#otag19 – P. Jakob Deibl: Kloster muss öffentlichen Raum bieten
P. Jakob Deibl stellt die Gelübde Gehorsam, Armut und Ehelosigkeit der Benediktusregel gegenüber (c) magdalena schauer
Die Adjektive „wach, einfach, gemeinsam“ stünden für die drei Gelübde Gehorsam, Armut und Ehelosigkeit, doch diese Trias hätten die nach der Benediktusregel lebenden Klöster nicht, sondern die Stabilität an einem Ort (stabilitas loci), die ständige Umkehr des eigenen Lebenswandels (conversatio morum) und den Gehorsam (oboedientia). Die Vertiefung des Ordenslebens käme aus der Eigenart und Geschichte der jeweiligen Ordensgemeinschaft; in „meinem Fall aus der benediktinischen Tradition, wie sie Menschen versucht haben, in Melk zu leben“, betonte Deibl. Dieser Aspekt sei auch die besondere Herausforderung, wenn er sich aus benediktinischem Horizont dem Motiv der Armut, dem Motiv der Einfachheit annähere.
Umschlossen und doch offen
Die Regula Benedicti beginne mit einem programmatischen Prolog, der eine starke Tendenz zur Verwendung architektonischer Metaphern zeige. Benedikt spricht von der Gründung einer „Schule des Dienstes des Herrn“ (RB, Prol. 45). Dabei handle es sich um einen Ort, der zwei Funktionen erfüllen müsse: Er muss einerseits umschlossen sein, um die nötige Sicherheit zu geben, dass ein Lernprozess stattfinden kann. Andererseits müsse dieser Ort durchlässig sein; er dürfe kein Gefängnis sein. Schule und Kloster müssen Ausgänge und Freiräume bieten, sonst wären sie ein totalitäres, geschlossenes System.
Doch was hat all das mit Armut und Einfachheit zu tun? Klöster, die wie die benediktinischen nicht primär von einer Tradition des Weges und der Wanderung her begriffen werden müssen, sondern von Bauen und Architektur, müssen eine geeignete Form der Offenheit finden. Sie dürfen „nicht den Charakter der Selbstgenügsamkeit“ haben, wie es Deibl formulierte, sondern müssen sich auf die Gäste hin öffnen: Pilger, aber auch Kranke, Kinder, und Arme -alle, die „aufgrund ihres Glaubens aufbrechen oder die aufgrund ihrer Not gezwungen sind, sich auf einen Weg zu begeben“, so Deibl. Und weiter: „Ihre Armut läge dann nicht in einer Besitzlosigkeit der Gemeinschaft, sondern in der Bereitschaft, was sie haben, mit den Gästen zu teilen. Einfachheit würde in der Durchlässigkeit des Klosters für andere bestehen.“
Gespannte Zuhörer lauschen P. Jakob Deibl (c) magdalena schauer
Stift Melk: offenes, gastfreundliches Haus
Das Stiftsgymnasium Melk habe Deibl genau so empfunden: als „Es war ein offener, gastfreundlicher Ort ist, an dem sehr viele Aktivitäten vieler Menschen nebeneinander stattfinden“ konnten. Dem Schüler war allerdings nicht bewusst, dass „die Offenheit des Hauses nicht selbstverständlich ist, sondern immer auch ein komplizierter Prozess interner Aushandlung“. Viele stimmen sprächen davon, dass eine zu weitgehende Öffnung einem Ausverkauf gleichkämme. Gleichzeitig argumentieren viele, es stünden Mönchen nicht zu, in barocken Palästen zu wohnen, und deshalb sei diese weitergehende Öffnung eine Pflicht, ja sogar ein Recht der Öffentlichkeit. Deibl: „Wenn Menschen sich an diesem Ort wohlfühlen und gerne wieder kommen, ist dann nicht ein klein Wenig von der grundlegenden Botschaft der Regula Benedicti vermittelt?“
Kirchen und Klöster: Anachronistische Dimension
Zudem spielten Klöster und Kirchen auch eine wesentliche Rolle für den öffentlichen Raum. Es sei erstaunlich, dass diese Gebäude seit Jahrhunderten in fast unveränderter Weise verwendet werden können. Sie gehören niemals nur eine Epoche, nie nur der gerade lebenden Generation. Sie öffnen auf eine Vergangenheit und eine Zukunft hin; dies verleihe ihnen eine anachronistische Dimension. Kirchen eröffnen einen größeren zeitlichen Horizont, und man wird „vom Phantasma befreit, gänzlich im Jetzt zuhause zu sein. Damit ist eine ganz wichtige Funktion von Kirchen- und Klostergebäuden für den öffentlichen Raum angesprochen“. Deshalb müssten sie auch für die unkontrollierbare Vielfalt an Menschen offen sein, aus welchem Motiv diese Orte auch immer aufgesucht werden, unabhängig davon, ob mit ihrem Besuch ein authentisch religiöses Interesse verbunden ist. „Es handelt sich um Bauten, die einfach offen für Menschen sind“, so das Resümee von P. Deibl.
"Kirchen eröffnen einen größeren zeitlichen Horizont, und man wird „vom Phantasma befreit, gänzlich im Jetzt zuhause zu sein." erschließt P. Deibl in seinem Vortrag (c) magdalena schauer
[rsonnleitner]