„Ein Kloster gründet sich alle dreißig Jahre neu!“
Während andere Benediktinerklöster schon an die 1.000 Jahre alt sind, hat das Europakloster Gut Aich erst vor kurzem seinen 30. Geburtstag gefeiert. Doch das sei kein Grund zum Ausruhen. „Ein Kloster gründet sich alle dreißig Jahre neu. Es ist ein generativer Prozess. Nach 30 Jahren fragen wir uns: Was braucht es heute?“, erklärt Br. Thomas. Die Themen liegen auf der Hand: „Wie können wir Wohnraum für alte Menschen schaffen? Wo können wir leistbaren Mitwohnbau anbieten? Klöster müssen dort Stellung beziehen, wo gesellschaftliche Schieflagen entstehen.“
V.l.: Br. Raphael Gratzer und Br. Thomas Hessler im Gespräch mit Renate Magerl vom Medienbüro der Österreichischen Ordenskonferenz. © Europakloster Gut Aich / Susanne Windischbauer Fotodownload
Zukunftsprozess Europakloster Gut Aich 2030
Auf der Agenda des Projekts Europakloster Gut Aich 2030 stehen seniorengerechtes Wohnen, leistbarer Wohnraum, der Bau einer neuen Kräutermanufaktur, die Sanierung des Gästehauses sowie der Neu- und Umbau des Klosters – inklusive einer umweltfreundlichen Hackschnitzelheizung. Neun Mönche und rund 120 Personen, darunter Mitarbeiter:innen, Ehrenamtliche, Weggefährt:innen und Freunde, arbeiten für das Friedensprojekt „Europakloster Gut Aich“.
Doch warum Europakloster? „Unser Kloster wurde 1993 gegründet und mit der Wende in Deutschland ein paar Jahre zuvor, war klar, dass jede und jeder aufgerufen ist, mitzubauen an diesem neuen und friedvollen Europa, das mit der guten Nachbarschaft beginnt. Miteinander zu leben ist die Keimzelle für ein gelingendes Leben auf dieser Welt. Für mich steht Europa für dieses offene Haus der Geschwisterlichkeit, der Gewaltenfreiheit und des gemeinsamen Lebens. Es war logisch und vernünftig, dass wir dieses Kloster hier gegründet haben“, erzählt Br. Thomas Hessler, der gemeinsam mit P. Johannes Pausch im Jahr 1993 das Kloster im Salzkammergut gegründet hat.
Br. Raphael Gratzer kümmert sich auch um den Garten im Europakloster Gut Aich. © Europakloster Gut Aich / Susanne Windischbauer Fotodownload
Vom Soldaten zum Mönch
Br. Raphael Gratzer ist zehn Jahre später zu den Benediktinermönchen dazugestoßen. 1995 hat er, während eines theologischen Seminars, das erste Mal von diesem jungen Kloster erfahren. Er war ein Suchender. Freunde wussten um seinen kritischen Geist und seine Neugierde und rieten ihm: Schau dir das doch mal an… Statt eines Praktikums in einer Pfarre, machte er sein Praktikum im Europakloster Gut Aich. „Ich wollte das Geheimnis hinter den Klostermauern lüften“, erinnert er sich und fügt lachend hinzu: „Interessanterweise hat genau dieses Kloster keine Klostermauern.“ Nach sieben Jahren, in denen der Samen, der während des Praktikums gelegt wurde, zu keimen begonnen hat und auch seine persönlichen Lebensfragen immer größer wurden, trat er ins Kloster ein. Besonders spannend in seinem Lebenslauf: Ursprünglich war Br. Raphael als Soldat und Seelsorger beim Militär.
Berufung mit Umwegen
Br. Thomas spürte bereits mit 14 Jahren den Ruf ins Kloster. Nach einigen Umwegen und Unterbrechungen ist er erst mit 41 Jahren richtig angekommen, erzählt der heutige Prior. Mit 18 Jahren ist er in das Stift Reichersberg eingetreten. Zuerst mit der festen Überzeugung „Jetzt bist du angekommen“ und nach rund zwei Jahren die Erkenntnis, „dass es vielleicht doch zu früh war“. Losgelassen hat ihn der Gedanke an ein Ordensleben trotzdem nicht. Und so hat er sich mit P. Johannes Pausch auf die Suche gemacht, nach einem Ort, wo klösterliches Leben möglich ist. Obwohl er damals in den 90er Jahren in einer Beziehung war, fasste er die grundlegende Entscheidung, dass es jetzt an der Zeit sei, es zu wagen. Das Europakloster Gut Aich wurde gegründet.
Die Mönche vom Europakloster Gut Aich (v.l.): P. Johannes, Br. Benedikt, Br. Thomas, Br. Raphael, Br. Wolfgang, Br. David, Br. Franziskus, Br. Michael. © Europakloster Gut Aich / Susanne Windischbauer Fotodownload
Ein Bischof, eine Äbtissin und Hubert von Goisern
Br. Raphael Gratzer war viele Jahre lang Pförtner im Europakloster und erlebte dort so einige amüsante Begegnungen, von denen die beiden Mönche im Podcast erzählen: Ein Bischof, der versehentlich zum Nachbarn geschickt wurde, eine Äbtissin, der die herzliche Umarmung etwas zu viel des Guten war und lieber wieder abreiste oder Hubert von Goisern, der nicht sofort erkannt wurde und fast für „narrisch“ erklärt worden wäre. „Die Pforte ist die Schnittstelle zwischen monastischem Leben und der Welt“, beschreibt Br. Raphael eine der wichtigsten Positionen im Kloster. „Man ist immerhin die erste Person, mit der man im Kloster Kontakt hat.“
Br. Thomas Hessler ist leidenschaftlicher Künstler und leitet die Kunstwerkstätten. Seit September 2024 ist er Prior des Europaklosters Gut Aich. © Europakloster Gut Aich / Susanne Windischbauer Fotodownload
Friedvoll leben, dankbar leben, heilsam leben
Wenn er über „sein Kloster“ spricht, verwendet Br. Thomas gerne die Metapher vom Baum. Denn, wie ein Baum ist auch ein Kloster ein Organismus, wo Wachstumsprozesse dazugehören. Nach 31 Jahren hat der Baum Wurzeln geschlagen, der Stamm ist kräftiger geworden und vier Hauptästen haben sich rausgebildet:
Dankbar leben: Mit Br. David Steindl-Rast, der seit 2010 seinen Alterssitz im Europakloster hat, ist der Ast des friedvollen Lebens stark geworden. Seine Dankbarkeitspraxis wird international geachtet und gelehrt. Sein weltweites und interreligiöses Netzwerk macht friedvolles Leben möglich.
Heilsam leben: Dieser Strang ist mit Gründungsprior P. Johannes Pausch gewachsen. Ein Kloster soll ein Ort der Heilung sein: Vom Hildegardzentrum mit seinem Therapieangebot über die mittlerweile rund 250 Kräuterprodukten und der Klosterheilkunde bis hin zur seelsorglichen Begleitungsangeboten.
Friedvoll leben: Das Europakloster Gut Aich ist ein Ort, wo Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen stattfindet und wo Dialog und Austausch auf Augenhöhe stattfindet. „Nur wenn wir in Dialog miteinander treten, kommen wir zu einem friedlichen Miteinander“ sind die beiden Ordensmänner überzeugt.
Kreativ leben: Die Kunstwerkstätten im Europakloster Gut Aich werden von Br. Thomas Hessler geleitet. Sein Anliegen ist es, Räume der Heilung zu entwerfen.
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen. Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
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[renate magerl]