„Stimme sein für die Menschen am Rand der Gesellschaft“
„Meine Lebensgeschichte verläuft wahrscheinlich so, wie das viele erleben: voller Überraschungen und voller Wegwindungen“, erinnert sich Sr. Beatrix Mayrhofer im Gespräch. Fast könnte man meinen, die Berufung in eine Ordensgemeinschaft wäre ihr in die Wiege gelegt worden; schließlich wurde sie als Tochter eines Mesners geboren, und „ich bin auch sozusagen in der Herz-Jesu-Kirche in Wels buchstäblich aufgewachsen.“ Nach der Schule gingen sie und ihre Schwester meistens gleich in die Kirche, um dem Vater zu helfen, Bänke und Bilder abzustauben oder das Mobiliar zu pflegen. Als Kind träumte sie davon, Medizin zu studieren, doch ein Studium lag weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern. „Es war der Plan der Familie, dass ich nach der Hauptschule Verkäuferin werden sollte“, erzählt Sr. Beatrix. Aber dank einer Fügung Gottes kam es anders: Die Direktorin der Schule hatte einen Brief geschrieben, in dem sie den Eltern ihrer Schülerin dringend ans Herz legte, dem talentierten Kind einen weiteren Schulbesuch zu ermöglichen. Just an diesem Tag kam auch ihr Onkel Fritz zu Besuch, der Bruder ihrer Mutter, der eigentlich kaum mehr Kontakt zur Familie hielt. Doch er war Priester und vermittelte deshalb seiner Nichte bei den Franziskanerinnen von Vöcklabruck einen Freiplatz in der Oberstufe. „Und so verdanke ich der Großzügigkeit einer Ordensgemeinschaft, dass ich die Matura machen durfte“, berichtet Sr. Beatrix dankbar.
Ein Moment der Kapitulation vor Gott
Nach der Matura wird die junge Frau Volksschullehrerin, doch ihr vorgesetzter Direktor erkennt, dass sie das Talent und den Willen für Größeres hat und unbedingt weiterstudieren muss. Er vermittelt ihr einen Arbeitsplatz als Lehrerin bei den Schulschwestern in Wien in der Friesgasse. „Ich bin das erste Mal nach Wien gefahren“, erinnert sich Sr. Beatrix. „Mein bisheriger Lebenshorizont hatte in Linz geendet. Ich habe mich hier bei den Schulschwestern als junge Lehrerin vorgestellt, habe den Posten bekommen und hier zu arbeiten begonnen. Schon sehr bald habe ich gespürt, dass das jetzt der Platz ist, an dem Gott mich haben will.“ Sie unterrichtet noch ein Jahr als Volksschullehrerin und beginnt dann Pädagogik und Psychologie zu studieren. Während des Studiums arbeitet sie weiterhin als Lehrerin. Und trifft eine weitreichende Entscheidung: Die junge Frau tritt in den Orden ein. „Ich zögerte noch eine Weile, aber dann war es einfach ein Moment der Kapitulation vor Gott. Ich sagte, wenn du mich berufst, dann bin ich bereit.“ Ihre damalige Oberin bittet sie, nach Beendigung ihres Studiums noch Deutsch und Geschichte als Lehramt zu studieren, denn in der Schule herrsche Lehrermangel. „Eigentlich hätte ich gerne Theologie studiert, aber wenn man ins Kloster geht, ist man verfügbar.“ Und dann eine weitere Fügung Gottes: Ihre Oberin fragt sie, ob sie nicht doch Theologie studieren möchte; man könne das mit anderen Fächern kombinieren.
Theologiestudium in Regensburg
Sie beginnt in Wien ihr Theologiestudium und wechselt während ihres Noviziats nach München. Anschließend möchte sie ein Auslandssemester anfügen; ein befreundeter Jesuit gibt ihr einen Tipp: „Ich fragte ihn, wo es denn zurzeit eine gute Theologie gäbe. Er meinte, derzeit kann er im deutschen Sprachraum nur Regensburg empfehlen.“ Da die Schulschwestern dort eine Niederlassung hatten, war die Unterkunftsfrage auch schnell und unkompliziert geklärt. „Ich habe es wirklich als großes Geschenk erlebt, dass ich ein Jahr lang nur studieren durfte, ohne andere Aufgaben und ohne Unterrichtsverpflichtung“, so Sr. Beatrix.
Ihr großer Lehrmeister in dieser Zeit war Josef Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. werden sollte. „Ich habe ihn mit großer innerer Dankbarkeit gehört; es ist mir in seinen Vorlesungen die ganze theologische Welt aufgegangen“, erinnert sich Sr. Beatrix. „Sein theologisches Denken und seine unglaubliche Weisheit, sein Wissen, seine Kenntnis der Literatur, sein freies Zitieren quer durch die Literatur und die Kirchenväter. Es war ein Vergnügen.“ Während sie von dem jungen Theologieprofessor voll Enthusiasmus erzählt, sieht sie den späteren Papst ein wenig kritischer: „Man muss wohl sagen, dass er sich sehr viel besser im Denken und im Philosophieren ausgekannt hat als im Verhalten von Menschen.“
Die ehemalige Präsidentin der Vereinigung von Frauenorden Österreichs, Sr. Beatrix Mayrhofer, studierte beim späteren Papst Benedikt XVI. in Regensburg. (c) ÖOK
Begeisterte Pädagogin
Zurück in Wien konzentriert sie sich voll auf den Schulbetrieb. „Es ist eine so schöne Aufgabe, und ich bin gerne Lehrerin gewesen“, zeigt sich Sr. Beatrix begeistert. „Ich habe gemerkt, dass es mir viel Freude bereitet, Menschen etwas beizubringen. Es ist mir ein Vergnügen, anderen Menschen etwas vorzutragen, etwas zu erklären, zu versuchen, komplizierte Dinge einfach auszudrücken.“ Auch als sie immer mehr Leitungsaufgaben innerhalb ihrer Gemeinschaft übernimmt, unterrichtet sie weiterhin für ein paar Stunden, „damit ich den Kontakt zur Schule, zu den jungen Menschen nicht verliere.“ Zwei Amtsperioden lang wird sie sogar zur Provinzoberin gewählt, um anschließend lange Jahre die Leitung des Gymnasiums im Bildungszentrum Friesgasse zu übernehmen.
Präsidentin der Vereinigung von Frauenorden
Dass sie nach Beendigung dieser Tätigkeit Präsidentin der Vereinigung von Frauenorden Österreichs wurde, war nicht ganz geplant. „Ich durfte das Erbe von Sr. Kunigunde Fürst antreten, die sehr überraschend nach Kasachstan ging, um ihren großen Lebenstraum zu verwirklichen“, sagt Sr. Beatrix lachend. „Ich bin als ihre Vertreterin von heute auf morgen Präsidentin gewesen.“
Rückblickend waren es drei Ereignisse, die die Ordensfrau während dieser Zeit prägten. Eines davon war das Zusammentreffen mit den Flüchtlingen in der Votivkirche, „wo ich das erste Mal wirklich diesem sehr persönlichen Flüchtlingselend begegnet bin.“ Diese Begegnung empfindet sie als Initialzündung für ihre Präsidentschaft: „Was ich da erlebt habe mit diesen jungen Männern, das ist sozusagen wie ein Vorzeichen für meine ganze Präsidentschaft geworden. Es war ganz klar: Wenn wir im Dienst für die Menschen sind, dann stellt sich für uns die Frage, wer sind die Menschen am Rand der Gesellschaft? Wer sind die Menschen, die unsere Aufmerksamkeit brauchen? Wer sind die Menschen, auf die sonst niemand schaut? Und das wurde eine innere Berufung für mich, eine Stimme zu sein für genau diese Menschen am Rande der Gesellschaft!“
Prägend für die Amtszeit von Sr. Beatrix Mayrhofer war auch die Gründung von SOLWODI Österreich. Sie geht Hand in Hand mit dem Bewusstmachen eines neuen Selbstwertgefühls, das sich auch im Sprachgebrauch äußerte – weg von der Klosterschwester hin zur Ordensfrau. „Wir sind Frauen, wir sind Ordensfrauen“, zeigt sich Sr. Beatrix selbstbewusst. „Und wir zeigen uns mit den Frauen dieser Welt solidarisch!“ Das beweist auch die Gründung des SOLWODI-Schutzhauses, wo „es wirklich zum Ausdruck kommt, wie wir Frauen uns für Frauen und dafür, dass sie in dieser Gesellschaft in Würde Frau sein können, einsetzen.“
Der Verein SOLWODI, der während der Amtszeit von Sr. Beatrix Mayrhofer als Präsidentin der Vereinigung von Frauenorden Österreichs gegründet wurde, feierte im Februar 2023 sein 10-jähriges Bestehen. (c) P. Hans Eidenberger
Gründung der Österreichischen Ordenskonferenz
Dieses neue Selbstbewusstsein spielte auch bei der Gründung der Österreichischen Ordenskonferenz eine große Rolle. Die Zusammenlegung der Vereinigung von Frauenorden (VFÖ) mit der Superiorenkonferenz der männlichen Orden „war ein sehr bewusster Schritt, Frauen und Männer gleichzusetzen“, erinnert sich Sr. Beatrix. Ursprünglich waren die Frauengemeinschaften von der Superiorenkonferenz „mitvertreten“ worden; die Gründung der VFÖ basierte darauf, dass die Frauenorden sich selbst vertreten konnten und wollten. „Aber ich glaube, jetzt sind wir so weit in der Kirche, auch in den Ordensgemeinschaften Österreich, dass wir gleichberechtigt den gemeinsamen Weg gehen! Es hat sich inzwischen zu einem guten gemeinsamen Weitergehen in die Zukunft entwickelt. Für mich ist das eine Erfolgsgeschichte. Und ich denke, dieses gleichberechtigte Miteinander von Ordensmännern und Ordensfrauen kann ein gutes Beispiel für das Zusammenleben von Männern und Frauen in der Kirche überhaupt sein. Die hierarchisch verfasste Kirche kann durchaus von der Ordenskirche lernen, wie Männer und Frauen zusammenarbeiten. Wenn ich überspitzt formuliere, würde ich sagen, auf Dauer kann die Kirche auf die Frauen nicht verzichten.“
Spannende Zukunftspläne mit 75
Ans Aufhören denkt Sr. Beatrix Mayrhofer noch lange nicht. Auch wenn der Bildungscampus Friesgasse 2022 an die Vereinigung von Ordensschulen Österreichs übergeben wurde und „wir jetzt wirklich arme Schulschwestern sind“, ist Langweile definitiv nicht vorhanden. „Ordensfrauen gehen nicht in Pension“, sagt sie lachend. „Man wechselt nur die Aufgabe im Kloster.“ Derzeit helfe sie einer Gemeinschaft in Italien, gute Lösungen für ihre Liegenschaftsverwaltung und -nutzung auszuarbeiten. „Eine spannende Aufgabe“, sagt die Ordensfrau, „und sie hält mich jung.“
Den Geburtstag selbst wird sie am 15. April mit Vorbereitungen zum demnächst stattfindenden Generalkapitel verbringen. „Ein Arbeitsgeburtstag“, sagt Sr. Beatrix und schmunzelt. „Das passt zu mir!“
Wir wünschen Sr. Beatrix Mayrhofer alles Gute und Gottes Segen zu ihrem 75. Geburtstag.
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen.
Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
Weiterlesen:
"Habe den Menschen Ratzinger erlebt"
SOLWODI Österreich: 10 Jahre Kampf gegen Menschenhandel
Alle Podcasts von "Orden on air"
[rs]