Netzwerken seit 65 Jahren - Die Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern
Vortrag gehalten am Vernetzungstreffen Kulturgüter am 27. März 2023 im Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal.
Die Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern ist die gemeinsame Plattform der deutschsprachigen Museen und Schatzkammern in kirchlicher Trägerschaft, unabhängig von Konfession oder Größe. Die Arbeitsgemeinschaft entstand 1958 aus einer Privatinitiative der Leiter der Domschatzkammern von Köln und Aachen, Joseph Hoster (*1910, †1969) und Erich Stephany (*1910, †1990),1 die sich zu einem zwanglosen fachlichen Erfahrungsaustausch trafen. Diesem ersten Treffen folgten weitere, der Kreis wurde rasch größer und schon bald war die Arbeitsgemeinschaft zu einer Institution geworden, die sich alljährlich in der Woche vor dem Pfingstfest an wechselnden Orten zu einer Jahrestagung zusammenfand, allerdings ohne feste Orgnisationsform. So mancher Einzelkämpfer, der als Museumsleiter in seiner Diözese einen mehr oder weniger stark ausgeprägten „Exotenstatus“ hatte, konnte in diesem Kreis rasch feststellen, dass er mit seinen Problemen nicht allein dastand. Doch keinem der Gründerväter war wohl bewusst, dass sie hier eine Institution ins Leben gerufen hatten, die mehrere Generationen lang Bestand haben würde.
Abb. 1: Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern
mit Weihbischof Dr. Dominicus Meier OSB anlässlich der Jahrestagung 2022 in Paderborn
(c) Erzbistum Paderborn / Thomas Throenle
Seither hat sich die Arbeitsgemeinschaft stark weiterentwickelt. Inzwischen ist sie ökumenisch ausgerichtet und zählt derzeit (2023) 74 Mitglieder aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und angrenzenden Ländern (Belgien, Niederlande, Südtirol, Ungarn).2 Die Grenzen sind dadurch gesteckt, dass die Arbeitssprache Deutsch ist. Es bestehen partnerschaftliche Kontakte zur französischsprachigen Gemeinschaft „Europae Thesauri“3, und zum „Arbeitskreis für die Inventarisierung und Pflege des kirchlichen Kunstgutes in den deutschen (Erz-)Bistümern.“4, durch die einfache Tatsache, dass einige Mitglieder in mehreren Gemeinschaften aktiv sind und so ein wechselweiser Informationsaustausch stattfindet.
Eine entscheidende Weichenstellung erfolgte Mitte der 2000er-Jahre, als aus der losen Gemeinschaft ein Verein wurde. Seither gibt es Statuten, einen sechsköpfigen Vorstand und einen jährlichen Mitgliedsbeitrag, aus dem in erster Linie die Homepage www.kirchliche-museen.org unterhalten wird. Die Aufnahme eines neuen Mitglieds erfolgt nicht mehr wie früher formlos, sondern nach einem schriftlichen Beitrittsgesuch, worüber nach einer Empfehlung des Vorstands bei der nächsten Mitgliederversammlung abgestimmt wird. Die wichtigsten Kriterien sind, dass sich die Sammlung in der Trägerschaft einer kirchlichen Institution (Diözese, Klostergemeinschaft, kirchliche Stiftung, evangelische Landeskirche etc.) befindet und dass sie der Öffentlichkeit zugänglich sein muss. Die bloße Existenz einer Sammlung für eine Aufnahme reicht nicht aus.
Jede Mitgliedsinstitution wird ausschließlich von der jeweiligen wissenschaftlichen Leiterin oder dem wissenschaftlichen Leiter vertreten. Das mag zunächst nach einem elitären Zirkel klingen und hat doch handfeste praktische Gründe, denn der persönliche Austausch ist der Kern der Arbeitsgemeinschaft. Daher wird darauf geachtet, dass der Kreis nicht zu groß wird, sodass der persönliche Kontakt zwischen allen Teilnehmenden leicht möglich ist. Auch würde die Ausrichtung einer Tagung mit einer Teilnehmer:innenzahl, die die magische Grenze einer „Autobusgruppe“ sprengt, die allermeisten gastgebenden Häuser finanziell und organisatorisch überfordern. Denn neben Fachvorträgen sind Besichtigungen und Exkursionen ein wichtiger Teil jeder Jahrestagung.
War es bis vor wenigen Jahren selbstverständlich, dass der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft ein Geistlicher war, so hat sich dies mittlerweile geändert, nicht zuletzt deshalb, weil immer weniger Museen und Schatzkammern unter geistlicher Leitung stehen. 2019 kam mit Birgitta Falck von der Domschatzkammer Aachen nicht nur erstmals eine dem Laienstand angehörende Persönlichkeit, sondern auch erstmals eine Frau in diese Position. Derzeit wird der Vorsitz von Direktor Heimo Kaindl vom Diözesanmuseum Graz ausgeübt, als Geschäftsführer fungiert Thorsten Albrecht vom Kunstreferat der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Der Vorstand achtet darauf, dass sich der Mix an Mitgliedern auch in der Besetzung bestmöglich widerspiegelt. Derzeit ist das Verhältnis ausgewogen, mit zwei evangelischen Kollegen, zwei Frauen und zwei Österreichern, von denen einer der Vertreter eines Ordenshauses ist.
Die beherrschenden Themen haben sich in den 30 Jahren, die ich bereits der Arbeitsgemeinschaft angehören darf, naturgemäß verschoben. Waren die Tagungen früher eher kunsthistorisch ausgerichtet, so steht nun viel mehr die Stellung des kirchlichen Museums in einer immer stärker säkularisierten Gesellschaft im Mittelpunkt der Überlegungen und Diskussionen. Es ist schon lange nicht mehr vorgekommen, dass vor einer Vitrine lang und ausgiebig über die korrekte Datierung des ausgestellten Objekts diskutiert wurde, was früher oft der Fall war.
Stattdessen beschäftigt die Arbeitsgemeinschaft derzeit sehr intensiv die Eigendefinition des kirchlichen Museums und seine Stellung in der heutigen Kulturlandschaft und Mediengesellschaft. Was unterscheidet ein Museum oder eine Schatzkammer in kirchlicher Trägerschaft von einem Landes- oder Stadtmuseum, das ebenfalls sakrale Gegenstände präsentiert? Provokant gesagt: Erzählt die Heiligenfigur oder die Madonna im kirchlichen Museum eine andere Geschichte als im Landesmuseum? Und: Übernehmen wir als „Museumsleute“ hier nicht Aufgaben, die eigentlich die Priester in der Pfarrseelsorge erledigen sollten? Die in rasantem Wandel begriffene Situation aller christlichen Kirchen, verbunden mit Sparzwängen in einigen Diözesen, wo mittlerweile die Sinnhaftigkeit eines Museumsbetriebs unter mehr oder weniger stark vorgehaltener Hand grundsätzlich in Frage gestellt wird, führte nicht zuletzt zur Ausarbeitung des „Paderborner Positionspapiers“5. Dieses wurde im Mai 2023 bei der 65. Jahrestagung in Freising verabschiedet. Inhalt des Papiers ist die Eigendefinition des kirchlichen Museums und welche speziellen Aufgaben kirchlichen Museen und Schatzkammern in unserer heutigen Zeit zukommen. Betont wird nicht zuletzt ihre Verankerung in der gesamten Museumslandschaft und ihr unverzichtbarer Beitrag zur Erhaltung eines zentralen Teils europäischen Kulturguts. Und dies geschieht nicht nur durch Konservierung und restauratorische Betreuung der Objekte, sondern auch durch eine zeitgemäße Vermittlung der Inhalte und ein offensives Zugehen auf die Öffentlichkeit.
Abb. 2: Einblick in die Schatzkammer des Augustiner-Chorherrenstifts Klosterneuburg © Walter Hanzmann
Waren vermittlungstechnische Fragen früher auf die optimale Gestaltung von Vitrinen und Beleuchtung beschränkt, so rückt mittlerweile immer mehr die inhaltliche und mediale Vermittlung in den Fokus. Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung bringt es mit sich, dass beim Publikum immer weniger Vorwissen über religiöse Dinge vorausgesetzt werden kann. Als uns bei der Tagung in Utrecht 2001 im Museum Catharijneconvent ein Bereich gezeigt wurde, in dem an zwei idealtypisch eingerichteten Räumen den Besucher:innen erklärt wurde, was eine Kirche ist, welche Funktionen Altar, Kanzel, Messkelch etc. haben und dass gewisse Dinge bei Katholiken und Protestanten anders aussehen und funktionieren, haben die meisten noch den Kopf geschüttelt, inzwischen arbeiten viele Häuser an ähnlichen Konzepten.
Auch als wir bei der Tagung in der Diözese Essen 2010 erstmals massiv mit dem Problem von Kirchen konfrontiert wurden, die mangels Pfarrgemeinden von Schließung und Profanierung bedroht sind, war das für viele aus dem Kreis erschreckendes Neuland.
Ein weiteres Thema, dem sich die Arbeitsgemeinschaft in Zukunft stärker widmen möchte, ist die Provenienzforschung.
Eine besondere Gruppe innerhalb der Arbeitsgemeinschaft bilden die klösterlichen Mitglieder. Sie setzen sich überwiegend aus den Vertreter:innen der österreichischen Stifte zusammen, mit ihren reichen und oft auch überaus heterogenen Sammlungen.6 Das bayerische Ottobeuren und das schweizerische Einsiedeln ergänzen diesen Kreis. Die Stifte sehen sich innerhalb der Arbeitsgemeinschaft insofern einer besonderen Situation gegenüber, als es sich oftmals um historisch gewachsene Universalmuseen handelt, die zusätzlich zum „üblichen“ Bestand eines kirchlichen Museums noch naturwissenschaftliche, ethnographische oder musikwissenschaftliche Sammlungen zu verwalten haben. In unseren Breiten ist aber längst nicht geläufig, dass es auch im evangelischen Norddeutschland vergleichbare Häuser gibt. Die Klosterkammer Hannover, eine Institution der evangelischen Landeskirche, verwaltet die ehemaligen Klöster in der Region wie z. B. Kloster Lüne, Wienhausen oder Walsrode, die heute teilweise Damenstifte sind und nicht nur über wertvolle historische Bauten, sondern auch über hochbedeutende Sammlungsbestände etwa an mittelalterlicher Textilkunst verfügen. Derartige Kontakte erweitern Horizonte und öffnen Augen.
Erfahrungsaustausch findet nicht nur bei den jährlichen Tagungen statt, sondern auch bei den Treffen der verschiedenen Arbeitskreise. Diese stehen anders als die Jahrestreffen allen Mitarbeiter:innen der Mitgliedsbetriebe offen. Derzeit existieren Arbeitskreise zu den Themen Textilien, Goldschmiedekunst und zeitgenössische Sakralkunst, die sich in unregelmäßigen Abständen treffen. Die zwischen den Mitgliedern geknüpften persönlichen, oft genug freundschaftlichen Kontakte, sind eine unschätzbare Ressource, wenn es um Leihgaben für größere Ausstellungsprojekte geht. Man hilft einander mit Rat und Tat und es gehört auch zum Ehrenkodex, dass wechselweise keine Leihgebühren verrechnet werden.
Viel stärker als noch am Beginn des Jahrtausends ist heute das Engagement in Sachen zeitgenössischer Kunst quer durch alle Häuser gegeben. Waren das Museum am Dom in Würzburg und die Museen im Benediktinerstift Admont in den frühen 2000er-Jahren in dieser Hinsicht Pioniere, so gehört das Ausstellen von und die Konfrontation der historischen Bestände mit zeitgenössischer Kunst heute bei vielen Häusern zu einem festen Bestandteil ihres Programms. Mitunter werden originelle und auf den ersten Blick verstörende Zugänge gewählt, wie etwa eine Ausstellung zum Thema „Fußball“ unter dem Titel „Kicker, Kult und Co.“ im Diözesanmuseum Osnabrück im Jahr 2013.7 Heute ist auf diesem Gebiet auch das Museum Krona im niederländischen Uden herausragend, das unter der Leitung von Wouter Prins ein überaus ehrgeiziges Ausstellungsprogramm umsetzt,8 das schon mit Namen wie Chagall und Dalí aufwarten konnte.
Zuletzt soll an zwei Beispielen gezeigt werden, welche konkreten Früchte durch das Netzwerk der Arbeitsgemeinschaft entstanden sind:
Die Schatzkammer des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg würde heute nicht so aussehen, wenn man nicht im Vorfeld der Neugestaltung 2010/11 im Kolleg:innenkreis der Arbeitsgemeinschaft intensiv recherchiert hätte. Als ideales Referenzprojekt erwies sich die in den Jahren 2006 bis 2008 neu gestaltete Domschatzkammer Halberstadt in Sachsen-Anhalt.9 Der damalige Leiter Jörg Richter (mittlerweile ist er für die oben erwähnte Klosterkammer Hannover zuständig) teilte bereitwillig seine Erfahrungen nicht nur im Bereich der Präsentationstechnik, sondern unterstützte auch mit seinen Erfahrungen bzgl. Einrichtung der Depots.
Abb. 3: Michael Triegel vor dem Marienaltar im Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg © Vereinigte Domstifter/Charlotte Tennler
Ein aktuelles Beispiel für ein Kooperationsprojekt, das ohne die Arbeitsgemeinschaft undenkbar gewesen wäre, ist die „Tournee“ des Marienretabels aus dem Westchor des Naumburger Doms, die nach den denkmalpflegerischen Querelen um seine Aufstellung im Sommer 2022 als salomonische Zwischenlösung gestartet wurde.10 Der Naumburger Stiftskustos Holger Kunde sah sich im Kreis seiner Kolleg:innen der Arbeitsgemeinschaft um mögliche Stationen für diese aus der Not geborene Wanderausstellung um. Relativ spontan hat das Diözesanmuseum Paderborn zugegriffen und den Altar von Dezember 2022 bis Juni 2023 gezeigt und das Stift Klosterneuburg hat sich als zweite Station zur Verfügung gestellt.
Wolfgang Christian Huber studierte in Wien Handelswissenschaften und Kunstgeschichte. Er ist seit 1990 im Stift Klosterneuburg tätig und bekleidet seit 2016 das Amt des Kustos der stiftlichen Kunstsammlungen mit reicher Ausstellungs- und Publikationstätigkeit im Rahmen des Stiftsmuseums. Daneben ist er als freier Ausstellungskurator (z. B. NÖ Landesausstellung „Feuer und Erde“ 2007) tätig.
Kontakt: museum@stift-klosterneuburg.at
1 Gregor M. LECHNER, Das Itinerar der Arbeitsgemeinschaft. Stationen und Intentionen, in: Das Münster 3/2008, 285–310.
2 Alle Mitglieder präsentieren sich auf www.kirchliche-museen.org [Zugriff: 26.07.2023].
3 https://www.europaethesauri.eu/ [Zugriff: 26.07.2023].
4 https://www.deutsche-bistuemer-kunstinventar.de/ [Zugriff: 26.07.2023].
5 Das „Paderborner Positionspapier“, online abrufbar unter https://kirchliche-museen.org/paderborner-positionspapier/ [Zugriff: 26.07.2023].
6 Der Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz ist als Vertreter für alle weiteren, vor allem kleineren Sammlungen und Museen der Frauen- und Männerorden Mitglied.
7 https://www.dfb.de/news/detail/ausstellung-kicker-kult-und-co-in-osnabrueck-eroeffnet-42941/ [Zugriff: 27.07.2013].
8 https://www.museumkrona.nl/en/now-on-display?archief [Zugriff: 26.07.2023].
9 Jörg RICHTER, Der Domschatz zu Halberstadt: Führer durch die Ausstellung (Dößel 2009).
10 Karl SCHWIND (Hg.), Triegel trifft Cranach. Die Entstehung des Naumburger Altars von Michael Triegel (Leipzig 2022) – Georg HABENICHT, Naumburger Bilderstreich (Petersberg 2023).