#otag16: Die eine Missionsgeschichte gibt es nicht
Über die Bedeutung der Missionsgeschichte sprach P. Franz Helm am Kulturtag 2016 im Kardinal König Haus. „Während die Vergangenheit nicht verändert werden kann, kann das, woran man sich erinnert und wie man sich erinnert, verwandelt werden. Wir beten um die Heilung unserer Wunden und Erinnerungen, die den Blick aufeinander verdunkeln.“ P. Helm zitierte damit aus der Ökumenischen Erklärung von Lund vom 31. Oktober 2016. Er erwähnte außerdem die Große Vergebungsbitte Papst Johannes Pauls II. aus dem Jahr 2000, die auch auf die Missionsgeschichte blickte mit der Formulierung: „Gib, dass sie [die Christen] bereuen können, was sie in Worten und Taten gefehlt haben. Manchmal haben sie sich leiten lassen von Stolz und Hass, vom Willen, andere zu beherrschen, von der Feindschaft gegenüber den Anhängern anderer Religionen und den gesellschaftlichen Gruppen, die schwächer waren als sie.“ Und weiter: „Oft haben die Christen das Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben. Die Rechte von Stämmen und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen und religiöse Traditionen verachtet.“
Es gab nicht eine einzige katholische Mission
DIE christliche Mission habe es jedoch nie gegeben, ist P. Franz Helm überzeugt und nennt den Sozial- und Kulturanthropologen Gerald Faschingeder, der darauf hinweist, dass Mission keine überzeitliche Erscheinung sei: „Mission war kein überhistorisches Phänomen, das in der immer gleichen Weise an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten beobachtet werden kann. … Vielmehr hat es unterschiedliche Missionen gegeben, die sich jeweils in einem sehr spezifischen historischen Kontext konkretisierten.“ Als zwei sehr verschiedene Beispiele katholischer Mission beschreibt P. Helm zwei Katechismen, die Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert in China und Peru entstanden sind. Sie zeigen deutlich, wie stark die Art der Glaubensweitergabe vom jeweiligen Kontext bestimmt war. Beide Katechismen wurden von Jesuiten verfasst.
Christentum als Herrscherreligion und als Minderheitenreligion
Peru war spanisches Vizekönigreich. Der peruanische Katechismus trug auf den inneren Titelseiten das Siegel des spanischen Königs. Auf Fragen der Bevölkerung ging das Werk gar nicht ein. Vorformulierte Fragen wechselten sich mit Standardantworten ab, wie sie zu dieser Zeit überall in der katholischen Welt über das Glaubensgut gegeben werden konnten. Ein Dialog fand dort nicht statt. Die Jesuiten in China mussten ganz anders vorgehen, da es keine christliche Herrschaft gab. Sie kleideten sich zunächst wie Buddhisten und als sie sahen, dass sie damit keinen großen Erfolg hatten, trugen sie die Kleidung konfuzianischer Literaten, die höher angesehen waren. So kamen sie in Austausch mit den Gelehrten des Landes, deren Sprache sie gelernt hatten. Ihr Katechismus enthielt sehr viele kontextbezogene Erklärungen, erst im letzten Teil ging der Autor, Matteo Ricci, auf die christliche Heilsgeschichte ein – die Kreuzigung verschwieg er in seinem Werk. Über ein im chinesischen Kontext so schwieriges Thema sprach er erst, wenn Menschen bereits Interesse bekundeten und mehr wissen wollten.
Welches Verhalten macht Geschichte?
So unterschiedlich die Kontexte für die christlichen Missionare in der Geschichte waren, so unterschiedlich sind heute die Kontexte, in denen man Missionsgeschichte interpretiert. Diese Bandbreite müsse man beachten, plädierte P. Helm. Es gab in der Geschichte immer wieder beides: Den fruchtbaren Dialog zwischen Religionen und Kulturen (wie zwischen dem heiligen Franziskus und dem Sultan Al-Kamil 1219 in Damiette in Ägypten, während des 5. Kreuzzugs) und das gewaltsame Unterwerfen der je anderen (wie die Eroberung Damiettes in diesem 5. Kreuzzug). Eine Schlüsselfrage warf das Referat P. Helms auf: Was von beidem hat wirklich Geschichtswirksamkeit?
Mission als Dialog
Abschließend sprach sich der Missionar, Missionswissenschaftler und Generalsekretär der Superiorenkonferenz für vier Grundsätze der Mission heute aus: 1. Kein naives Revival der Mission zu betreiben. 2. Geschichte verantwortungsvoll zu interpretieren. „Geschichte ist kein Steinbruch, aus dem ich nur die Steine herausklopfe, die mir wertvoll vorkommen.“ 3. Missionsgeschichte darf nicht als Apologetik betrieben werden, also nicht als Mittel zum Zweck der Verteidigung der eigenen Position. Man müsse sich umfassend und ehrlich dem stellen, was Geschichtsforschung in den verschiedenen Kontexten erfasst. Und daraus 4. aus der Geschichte für das Heute lernen. Auf Anfrage bestätigte P. Franz Helm, dass das historische Missionsverständnis endgültig überholt ist. Das Primärmotiv der Mission war früher die Seelenrettung vor der Verdammnis der Hölle durch die Taufe. „Das Motiv heute ist die gemeinsame Arbeit am Reich Gottes, das Ziel ist nicht unbedingt die Konversion. Das Paradigma ist der Dialog.“
Das Missionsparadigma ist der Dialog, sagt P. Franz Helm.
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Reformation global
Im zweiten Referat mit dem Titel „Reformation global“ schlug Univ. Prof. em. Dr. Wolfgang Reinhard aus Freiburg eine Brücke von der Mission zur Reformation. Das Christentum hat von Anfang an eine missionarische Dimension. Vor allem im 18./19. Jahrhundert wirkte sich der „Luthereffekt oder besser Lutherimpuls“ auch auf die religiöse Globalisierung aus und beeinflusste Reformbestrebungen in anderen Weltreligionen (Islam, Hinduismus, Buddhismus). Der Protestantismus galt vielfach als Prinzip des Fortschritts. Der reformierte Protestantismus wurde zur globalisierten Religion. Als globalisierte religiöse Erscheinungsformen heute bezeichnete Prof. Reinhard zwei Phänomene: das weltweite Erstarken von Aberglaube und Esoterik und die zahlreichen, teils konkurrierenden neuen Religionen (evangelische Freikirchen werden als neue Kirchen gegründet).
Reformation ordensgeschichtlich
Die Lage der Stifte und Klöster beleuchtete anschließend Univ. Prof. Dr. Rudolf Leeb in seinem Vortrag „500 Jahre Reformation – ein Thema für die Ordensgeschichtsschreibung?“ Er beschrieb die Lage der Stifte und Klöster im 16. Jahrhundert, in dem die Stifte und Klöster in wirtschaftliche und personelle Schwierigkeiten gerieten. „Und der Stand der Mönche und Nonnen wurde überhaupt in Frage gestellt!“ Steuerbelastungen brachten manche Stifte und Klöster an den Rand des Ruins. Leeb: „Die Reformation verschärfte diese Situation.“ Die Umgebung – auch in den Pfarren – wurde zunehmend lutherisch und in den Konventen selbst gab es von innen heraus Veränderungen. Mitbrüder verließen das Stift oder Kloster. In Klöstern predigten manche im Geist Luthers – und trotzdem wurde das Klosterleben nicht aufgegeben. Prof. Leeb betonte, dass es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Österreich gerade durch die Stifte und Klöster zu einem ersten Stopp der Reformationsbewegung kam – auch in den inkorporierten Pfarren. Dort wurden mehr und mehr evangelische Pfarrer ersetzt und die Stifte und Klöster konsolidierten sich.
Bilder: Kati Bruder
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