Ein Lagebericht aus der Ewigen Stadt
Sr. Brigitte Thalhammer, Generalökonomin der Salvatorianerinnen berichtet von der Lage in Rom (c) Sr. Brigitte Thalhammer
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Sr. Brigitte Thalhammer spricht mit Magdalena Schauer aus dem Medienbüro über Videotelefonie und berichtet über die aktuelle Lage in Rom (c) magdalena schauer
Gestrandete Schwestern
Wir haben momentan ziemliches Glück hier in Rom, weil unsere Schwestern vor vielen Jahren diesen Wohnort ausgesucht haben, der damals noch außerhalb der Stadt lag und heute am Gianicolo bzw. Monte Verde liegt. Wir haben einen schönen Garten, und sind in der glücklichen Lage, uns ein bisschen in der Natur draußen bewegen zu können. Unsere Mutterhausgemeinschaft umfasst 25 Schwestern und zusätzlich lebt und arbeitet hier auch noch das Generalat. Normalerweise sind wir da eigentlich sieben Schwestern, allerdings sind die Generalleiterin und die Vikarin momentan auf Sri Lanka gestrandet.
Die Aussicht vom Monte Verde (c) Sr. Brigitte Thalhammer
Verkehrte Umstände
Gerade haben wir einen Brief an unsere Schwestern geschrieben und berichtet, wie es uns geht, weil sich viele Salvatorianerinnen rund um die Welt Sorgen um uns machen. Plötzlich ist es so, dass die Schwestern in Afrika uns in Italien fragen, wie es uns geht. Das ist schon eine Verkehrung der Umstände. Normalerweise machen wir uns Sorgen um Afrika.
Das Schöne an den modernen Medien
Wir haben heute ein Budgettreffen übers Internet abgehalten, weil die Arbeit weitergehen muss. Der Termin war schon lange geplant, nur war es eben so, dass zwei von uns in Sri Lanka hängengeblieben sind, eine in Deutschland und wir in Rom. Aber immerhin, die Planung hat funktioniert. Das Schöne an den modernen Medien ist, dass sie uns ein Stück Alltag ermöglichen, wir können voneinander hören und uns verbunden fühlen. Bevor wir uns über Zahlen unterhalten haben, hatte wirklich jede Mitschwester Geschichten über die aktuelle Situation zu erzählen.
Über den Papst
Vom Papst bekommen wir hier in Rom sicher noch am meisten mit, aber natürlich ist jetzt alles überdeckt mit den Nachrichten über die Corona-Krise. Ich glaube, dass er sehr tief betroffen von der Situation ist und es ihm vordergründig um das Mitfühlen, Mitspüren und um die praktische Hilfe geht. Besonders berührt hat mich, dass er schon ganz am Anfang für die Familien gebetet hat, die zum Teil schon in sehr schwierigen Situationen leben müssen. Gerade jetzt, wo sie so eng aufeinander sind und wo vielleicht noch finanzielle Sorgen hinzukommen. Und ein Bild hat auch Kreise gezogen, wie er auf dem Pilgerweg zu Fuß zu dem Pestkreuz marschiert ist. Die, die das gesehen haben, werden nur so gestaunt haben, dass da der Papst unterwegs ist.
Der gemeinschaftliche Alltag in Quarantäne
Wir leben auch jetzt unsere Gemeinschaft, weil wir ohnehin schon so lange beisammen sind, dass das Virus, hätte es eine von uns aufgeschnappt, sowieso zwischen uns seine Kreise gezogen hätte. Aber es ist schon so, dass wir beispielsweise beim Mittagessen einen Sessel freilassen, damit ein bisschen mehr Abstand zwischen uns herrscht.
Sich Zeit zu lassen gehört dazu (c) Sr. Brigitte Thalhammer
Zum allerersten Mal keine Eucharistie
Eine große Änderung hat es aber natürlich gegeben: Bis vergangene Woche konnten wir noch die Eucharistie feiern, weil wir keinen öffentlichen Gottesdienst abhalten, sondern praktisch nur unsere Schwesterngemeinschaft sind, mit einem Priester, der von außen dazukommt. Aber nun gibt es seit vergangenem Freitag ein Dekret, das alle Gottesdienste untersagt.
Schwere Erfahrung für die Schwestern
Es dürfen deshalb nun auch keine Priester mehr in Schwesterngemeinschaften kommen. Aus diesem Grund sind wir umgestiegen auf die Tagzeitenliturgie: Wir beten miteinander die Laudes und Vesper, und am Sonntag haben wir hier im Mutterhaus zum ersten Mal einen Wortgottesdienst gefeiert. Das ist für manche neu und war schwer, weil viele Schwestern ihr Leben lang meistens täglich, aber zumindest jeden Sonntag in einer absoluten Regelmäßigkeit Eucharistie feiern konnten. Und auf einmal geht es nicht einmal mehr am Sonntag.
Wir haben diskutiert, ob wir besser einer Eucharistie am Fernsehschirm folgen sollen oder miteinander den Wortgottesdienst feiern … Aber da ist die Entscheidung dann doch für den Wortgottesdienst gefallen – worüber ich sehr froh bin. Das Miteinander zu feiern ist doch etwas anderes als über den Bildschirm eine Feier zu verfolgen.
Nur mehr Absagen
Rückblickend ist so viel passiert, dass es gar nicht so leicht ist, das noch in eine chronologische Reihenfolge zu bekommen. Als erstes haben die Schulen geschlossen, aber wir konnten uns denken, dass es weiter gehen wird, nachdem wir die Lage in Norditalien kannten. Wir persönlich haben die Veränderungen einschneidend bemerkt, als dann die ganzen Absagen für unser Gästehaus einlangten. Das war für diejenigen, die dort arbeiten, ziemlich deprimierend. Mittlerweile ist alles geschlossen, und jeder, der auf den Straßen unterwegs ist, muss eine spezielle Bescheinigung mithaben, quasi eine Selbsterklärung, auf der vermerkt ist, warum man unterwegs ist. Diese Bescheide werden auch kontrolliert, und es gab schon relativ viele Anzeigen und einige Strafen deswegen.
Die Ärmsten trifft es am härtesten
Die Ärmsten trifft es jetzt am härtesten. Die, die in den Grauzonen arbeiteten oder eben von Schwarzarbeit leben. Da gibt es doch einige Menschen, die jetzt eigentlich rausgehen könnten, dennoch ist es für sie aber nicht möglich, zu ihrer Arbeit zu erscheinen, weil sie keine Bestätigung von einem Arbeitgeber haben. Die braucht momentan jeder, um hinausgehen zu dürfen.
In der Stadt darf man sich nur mehr einer Ausgehbescheinigung bewegen (c) Sr. Brigitte Thalhammer
Ich traute meinen Augen kaum
Ich konnte die ersten zwei Tage gar nicht richtig arbeiten, auch wenn ich keine Angst verspürte, doch diese Veränderung und dieses “Gestoppt-werden“ hat irgendwie alles verlangsamt. Ich war vergangene Woche schon einmal einkaufen und traute meinen Augen kaum. Da stand eine ziemlich lange Schlange vor dem Lebensmittelgeschäft, allerdings ging es dann doch relativ schnell. Eigentlich sollten einfach nur nicht zu viele Personen gleichzeitig in den Geschäften sein, deshalb stand praktisch schon die ganze Schlange auf der Straße. Das Neue war, dass die Menschen sich äußerst diszipliniert verhielten. Dass Italienerinnen und Italiener so brav in einer Schlange stehen und mindestens einen Meter Abstand halten, war schon außergewöhnlich. Und, was mich am meisten erstaunte, es hat niemand laut gesprochen. Also da hat man schon gemerkt, dass sich irgendetwas „draufgelegt“ hat, denn normalerweise sprechen sehr wenige Italienerinnen und Italiener im Flüsterton miteinander. Da kommt sonst schon mehr Leben herüber.
Kein Run auf Klopapier
Ich habe keinen Run auf Klopapier erlebt. Das habe ich nur von Österreich mitbekommen, das war dort wohl wirklich DAS Thema. Hier habe ich überhaupt keine Aggressivität in den Geschäften gesehen. Alles war ruhig und gesittet, von Hamstern, Drängen oder Raufen überhaupt keine Spur.
Was wir als Gemeinschaft diesbezüglich umgestellt haben, ist, dass wir die betagten Schwestern nicht mehr einkaufen gehen lassen.
Die Freiräume nutzen
Meine Empfehlung an andere Gemeinschaften in Österreich ist, dass wir den Freiraum, den wir jetzt haben, auch nützen. Die meisten von uns haben jetzt weniger zu tun, und wir können diese Zeiten für die Gemeinschaft nutzen. Wir unterhalten uns, bleiben nach dem Abendessen länger sitzen und spielen mehr miteinander. Natürlich ist zu 70 Prozent die Krise das Thema, aber wir versuchen bewusst auch andere Themen hereinzuholen.
Ähnliche Erlebnisse trotz Distanz
Ich telefoniere jetzt viel mehr mit meiner Familie in Österreich, sicher auch aus dem Interesse, jeweils nachzufragen: „Wie geht es euch denn?“ Das ist noch einmal eine interessante Erfahrung, ähnliche Erlebnisse zu teilen, obwohl man so weit auseinander lebt. Ich finde, auch das schafft Gemeinsamkeiten.
Das Beste und das Schlechteste in den Menschen
Generell kann man sagen, dass Krisen sicher das Beste und das Schlechteste im Menschen zum Vorschein bringen. Also wenn ich höre, dass Masken geklaut werden, dann kann ich es nicht fassen. Zugleich entsteht an anderen Orten eine Solidarität, die wunderbar ist. Und dann gibt es auch diese Welle an Kreativität, die ganz besonders ist. Beispielsweise als man hier in Italien mit dem Singen auf den Balkonen angefangen hat. Da ist wirklich viel in Bewegung.
Im Jetzt sein
Ich denke, was es auf jeden Fall zu lernen gibt, also wenigstens für mich, ist, nicht so sehr über die Zukunft zu grübeln, sondern im Jetzt zu leben. Die Tage, so wie sie jetzt sind, und die Begegnungen, die jetzt möglich sind zu leben. Unsere Grundaufgabe als Christen bleibt die gleiche, egal ob es jetzt eine Krise gibt oder nicht.
Unsere Grundaufgabe als Christen bleibt stets die gleiche (c) Sr. Brigitte Thalhammer
Praktische Ökumene geschieht
Es geht immer darum, den anderen als Menschen zu sehen und füreinander und miteinander da zu sein. Ich glaube, dass in den ganzen solidarischen Bewegungen, die jetzt entstehen, die gelebt werden von Christen und von jenen, die damit nichts am Hut haben, und von anderen Religionen, dass das eine wunderbare praktische Ökumene ist, die da geschieht. Wir können uns alle fragen, wo wir solidarisch sein können. Wir als Gemeinschaft haben beispielsweise eine Anfrage bekommen, ob wir für eine alleinerziehende Frau die Miete zahlen könnten. Sie ist auf Arbeitssuche, und wenn sie ihre Wohnung verliert, verliert sie auch das Sorgerecht für ihr Kind. Natürlich sind unsere Mittel auch nicht grenzenlos, aber hier haben wir als Gemeinschaft gesagt, ja, da können wir helfen.
Neues entstehen lassen
Die Welt verändert sich gerade ein Stück weit, und wir alle können beitragen, dass hier etwas Positives entsteht. Ich will diese Krankheit jetzt überhaupt nicht schönreden, aber in einer solchen Situation kann entweder nur noch mehr Leid entstehen oder man lehnt sich auf und sagt NEIN, wir tragen das Unsere bei, dass sich daraus etwas wandelt und etwas Neues entsteht.
Das unsrige dazu beitragen, dass etwas Neues entsteht rät Sr. Brigitte (c) Sr. Brigitte Thalhammer
Quarantäne kommt von 40
Es ist interessant, dass das Wort „Quarantäne“ von der Zahl 40 kommt. 40 Tage mussten die Seefahrer dazumal, wenn sie zurückkamen von ihren Reisen und Krankheiten an Bord hatten, in einer Absonderung leben. Daraus entstand die Quarantäne. Und wir sind jetzt auch in den 40 Tagen der Fastenzeit, und diese Fastenzeit endet mit Ostern, mit der Auferstehung. Man weiß nicht genau, wann heuer wirklich Ostern stattfinden wird, aber ich weiß, dass Ostern kommen wird.
[magdalena schauer]