Heimatlos
Vortrag gehalten am Kulturtag der Orden am 24. November 2021 in Wien.1
Ein Kloster schließt die Tür. Das geschieht immer häufiger, nicht nur in den Niederlanden. Im Jahr 1960 gab es 60.000 Ordensleute in den Niederlanden die kontemplativ lebten oder apostolisch tätig waren, etwa in der medizinischen Versorgung, im Bildungswesen oder in der Seelsorge. Im Jahr 2022 sind es etwa 2.860 Ordensmitglieder, 87 % davon sind über 70 Jahre, 70 % über 80 Jahre alt.2
Ein Kloster schließt die Tür. Was nun? Wohin mit den Objekten? Mitnehmen, Museum, Müll, Ebay? Alles im Depot lagern? Aber wozu? Wie können wir vorgehen?
In den Niederlanden arbeite ich als selbständiger Archivar und Kunsthistoriker für die Orden und Kongregationen. Ich unterstütze die Klöster bei der Inventarisierung, Bewertung und Wiederverwendung von Kunstobjekten. Zurzeit bin ich für die Jesuiten in den Niederlanden und in Flandern beschäftigt. Ich möchte den Ansatz und die Erfahrungen, die ich bei meiner Tätigkeit gemacht habe mit Ihnen teilen, mit dem Bestreben, dass diese Ihnen helfen können.
Schritte für den Projektablauf
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Zusammenstellung eines Teams
Abb. 1: Inventarisierungsteam bei den Augustinern: Betreuer, Vertreter des Eigentümers, Experten © Ars Sacra
Für Projekte zur Inventarisierung und Bewertung von Kunstgegenständen benötigt es die Zusammenstellung eines Teams. Die Person, welche die Gruppe betreut und begleitet, soll neutral agieren. Vorzugsweise verfügt sie über Erfahrung im Bereich Kommunikation. Die Vertreterin oder der Vertreter ist meist ein Ordensmitglied und mit dem kulturellen Erbe sehr gut vertraut. Die Expertin oder der Experte für kirchliches Kulturerbe verfügt über umfangreiches Wissen über den kulturhistorischen Wert und kennt das Netzwerk, sodass im Bedarfsfall zusätzliche Fachleute konsultiert werden können.
Es ist wichtig, die klösterliche Gemeinschaft an mehreren Stellen in die Projektschritte der Inventarisierung, der Bewertung und der Verwendung einzubeziehen. Darauf wird im vorliegenden Text noch eingegangen.
2. Inventarisierung
Der zweite Schritt ist das Erstellen eines guten Inventars. Diese Bestandsaufnahme ist eine kanonische Verpflichtung, die Verwalter kirchlichen Sachvermögens zur Sorge über das Kulturgut anleitet.3 Ein Inventar ist auch ein unverzichtbares Hilfsmittel für den Abschluss von Versicherungen, wie etwa gegen Feuer und Diebstahl. Auch die Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche wies 1999 auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Inventarisation und Katalogisierung von Kulturgütern der Kirche hin.4
Abb. 2: Kunstobjekte auf einem Dachboden © Ars Sacra
Alle Beteiligten des zusammengestellten Teams führen zuerst einen Rundgang durch das gesamte Kloster und etwaige Nebengebäude durch. Nicht zu vergessen sind Keller, Speicher und Schuppen. Die Überraschung kann groß sein, wie viele Gegenstände an den genannten Orten manchmal zu finden sind (Abb. 2). Besonders zu achten ist auf Dinge aus dem Alltag des Ordenslebens. Das Wissen und die Geschichten dieser Objekte sind in Gefahr, denn sie werden verschwinden, wenn sie nicht dokumentiert werden.
Bei der Aufnahme der Objekte werden die wichtigsten Daten, Merkmale und Eigenschaften in einer Datenbank mittels Inventarisierungsformular erfasst:
Database-Nummer |
2541 |
1745 |
Objekt |
Statue |
Kerzenständer |
Zahl |
1 |
6 |
Darstellung |
Ignatius |
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Beschreibung |
Ignatius van Loyola, zeigt auf ein aufgeschlagenes Buch mit Text 'Ad maioram Dei gloriam' |
Dreieckiger Fuß auf geschwungenen Beinen. An den Seiten Monogram IHS, |
Datierung |
1935 |
1825–1875 |
Abmessungen |
h 120 x br 30 |
h 60 x Durchmesser 15 |
Material |
Gips |
Holz, vergoldet |
Schöpfer/Designer |
C. van Capelle |
Gebr. Bots |
Zeichen |
CvP |
P&JB, Utrecht |
Weitere Informationen |
restauriert 1996 |
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Zustand |
gut |
gut |
Foto |
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Status |
Angetroffen |
Leihe Stadtmuseum Utrecht |
Standort |
Nijmegen, Berchmanianum, Kapel |
Delft, Stanislascollege |
Herkunft |
Venlo, Exerzitienhaus |
Amsterdam, Xaveriuskirche |
alte Inventarnr. |
Venl_Exer_15 |
Amst_Xave_104 |
Abb. 3: Beispiel eines Datenblattes © Ars Sacra
Bereits vorhandene alte Inventare oder Listen geben oft wertvolle Hinweise und sollen bei der Eingabe in die Datenbank berücksichtigt werden. Die Jesuiten hatten zum Beispiel zwei Laufmeter Ordner, die mit auf Schreibmaschinen getippten Listen befüllt waren. Ein erneutes Eingeben der vorhandenen Informationen in eine Datenbank hätte zu viel Zeit und Geld gekostet. Daher fiel die Entscheidung für einen finanziell günstigeren und schnelleren Aktionsplan, dem Scannen sämtlicher Einlageblätter.
Abb. 4: Verschiedene Bestandslisten © Ars Sacra
Der Text in den gescannten Dokumenten wurde anschließend durch die Kombination von drei OCR-Programmen (Optical Character Recognition) gelesen. Durch den automatischen Vergleich verschiedener OCR-Ergebnisse konnten mögliche Fehler automatisch erkannt und korrigiert werden. Alle Informationen inklusive der Fotos wurden automatisch in die Datenbank übertragen.5 Die fertigen Inventare wurden an die Jesuitenhäuser zur etwaigen Korrektur und zur Einholung von ergänzenden Informationen übermittelt. Die älteren Jesuitenpatres bevorzugten ein Inventar in Printversion. Die schriftlichen Rückmeldungen zu den einzelnen Objekten werden mit Namen der Person, Datum, Funktion etc. aufbewahrt, damit die Nachvollziehbarkeit der Informationen auch erhalten bleibt.
Abb. 5: Entwurf des Bestandsverzeichnisses (Inventar) mit handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen © Ars Sacra
3. Bewertung
Wohin mit den Objekten? Diese Frage hängt vom Wert eines Gegenstandes ab und ist mit der Zieldefinition des jeweiligen Eigentümers bzw. mit der Ordensleitung abzustimmen. Dieses Ziel wird durch den Prozess der Bestandsaufnahme oftmals klarer formuliert und kann bei jeder Ordensgemeinschaft variieren. Für die Bewertung eines Sammlungsbestandes kann es die unterschiedlichsten Gründe geben:
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Ausstellung
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Herausgabe einer Publikation (z.B. Jubiläum)
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Zusammenlegung von Ordensprovinzen
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Schließung einer Niederlassung
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Restitution (z.B. an Missionsgebiete)
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Reduktion eines Sammlungsnachlasses
Beispiel: Pater Daniël Butaye (*1925–†2012) ist im Alter von 104 Jahren verstorben. Er war ein hochgebildeter Mann, aber auch ein schwieriger und eigensinniger Verwalter eines Kunstdepots, situiert auf einem Dachboden. Mehr als 50 Jahre war er für das riesige Depot verantwortlich, das von niemandem betreten werden durfte. Als der Obere nach dem Tod von Pater Butaye den Raum betritt, stellt sich heraus, dass er unter Ungeziefer, Sonnenlicht und Wasserschäden leidet.
Eine Frage kann lauten: Welche Gegenstände sollen wir restaurieren lassen, um ihren Erhalt für die Zukunft zu sichern?
Aus welchem Grund auch immer eine Sammlung bewertet wird, die Fragestellung nach der Intention ist von großer Bedeutung. Je genauer diese formuliert ist, desto zielführender sind die Ergebnisse der Bewertung, denn die Intention bestimmt die Kriterien. Daher ist es wichtig, in der Diskussion stets die Frage nach Zweck und Ziel klar im Blick zu behalten.
Für die Jesuiten in den Niederlanden und Flandern war der Anlass für die Bewertung die Schließung einiger Ordenshäuser infolge des Rückgangs der Zahl der Mitbrüder. Die gesamte Sammlung umfasste etwa 3.500 Gegenstände, die sich zum Teil als Leihgaben in Museen befanden. Da die Gewährleistung der Pflege und Verwaltung der Sammlung in Zukunft nicht mehr gegeben war, war eine „Ausdünnung“ des Bestandes notwendig. Die Hauptaufgabe der Jesuiten ist nicht die Instandhaltung einer riesigen Kunstsammlung, sondern ihr Sendungsauftrag.
In einer E-Mail an den Obersten und die Minister der Jesuitenhäuser schrieb der Socius, dass es um Weisheit bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Erhalt des Guten und Schönen geht und um die Wahl des richtigen Rüstzeugs, das beim Pilgern in die Zukunft nicht behindert, sondern hilft.
Die Formulierung „Wahl des richtigen Rüstzeugs“ war noch sehr weit gefasst und musste präzisiert werden: „Welche Gegenstände sind so eindeutig mit (der Geschichte) der Spiritualität, den Menschen und den Werken des Ordens verbunden, dass sie dadurch einen bleibenden Wert haben, der auch in Zukunft (gegebenenfalls museal) für die permanente Mission des Ordens genutzt werden könnte, die in den Konstitutionen und auf Basis der weltweiten apostolischen Prioritäten im Jahr 2019 formuliert wurde?“6
3.1. Bewertungskriterien
Eine Bewertung ist die Prüfung eines Objektes anhand definierter Kriterien. Am klassischen Kunstmarkt werden zu den Gegenständen folgende Informationen angegeben: Künstler, Datierung, Technik, Ikonografie, Zustand, Provenienz und Kontext. Diese genannten Faktoren beeinflussen den aktuellen Marktwert und zeigen die ökonomische Sicht. Für die Bewertung von Kulturgütern aus dem Besitz von Ordensgemeinschaften sind folgende drei Kriterien besonders relevant:
A Gebrauchswert/Erinnerungswert
B Sozialer und gesellschaftlicher Wert
C Kulturhistorischer Wert
Diese Werte sind gleichrangig, aus den Fragestellungen kann für die Bewertung eine Hierarchie entstehen. So wird ein Kloster, das alles zu verkaufen wünscht, weil etwa die medizinische Versorgung in Afrika gewährleistet werden muss, den wahrgenommenen Wert anders angeben als ein Kloster, das eine Ausstellung anlässlich der Heiligsprechung der Gründerpersönlichkeit organisiert.
Zunächst einige Anmerkungen über die Eigenschaften eines Gegenstandes, die wesentlichsten Merkmale sind:
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Status
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Sakralität/Verehrung
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Zustand des Objektes
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Ensemble
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Herkunft/Provenienz
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Status:
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Ist das Objekt Eigentum oder Leihgabe eines anderen Ordens oder Institution?
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Sind Vereinbarungen (Bedingungen) vorhanden?
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Ist der Gegenstand Teil eines Denkmals?
In einigen Fällen sind Objekte als Schenkungen in den Besitz gelangt, mit denen jedoch bestimmte Bedingungen verknüpft sind. Ein Beispiel ist ein Altarbild, das wieder an den Schenker zurückgeht, falls die Kapelle dem Gottesdienst entzogen wird.7
Die Rückgabe von Gegenständen an ehemalige Kolonien wird immer mehr zum Thema.
Abb. 6: Depot des Afrikamuseums Tervuren in Brüssel (Belgien) © Ars Sacra
Objekte, die Teil eines Denkmals sind, dürfen nicht einfach entfernt werden. In einer Kirche sind etwa Kirchenbänke, Altäre, Statuen, Kandelaber, Fenster und Wandmalereien Teil des Denkmals.8
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Sakralität/Verehrung:
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Ist der Gegenstand geweiht?
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Hat der Gegenstand eine Verbindung zu einer/einem Heiligen? (Reliquie)
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Wird das Objekt verehrt?
In der katholischen Tradition werden in manchen Fällen Gebrauchsgegenstände geweiht. Durch diese Handlung erhält das Objekt – für die Gläubigen – einen besonderen Wert, der ihm nicht mehr genommen werden kann. Für geweihte Gegenstände gelten besondere Vorschriften, die bei einer Profanierung einer Kapelle berücksichtigt werden müssen.9
Auch Gegenstände, die besonders verehrt werden und bei der Ausübung des Glaubens eine wichtige Rolle spielen, wie etwa eine Marienstatue, dürfen nicht ohne Erlaubnis des Ortsordinarius entfernt werden.10
Abb. 7: Reliquiar des hl. Johannes Berchmans (*1599–†1621) © Ars Sacra
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Zustand des Objektes:
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Ist das Objekt intakt und komplett?
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Befindet sich das Objekt im Originalzustand? Wurde es restauriert oder verändert?
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Ist der Zustand des Objektes im Vergleich zu ähnlichen Objekten gut?
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Weist das Objekt oder die (Teil-)Sammlung Gebrauchsspuren auf?
Bei zwei vergleichbaren Gegenständen kann der jeweilige physische Zustand bei der Wertermittlung ausschlaggebend sein. Auch der Grad der Authentizität ist von Bedeutung: Ein Originalzustand kann einem Gegenstand einen Mehrwert verleihen.
Abb. 8: Altargeläut – auf der linken Seite fehlt eine Glocke © Ars Sacra
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Ensemble:
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Liegt ein Ensemble vor? Ist das ursprüngliche Ensemble noch vollständig?
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Welcher Art ist das Ensemble? Gleicher Hersteller, gleicher Stil, gleiches Thema?
Der Zusammenhang zwischen Gegenständen oder zwischen Teilen einer Ausstattung bestimmt den Wert des Ensembles. Dieser Wert ist manchmal höher als die Summe des Werts der Teile. Etwa wenn es sich um unterschiedliche Objekte des gleichen Künstlers handelt, die eine Entwicklung seiner Schaffenszeit zeigen.
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Herkunft:
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Ist die Herkunft des Objekts bekannt und dokumentiert?
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Wie zuverlässig sind die Daten zur Herkunft?
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Gab es einen besonderen Grund, dieses Objekt herzustellen oder herstellen zu lassen?
Ein Objekt, dessen Herkunft bekannt und gut dokumentiert ist oder dessen Authentizität unumstritten feststeht, wird höher bewertet als ein Gegenstand, dessen Herkunft unbekannt ist.
Beispiel: Der Glasmaler Joep Nicolas (*1897–†1972) schuf für das Collegium Filosoficum in Nimwegen einige Buntglasfenster für die Kapelle. Im Archiv sind Entwurfszeichnungen, Korrespondenz, Restaurierungsberichte und Rechnungen zu den Fenstern erhalten geblieben.
Abb. 9: Buntglasfenster von Joep Nicolas © Ars Sacra
Wenn die oben angeführten inhaltlichen Merkmale der Gegenstände erfasst sind, wird auf ihre kulturhistorischen, sozialen und gesellschaftlichen Werte sowie ihre Gebrauchswerte eingegangen. Die Werte und die Merkmale eines Objekts beeinflussen sich gegenseitig. Ein Gegenstand kann ein Original sein und sich in einem guten Zustand befinden, aber das macht ihn noch nicht unbedingt zu einem Objekt des religiösen kulturellen Erbes.
Ein Gegenstand kann auch durch häufigen Gebrauch einen schlechten Zustand aufweisen und gerade dadurch in der Wahrnehmung einen hohen Wert als Gegenstand des religiösen Erbes erlangen.
3.2. Subjektivität der Bewertung
Obwohl die Bewertung auf eine gewisse wissenschaftliche und damit rationale Weise erfolgen soll, sind mit dem religiösen Erbe häufig Emotionen verbunden. Das Bewertungsteam muss sich dessen bewusst sein.
Beispiel: Im Dezember 2019 wurde die umfangreiche Gemäldesammlung im Kunstdepot der Jesuiten in Leuven bewertet. Der leitende Konservator des Rijksmuseums Amsterdam fand mehrere Gemälde in einem einwandfreien Erhaltungszustand vor, die mit geringem Reinigungsaufwand sofort wieder im Kloster aufgehängt werden könnten.
In einer Besprechung teilten die Patres die Begeisterung über diesen Fund überhaupt nicht, da sie mit den Werken Erinnerungen an das bedrückende Regiment weckten, das in den Ausbildungshäusern herrschte. Die Objekte wurden als Leihgabe an das Rijksmuseum gegeben.
Abb. 10: Gemälde des hl. Aloysius von Gonzaga © Ars Sacra
A Gebrauchswert/ Erinnerungswert
A.1. Aktueller Wert
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Hat der Gegenstand eine devotionale Bedeutung?
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Hat der Gegenstand für die Gemeinschaft einen bestimmten Gedenk- oder Erinnerungswert?
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Misst die Gemeinschaft dem Gegenstand andere Werte bei?
Beispiel: Der Montag nach dem Fest der Heiligen Familie oder der Auffindung im Tempel, war der Tag der "Suche nach dem Jesuskind". Die Priorin eines Karmelitinnenklosters hatte irgendwo im Haus ein Bild des Jesuskindes versteckt. Unmittelbar nach dem Morgengebet machte sich die ganze Kommunität auf die Suche danach. Es durfte überall gesprochen werden und auch Lärm war während der Suche erlaubt. Die glückliche Finderin durfte das originale Wachs–Christkind drei Tage lang in ihrer Zelle behalten. Danach bekam es jede Schwester für einen Tag in ihre Klosterzelle. Das Fest der „Suche nach dem Jesuskind“ war eine der besonderen Traditionen des Karmel und wurde zum letzten Mal im Januar 1968 abgehalten. Viele Schwestern haben bis heute diese Tradition in guter Erinnerung und manche bedauern die Abschaffung.
Abb. 11: Wachs-Christkind © Ars Sacra
A.2. Wirtschaftlicher und spiritueller Wert
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Bringt der Gebrauch des Objektes der Organisation einen Mehrwert (finanzielle Erträge oder ‚Fructus Spiritualis‘)
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Zieht der Gegenstand zusätzliche Besucher an?
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Lässt sich mit dem Gegenstand eine Geschichte erzählen? Gibt es einen didaktischen Nutzen?
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Vermittelt er eine Botschaft?
Die Trappisten von Sint-Sixtus in Westvleteren, Provinz Westflandern, in Belgien brauen ein Bier mit hervorragendem Ruf. Das „Westvleteren“ ist ausgezeichnet mit dem Titel „Bestes Bier der Welt“.11 Das lockt viele Besucherinnen und Besucher an, die mit Enttäuschung feststellen müssen, dass es nur möglich ist zwei Kisten Bier kaufen zu können. Mehr gibt es nicht. Die Mönche sagen: Wir brauen, um zu leben. Wir leben nicht, um zu brauen.
Abb. 12: Westvleteren Bier © Ars Sacra
B Soziale und gesellschaftliche Werte
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Erfüllt das Objekt eine aktuelle Funktion und wenn ja, welche?
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Ist das Objekt von besonderer sozialer, spiritueller, religiöser oder gesellschaftlicher Bedeutung und wenn ja, warum?
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Sind mit dem Objekt bestimmte Ideen, Gewohnheiten, Traditionen oder Gebräuche verbunden?
Beispiel: Präsenztafel (Abb. 13). Diese wird immer noch in einem Kloster mit betagten Ordensleuten in Leuven verwendet, da nicht alle älteren Menschen ein Mobiltelefon haben. Mit der Verwendung der Präsenztafel kann auf einfache Weise dargestellt werden, in welchen Räumlichkeiten sich die Brüder gerade befinden.
Abb. 13: Präsenztafel © Ars Sacra
Dieses Kleindenkmal (Abb. 14) ist eine Stiftung für einen Provinzial im Jahr 2014 von der Frau eines Betroffenen des sexuellen Missbrauchs. Sie und ihre Familie litten jahrelang unter den Folgen des Missbrauchs. Gemeinsam mit den Jesuiten wurde ein Begleitungsprozess eingeleitet. Dem Opfer und seiner Familie geht es inzwischen besser. Das Buch steht für die Geschichte des Missbrauchs und symbolisch als Seite im Kapitel des Lebens, die nun endlich umgeblättert werden kann. Das Datum gibt das der Versöhnung zwischen den Jesuiten und dem Ehepaar wieder. Der Stern ist das Licht, das endlich in der Nacht zu leuchten beginnt und den Weg weist.
Abb. 14: Denkmal zur Versöhnung nach einem Missbrauch © Ars Sacra
B.1. Wahrnehmung
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Ruft das Objekt bei den Betrachtern starke Sinnesempfindungen hervor?
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Strahlt das Objekt eine bestimmte Atmosphäre aus, ruft es bei den Betrachtern eine bestimmte Erinnerung, ein Wiedererkennen oder Emotionen hervor?
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Wird das Objekt von vielen Menschen als ausgesprochen schön oder hässlich empfunden?
Vor einigen Jahren habe ich ein flämisches Kloster besucht. Dort lebten einige Patres aus dem Fernen Osten. In ihren Zimmern hatten sie alle ihre eigenen Familienaltäre mit Bildern, Pflanzen, manchmal auch Tieren und Gegenständen. Der Obere beschloss in der Hauskapelle eine Art Familienaltar für die ganze Gemeinschaft Christi zu errichten mit Christus als Mittelpunkt (Abb. 15).
Abb. 15: Hauskapelle im Augustinerkloster in Gent (Belgien) © Ars Sacra
C Kulturhistorischer Wert
C.1. Historisch
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Kann das Objekt mit einer bestimmten bedeutenden Person, einem oder mehreren wichtigen Ereignissen oder Aktivitäten in der Vergangenheit assoziiert werden?
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Illustriert das Objekt eine wichtige historische Periode, Tradition, Gebräuche, Entwicklung, Zeitverhältnisse oder einen Lebensstil der religiösen Gemeinschaft?
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Trägt das Objekt zum Verständnis einer Periode, eines Gebrauchs, Lebensstils, einer Aktivität bei, und wenn ja, wie?
Beispiel: Während eines Bombenangriffs im Jahr 1944 traf eine Granate die Kapelle, in der gerade Ordensschwestern beteten. Ein Granatsplitter durchbohrte den Tabernakel und das Ziborium und tötete eine der Mitschwestern. Das beschädigte Ziborium ist erhalten geblieben und dient als historisches Zeitdokument.
Abb. 16: Beschädigtes Ziborium © Ars Sacra
Beispiel: Nach seinem Tod im Jahr 1914 wurde Pater Adolphe Petit (*1822–†1914) eine große Verehrung zuteil. Diese wuchs so schnell, dass sein Leichnam 1938 exhumiert und in eine eigene Kapelle gebracht wurde. Die Überführung war eine große Veranstaltung mit Bischöfen, Jugendlichen, Chören, Musikvereinen und vielen Zuschauern (Abb. 17). Nach den 1960er Jahren ließ das Interesse an der Verehrung des Pater Adolphe Petit nach. Die Kapelle wurde im Jahr 2019 verkauft. Der Leichnam wurde auf den Friedhof des Klosters zurückgebracht (Abb. 18).
Abb. 17: Überführung von Pater Adolphe Petit unter großem Interesse im Jahr 1938 © Ars Sacra
Abb. 18: Überführung von Pater Adolphe Petit zurück auf den Klosterfriedhof im Jahr 2019 © Ars Sacra
C.2. Künstlerisch
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Wurde das Objekt auf eine besondere oder neue Art entworfen, gestaltet oder ausgeführt?
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Zeugt das Objekt im Hinblick auf Idee, Form oder Funktion von Kunstsinn, Kreativität oder Ursprünglichkeit?
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Ist das Objekt ein gutes Beispiel für einen bestimmten Stil, ein bestimmtes Konzept, eine bestimmte Strömung oder das Werk eines bestimmten Künstlers oder Designers?
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Weist das Objekt eine neue Bildsprache (Ikonografie) auf?
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Weist das Objekt in seiner Ausführung ein hohes Maß an Kreativität, fachlichem Können oder technischem Erfindergeist auf?
C.3. Informativ
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Lassen sich dem Objekt Informationen entnehmen, wie dies beispielsweise bei Archivdokumenten, Büchern und naturhistorischen Objekten der Fall ist?
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Ist das Objekt heute oder voraussichtlich ein interessanter Forschungsgegenstand für die Wissenschaft?
3.3. Dokumentation der Bewertung
Dokumentieren Sie sorgfältig die einzelnen Schritte und Entscheidungskriterien des Bewertungsvorgangs. Dies dient nicht nur für Sie selbst, sondern auch für nachfolgende Personen. Diese Dokumentationen sind wichtig für die Zukunft, wenn die Sammlung erneut bewertet oder beispielsweise abgegeben werden muss.
Bewahren Sie das Bewertungsformular auf, sodass es bei einer aktiven Akquisition oder beim Hinzukommen neuer Gegenstände verwendet werden kann.
4. Ergebnis und weitere Nutzungsmöglichkeiten
Der letzte Schritt ist die Handlung, die aus dem Anlass der Bewertung hervorgeht. Falls der Anlass die Organisation einer Ausstellung oder das Verfassen eines Buchs war, ist im Bewertungsprozess deutlich geworden, welche Gegenstände ausgewählt werden können, um das Ziel optimal zu erreichen. Ansonsten gibt es keine Veränderung – die Sammlung bleibt in der Gesamtheit bestehen.
Wenn die Frage auf eine Reduzierung des Bestandes abzielte, ist im Laufe des Prozesses deutlich geworden welche Gegenstände wichtig sind und sorgfältige Aufmerksamkeit verdienen. Die Bewertung zeigt nun, welche Gegenstände verkauft, verschenkt und als Leihgaben zur Verfügung gestellt werden können.
Das Finden einer neuen Nutzung für Gegenstände ist, insbesondere wenn es um Schenkung, Verkauf oder Vernichtung geht, eine heikle und manchmal schwierige Aufgabe.
Die Katholiken sind Teil einer Weltkirche und an verschiedenen Orten besteht eine Nachfrage nach religiösen Gegenständen. Dort, wo Kirche wächst, könnten Gegenstände sehr gut einen passenden Platz finden. Doch die Praxis birgt Probleme. Für einen Priester in Afrika ist ein teurer Silberkelch nicht geeignet, Exemplare aus Kupfer werden etwa vorgezogen. Auch die Anfrage eines Missionars, der per E-Mail nach „20 kg Kelchen“ fragt, weil bei seiner „transkontinentalen Reise noch Platz im Koffer ist“, muss kritisch geprüft werden. Gemeinschaften mit anderem kulturellem Hintergrund haben eigene Vorstellungen der Art und Ausführung eines Objektes. Zudem sollen heimische Künstlerinnen und Künstler gefördert werden. Eine Identifizierung mit „ausgedienten“ Objekten aus Europa findet selten statt.
Kritisch zu hinterfragen sind auch Anfragen seitens traditionalistischer Gruppen (außerhalb der Kirche) nach vorkonziliaren liturgischen Gewändern. Nicht jeder Eigentümer ist von der Vorstellung, diese Gruppen zu unterstützen, gleichermaßen begeistert. Dies ruft jedoch die grundlegende Frage auf, inwieweit man sich beim Finden einer neuen Nutzung für Gegenstände von ideologischen Ansichten leiten lassen darf.
Beim Verkauf von Gegenständen gibt der Eigentümer das Eigentum ab und hat bezüglich der Nutzung keine Entscheidungsbefugnis mehr, es sei denn, es wurden in einem Übereignungsvertrag verbindliche Bedingungen aufgenommen. Die Zahl der Fälle, in denen die Würde von kirchlichen Gegenständen nicht beachtet wurde, nachdem sie verkauft wurden, ist leider groß. Das ist für Gläubige und diejenigen, die diese Gegenstände geschaffen oder geschenkt haben, ein großes Ärgernis. Wir müssen vermeiden, sofern es in unserem Wirkungskreis möglich ist, dass kirchliche Gegenstände anstößig verwendet werden: Wir wollen nicht, dass ein Kelch als Pralinenschale bei der Nachbarin auf dem Couchtisch, eine Kasel im Karnevalsumzug und ein Madonnenbild in einem Bordell landet.
Welche Möglichkeiten der Nutzung gibt es?
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An Ort und Stelle belassen. Bei fest eingebauten Gegenständen (Mosaiken, Fassadenskulpturen oder Bleiglasfenstern) ist eine Verbringung nicht immer möglich. Manchmal ist eine Entfernung aufgrund des Denkmalschutzes nicht gestattet. Auch in diesem Fall können mit einem neuen Eigentümer Vereinbarungen über eine würdige Wiederverwendung oder Möglichkeiten zur Verbergung getroffen werden.
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Besondere Kunstgegenstände wären in einem Museum am besten aufgehoben. In diesem Fall könnten Vereinbarungen über die Nutzung zu bestimmten Gelegenheiten getroffen werden.
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Viele Orden und Kongregationen haben Klöster in anderen Ländern. Zahlreiche Gegenstände können in Nachbarklöster zur weiteren Verwendung verbracht werden und auf diese Weise „in der Familie bleiben“. Wichtig ist allerdings die sorgfältige Beachtung der Zollbestimmungen: Können alle Gegenstände (Elfenbein, Gold oder Silber sowie besondere Kunstgegenstände) problemlos ins Ausland verschickt werden oder sind bestimmte Ausfuhrgenehmigungen zu beachten?
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An Gegenständen, die abgegeben werden müssen, sind oft auch andere Kirchen und Klöster interessiert. Eine gute Methode ist die Aufstellung von Vergabekriterien in Bezug auf interessierte Parteien: Passen die Gegenstände im Hinblick auf ihren Stil gut zu den Objekten der dort vorhandenen Sammlungen? Besteht eine historische Verbindung zur betreffenden Kirche? Gibt es dort bereits andere vom selben Künstler geschaffene Objekte?
In den Fällen B, C und D besteht die Möglichkeit, Gegenstände zu verschenken, zu verkaufen oder als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. In jedem Fall ist eine sorgfältige Dokumentation der Vereinbarungen und die Übergabe eventuell vorhandener Schätzgutachten und Restaurierungsberichte wichtig.
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Verkauf: Der Verkauf von Gegenständen kann über eine Auktion oder als freihändiger Verkauf erfolgen. Wichtig ist, im Blick zu behalten, dass Verkaufen manchmal eine heikle Sache sein kann. Historische Paramente sollen nicht für den Karneval Verwendung finden, ein Ziborium oder ein Kelch nicht als Bonbonschale.
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Vernichtung: Objekte, die stark abgenutzt oder beschädigt sind, werden in einigen Fällen vernichtet oder eingeschmolzen. Dies gilt mit Sicherheit in Fällen, in denen der Restaurierungsaufwand in keinem Verhältnis zum letztlich erreichbaren Wert steht. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, Diskretion walten zu lassen. Falls die Vernichtung von einem professionellen Anbieter durchgeführt wird, muss ein Nachweis der Vernichtung verlangt werden.
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Lagerung: Mit Nutzungsänderungen sind oft Emotionen verbunden. Manchmal ist es sinnvoll, alle Objekte vorübergehend einzulagern, bis eine Beruhigung der Emotionen stattgefunden hat.
Eugène van Deutekom studierte Geschichte an der Katholischen Universität Nimwegen und Kunstgeschichte an der päpstlichen Universität Gregoriana. Er arbeitet als Archivar und Kunsthistoriker in den Niederlanden und berät Ordensgemeinschaften in Deutschland, Belgien und den Niederlanden zu Fragen betreffend Erhaltung und Bewahrung ihrer Sammlungen.
Kontakt: evandeutekom@gmail.com; www.arssacra.nl
1 https://www.ordensgemeinschaften.at/kultur/aktuelles/1662-kulturtag-der-herbstagungen-ueber-alltag-kunst-und-werte [Zugriff: 18.05.2023].
2 Niederländische Bischofskonferenz, https://www.rkkerk.nl/wp-content/uploads/2022/10/Algemeen-Ad-Limina-Rapport-2022-NL-DEF.pdf [Zugriff: 18.11.2022].
3 CIC (Codex Iuris Canonici) 1284 §2 Nr. 1. https://www.codex-iuris-canonici.de/cic83_dt_buch5.htm [Zugriff: 18.05.2023]
4 https://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_commissions/pcchc/documents/rc_com_pcchc_19991208_catalogazione-beni-culturali_it.html [Zugriff: 18.11.2022]
5 Weitere Informationen siehe Eugène van Deutekom, https://www.arssacra.nl/.
6 Ebda.
7 Profanierung eines Gotteshauses.
8 Die Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes sind in jedem Land unterschiedlich.
9 Die Bestimmungen sind bei den zuständigen bischöflichen Ordinariaten zu erfragen.
10 CIC 1190.
11 https://www.nzz.ch/wirtschaft/das-beste-bier-der-welt-wird-von-belgischen-moenchen-gebraut-ld.1519257?reduced=true [Zugriff: 18.11.2022]