„Manchmal kann man mit den Menschen nur mitweinen“
P. Leo Thenner ist im Unfallkrankenhaus Graz und im LKH Graz II, Standort West, tätig. Zwei Krankenhäuser, die auf den ersten Blick ähnlich erscheinen mögen, jedoch in der Zusammensetzung ihrer Patient:innen stark variieren. Während er im Unfallkrankenhaus oft jüngere Menschen nach Sport- oder Arbeitsunfällen betreut, trifft er im LKH West häufig auf ältere Patient:innen, insbesondere in der Onkologie. Diese Vielfalt bringt sowohl dynamische Gespräche als auch tief emotionale Begegnungen mit sich.
Der Mensch im Mittelpunkt
Eines der zentralen Anliegen von Pater Leo ist es, ein freundliches Bild der Kirche zu vermitteln. In seinen Gesprächen geht es nicht darum, zu missionieren oder religiöse Fragen aufzudrängen. Vielmehr versucht er, ein echtes Interesse am Wohlbefinden der Patient:innen zu zeigen und ihnen in ihrer aktuellen Lebenslage beizustehen. Besonders in der Onkologie, wo viele Patient:innen am Ende ihres Lebens stehen, ist es entscheidend, Vertrauen und Hoffnung auszustrahlen. „Dort haben wir viele ältere Leute, die an der Grenze sind des Lebens“, erzählt P. Leo. „Da muss man manchmal mit den Augen mehr sprechen als man mit dem Mund sprechen kann.“
Individuelle Begegnungen statt standardisierter Fragen
Der Salvatorianer betont, dass es kein typisches Seelsorgegespräch gibt. Jeder Mensch ist einzigartig und bringt seine eigene Geschichte mit. Mit den „liebenden Augen Gottes“ sucht er, was der jeweilige Patient oder die jeweilige Patientin in diesem Moment braucht. Dieser Ansatz erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch die Fähigkeit, sich in die Emotionen des Gegenübers hineinzuversetzen. „Man muss sich ehrlich für den Menschen interessierten“, schildert P. Leo. „Einfach interessieren, wie es ihm geht, wo er Schmerzen hat, welche Wünsche er hat, was er braucht und so weiter.“
Zwischen Psychologie und Spiritualität
Der Spagat zwischen psychologischen und spirituellen Bedürfnissen ist allgegenwärtig. P. Leo versteht sich als einfühlsamer Zuhörer, der sowohl Ängste als auch Hoffnungen wahrnimmt. Manchmal genügt ein stiller Segen oder eine kleine Mutmachkarte, um den Menschen Trost zu spenden. In anderen Fällen sind es intensive Gespräche, die Raum für Tränen lassen und den gemeinsamen Weg ein Stück weit ebnen.
Eine Stütze für Patient:innen, Angehörige und das Krankenhauspersonal
Die herausforderndsten Momente erlebt P. Leo im sogenannten Intensivraum, den „Schweberaum zwischen Leben und Tod. Wenn da jemand wach ist und mit mir sprechen möchte, dann sind das oft ganz intensive Gespräche“. Die Seelsorge endet nicht am Krankenbett. Auch die Angehörigen und das Krankenhauspersonal suchen oft Trost und Verständnis. Pater Leo sieht sich als Ansprechpartner für alle, die im Krankenhausumfeld Hilfe benötigen. Ein Lächeln oder ein offenes Ohr können in stressigen Zeiten Wunder wirken. „Was würde Gott diesen Menschen jetzt sagen? Was würde Gott diesen Menschen jetzt einfach spüren lassen wollen?“, diese Fragen stellt sich P. Leo vor jedem Gespräch mit einem kranken Menschen. „Das ist meine Aufgabe, das zu entdecken und das ein wenig zu vermitteln. Ich bin Salvatorianer, das Wort ‚heilen‘, ‚salvare‘, steckt da drinnen.“
Abschiednehmen als Teil der Seelsorge
Zu P. Leos Aufgaben gehört es auch, das Sakrament der Krankensalbung zu spenden – oft auch sterbenden Menschen. „Ja, da muss man das erste Mal schauen, will der Patient das Sakrament der Krankensalbung, oder sind es die Angehörigen?“, erzählt der Salvatorianer. „Brauchen eigentlich die Angehörigen Trost? Der, der da im Bett liegt, ist schon im Aufbruch, der hat schon zum Teil Abschied genommen, der ist schon irgendwo auf dem Weg ins Licht, aber die Angehörigen können nicht loslassen, die brauchen jetzt Trost und Hilfe.“
Neben der Krankenhausseelsorge leitet Pater Leo viele Begräbnisse. Auch hier steht das Einfühlungsvermögen im Vordergrund, um den Angehörigen in der schweren Zeit des Abschieds beizustehen. „Das sind so Momente, wo vieles passiert und wo vieles auch bei den Leuten aufbricht, was sie gar nicht wollten, dass sie das sagen oder dass sie da das zeigen, was sie empfinden. Und plötzlich ist es mitten zwischen uns da; das sind die ganz schönen Momente.“
Manchmal kann man nur weinen
Aber es gibt auch Momente, die P. Leo an seine Grenzen führt. „Ich wurde zu einer Nottaufe gerufen“, erinnert sich P. Leo. „Ich wurde mitten in der Nacht aufgeweckt; ein neugeborenes sollte Kind auf der Neonatologie getauft werden. Ich fragte mich, was nehme ich mit? Ich habe schnell ein bisschen Chrisamöl mitgenommen.“ Während der Nottaufe stirbt das Neugeborene. Die Eltern sind völlig verzweifelt. „Und dann kannst du nur mit ihnen weinen. Dann kannst du nur mit ihnen weinen …“
Gebet als zentrale Stütze
Angesichts der emotionalen Belastung ist es für den Salvatorianer wichtig, sich abzugrenzen und abends loszulassen. Die Übergabe der Erlebnisse an Gott hilft ihm, den Tag hinter sich zu lassen und neue Kraft für die kommenden Herausforderungen zu schöpfen. Das Gebet spielt eine fundamentale Rolle in P. Leos Arbeit. Es begleitet ihn nicht nur bei seinen Besuchen, sondern auch in seinen Gedanken an die Patienten:innen. Oft bietet er an, ein gemeinsames Gebet zu sprechen oder eine Kerze in der Krankenhauskapelle anzuzünden, um Licht in dunkle Momente zu bringen. P. Leo: „Oft schon in der Früh bei der Laudes denke ich auch an die Patientinnen und Patienten, die ich heute besuchen werde und die mir gegenübertreten, die mir heute geschickt sind, dass ich ihnen etwas von der Liebe Gottes weitergeben darf, dass ich sie spüren lassen darf, dass sie geborgen sind, auch in ihrem Alleinsein, auch in ihrer Sprachlosigkeit, auch in ihrer Leidensfähigkeit. Sie sind nicht alleingelassen, sondern sie sind geborgen.“
P. Leos Arbeit zeigt, dass Seelsorge weit über das rein Religiöse hinausgeht. Sie ist ein Dienst am Menschen, der Mitgefühl, Verständnis und die Fähigkeit erfordert, in den schwierigsten Momenten des Lebens Halt zu geben. Seine Erfahrungen sind eine wertvolle Erinnerung daran, wie bedeutend menschliche Nähe und spirituelle Begleitung in Zeiten der Not sein können.
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[elisabeth mayr-wimmer]