„Beit Emmaus zeigt, ein zusammenhaltendes Leben ist möglich“
Die Situation im Westjordanland ist angespannt und ungewiss. „Jeder rechnet damit, dass etwas Schlimmes passiert, aber wir wissen nicht was und wann“, erzählt Sr. Dominika Zelent im Interview, das per Zoom mit der rund 2.400 Kilometer entfernten Ordensfrau geführt wurde. Die ständige Bedrohung durch Krieg und Gewalt, wie zum Beispiel die jüngsten Anschläge auf Hamas-Führer und Hisbollah, hinterlässt bei den Menschen nervöse Anspannung und Unsicherheit. Doch trotz dieser Herausforderungen bleibt der Alltag im Pflegeheim weitgehend ungestört. „Wir versuchen, in dem ganzen Wahnsinn ruhig zu bleiben, unsere Arbeit zu machen, zu beten und hoffen, dass die Lage sich verbessert“, betont die Salvatorianerin. „Wir hoffen, dass die Vernunft sich durchsetzt und die Bereitschaft wächst, sich miteinander an einem Tisch zu setzen und Friedensgespräche zu beginnen.“
Der Alltag im Beit Emmaus
Das Pflegeheim Beit Emmaus, übersetzt „Haus Emmaus“, ist ein Pflegeheim für palästinensische Frauen christlichen und muslimischen Glaubens, die aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung auf Hilfe angewiesen sind. Es befindet sich in Emmaus-Qubeibeh, einem kleinen arabischen Dorf, das zwölf Kilometer von Jerusalem entfernt liegt. Bis 1. Juli 2024 wurde das Pflegeheim rund 20 Jahre lang von der Salvatorianerin Sr. Hildegard Enzenhofer geleitet. Die Nachbarschaft besteht hauptsächlich aus muslimischen Palästinensern, mit denen Sr. Dominika ein gutes Verhältnis pflegt. Sie wird als christliche Ordensfrau vollkommen akzeptiert: „Ich habe bis jetzt nicht ein einziges Mal ein feindliches Verhalten mir gegenüber wahrgenommen.“
Sr. Dominika Zelent (Mitte) mit zwei ihrer Mitarbeiterinnen. Die christliche Ordensfrau wird von ihren muslimischen Nachbarn vollkommen akzeptiert. (c) Sr. Dominika Zelent/Beit Emmaus Fotodownload
Hilfsbereitschaft und Unterstützung
Im Gegenteil, Sr. Dominika und ihre Mitschwestern erfahren viel Hilfsbereitschaft und Unterstützung von den Dorfbewohnern, die regelmäßig Lebensmittel spenden. „Die Menschen führen ein armes Leben, denn die hügelige Landschaft ist dürr und gleicht einer Wüste, berichtet Sr. Dominika. Dazu kommt, dass viele Palästinenser seit dem Anschlag am 7. Oktober 2023 ihre Arbeit und damit ihr geregeltes Einkommen verloren haben. Es herrscht Perspektivlosigkeit, und vor allem junge Leute nutzen jede Gelegenheit, auszuwandern. „Zugleich sind die Menschen hier sehr gastfreundlich, herzlich und hilfsbereit. Vor zwei Tagen brachte uns zum Beispiel ein Shopbesitzer ein Auto voll mit Fleisch, Gemüse und Obst. Oder wir erhalten regelmäßig von einer nahen Hühnerfarm Eier geschenkt“, schildert die Salvatorianerin.
Das Pflegeheim Beit Emmaus
Das Pflegeheim bietet Platz für 40 Frauen und wird von 26 Mitarbeiterinnen betreut, darunter drei Salvatorianerinnen, zwei Missionsfranziskanerinnen und einheimischen Mitarbeiterinnen, „die alle sehr engagiert und mit dem Haus verbunden sind“, betont Sr. Dominika. „Wir Salvatorianerinnen sind hier seit 50 Jahren; das Haus ist bekannt. Viele wissen, unsere medizinische Pflege ist wirklich die beste.“ Die Bewohnerinnen kommen hauptsächlich durch Mundpropaganda ins Haus. Die medizinische Pflege im Beit Emmaus gilt als hervorragend, und viele Familien entscheiden sich bewusst für dieses Heim. „Aber wir können nicht alles abdecken; es ist schwierig, weil es keine Krankenversicherung gibt“, beschreibt Sr. Dominika die Situation des Pflegeheims. „Die Familien müssen alles selbst zahlen. Es gibt daher keine fixen monatlichen Pflegekosten; wir richten uns danach, wie viel sich eine Familie leisten kann.“
Beit Emmaus bietet Platz für 40 ältere und behinderte Frauen. Es gibt keine fixen monatlichen Pflegekosten, sondern die Familie zahlt, was sie sich leisten kann. (c) Sr. Dominika Zelent/Beit Emmaus Fotodownload
Träger ist der „Deutsche Verein vom Heiligen Lande“ (DVHL)
2021 übergaben die Salvatorianerinnen die Trägerschaft an den Deutschen Verein vom Heiligen Lande (DVHL). Dem Verein, der sich zum Großteil aus Spenden finanziert, obliegt die finanzielle Verantwortung. „Jedoch wir Salvatorianerinnen, die hier vor Ort arbeiten, beteiligen uns nach Möglichkeiten, durch Fundraising beim Lukrieren von finanziellen Mittel“, erklärt Sr. Dominika. Deshalb ist es ein besonderes Anliegen von ihr, einheimische Kräfte für Führungspositionen im Heim vorzubereiten, damit diese eines Tages die Leitung übernehmen können, denn das Haus soll auch in Zukunft als Ort der Hoffnung und des Zusammenhalts bestehen.
Einblick in das persönliche Erleben
Sr. Dominika berichtet auch von ihren persönlichen Herausforderungen und ihren Bemühungen, den Alltag im Westjordanland zu meistern. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und die Sprachbarrieren sind nur einige der Schwierigkeiten, denen sie begegnet. „Du kannst hier nirgends hingehen. Da gibt es nur eine Hauptstraße mit Geschäften links und rechts. Aber es gibt keinen Park, nichts, wo du hingehen könntest“, beschreibt die Ordensfrau im Gespräch ihren Alltag. „Das ist das eine. Das andere ist die Sprache. Ich spreche ein bisschen Arabisch, aber ich bin froh, dass viele hier Englisch sprechen. Und es gibt auch kaum spirituelle oder kulturelle Angebote.“ Trotzdem findet sie Wege, sich anzupassen und das Beste aus der Situation zu machen. „Das Leben hier ist wunderschön und gleichzeitig schwierig und herausfordernd. Doch ich lerne, die kleinen Dinge mehr zu schätzen und auch die Dankbarkeit zu leben, wenn uns etwas gut gelingt.“
Ein Blick auf das muslimische Dorf Emmaus Qubeibeh. Die Landschaft ist dürr und steinig. Die Menschen leiden unter diesen Lebensverhältnissen; zugleich sind sie aber sehr gastfreundlich, herzlich und hilfsbereit. (c) Sr. Dominika Zelent/Beit Emmaus Fotodownload
Die „Reise nach Jerusalem“
Sogar eine Reise in das nur zwölf Kilometer entfernte Jerusalem kann zur Herausforderung werden. Ein Katzensprung, sollte man meinen, doch bedingt durch die Checkpoints und Sicherheitskontrollen, ist die Fahrt oft beschwerlich und zeitaufwendig. „Letze Woche habe ich 3,5 Stunden gebraucht“, erzählt Sr. Dominika. „Es gibt einen Checkpoint in der Nähe, aber wir dürfen ihn nicht passieren, sondern müssen den Umweg über Qalandia oder Hizma nehmen.“ Dennoch sieht sie die Möglichkeit, das Dorf zu verlassen, als Privileg an, das vielen Einheimischen verwehrt bleibt.
Gemeinsames Beten
„Manchmal habe ich Heimweh“, gibt Sr. Dominika zum Schluss des Gespräches zu. „Aber ich arbeite gern hier. Was mich hier immer wieder berührt: Manchmal beten wir in der Kapelle die Psalmen, und in der Nachbarschaft hören wir ‚Allahu Akbar‘. Sie sagen, ‚Gott ist groß‘, aber nicht in dem Sinne, dass ich ihn fürchten muss, sondern dass Gott die große Liebe ist.“ Dieses gemeinsame Beten, auch wenn es in unterschiedlichen Räumen stattfindet, erinnert sie an die Größe und Liebe Gottes und daran, dass gemeinsamer Frieden möglich ist. „Ein übergreifendes und zusammenhaltendes Leben ist möglich; das erleben wir hier täglich.“
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen. Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
Weiterlesen:
Website der Salvatorianerinnen
Salvatorianerinnen (Ordens-Wiki)
[robert sonnleitner]