Bischof Erwin Kräutler: Liebe den Menschen und die Schöpfung (#otag16)
„Mut ist, etwas mit der Hilfe Gottes zu wagen“, brachte es Bischof em. Erwin Kräutler vor rund 500 Ordensoberinnen, Ordensoberen und leitenden Verantwortlichen bei den Orden schnell auf den Punkt. Sie alle waren am Ordenstag am 22. November 2016 ins Kardinal-König-Haus gekommen, um sich der Frage zu widmen, die Kräutler gleich zu Beginn seines Impulsreferates stellte: „Was macht unsere Kirche aus?“
Natürlich könne man mit einer Aussage des Missionsdekrets des II. Vatikanischen Konzils antworten: Die Kirche ist von Christus beauftragt, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen.
Doch letztendlich möchte er nichts anderes tun als vier Dimensionen vorstellen, so der Missionar vom kostbaren Blut, und dabei Geschichten und Erlebnisse erzählen.
Samaritische Kirche
In seiner Heimatdiözese Xingu sei es Sitte, dass alle fünf Jahre Vertreterinnen und Vertreter aus allen Pfarren zusammenkommen; in Summe seien das gemeinsam mit Ordensleuten und Priestern rund 800 Menschen. Zur Feier dieses Treffen hatten Jugendliche die Geschichte des guten Samariters als Theaterstück aufgeführt – doch ein wenig anders als gewohnt; sie zeigten auch Probleme auf, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert sind wie Landraub, Menschenhandel oder den Genozid an den indigenen Völkern. „Ich habe das nie wieder vergessen“, so Erwin Kräutler. „Die jungen Leute zeigten Kreativität und Intuition.“ Und es sei ihm dabei das Gespräch Jesu mit den Gesetzeslehrern in den Sinn gekommen: „Das Gebot, das Himmelreich zu gewinnen, lautet schlicht: Du sollst Gott lieben aus allen deinen Kräften. Und Jesus ergänzt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das gehöre untrennbar zusammen. Kräutler: „Es gibt nur eine Liebe. Dadurch, dass wir den Nächsten lieben, lieben wir Gott, und Gott liebt uns. Die Liebe gibt es nur einmal.“
Bischof em. Erwin Kräutler (c) Kati Bruder
Doch Liebe hört nicht bei den Menschen auf. Gott verlange auch eine Liebe zu dem, was er geschaffen hat: die Natur. Gottes Schöpfung sei unser gemeinsames Haus. „Wir sind beauftragt, dieses gemeinsame Haus zu gestalten. Wir dürfen es nicht plündern, sondern müssen voll Liebe und Achtung behandeln“, zeigt sich Bischof Erwin Kräutler überzeugt.
Prophetische Kirche
Vor einigen Wochen habe er den Supermond beobachtet, der wunderschön aus dem Fluss aufgestiegen war. Doch sei ihm bewusst geworden, sein Licht ist nur eine Reflexion des Sonnenlichts. So spiegle auch der Prophet nur Gott wieder; er ist ein Reflex von Gott. Und er spricht nicht mit seinen, sondern mit Gottes Worten. „Der Prophet verkündet, dass eine andere Welt möglich ist“, so Bischof Kräutler. „Wenn man an Armut denkt, denkt man: Armut ist Schicksal. Doch in der Regel trägt jemand Verantwortung dafür. Warum sind diese Leute arm? Nicht weil sie arm zur Welt gekommen sind, sondern weil sie zur Armut gekommen sind. Die Frage ist: Wie stehen wir zu diesen Menschen? Das ist der prophetische Auftrag.“ Die prophetische Kirche setzte sich für diese Menschen ein. Kräutlers Appell: „Tu etwas, hab den Mut, Dinge anzuprangern, die Menschen immer ärmer werden lassen.“
Bischof em. Erwin Kräutler (c) Kati Bruder
Geschwisterliche Kirche
Ein weiter Punkt sei, dass Kirche zur Familie werden müsse. In Mt. 23,8 heiße es: Ihr alle aber seid Geschwister. „Doch sind wir wirklich alle Geschwister im Orden, in der Kirche – oder gehen wir auf Distanz?“, fragte Bischof Kräutler provokant. „Geschwister können auch streiten.“ Und das bedeute auch zu verzeihen. Als Jugendliche in Xingu die Bibelstelle vom verlorenen Sohn als Theaterstück aufführten, bauten sie eine Szene ein, die nicht in der Bibel beschrieben wird, die sie aber dessen ungeachtet als notwendig betrachteten: Die Versöhnung zwischen älteren und jüngeren Brüdern. „Das ist der Sinn der Geschichte: Wir sind Geschwister“, brachte es Kräutler auf den Punkt. „Das sollen wir wieder täglich lernen: Einander als Geschwister annehmen.“
Und auch wenn wir in Österreich gewohnt wären, mit Titeln um uns zu schmeißen: „In der Kirche brauchen wir keine Titel, wir brauchen keine Exzellenzen und Prälaten, das bringt nur Distanz. Wir alle sind getaufte Christen. Wir sind Geschwister. Das ist das Schöne in einer Familie“, so der Ordensmann.
Kontemplative Kirche
Wichtig sei auch die vierte Dimension: Um Kirche leben zu können, brauche es Kontemplation. Sie sei kein Privileg von Heiligen oder Mystikern. Kräutler: „Ohne kontemplative Dimension haben wir keine Chance.“ Für ihn sei Mystik nichts anderes als „die tiefste Motivation, die mich leitet, den Weg trotz aller Wagnisse zu gehen, um mich für Mitmenschen einzusetzen. Das ist ohne die Hilfe Gottes nicht möglich.“ Beim Gebet brauche es nicht vieler Worte; letztendlich müssten wir lernen, uns vor das Allerheiligste hinzusetzen und nichts zu sagen, denn das tiefste Gebet lautet: Ich weiß, er ist da.
Im Lukasevangelium wurde das griechische Wort „Aphatos“ mit „er entschwand“ übersetzt. Doch eigentlich bedeutet es: unsichtbar. Doch wenn jemand unsichtbar ist, ist er immer noch da. „Das erfahren wir in der Eucharistie“, betonte Bischof Kräutler, und weiter: „Das ist keine symbolische Handlung, sondern: ER ist da, leibhaftig bei uns. Das ist Mystik der Gegenwart Gottes, daran sollen wir tief glauben, auch wenn es uns dreckig geht, wenn wir mit dem Leben bedroht werden. Denn es ist Tatsache: Er ist mit uns und gibt uns Kraft, den Weg zu Ende zu gehen.“
[rs]