERGER, Hauthaler (wie Anm. 9) 339 u. BIRNBACHER, Hauthaler (wie Anm. 9) 116.
11 Archiv des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Nachlass Engelbert Mühlbacher, Brief Willibald Hauthalers vom 1. November 1874.
12 Archiv des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Nachlass Engelbert Mühlbacher, Brief Willibald Hauthalers vom 11. Jänner 1880.
13 Vgl. Otto WUTZEL, Landesausstellung 1200 Jahre Kremsmünster, in: 1200 Jahre Kremsmünster. Stiftsführer.
Geschichte, Kunstsammlungen, Sternwarte (Linz 51977) 9f. u. P. Willibrord NEUMÜLLER O.S.B., Zur Stiftsgeschichte, in: ebenda, 11–32.
14 Kurt HOLTER, P. Willibrord Neumüller OSB †, in: MIÖG 86 (1978) 534–536; vgl. auch Manfred STOY, Das Österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929–1945 (MIÖG Erg. Bd. 50, Wien–München 2007) 344f.
15 Siegfried HAIDER (red.), Die Anfänge des Klosters Kremsmünster. Symposion 15.–18. Mai 1977 (Ergänzungsband zu den Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 2, Linz 1978).
16 STOY, Institut (wie Anm. 14) 343f.
17 Hans STURMBERGER, Begrüßungsworte zur Eröffnung des Symposions, in: Die Anfänge (wie Anm. 15) 7–9, hier 8.
18 Albert BRUCKMAYR, Begrüßungsworte zur Eröffnung des Symposions, in: die Anfänge (wie Anm. 15) 9f.
19 LHOTSKY, Geschichte des Instituts (wie Anm. 7) 357 Anm. 63.
20 Zu Maurus Schellhorn OSB vgl. Gerald HIRTNER, Maurus Schellhorn OSB, 1888–1973. Dekan, Kirchengeschichte, in: Dietmar WINKLER–Alois HALBMAYR (Hg.), „… und mit dem Tag der Zustellung dieses Erlasses aufgelassen“. Die Aufhebung der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg 1938 (Salzburger theologische Studien 67, Innsbruck–Wien 2022) 331–341 u. Die ältesten Urbare von St. Peter in Salzburg. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 13. Jahrhunderts von Maurus SCHELLHORN OSB (†), St. Peter/Salzburg mit Einführung und Register von Gerald HIRTNER, St. Peter/Salzburg, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 133 (2022) 93–145.
21 STOY, Institut (wie Anm. 14) 320f.
22 STOY, Institut (wie Anm. 14) 344f.
23 STOY, Institut (wie Anm. 14) 357.
24 STOY, Institut (wie Anm. 14) 383f.
25 Zuletzt dazu Thomas WINKELBAUER, Vom „Institutskurs“ zum Masterstudium „Geschichtsforschung, Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft“ an der Universität Wien: eine Grenzüberschreitung, in: Scrinium 66 (2012) 7–13, hier 7f.
26 STOY, Institut (wie Anm. 14) 391.
27 Henriette PETERS, Mary Ward: Ihre Persönlichkeit und ihr Institut (Innsbruck–Wien 1991).
28 Chronik des Instituts. 61. Ausbildungslehrgang des Instituts (1995–1998), in: MIÖG 107 (1999) 499–506, hier 500 u. 503.
29 Helga PENZ, Die Tüchtigkeit der Frauen. Die Wiener Barmherzigen Schwestern und die freie Wohlfahrt von 1832 bis 1945 (MIÖG Erg. Bd. 68, Wien–Köln 2023).
30 Christian LACKNER, Das Masterstudium „Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft“ an der Universität Wien und das Institut für Österreichische Geschichtsforschung, in: Scrinium 76 (2022) 19–29, hier 24f.
31 Vgl. zu diesen Fragen zuletzt LACKNER, Masterstudium (wie Anm. 30) 24f.
32 Vgl. LACKNER, Masterstudium (wie Anm. 30) 25–27.