Wer kunst-voll feiert, gestaltet sinn-voll Zukunft
Vortrag gehalten am Kulturtag im Rahmen der Ordenstagungen am 29. November 2023 in Wien.
Einführung
Alle Ordensgemeinschaften feiern gerne und gedenken sinnvoll, wenn sie dazu einen kairos in der Gegenwart entdecken und nützen! Wir Salvatorianer haben 2021 die Seligsprechung unseres Gründers gefeiert, ein Jahr später das achthundertjährige Bestehen der Michaelerkirche in der Wiener Innenstadt und im Jahr 2023 schauen wir auf 100 Jahre salvatorianische Provinz in Österreich zurück.
In meinem Beitrag mit dem Motto „Wer kunst-voll feiert, gestaltet sinn-voll Zukunft“ möchte ich aus persönlicher Erfahrung und praktischer Gestaltung erzählen, wie man sich so etwas vorstellen kann. Das kunst-volle Feiern und das sinn-volle Gestalten der Zukunft sind wie Motoren der Ordensgeschichte. Man feiert immer wieder aus Dankbarkeit und gestaltet dauerhaft für die Zukunft. Ich möchte ein wenig erzählen, wie wir Zukunft aus Dankbarkeit gestalten möchten. Zur gleichen Zeit macht Zukunft uns immer neugierig. Ich werde meine Einsichten durch drei Lebensabschnitte und die damaligen Projekte vorstellen. Da ist zuerst ein Blick auf meine Jugendjahre.
Teil I: Die Jugendjahre
örtliches Gestalten
Vor mehr als 50 Jahren wurde unter uns jungen Ordensleuten in der Universitätsstadt Leuven in Belgien viel über Zukunft gesprochen. Das zu Ende gegangene Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965), ein neu errichtetes Gebäude für unser Scholastikat, und etwa 25 junge Ordensbrüder und Fratres wollten sinn-voll Zukunft gestalten. Zu enge und verstaubte Mentalitätsstrukturen, die im internationalen, deutschsprachigen Noviziat in Passau (Deutschland) noch vorherrschten, wurden allmählich abgestreift. Nicht die Vergangenheit wurde verteufelt, sondern durch die Impulse des Konzils lockte sie uns junge Salvatorianer, sie kennen zu lernen und sie für die Zukunft irgendwie sinnvoll zu gestalten. Das führte manchmal auch zu hitzigen Diskussionen zwischen Alt und Jung. Die älteren Mitbrüder schienen ihre eigene Geschichte doch nicht so gut zu kennen, um auf die kritischen Fragen der Jungen antworten zu können. Die sogenannte 68-er Generation wollte ihre eigene Zukunft gestalten.
Dieser Prozess hatte für mich damals etwas Beängstigendes und Unbekanntes, aber auch etwas Hoffnungsvolles. Was wird denn aus unseren Zukunftsbestrebungen werden? Wie werden wir sie gestalten? Wird es ein Flop mit Spott, eine Enttäuschung und Verbitterung mit einem eventuellen Ordensaustritt nach dem Motto: „Die haben uns sowieso nichts Eigenes gestalten lassen“? Oder werden wir dann doch hören: „Das habt Ihr neu und originell gemacht, es gefällt uns“?
Damals wurde ein kostbares Holzklischee aus dem Jahre 1902, welches das vom seligen Pater Franziskus Jordan (*1848, †1918) gegründete Salvatorianer-Kolleg darstellte, aus dem Provinzarchiv geholt, gereinigt und zum Drucker gebracht. Er brachte das verschmutzte Klischee auf Hochglanz. So entstand das Titelblatt für einen kleinen Ausstellungskatalog über die aufgelassenen und aktuellen Niederlassungen der Ordensprovinz in Belgien, Kongo und Venezuela und wurde im Mai 1972 den Mitbrüdern der belgischen Provinz präsentiert.1
Abb. 1: Ausstellungskatalog am Salvatorianischen Begenungstag in Heverlee 1971.
Wenn ich heute das kurze Vorwort nochmals lese, staune ich. Wir hatten geschrieben: „Wir hoffen, dass durch diese Ausstellung der Blick in die Vergangenheit zu einer Inspiration für die Gegenwart und die Zukunft wird.“2 Die erste Ausstellung dieser Art in der 70-jährigen Provinzgeschichte hat überzeugt und diente als Stärkung der eigenen Identität. Das alte Klischee aus dem Archiv fing jedoch an, eine eigene Dynamik zu entwickeln. Mitbrüder, interessierte Lehrer und Schüler fragten: Erzähle uns von diesem ersten Kolleg des Gründers.
Abb. 2: Das von Pater Jordan an der niederländisch-belgischen Grenze in Hamont (Provinz Limburg) gegründete Salvatorianerkolleg 1902.
Im Jahre 1962 wurde in diesem Kolleg, in Hamont an der niederländisch-belgischen Grenze, eine große Jubiläumsaustellung anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Gründung organisiert. Schüler, Brüder, Scholastiker und Patres waren alle in die Feierlichkeiten eingebunden. Die Presse hatte Erfreuliches berichtet. Der Superior des Hauses, zufällig auch noch mein Onkel mütterlicherseits, hatte sich vom Motto unseres heutigen Vortrages leiten lassen: Wer kunst-voll feiert, gestaltet sinn-voll Zukunft. Und es wurde auf allen Ebenen gefeiert, denn es gab genug Gründe! Aus der aus deutschsprachigen Mitbrüdern und mehreren deutschsprachigen Spätberufenen unter der Leitung des Salvatorianers Pater Notker Habler (*1879, †1936)3 bestehenden Kommunität, entwickelte sich eine Patres-Brüder-Studentengemeinschaft von 266 Mitgliedern.4 Der Generalsuperior Pater Bonaventura Schweizer (*1893, †1968) schrieb anlässlich seiner Visitation 1962, die Provinz „sieht einer großen Zukunft entgegen.“5
Bei diesen Feierlichkeiten 1962 erzählte mein Onkel, Pater Superior Josef Lammers (*1926, †2015) eine kleine Anekdote. Seine Mutter, also meine Großmutter Hendrika Winters (*1890, †1959), habe 1902 als 12-jähriges Brautmädchen an dem feierlichen Einzug der kleinen salvatorianischen Kommunität in das neu gebaute Kloster teilgenommen. Nachdem ich dieses Jubiläumselement in den letzten Jahren geklärt und dokumentiert habe, hat uns noch ein weiteres Element der damaligen Feier beschäftigt. Es wurde nämlich bei dem Einzug der jungen Mitbrüder in das neue Kloster ein Lied auf Niederländisch gesungen, dessen Text im Druck überliefert, aber die Melodie unbekannt war.
Abb. 3: Das Lied, welches beim feierlichen Einzug der Kommunität in das neue Kloster gesungen wurde.
Der musikalisch nicht besonders talentierte Pater Superior konnte die von seiner Mutter überlieferte Melodie nicht mehr rekonstruieren. Wie schade! Als mir der Text vorgelegt wurde, brauchte ich keine zehn Sekunden, um sie zu erraten. Wie war das möglich? Aus der Geschichte der eigenen Ordensgemeinschaft wusste ich, dass die deutschen Patres für ihre liturgische Pastoral in Ländern wie Nordamerika, Kolumbien oder in Assam in Nord-Ost Indien gerne auf bekannte liturgische Melodien der Heimat zurückgegriffen haben, zum Beispiel auf das „Tantum Ergo“ oder auf die Nationalhymnen. Ich dachte mir: Steckt in diesem, von einem braven Schulmeister im Dorf komponierten Text, nicht etwas Österreichisches, vielleicht der Kaiser selbst? Dieser ist ja, wie jeder weiß, nicht wirklich tot. Und siehe, da war die Lösung: Es war die Melodie, der von Josef Haydn (*1732, †1809) komponierten und bekannten Kaiserhymne.
Laat nu klinken jubelklanken! Laat nu wapp'ren vaan en vlag!
Schoner feest 't Loo niet vierde
Schooner morgen 't Loo nooit zag
Welkom, welkom, acht'bre herders
Juicht ons hart op blijden toon
Welkom Paters in ons midden
Welkom in Uw nieuwe Woon.
Abb. 4: Die Kaiserhymne und das Einzugslied im Vergleich.
Teil II: Die erwachsenen Jahre
Das internationale Gestalten
Schneller als man denkt, schwimmt man bald in internationalen Gewässern. Im Jahre 1981 feierten die Salvatorianer ihr erstes hundertjähriges Gründungsjahr. Das Generalat hatte keine besseren Ideen, als mich, der damals als Kaplan und Religionslehrer in Grevenbroich zwischen den „Karnevalshochburgen“ Köln und Düsseldorf (Deutschland) tätig war, als Vorsitzenden einer Redaktionsgruppe zu ernennen. Sie sollte ein Jubiläumsbuch zusammenstellen und herausgeben. Ein vergleichbares Gefühl wie dieses aus den Jugendjahren ließ mich frösteln: Etwas Beängstigendes und Unbekanntes überfiel mich. Aber zur gleichen Zeit auch wieder etwas Hoffnungsvolles, eine Chance. Was wird aus diesem geplanten Buch? Wie werden wir vier Redakteure es gestalten? Wird es ein Flop mit Spott werden? Enttäuschung und Verbitterung hervorbringen? Oder werden wir langfristig etwas für die Zukunft gestalten können? Ich hatte inzwischen die Grundregel der historischen Forschungen des Löwener Jesuiten und Psychologen-Theologen Raimond Hostie SJ (*1920, †1991) gelernt,6 dass normalerweise religiöse Institute nach drei Jahrhunderten von der Ordenslandkarte verschwinden. Die Entscheidung, ob sie durchstarten oder aussterben, wird im zweiten Jahrhundert gelegt. War die Herausgabe eines Buches, das die hundertjährige Geschichte zusammenfassen sollte, nicht Wasser auf meine Mühlen, ein Idealfall, um die Weichen für das zweite Jahrhundert zu stellen? Wäre die ganze vierjährige Vorbereitung auf internationaler Ebene nicht die Chance Zukunft sinn-voll zu gestalten? Anlässlich der Jahrestagung der Ordensarchive in Salzburg im Jahre 2014 habe ich in einem Beitrag „Schriften zum Jubiläum. Herausforderung und Chance jeder Kommunität. Ein Erfahrungsbericht“ nochmals auf diesen drei- bis vierjährigen Prozess zurückgeblickt und darüber referiert.7
Das Grundkonzept sollte die Zusammenstellung eines Studienbuches sein. Es soll die ganze SDS einbinden und es sollte vor allem quellenorientiert sein, nach dem Motto von Perfectae Caritatis, zurück zu den Quellen und zum Gründer. Das Werk gliederte sich in drei Teile.
1. Der Gründer Pater Jordan
2. Die Provinzen und die Missionen
3. Aktuelle Themen, wie die Laiensalvatorianer in den USA, Revision der Konstitutionen, salvatorianische Spiritualität und Internationalität. Aus vierzehn Ländern waren 39 Salvatorianer und eine Salvatorianerin bereit, als Autor:innen mitzuarbeiten. Die inhaltlichen Schwierigkeiten lagen hauptsächlich in der unterschiedlichen Qualität der Beiträge (Länge, Aufbau, Stil etc.) und in den Übersetzungsarbeiten. In den ursprünglichen Beiträgen ließen sich die Originalzitate manchmal kaum zuordnen: Wie und wo wurde zum Beispiel aus dem Italienischen und Lateinischen ins Polnische, Deutsche oder Portugiesische übersetzt? Es waren Hoch-Zeiten für die Archivarbeit! Die vierjährige Vorbereitung (1978–1981) hatte für die internationale Gemeinschaft Folgendes gebracht:
a. Die Quellen in Bezug auf den Gründer wurden dokumentiert.
b. Alle Provinzen und Missionen hatten eine Kurzfassung ihrer Provinzgeschichte auf neuestem Stand zusammengestellt.
c. Es zeigte sich, dass internationale Teamarbeit notwendig und möglich war.
Am 16. Juli 1981 wurde das Buch unter dem Titel „Die Salvatorianer in Geschichte und Gegenwart 1881–1981“ beim Generalkapitel im Steinfeld (Eifel, Deutschland) mit großer Freude präsentiert.
Abb. 5: Die Publikation zum hundertjährigen Bestehen der Ordensgemeinschaft.
Ich muss Euch nicht erzählen, dass überall auf der ganzen Welt mit den Menschen an der Basis viel und kunst-voll gefeiert wurde.
Aus den Reaktionen auf die sinn-volle Gestaltung der Zukunft möchte ich nur eine Reaktion eines Trappistenmönches, des international bekannten Historikers Pater Edmundus Mikkers OCSO (*1910, †1993), eines persönlichen Freundes, zitieren8
Abb. 6: P. Edmundus Mikkers OCSO (*1910, †1993)
Als Mitherausgeber der internationalen Fachzeitschrift „Cîteaux“ schrieb er 1983: Das Buch „sieht ausgezeichnet aus und gibt alle großen und kleinen, günstigen und ungünstigen Tatsachen wieder, die dieses erste Jahrhundert Eurer Kongregation gekennzeichnet haben. Als Mitglied eines Ordens, der bereits neun Jahrhunderte hinter sich hat, ist es bedauerlich, dass unsere Mitbrüder [damals] nicht daran gedacht haben, eine solche Geschichte zu schreiben, und dass sie sich mit einigen kurzen Notizen begnügt haben, während sie uns die Wirklichkeit erahnen ließen. Eure Mitbrüder im Jahre 2983 müssen nur zu diesem Buch greifen, wenn es noch Exemplare davon gibt. Das ist auch der Grund, warum seine vielfältige Verbreitung so nützlich ist.“9 Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt.10
Teil III: Die Seniorenjahre
Sinnvolles Feiern der Verschiedenheit
Kehren wir uns nun für den dritten Teil des Beitrages in die Großstadt, in die Kaiserstadt Wien zurück. Kaiser Franz Joseph I. (*1830, †1916) himself erteilte am 27. Juni 1894 die Erlaubnis zur Zulassung der neuen Gesellschaft der Salvatorianer im Erzbistum Wien, die dort aus zwei Priestern und einem Ordensbruder bestand. Die Referentin für Bibliotheken des Bereichs Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz, Irene Kubiska-Scharl, schreibt dazu: „Es wurde sichergestellt, dass die Salvatorianer ihrer Tätigkeit dort nachgehen würden, wo sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten: als Religionslehrer und Katecheten an den Rändern der Großstadt in Wien, Favoriten und in Wien, Kaisermühlen.“11 Nach dem Ersten Weltkrieg entstand im Jahre 1923 aus der damaligen österreichisch-ungarischen Provinz eine eigene österreichische Provinz. Diese hundertjährige Geschichte können Sie im Jahr 2023 erschienenen Buch „Erweckte Begeisterung“12 nachlesen. Der Titel dieses Werkes erinnert an ein Wort unseres damaligen Generalsuperiors Pater Pankratius Pfeiffer (*1872, †1945), der von Rom aus die Übernahme der Barnabitenhäuser und -besitzungen durch die österreichischen Salvatorianer ermöglichte. Wieder tat sich heuer (2023) die Möglichkeit auf, kunst-voll zu feiern, und sinn-voll Zukunft zu gestalten.
Wir hatten den 175. Geburtstag unseres Gründers Pater Franziskus Jordan gewählt, um ein zeitgemäßes Konzept in der Form eines dreitägigen Symposiums zu entwerfen. Der musikalische Einstieg fand am Freitagabend, den 16. Juni 2023 mit einem Orgelkonzert in der 800-jährigen Michaelerkirche statt. Die Erfahrung war, dass man sehr geschickt besinnliche Texte des Gründers mit Werken von berühmten Organisten wie Georg Muffat (*1653, †1704), Girolamo Frescobaldi (*1583, †1646) und Johann Caspar Kerll (*1627, †1693) verbinden kann. Eine der vier Lektor:innen, die Salvatorianerin Schwester Ulrike Musick, beschloss die Abendandacht mit folgenden Worten: „Pater Jordan konnte nur seliggesprochen werden, weil das Wunder von Brasilien auf seine Fürsprache von den theologischen Konsultoren der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse am 5. Dezember 2019 anerkannt wurde. Ein Baby, das von allen Ärzten als nicht lebensfähig beurteilt wurde, erblickte völlig gesund das Licht der Welt, gerade am 8. September 2015, dem Sterbetag von Pater Jordan. Dieses Mädchen, Livia Maria, brachte sechs Jahre später bei der Seligsprechung von Pater Jordan in der Lateranbasilika in Rom durch Kardinalvikar Angelo De Donatis mit ihren Eltern die Reliquie des neuen Seligen zum Altar. Es wurde das berührendste Bild, das im Fernsehen in die ganze Welt ausgestrahlt wurde.“13
Abb. 7: Livia Maria mit ihren Eltern. In ihrer Hand trägt sie das Reliquiar des Seligen Pater Franziskus Jordan
Als darauf die Fuga sopra il Magnificat von Johann Sebastian Bach (*1685, † 1750) (BWV 773) auf der Sieber-Orgel erklang, wurde das Bibelwort über Maria kunstvoll, passend gestaltet: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“. In dem Moment war der kairos spürbar.
Am nächsten Tag, dem 17. Juni 2023, war das Sommerrefektorium der früheren Barnabiten bis auf den letzten Platz gefüllt. Nach den üblichen Grußworten wurde das neue Jubiläumsbuch „Erweckte Begeisterung“ vom Schriftsteller Martin Kolozs kurz vorgestellt. Welch ein Perspektivenwechsel zum vor vierzig Jahren (1981) herausgebrachten Werk!
Abb. 8: Das Jubiläumsbuch 2023.
Die Redaktion erwähnte mit Genugtuung in ihrem Geleitwort: „Das Archiv sammelt, um zu forschen“ die 33 Autor:innen verschiedenster Herkunft. Diese hatten in 42 Beiträgen die Geschichte der österreichischen salvatorianischen Provinz aufgearbeitet. Die ehemalige Leiterin des Referates für Kulturgüter der Orden in Österreich, Helga Penz hat die Redaktion sehr unterstützt und motiviert. Die Autor:innen präsentierten genaue Daten und konkrete Personen. Zusammenhänge wurden klargelegt und auch Schattenseiten aufgegriffen. Die Redaktion hat allen das volle Vertrauen geschenkt und die Verantwortlichen sowie Mitarbeitende des Provinzarchivs der Salvatorianer, Robert Passini und Doris Fries, ermöglichten ihnen den Zugang zu den ordensinternen Archiven und zur benötigten Literatur. Die Verfasser:innen haben eine schwierige Forschungsarbeit gemacht, eine Arbeit, die wir Salvatorianer vielleicht selbst nie hätten machen können. Auf diesem Röntgenbild sehen wir nun demütig, wie es in der faktischen Geschichte, die sowohl eine spirituelle wie eine Personengeschichte ist, um uns steht. Wir sehen geschichtlich-strukturelle Probleme, Ausbildungsschwächen und die konkreten Lebensgeschichten mancher Mitbrüder. Wir können nur dankbar für dieses klärende und hilfreiche Röntgenbild sein.
Die Mitarbeiterinnen der Österreichischen Ordenskonferenz haben uns bei der Gestaltung dieses zweiten Tages im außergewöhnlichen Maß unterstützt. So wandte Karin Mayer, Bereichsleiterin für Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz, sich an ihr andächtig zuhörendes internationales Publikum beim Festakt: „Die Salvatorianer haben im Laufe ihrer hundertjährigen Geschichte der Österreichischen Provinz ein reiches kulturelles Erbe geschaffen und bewahrt, von der Errichtung und Erhaltung von Kirchen und Klöstern bis hin zur Förderung von Kunst, Musik und Forschung. Ihre Hingabe für die Kulturarbeit hat nicht nur zur Schönheit unserer Städte und Landschaften beigetragen, sondern auch zu wertvollen Begegnungen zwischen Menschen.“14
Wenn man nach diesen Worten ihren Beitrag im Buch „Erweckte Begeisterung“ zum Thema „Die Salvatorianer als Bewahrer der barnabitischen Kultur. Das Erbe des Barnabitenordens in Österreich in der Obhut der Salvatorianer“15 liest, dann staunt man über die fast unüberschaubare Anzahl der Kulturobjekte, die von einer 300 Jahre in Österreich wirkenden Ordensgemeinschaft an eine junge Gemeinschaft übertragen wurden. Karin Mayer zählte diese Objekte in den verschiedenen Niederlassungen detailliert auf: Archive in St. Michael in Wien und in Mistelbach, Bibliotheken in St. Michael, Mariahilf, Margarethen am Moos und Mistelbach, die Gruft in St. Michael, (für deren Erhaltung ich mich sehr eingesetzt habe), die Paramentensammlung und die Musik in St. Michael, die Gespräche zwischen Kunst und Religion. In ihrer Conclusio hält sie dann für die Zukunft fest: „Einstmalig desolate Gebäude und ihre Ausstattung konnten trotz materieller Sorgen in eine gute Zukunft geführt werden. Das vorbildliche Wirken der Salvatorianer zeigt ein gelungenes Miteinander aus Wissenschaft und Seelsorge. Der wertschätzende Umgang bei Projekten zur Kulturguterhaltung und -erforschung bereichert alle Beteiligten und zeigt gegenseitiges Verständnis, das in unserer Zeit nicht mehr selbstverständlich ist. Der stete Dialog, das Teilen von Erfahrungen, die Förderung der Talente und das gemeinsame Bestreben die Kulturgüter für die Nachwelt zu erhalten, ist eine ganz besondere Leistung.“16 Ein beeindruckendes Archiv- und Literaturverzeichnis rundet ihren Beitrag im Jubiläumsbuch ab.
Es hat manche Gäste aus dem In- und Ausland beeindruckt, dass das Generalat der Salvatorianer fast vollständig beim Symposium anwesend war. Der brasilianische Generalsuperior Pater Milton Zonta verkündete eine wichtige Mitteilung für die Zukunft, nämlich die Errichtung eines internationalen Forschungsinstitutes für Geschichte und Spiritualität in St. Michael in Wien. Erforschung, Vernetzung und Veröffentlichungen sind seine drei Hauptziele.17 Junge Mitbrüder (und auch Mitschwestern und Laien) von allen Kontinenten sollen hier – in Verbindung mit der theologischen Fakultät in Wien – in salvatorianischer Geschichte und Spiritualität akademisch weitergebildet werden. Der Vorschlag, dem zahlreichen Ordensnachwuchs in Afrika, Indien und auf den Philippinen eine ordensinterne, zusätzliche Ausbildung in Wien zu ermöglichen, wurde schon vor mehreren Jahren bei internationalen Tagungen von den Verantwortlichen lebhaft begrüßt. Die vorläufigen Statuten sind gutgeheißen, ein Direktor wurde ernannt und die Finanzen mit entsprechendem Personal befinden sich in der Planungsphase.18
Nüchterne Zahlen zeichnen auch in unseren Gemeinschaften einen gewaltigen Paradigmenwechsel auf: Von den 1072 im März 2023 gezählten Salvatorianern ist mehr als ein Drittel der Mitglieder jünger als 45 Jahre. Das heißt, diese befinden sich in einer Ausbildungsphase oder in den ersten Jahren ihres apostolischen Wirkens.19 Es war ein spannender Moment während des Symposiums, als Sr. Christine Rod MC, Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz, fünf junge Mitbrüder aus dem internationalen Ausbildungshaus in Rom (trotz bevorstehender Prüfungen!) am Nachmittag in eine Diskussionsrunde lockte.
Abb. 9: Sr. Christine Rod MC interviewt drei Scholastiker des internationalen Ausbildungshauses Tor de‘ Cenci, Rom (Fr. Joseph Hoa aus Vietnam, Fr. Gabriel da Costa aus Osttimor, Fr. Stefaan Peetermans aus Belgien) sowie P. Márton Gál aus Temeswar und P. Salvator Mselle aus Tansania (v.l.n.r.). Quelle: Provinzialat der Salvatorianer Wien, Kurznachrichten (20.07.2023) 6.
Diese Mitbrüder aus Rumänien, Belgien, Vietnam, Tansania und Ost-Timor, die sich entschieden haben, in Europa arbeiten zu wollen, hatten sich, nach dem Applaus des Publikums zu urteilen, bravourös geschlagen! Sr. Christine Rod MC gab später dem ganzen Tag das liebenswerte Etikett „hoffnungsvolle Leichtigkeit“.20 Mit Leichtigkeit sollen alle Leute, die sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vielleicht noch schwertun, ihren Beitrag „Vatikanum Zwei For Dummies“ im Jubiläumsbuch meditierend zur Hand und vor allem zu Herzen nehmen.21
In einem bewegten Gottesdienst am Sonntag, dem 18. Juni 2023 feierten wir kunst-voll die hundert Jahre der österreichischen Provinz der Salvatorianer, indem Soli, Chor und Orchester St. Michael die Messe in C-Dur von Franz Schubert aufführten. Am Ende seiner Homilie ermunterte der Generalsuperior Pater Milton Zonta die zahlreichen Gottesdienstbesucher: „Schreiten wir gemeinsam voran und erinnern wir uns dabei immer an die Empfehlung des Seligen Franziskus Jordan: ‘Mögen Sie alle wahre Apostel Jesu Christi werden!‘“22
Schluss
Was könnten meine Überlegungen zum Motto: Wer kunst-voll feiert, gestaltet sinn-voll Zukunft bewirkt haben? Es bedeutet sicherlich auch, dass alle, die authentisch, überzeugt, mit einfachen Mitteln und vielleicht wenig Personal feiern, auch eine sinn-volle Zukunft gestalten können. Kunst-volles Feiern und sinn-volles Gestalten der Zukunft bleiben die zwei Motoren der Ordensgeschichte. Berücksichtigen wir dabei auch die erste Regel der Ordensgeschichte: Unsere Gründungen sind meistens in Zeiten der Krisen entstanden! Jeder Manager eines Unternehmens erinnert uns dauernd: Eine Krisenzeit ist die beste Möglichkeit, um zu gründen oder zu einer Neugründung, zu einer Neugestaltung zu kommen. Wenn wir das Phänomen der globalen Krisen kunst-voll und sinn-voll in unsere Zukunftsgestaltung hineinnehmen, dann sind wir zu dritt: Kunst, Krise und Zukunft!
Bildnachweis:
Abb. 1–6, 8–9: © P. Peter van Meijl SDS
Abb. 7: © padri salvatoriani via della conciliazione roma/ Marco Andreozzi
Peter van Meijl SDS trat 1965 der Ordensgemeinschaft der Salvatorianer bei. Seine Studien absolvierte er an der Katholischen Universität Löwen (Belgien), wo er 1990 in Kirchengeschichte promovierte. Daraufhin war er Generalpostulator in Rom und leitete den Seligsprechungsprozess des inzwischen selig gesprochen Pater Franziskus Jordan, des Gründers der Salvatorianer und Salvatorianerinnen. 2002 wurde er Pfarrer der Michaelerkirche in der Wiener Innenstadt, bis er sich seit 2016 hauptsächlich Forschungen und Veröffentlichungen zu Themen der Ordensgeschichte widmete. Peter van Meijl ist stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Österreichs. Kontakt: peter.vanmeijl@salvatorianer.at
1 Siehe Peter VAN MEIJL, Verbis et Scriptis. Meine gesamte SDS-Bibliographie. My Complete Salvatorian Bibliography (Wien 2021) 167 (71.04) und 171.
2 Vgl. Frater Peter VAN MEIJL SDS und Frater Johan MORIS SDS, Gids voor de tentoonstelling op de salvatoriaanse kontaktdag te Heverlee,(Ausstellungskatalog am Salvatorianischen Begegnungstag in Heverlee 21.05.1971) 1.
3 Vgl. Peter VAN MEIJL, Pater Jordan als Beziehungsmensch (Wien 2012) 299–302.
4 Vgl. Annales Societatis Divini Salvatoris, Bd. 7, Nr. 6, (Roma 16.04.1962) 248.
5 P. Bonaventura SCHWEIZER, in: Annales Societatis Divini Salvatoris, a.a.O, 254.
6 Vgl. Raymond HOSTIE SJVgl. Raymond HOSTIE SJ, Dood en leven van de religieuze instituten (Brügge 1972) und Von der Wüste ins Stift I (https://www.ordensgemeinschaften.at/portal/news/article/1609.html); Von der Wüste ins Stift II (https://www.ordensgemeinschaften.at/portal/news/article/1608.html); Von der Wüste ins Stift III (https://www.ordensgemeinschaften.at/portal/news/article/1601.html) [Zugriff: 14.04.2024]; siehe auch Die Geschichte des Mönchtums: Wie die Orden in Europa aufblühten - Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG (meinekirchenzeitung.at) https://www.meinekirchenzeitung.at/wien-noe-ost-der-sonntag/c-glaube-spiritualitaet/wie-die-orden-in-europa-aufbluehten_a17764 [Zugriff: 22.02.2024].
7 Vgl. VAN MEIJL, Verbis et Scriptis (2021) 459 (2014.10).
8 Vgl. P. Edmundus MIKKERS OCSO (1910–1993), Achel (Belgien), in : Analecta Cisterciensia, 1 (1945)–57 (2007) und Dictionnaire de spiritualité (1988). Siehe auch http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Gilbert_von_Hoyland [Zugriff: 22.02.2024];
Über die wissenschaftliche Arbeit von Mikkers, siehe https://www.cistopedia.org/index.php?id=8379&L=108 [Zugriff: 22.02.2024].
Siehe seine Artikel in der Zeitschrift Cîteaux: Commentarii cistercienses / Revue d'histoire cistercienne / A Journal of Historical Studies / Zeitschrift für zisterziensische Geschichte.
9 Pater Edmundus MIKKERS OCSO, Brief an den Autor (30.03.1983).
10 Vgl. VAN MEIJL, Verbis et Scriptis (2021) 191–193.
11 Irene KUBISKA-SCHARL, Eine neue Ordensgemeinschaft in Wien (1892–1923), in: Erweckte Begeisterung. 100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer (1923–2023) (Linz 2023) 15–37, hier 22.
12 Martin KOLOSZ, Robert PASSINI, Peter VAN MEIJL SDS (Hg.), Erweckte Begeisterung. 100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer (1923-2023) (Linz 2023).
13 Heft zum Orgelkonzert mit Texten zum Seligen Pater Franziskus Jordan (Freitag, 16.06.2023, 19.30 Uhr) 10.
14 Karin MAYER, unveröffentlichtes Manuskript.
15 Vgl. Karin MAYER, Die Salvatorianer als Bewahrer der barnabitischen Kultur. Das Erbe des Barnabitenordens in Österreich in der Obhut der Salvatorianer, in: Erweckte Begeisterung (Linz 2023) 139–154.
16 Ebd., 150–151.
17 Vgl. Robert SONNLEITNER, Innovationen als Investitionen in die Zukunft, in: Die Salvatorianer. SDS-Mitteilungen für Österreich und Rumänien, Nr. 2 (2023) 10–11.
18 Ebd., 10–11.
19 Vgl. P. Stijn VAN BAELEN, Eine neue Zukunft? Die Salvatorianer ringen um Perspektiven, in: Erweckte Begeisterung (Linz 2023) 505.
20 Vgl. Sr. Christine ROD MC, Reflexionen zum Jubiläumsfest. Wie feiert man ein Jubiläum, in: Die Salvatorianer. SDS-Mitteilungen für Österreich und Rumänien, Nr. 2 (2023) 4.
21 Vgl. Sr. Christine ROD MC, Ordensleben zwischen 1960 und 1980, in: Erweckte Begeisterung (Linz 2023) 337–359.
22 Predigt in Übersetzung, in: Liturgisches Festheft vom 18.06.2023.