Erste Hilfe für das Archiv
v.l.n.r. Larissa Rasinger, Magdalena Egger, Lukas Winder, Isabella Hödl-Notter, Klaus Birngruber, Gerhard Scheiber, Johannes Leitner, Irene Kubiska-Scharl. (c) Diözesanarchiv Linz
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Notfälle üben
Die rund 45 TeilnehmerInnen konnten als ersten Referenten Peter Tampier, Abteilungsleiter im Kunsthistorischen Museum Wien, zum Thema „Notfallübung“ und „Notfallverbund“ hören. Die Annahme für die 2018 durchgeführte Notfallübung war ein Wassereinbruch, einer der häufigsten und wegen der Langzeitfolgen, wie etwa Schimmelbildung, wohl schlimmsten Katastrophen für ein Archiv. Verschiedenste Objekte waren unter Wasser geraten, ähnlich dem Jahrhunderthochwasser im Jahre 2002, das den Dresdner Zwinger geflutet hatte. Die Notfallübung wurde im Zentraldepot des Museumsverbands durchgeführt, hauptsächlich um die Tauglichkeit des erstellten Notfallkastens – ein Kasten mit Utensilien zur Erstversorgung für die Erhaltung der Kulturgüter – zu überprüfen. Tampier, der selbst bei dieser Übung die Rolle des Einsatzleiters übernahm, wies auf die unerlässliche Pflicht der Dokumentation aller Bergungsmaßnahmen hin. Die Bergung der Kulturgüter müsse verpflichtend von Zweierteams vorgenommen werden, um die Bergungsarbeiten gewissenhaft durchführen zu können. Auch sollen alle 60 Minuten Lagebesprechungen mit den Verantwortlichen, wie auch den Einsatzorganisationen abgehalten werden. Peter Tampier stellte den für solche Zwecke gegründeten „Notfallverbund“ vor. Die im Notfallverbund als Mitglieder vertretenen Museen, Bibliotheken und Archive unterstützen sich im Bedarfsfall gegenseitig mit Material zur Konservierung, Personal und Fachwissen.
Prävention
Präventionsmaßnahmen für das Archiv und der Bibliothek des Stiftes Melk stellte der dortige Sicherheitsbeauftragte Gerhard Scheiber vor. Der begeisterte Feuerwehrmann studierte an der FH Krems Kulturgüterschutz. Scheiber stellte Bedrohungsszenarien von Brand, Wassereinbruch bis zum Black-out, einen totalen Stromausfall, vor. Für diesen Fall gäbe es sogar ein Notstromaggregat im Stift,. „Der Mensch bleibe auch bei der Vielzahl an Kulturgütern die Nummer Eins an zu Schützendem“, so Scheiber. Im UNESCO Weltkulturerbe Stift Melk, das von den Babenbergern 1089 gestiftet wurde, gäbe es viele Präventionsmaßnahmen vom Alarmknopf mit direkter Verbindung zur Polizei, eigene Objektschutzkoffer, Notfallkisten, eigene Warnwesten bis hin zum Feuerlöscher. Auch helfen Priorisierungslisten, Alarmpläne, Laufkarten bei Objekten und nicht zuletzt das Üben von Notfallszenarien. Es gelte sich gut auf das Unvorhergesehene vorzubereiten. Die Plaketten in Depots für schützenwertes Kulturgut entfachten eine Diskussion, ob diese zweckentfremdet nicht eher Diebe dazu einladen würden, gerade die als wertvoll deklarierten Kulturgüter zu stehlen.
„Worst Case ist chaotisches Handeln, nicht das Ereignis“
Nach dem gemeinsamen Mittagessen stellte Larissa Rasinger, Archivarin des Schottenstiftes in Wien, ihren Notfallkoffer und Notfallplan vor. Anhand des Vorhabens, einen Notfallkoffer anzuschaffen wurde der grundlegendere Bedarf eines Notfallplanes, der von Alarmierung bis zur Wiederaufnahme des Normalbetriebes eines Archivs reicht, bewusst. „Der Worst Case ist nicht das Ereignis selbst, sondern chaotisches, nicht geplantes Handeln“, so Rasinger. Der Notfallplan decke eine Vielzahl an Szenarien ab und sei in kurzer und prägnanter Sprache zu halten. Es gelte, den Kampf gegen die Zeit im Notfallplan aufzunehmen, vor allem bei Wassereinbruch, um Schimmelbildung zu vermeiden. Die Anleitungen sind in einzelne Abteilungen und Unterabteilungen, wie z. B. die Trocknung von Blättern oder von Fotos vorzunehmen sei, untergliedert und laminiert. Der Notfallplan biete umfassendste Informationen zu einem Notfall von Telefonnummerlisten, Informationen zu Schutzausrüstung und Bergungsgeräten, Bestandslisten wie eben auch konservatorische Sofortmaßnahmen. Auf www.kulturgueter.kath-orden.at findet sich ein Muster dafür.
Ein Wasserschaden im Archiv gehört zu den schlimmsten Unglücken, die passieren können. (c) Diözesanarchiv Linz
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Der Notfallkoffer
Larissa Rasinger erzählte von der Anschaffung des Notfallskoffers, den man nicht kompakt im Gesamten bei einer Firma kaufte, sondern die einzelnen Bestandteile selbst zusammenstellte. Dies habe, so Rasinger, auch einen Lerneffekt und sei eben kostengünstiger. Der Notfallkoffer umfasse einen Alarmplan mit Telefonnummern und einen Aktivierungsplan für die Erstreaktion, mit Anweisungen, wie Regale auszuräumen sind ohne zusammenzubrechen oder zu kippen, Anleitungen, wie etwa Objekte aus dem Wasser zu bergen seien, ein Informationspaket zu konservatorischen Sofortmaßnahmen, eine Prioritätenliste, Orientierungspläne bis hin zu Möglichkeiten, wo Gerätschaften, wie Baustellentrockner, auszuleihen wären. „Mit dem Notfallkoffer ist eine Grundlage für eine erste konservatorische Notversorgung gegeben“, so Rasinger.
Zum Notfallkoffer gehören Schutzausrüstungen, wie Mundschutz, Schuhschutzhüllen, Einweghandschuhe, Arbeitshandschuhe, Arbeitsbrillen genauso grundlegend wie Blöcke und verlässliche Stifte, vorgefertigte Laufzettel für die Objekte, wie eine Grundausstattung an Werkzeug, Klebeband, Kehrschaufel, Eimer, Schwämme, eine Taschenlampe, dazugehörige Ersatzbatterien und natürlich Spezialmaterialien wie Löschkartons. Auch Folien, Klebverschlussbeutel, Stretchfolie und Müllbeutel (Schwerlastsäcke) zum Verpacken nasser Objekte für die Gefriertrocknung sowie kleine Transportboxen sollten enthalten sein. Als Evakuierungsboxen dienen Hartplastikboxen mit Deckel auf Rollen.
„Platz, Helfer und einen Plan“
Der Diözesanarchivar der Diözese Linz, Klaus Birngruber, gab im letzten Referat des Studientages Einblick in den realen Fall des Brandes eines Pfarrarchivs. Zu Pfingsten im Jahr 2018 ließ der Pfarrer der Pfarre Frankenmarkt versehentlich eine Kerze brennen, bevor er zur Maiandacht eilte. Später des Abends begann der ganze Pfarrhof zu brennen und mit ihm das Pfarrarchiv, das sich „genau dort befand, wo sie mit dem Teleskopschlauch hineingespritzt haben“, erzählte Birngruber.
Gottseidank sei niemand zu Schaden gekommen. Erst am darauffolgenden Vormittag gab es das Brandaus. Die Matriken wurden von einem kundigen Feuerwehrmann gerettet und obwohl das Haus schwer verwüstet war, waren die Archivalien nicht so schlimm beschädigt, wie zunächst befürchtet. Sie waren nämlich in massiven Vollholzkästen aufbewahrt, die den Flammen gut standgehalten und so das Schlimmste verhindert hatten. So „waren nur die Buchrücken knusprig“.
Als erstes habe der Diözesanarchivar Löschkartons besorgt, die natürlich schwer zu besorgen seien. Und man brauche „Platz, Helfer und einen Plan“, fasste Birngruber zusammen. Den Platz fand man im alten Gemeindeamt und Helfer waren gleich vor Ort. Die freiwilligen Helfer haben dann die durch Löschkartons stabilisierten und zur Trocknung geöffneten Bände Seite für Seite mit kalter Luft geföhnt. Anhand von aufgestellten Prioritäten wurde ausgemistet, viel weggeschmissen und danach auch gleich die Verzeichnisse aktualisiert. Am Ende hatte das Archiv der Pfarre sogar einen größeren Bestand, als noch vor dem Brand. Das Ansuchen, Mittel aus dem Denkmalschutz zu lukrieren, wurde leider negativ beschieden, dafür gab es mit dem Institut für Konservierung und Restaurierung der Akademie der Bildenden Künste eine Forschungskooperation, sodass das Archiv der Pfarre gerettet werden konnte.
[mgsellmann]