Armut hat Platz
Zwei Apfel- und ein Birnbäumchen hat Pater Virgil Steindlmüller geschenkt bekommen: beim Eintritt ins Kloster, zur Feier der ewigen Profess und zum Fest seiner Priesterweihe. Er hat sie im Klostergarten der Erzabtei St. Peter in Salzburg eingepflanzt, wo sie Wurzeln geschlagen haben. „Seine“ Bäumchen sind schon beachtlich gewachsen - genauso wie das soziale Engagement von Prior P. Virgil und der Gemeinschaft von St. Peter.
„Mich hat es halt erwischt.“ So kommentiert P. Virgil seine Ernennung zum Prior im April 2013. 1979 in Prien am Chiemsee geboren, trat er 2002 bei den Benediktinern in die Erzabtei St. Peter ein, legte 2007 die ewige Profess ab und wurde 2011 zum Priester geweiht. Nach einer Befragung aller Mitbrüder wurde er vom neugewählten Abt P. Korbinian Birnbacher zum Prior ernannt. Er war damals der Jüngste im Konvent von 22 Mitbrüdern - und ein Signal der Hoffnung für die Gemeinschaft.
Bettler stören
„Salzburg – Stadt der organisierten Bettlerbanden?“ Solche Plakate waren in der Festspielstadt schon Monate vor den Gemeinderatswahlen am 5. März 2014 zu sehen. Dass in der Stadt viele Bettler auf den Straßen waren, war für P. Virgil nicht zu übersehen. Sie saßen auch vor dem Kloster St. Peter und bettelten. „Anfangs habe ich sie immer wieder weggeschickt“, gesteht er. Am nächsten Tag waren sie wieder da. War nicht etwas dran an der Behauptung, dass dahinter organisierte Banden steckten, die arme Menschen zum Betteln auf die Straße schickten, sie ausbeuteten und damit das große Geld machten? Wie konnte eine Lösung ausschauen? Ein strenges Bettelverbot erlassen, wie manche PolitikerInnen fordern? Wie konnte man diesen Menschen gerecht werden, ohne sie sozial auszugrenzen und in ihrer Würde zu verletzen? Und was könnten seine Gemeinschaft und er persönlich dazu beitragen?
Im Herbst 2013 luden die Caritas der Erzdiözese und das Diakoniewerk Salzburg Interessierte zu einem offenen Gespräch ein. Ziel war es, Informationen zum Thema Bettler zu bieten, es von der polemischen auf die sachliche Ebene zu bringen. Nicht über sie zu reden, sondern mit den betroffenen Menschen ins Gespräch zu kommen. „Aus persönlicher Betroffenheit bin ich zu diesem Gespräch gegangen“, sagt P. Virgil. Der Abend hat vieles in ihm in Bewegung gesetzt. Denn da war von ArmutsmigrantInnen die Rede, die Arbeitslosigkeit erleiden und keine Perspektiven in ihren Heimatländern haben. Für die Betteln im reichen Westen oft die einzige Möglichkeit ist, das eigene Überleben und das ihrer Familien zu sichern. Die zu 80 Prozent aus Rumänien, vielfach der Gruppe der Roma angehörenden ArmutsmigrantInnen seien meist obdachlos und vom Bezug von Sozialleistungen ausgeschlossen. Zu einer medizinischen Grundversorgung hätten sie keinen Zugang. Sie bräuchten nicht Diskriminierung, sondern Menschlichkeit, Wertschätzung und Aufnahme, so der Tenor des Abends. Und Hilfe auf einer breiten Basis, wo sich Organisationen, Klöster und Einzelpersonen zusammentun und sich zu Anwälten dieser Menschen machen.
An die Ränder gehen
Aber nicht nur dieses Gespräch hat bei P. Virgil viel bewegt. Auch die klaren Worte (und Taten) von Papst Franziskus, Orden und Kirche müssten an die Ränder der Gesellschaft gehen, haben ihn nicht mehr losgelassen. „Das hat bei mir zu einem Umdenken geführt“, erzählt er. P. Virgil informierte seine Mitbrüder im Konvent von diesem Gesprächsabend und suchte die Kommunikation mit ihnen. Er berichtete, was die Aussagen des Papstes und dieser Abend in ihm ausgelöst hatten. Immer stärker reifte in ihm die Überzeugung, dass das Engagement für diese Menschen am Rande der Gesellschaft nicht nur für die Stadt Salzburg, sondern ebenso für die Klostergemeinschaft unverzichtbar ist. P. Virgil: „Wir müssen unseren christlichen Auftrag und unsere benediktinische Verantwortung ernst nehmen.“ Neben Zustimmung im Konvent gab es auch manche kritischen Stimmen.
Armut hat Platz
Caritas und Diakonie gelang es, viele Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen. Von der ersten Stunde an mit dabei: die Erzabtei St. Peter - mit Prior P. Virgil im Kernteam. Im Februar 2014 kam es zur Gründung von „Armut hat Platz“, der „Plattform für obdachlose ArmutsmigrantInnen aus EU-Staaten“. Das Netzwerk von Organisationen, Vereinen, Einrichtungen, Orden und Privatpersonen setzt sich für sie ein, koordiniert Hilfsinitiativen und stärkt sie in ihrem Engagement. Es versteht sich zudem als Lobbying-Plattform und tritt für die Wahrung der Rechte und der Würde dieser Menschen in der Stadt Salzburg ein. Manche Initiativen der Plattform sind inzwischen schon umgesetzt: Ein Notquartier für rund 35 obdachlose Menschen mit Schwerpunkt ArmutsmigrantInnen wurde eröffnet. Ein „Virgilbus“ bietet einmal pro Woche obdachlosen Menschen eine niederschwellige medizinische Beratung und Basisversorgung an. Die Plattform verfasste eine Stellungnahme zum Landtagsantrag "Prüfung Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns" und vieles mehr. Ein Sozial-Beratungsangebot ist in Planung, die Städtepartnerschaft mit rumänischen Städten soll forciert werden.
Glaubwürdiges Ordensleben
Immer wieder lautet die Forderung: Nicht hier in Österreich, sondern vor Ort mit lokalen Partnern muss die lösungsorientierte Hilfe beginnen. Mit dem Bildungs- und Sozialprojekt L.I.F.T. setzt die Plattform in den nächsten acht Jahren in Rumänien, konkret in Dumbrăveni / Elisabethstadt, einer Kleinstadt mit rund 8.400 EinwohnerInnen nördlich von Sibiu an. L.I.F.T. geht es um Lernen.Integration.Förderung.Tagesbetreuung von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien. Bildung, Förderung und Betreuung zu vermitteln ist das Entscheidende, um der Armutsfalle zu entkommen. Auch dieses Vorhaben von Diakoniewerk International wird von der Erzabtei St. Peter ideell und finanziell unterstützt. Denn für P. Virgil ist klar: „Es geht um die Glaubwürdigkeit des Ordenslebens.“ Unterstützer sind zudem Land und Stadt Salzburg, Caritas Salzburg, Rotes Kreuz Salzburg und die Salzburger Nachrichten. Zweimal war P. Virgil in Dubraveni: im September 2014 zu einer ersten Informationsreise und ein zweites Mal vor gut einem Monat, um Kindern, Jugendlichen und armen Roma-Familien auf Augenhöhe zu begegnen und das Projekt zu fixieren. Er informierte seine Gemeinschaft ausführlich von diesen Besuchen. „Seit der zweiten Rumänienreise interessieren sich meine Mitbrüder verstärkt für das Projekt und unser Engagement“, berichtet er.
Auf die Frage, was für ihn dieser soziale Einsatz bedeutet und wie er davon bereichert wird, antwortet P. Virgil spontan: „Das soziale Engagement vertieft mein geistliches Leben. Und das geistliche Leben wird zur Quelle für mein soziales Engagement.“
Ganz links im Hintergrund Prior P. Virgil Steindlmüller, neben ihm Michael König, Geschäftsführer des Diakoniewerks Salzburg, mit Kindern in Dumbraveni. Michael König wurde im Oktober 2014 stellvertretend für die Plattform „Armut hat Platz“ für sein humanitäres Engagement als „Österreicher des Jahres“ ausgezeichnet. Fotos: © FOTO FLAUSEN.AT/Andreas Brandl
Aus ON 4/2015. Das ganze Heft lesen Sie hier.
[hw]