
„Ich will die Versöhnung zwischen Christen und Muslimen vorantreiben!“
Wie lebt es sich als katholischer Priester in einer muslimischen Gesellschaft? Wie geht es den verbliebenen Christen? Wie gelingt ein multireligiöses Zusammenleben? Darüber spricht P. Jens Petzold in der aktuellen Folge von „Orden on air“. (Der Podcast wurde bereits im September 2024 aufgenommen, der Artikel enthält schriftliche Updates von P. Jens Petzold)
„Das Mönchtum war nicht mein Plan – zumindest nicht das christliche. Priester zu werden auch nicht. Ganz viele Sachen waren nicht mein Plan“, sagt der 63-jährige Ordensmann lachend. 1993 beschloss der ehemalige Postbeamte aus der Schweiz, eine mehrjährige Reise in den Fernen Osten zu unternehmen. Nach einem Jahr landete er in Damaskus. „Ich suchte eine spirituelle Kraft, die mein Vakuum füllt – dachte aber eher an fernöstliche Religionen.“
Die Gemeinschaft rund um P. Jens Petzold bietete Sprachkurse - Arabisch, Kurdisch, Englisch - an. Sie sollen auch dazu beitragen, den christlich-islamischen Dialog zu stärken und die Versöhnung voranzutreiben. © P. Jens Petzold
„Ich sage nicht auf Wiedersehen, weil morgen kommst du ja wieder!“
Eine Zufallsbekanntschaft führte ihn ins Kloster „Mar Musa“. Dort begegnete er dem Jesuitenpater Paolo Dall’Oglio und Jacques Mourad (heute Erzbischof von Homs). Die Gastfreundschaft der Gemeinschaft beeindruckte ihn tief. Als er aufbrechen wollte, sagte P. Paolo: „Ich sage nicht auf Wiedersehen, weil morgen kommst du ja wieder.“ Tatsächlich kehrte P. Jens bald zurück – und immer wieder. Statt seine Reise fortzusetzen, blieb er über ein Jahr. 1996 bat er um die Taufe, die in der Osternacht stattfand – ein außergewöhnlicher Schritt für jemanden aus einer seit Generationen kirchenfernen Familie. Nach einem kurzen Aufenthalt zurück in der Schweiz „für administrative Sachen und zum Nachdenken“ kehrte er ins Kloster zurück, legte 2000 die Ewige Profess ab und wurde 2012 zum Priester geweiht.
2011 bat der heutige Patriarch Louis Raphael I. Sako die „Mar Musa“-Gemeinschaft, die alte Pfarrkirche in Sulaimaniyya in der autonomen Provinz Kurdistan im Nordirak als Kloster zu revitalisieren. So baute P. Jens das Kloster der Jungfrau Maria (Deir Maryam Al-Adhra) nahe der iranischen Grenze wieder auf.
P. Jens Petzold war auf Einladung der Initiative Christlicher Orient im Herbst 2024 zu Besuch in Österreich. Hier mit Renate Magerl vom Medienbüro bei der Podcastaufnahme. © Georg Pulling
Christen in einer mehrheitlich muslimischen Welt
Vor dem US-Einmarsch 2003 lebten rund 1,3 Millionen Christen im Irak. Heute sind es optimistisch geschätzt noch 300.000. „Es gibt eine massive Abwanderung und einen tiefen Vertrauensverlust in Politik und Gesellschaft – aber auch besonders gegenüber den eigenen Nachbarn“, sagt P. Jens.
Sein Ziel: den christlich-islamischen Dialog stärken, Versöhnung vorantreiben, Demokratie und Menschenrechte fördern und patriarchale Strukturen aufbrechen. Seine Gemeinschaft bietet Sprachkurse (Arabisch, Kurdisch, Englisch), Seminare zur Rolle der Frau, eine Theatergruppe und Meditationskurse an. Rund 2.200 Menschen nahmen an den Kursen teil – darunter zwei Drittel Frauen und ein Drittel Flüchtlinge sowie Vertriebene. Die Initiative Christlicher Orient unterstützt das Projekt, das mittlerweile auf acht Standorte ausgeweitet wurde.
Die Gemeinschaft von P. Jens Petzold bietet auch Seminare zur Rolle der Frau an. © P. Jens Petzold
Patriarchale Strukturen aufbrechen – Frauen stärken
Familie funktioniere im Irak anders als in Europa: „Die Familienstrukturen im Irak sind streng. Frauen können nicht einfach heiraten, wen sie wollen. Hochqualifizierte Frauen werden oft nicht ernst genommen“, erklärt P. Jens. „Aber die Gesellschaft ist im Umbruch. Frauen haben Zugang zu Bildung, doch patriarchale Normen setzen Grenzen. Damit sich wirklich etwas ändert, müssen auch Männer eingebunden werden.“ Das versucht er den Männern in seinen Kursen zur Rolle der Frau zu vermitteln.
Zwei Millionen Flüchtlinge
2014 verschärfte sich die Lage: Zu den vier Millionen Einwohner:innen in der autonomen Region Kurdistan kamen zwei Millionen Flüchtlinge aus den vom Islamischen Staat (IS) besetzten Gebieten hinzu. In der Provinz Sulaimaniyya waren ca. 250.000 Flüchtlinge, davon etwa 5.000 christlichen Glaubens, um die sich die Kirchengemeinde gekümmert hat.
P. Jens Petzold hat das Marienkloster in Sulaimaniyya in der Autonomen Region Kurdistan wieder aufgebaut und revitalisiert. © P. Jens Petzold
„Ich fühle mich sicher“
Trotz der unsteten Lage fühlt sich der engagierte Ordensmann in Sulaimaniyya und auch in ganz Kurdistan sicher. Das hänge aber auch mit seinem Status als „Ausländer“ mit einem sehr guten Schweizer Pass zusammen. „Ich kann jederzeit weg – das spielt sicher psychologisch eine Rolle.“ Sulaimaniyya sieht er als „eine der sichersten Städte im Nahen Osten.“ Er möchte auf jeden Fall noch für längere Zeit bleiben.
Zur aktuellen Lage im Nordirak mit den Geschehnissen in Syrien schreibt P. Jens in einem Mail Anfang März 2025: „Auf der einen Seite hat die Kurdische Region viele eigene Probleme, so hat das breite Publikum nicht sehr viele Kapazitäten, sich um Syrien zu kümmern. Auf der anderen Seite verfolgen gerade die syrischen kurdischen Flüchtlinge das Geschehen sehr aufmerksam. Es ist eine bunt gemischte Bewegung mit vielen Tendenzen. Werden sie sich zusammenraufen? Im Moment wird viel diskutiert. Der Prozess wird sicher sehr aufmerksam beobachtet - vor allem, wie die Minderheiten einbezogen werden.“
In Geiselhaft des Islamischen Staates
Doch es gibt auch dunkle Kapitel: P. Paolo Dall’Oglio, der Gründer der Gemeinschaft und des Stammklosters in „Mar Musa“, wurde am 29. Juli 2013 von der IS entführt. Bis heute fehlt von ihm jede Spur.
Auch P. Jacques Mourad, Gründungsmitglied von „Mar Musa“ und heutiger Erzbischof von Homs, wurde 2015 vom IS entführt und in Geiselhaft genommen. Ihm gelang gemeinsam mit Mitgliedern seiner Pfarre die Flucht. Im Buch „Ein Mönch in Geiselhaft“ schildert er diese Erlebnisse.
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[renate magerl]