„Die VinziWerke sind Oasen der Barmherzigkeit"
Angefangen hat alles vor 50 Jahren, als der Lazarist Pfarrer in Graz wurde: „Im Winter sind mindestens zwei Personen pro Woche zu mir gekommen, immer Obdachlose, leicht angetrunken mit einer halbleeren Weinflasche in Plastiksackerl, und haben mich gefragt, ob ich ein Bett für sie hätte“, erinnerte sich Pucher im Gespräch. „Sie haben mir alle leidgetan, und ich habe sie im Keller übernachten lassen. Was ich damals nicht gewusst habe, war, dass viele der Obdachlosen inkontinent sind, weil sie in der Kälte schlafen und ein sehr ungesundes Leben führen. Sie haben sehr oft den Weg herauf in das Erdgeschoss nicht gefunden, um die Toilette aufzusuchen, und das Haus hat immer mehr einen seltsamen Geruch bekommen. Das war auf die Dauer natürlich keine Lösung.“
Vom ersten Wohncontainer bis zum VinziDorf
Von der Firma Wagner-Biro erbettelte sich Pucher einen ersten Wohncontainer, den er neben das Pfarrhaus aufstellte mit drei Matratzen versah. Die Obdachlosen konnten am Abend hier schlafen und am Morgen weiterziehen. Und „hier fiel das erste Mal das Wort ‚Dorf‘, obwohl wir noch weit davon entfernt waren“, erzählte der Ordensmann aus der Kongregation der Lazaristen. Nachdem sich dieses Model bewährt hatte, begann er weitere Container zu sammeln. „Dann hatte ich kreativste Idee meines Lebens“, sagte Pucher lachend. „Ich gründete die Jugend-Vinzenzgemeinschaft Eggenberg. Ich habe zwölf junge Leute zusammengerufen und ihnen gesagt, wenn ihr mitmacht, kümmern wir uns um Leute, um die sich niemand kümmert. Wir hatten kein Geld, kein Personal, kein Haus, nichts! Aber wir gingen mit Feuerreifer an die Sache.“ Als größte Herausforderung stellte sich heraus, einen Stellplatz für die Container zu finden. Sobald sie einen passenden Ort gefunden hatten, gab es heftigste Anrainerproteste. „Sogar Pfarrerkollegen haben mich angerufen und gesagt, du hast nicht das Recht, meiner Gemeinde das anzutun.“ Schließlich fand man den jetzigen Platz, ursprünglich „nur in der Nacht und auch nur für einen Winter“ geplant, aber letztendlich fanden sich die Anrainer mit dem Vinzidorf ab. Ein Schicksal, das übrigens fast alle VinziWerke wie zum Beispiel in Wien-Meidling durchlaufen mussten; eine reibungslose Projektentwicklung gab es nicht. Mittlerweile finden in den 40 Einrichtungen und Projekten der VinziWerke Österreich insgesamt täglich bis zu 450 Personen Unterkunft und 1.400 Personen werden mit Essen bzw. Lebensmitteln versorgt.
Unkonventionelle Wege
Dabei ging Pucher von Anfang an unkonventionelle Wege. So war zum Beispiel in den Häusern das Konsumieren von Alkohol erlaubt. „Ich habe erkannt, du kannst einem alkoholkranken Menschen, wenn du ihn in die Herberge aufnimmst, nicht zwingen, dass er auf Alkohol verzichtet. Wenn du ihm vor die Alternative stellst, Bier oder Bett, dann entscheidet er sich hundertprozentig für die Flasche“, zeigte sich Wolfgang Pucher überzeugt. „Unsere Intention war, einen Menschen so leben zu lassen, wie er kann und nicht wie er muss. Mehr Liebe kann wohl nicht sein.“ Drogen- und Alkoholabhängige, wohnungs- und obdachlose Frauen, Männer, Haftentlassene, Bettler:innen – sie alle sind willkommen. „Wir kümmern uns um jene Menschen, deren Leben aus der Bahn geraten ist“, sagte Pucher, „und das kann manchmal schneller gehen als man denkt.“
Medienwirksame Aktionen
Für seine Schützlinge brach er gerne eine Lanze und eckte auch ohne Bedenken mit staatlichen Institutionen an: „Man darf dem Streit nicht aus dem Weg gehen, aber den Streit zu suchen, weil es lustig ist zu streiten, das bin nicht ich.“ Dennoch setzte er zum Beispiel eine öffentlichkeitsstarke Protestaktion, als in Graz das Betteleiverbotsgesetz wirksam wurde. Gemeinsam mit vier prominenten Mitstreitern bettelte er öffentlich vor dem Grazer Landhaus – und wurde prompt von der FPÖ angezeigt. „Wir haben gemeinsam beschlossen, eine eventuelle Strafe nicht zu bezahlen, sondern ins Gefängnis zu gehen“, erinnerte sich Pucher. Aber zu einer Verurteilung kam es nicht. „Die Behörde meinte, wir hätten nicht gebettelt, sondern gesammelt, und das sei straffrei!“ Medienwirksam war auch sein Angebot, 1.000 Euro jedem zu bezahlen, der beweisen kann, dass es organisierte Bettlerbanden gäbe. „Der berühmte Bettler-Mercedes, der immer wieder auftaucht. Aber bis heute hat sich niemand die 1.000 Euro geholt“, sagte Pucher lachend. „Die will niemand haben!“ Viele bezeichnen ihn als "Rebell der Nächstenliebe" (auch der Titel einer Biografie über ihn) - ein Name, über den Pucher nicht so glücklich ist, "obwohl er stimmt", wie er selbstironisch hinzufügt.
Finanziert durch Spenden
Finanziert werden die VinziWerke zu 75% durch private Spenden und zu 25% aus der öffentlichen Hand. „Wir haben Gott sei Dank rund 24.000 Unterstützer, und jeder, wenn er kann oder will, schickt uns zehn Euro, manchmal auch 1000 Euro. Aber wir leben von der Hand im Mund.“ Als Erfolg betrachtete es Pucher aber auch, rund 900 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen zum Mitmachen motiviert zu haben. „Ohne sie wäre das alles nicht möglich!“
Empathie und Barmherzigkeit
Es bleibt die Frage, warum Wolfgang Pucher sich für die Ärmsten der Gesellschaft engagiert. „Das, was der Mehrheit der Menschen fehlt, ist Empathie“, zeigte sich Wolfgang Pucher überzeugt. „Und Vinzenz von Paul hat gesagt, der Innerste Kern der Liebe Gottes ist seine Barmherzigkeit. Und die haben wir von Jesus als Auftrag bekommen, weil wir sie selbst auch haben wollen. Barmherzigkeit heißt, jemand etwas zukommen zu lassen, das er nicht verdient hat. Aber er kriegt es trotzdem, weil es ihm schlecht geht und weil er Hilfe braucht. Barmherzigkeit - es geht nicht so schnell in die Ohren wie irgendein anderes Wort, aber es ist das Kernwort des Christentums. Die Kirche muss immer Oasen der Barmherzigkeit schaffen, hat der Papst geschrieben, und die VinziWerke sind Oasen der Barmherzigkeit.“
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen. Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
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[rs]