#otag17: Christen müssen Leuchttürme der Gesellschaft sein
„Meine Abtei befindet sich eigentlich im Niemandsland“, erzählte P. Nikodemus Schnabel von seinen Erfahrungen aus dem Heiligen Land. Nach dem 48er-Krieg wurde die berühmtberüchtigte „Grüne Linie“ geschaffen – eine mit grüner Farbe in die Karten eingezeichnete Waffenstillstandslinie, die völkerrechtlich Realität wurde und heute auch von der EU anerkannt wird. Sie zeigt, wie weit die jordanische bzw. israelische Armee gekommen ist; das Gebiet dazwischen ist eine Pufferzone – das Niemandsland. Mittendrinn, im Trubel vor den Toren der Jerusalemer Altstadt, liegt auf dem Berg Zion das Benediktinerabtei Dormitio. „Das Spannende daran ist, dass wir durch diese Positionierung für beide Seiten, aber auch international eine interessante Stellung haben“, zeigte Schnabel auf. „Wir sind einer der wenigen Orte, der sozusagen für alle betretbar ist. Deshalb finden bei uns auch sehr viele internationale Treffen statt, weil man bei uns sozusagen kein politisches Statement abgibt.“ Der geborene Stuttgarter, Jahrgang 1978, ist seit 2016 Prior-Administrator der Dormitio-Abtei. Vorher studierte er Theologie in Fulda, München, Münster, Wien und Jerusalem. 2003 trat der Ostkirchenexperte in die Abtei ein und war jahrelang deren Pressesprecher.
In der Dormitio-Abtei wird täglich um Frieden gebetet
„Wir sind keine Politiker, wir sind Ordensleute“, betonte Schnabel in seinem Referat auf dem Ordenstag 2017 der Ordensgemeinschaft Österreich. „Unser Beitrag besteht in erster Linie darin, für den Frieden zu beten.“ Das tue man sehr konsequent; zu Mittag würde man immer ein Friedensgebet sprechen. Und auch wenn es von vielen belächelt werde: „Soll die Welt ruhig lachen, wir machen weiter“, zeigte sich der Ordensmann selbstbewusst. „Wir werden weiterhin kindlich naiv beten, weil die Alternativen, die die Welt anbietet, Aggression, Depression, Zynismus, sind keine Lösungen.“
Zwei Prozent Christen
Die Christen im Heiligen Land, der Oberbegriff für Israel und Palästina, machen heute nur noch eineinhalb und zwei Prozent aus. Im Laufe der Jahrhunderte kamen unterschiedliche Glaubensrichtungen ins Land. Zu den sogenannten 13 traditionellen Konfessionen, die unter anderem auch aus verschiedenen katholischen Kirchen bestehen, kamen mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch eine Reihe von Freikirchen wie die Quäker, die Nazarener, die Methodisten, etc. ins Land. Teilweise tarnten sich die Menschen als Juden, um nach Israel ausreisen zu dürfen. „Das heißt, wir reden nicht von einem geschlossenen Block, sondern von einem ganzen Kosmos; mittlerweile finden sich rund 50 verschiedene christliche Konfessionen“, berichtete der Ordensmann.
P. Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei in Jerusalem. (Zum Download des Pressefotos bitte draufklicken.) (c) Kati Bruder
Christliche Ghettos
Auf den ersten Blick herrsche in den christlichen Gemeinden ein sehr lebendiges Leben. Die Gottesdienste seien auch werktags bestens besucht; es gibt ein unglaublich pulsierendes Pfarrleben. Doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese Lebendigkeit durch einen sehr hohen Preis erkauft wird: Diese Christlichkeit speist sich aus der Angst. Die christliche Bevölkerung kuschelt sich in kleine, selbstgewählte Ghettos. Denn ihre Wahrnehmung ist: Die Juden und die Muslime hassen uns. Natürlich, es finden Terroranschläge wie zum Beispiel die Brandstiftung im deutschen Benediktinerkloster in Tabgha am See Genezareth statt. Es gibt auch radikalnationale Gruppen im Judentum, die Christen abgrundtief hassen. Doch das sei eine ganz kleine Minderheit. Zur vollen Wahrheit gehöre auch, dass nach dem Brand von Tabgha jüdische Rabbiner Spendenaufrufe zum Wiederaufbau initiierten. Ähnliche Fälle gibt es auch bei Muslimen; auch hier ist nur eine kleine radikale Minderheit aktiv. Schnabel: „Was man leider nicht wahrnimmt, ist, dass die Mehrzahl der Juden und Muslime wunderbare Menschen sind.“
Vorsitzender Abt em. Christian Haidinger, Ulrike Köhler, Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer, P. Nikodemus Schnable (vlnr)
Leuchttürme der Gesellschaft
Als Ordensmann sehe er es als Herausforderung, den Christen zu vermitteln: „Habt keine Angst. Und flüchtet auch nicht in christliche Indianerreservate.“ Die christliche Bevölkerung habe ein sehr gutes Bildungsniveau. „Deshalb sollten sie der Sauerteig sein, mutig hinausgehen und sagen, wir wollen in unserer Gesellschaft voll wirken. Da versuchen wir auch als Kirchen die Mentalität dafür zu schaffen.“
Aufgabe der Christen könne jedenfalls nicht sein, im Heiligen Land die großen Brücken zwischen Juden und Muslimen zu bauen und den Weltfrieden in dieser Region zu bringen. „Da haben sich andere die Zähne ausgebissen“, zeigte sich Schnabel realistisch. „Aber vielleicht doch – nur anders. Was mir jüdische und muslimische Freunde immer wieder sagen: Was sie so faszinierend am Christentum finden, ist das Konzept, wie man Christ wird.“ Das Christentum sei keine vererbbare Religion, sondern Gott führe uns durch die Taufe zusammen jenseits aller Grenzen. „Was wäre das für ein Leuchtturmsignal, wenn wir über alle Grenzen, Sprachen, Kulturen hinweg durch die Taufe vereint glaubwürdig als Christen zusammenleben.“
Abschließende Eucharistiefeier
Hooligans der Religion
Der Hass und die religiös motivierte Gewalt sei nicht zu leugnende Tatsache. Doch eine mögliche Erklärung dafür finde der Benediktiner in einem Wort seines Ordensgründers: „Der heilige Benedikt sagt, Mönch sein bedeutet, Gottsucher zu sein. Religion ist als Gottsuche zu verstehen, auf dem Weg sein, mit Gott ringen, mit Gott kämpfen, an Gott zweifeln, aber auch immer wieder von ihm gefunden werden. Es ist wie in einer lebendigen Beziehung.“ Doch manche Menschen würden in der Religion nicht Gott suchen, sondern Identität. „Ich nenne sie die Hooligans der Religion“, sagte Schnabel. „Man könnte auch sagen, der Fußball ist ein Riesenproblem, weil er Hass, Ausschreitungen und Polizeieinsätze und Verletzte bedeutet.“ Doch die meisten Menschen gehen ins Stadion, weil sie friedlich ein Fußballspiel sehen wollen. Sie hätten ebenfalls mit Hooligans nichts am Hut. Schnabel: „In der Religion haben diese Leute gemeinsam, dass es ihnen gar nicht um Gott geht. Vielmehr hungern sie nach etwas, dass ihnen die globalisierte, digitalisierte Welt, in der wir alle leben, in 30 Sekunden erklärt, damit sie wissen, wo sie hingehören. Sie sind anfällig für Verführer, die ihnen Wegrichtung und einfache Lösungen vorgeben: Ich und meine Freunde gegen meine Feinde.“
Doch: „Wer gibt mir das Recht, Menschen in Schubladen zu stecken, mich über sie zu erheben und sie einzuteilen nach ihrer Hautfarbe, nach ihrer Religion, nach ihrer Kultur? Gerade die Religion hat doch die Antwort, dass wir alle Gottes Ebenbilder sind.“ Auf das Heilige Land bezogen stelle sich die Frage: Welche Seite leide mehr? „Es sind alles Menschenmütter mit Menschenkinder, die zittern vor von Menschen gemachter Gewalt. Das ist unsere große Herausforderung als Christen zu sagen: Wir alle sind Gottes Kinder“, so das Resümee von P. Schnabel.
Gehen wir singend voran
Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs (VFÖ), zog in ihrer Predigt einen Vergleich zwischen dem Tagesevangelium und den täglichen Schlagzeilen. In beiden sei die Rede von Seuchen, Naturkatastrophen, Hungersnöten und Kriegen. "Hören sich diese biblischen Verse nicht an, als würde man die Schlagzeilen einer Zeitung vorlesen?", so Mayrhofer wörtlich. Die Folge seien Vertriebene, Geflüchtete, Gestrandete, die auf dem ganzen Erdball unterwegs sein. "Wir erleben gerade die größte Flüchtlingsbewegung aller Zeiten", so die VFÖ-Präsidentin.
Sr. Beatrix Mayrhofer ermutigte bei ihrer Predigt
Die anwesenden Ordensleute ermutigete sie, sich mit Christus auf den Weg zu machen, zu jenen, "die müde geworden sind auf dem Lebensweg, zu allen, die als Vertriebene unterwegs sind entlang der Grenzzäune unserer panisch gewordenen ängstlichen Welt". Angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen und dem steigenden Alter in den Gemeinschaften dürfe sich keine "dunkle Müdigkeit oder innere Lähmung" breit machen. Mit Papst Franziskus forderte Mayrhofer dazu auf: "Gehen wir singend voran!"
Die Musik beim Ordenstag kam aus dem Stift Schlägl
[rs]