Mut zu Experimenten
Sr. Christine Rod, die diesen Bereich in den letzten 11 Jahren verantwortet hat und jetzt Regionalleiterin ist, legt im Gespräch im Provinzhaus der Missionarinnen Christi in München noch dazu: „Der Leidensdruck wächst: Werden wir Zukunft haben? Wie werden wir Zukunft haben? Das Altersthema ist massiv präsent. Die Alten sind beeindruckend in ihrer Lebenserfahrung auf der einen Seite und in ihrer massiven dominierenden Präsenz den Jungen gegenüber auf der anderen Seite.“
Den Veränderungen ins Auge schauen
Es fällt den Alten schwer, loszulassen und ihr gelerntes und praktiziertes Ordensleben relativ zu sehen. „Das Ordensleben der Vergangenheit war weitgehend geprägt von ‚entweder-oder‘ in ‚vormodernen Haltungen‘. ‚Moralisieren‘ und ‚werten‘ war in dieser Generation normal. ‚Geschlossene Autoritäten‘ haben ‚wenig Widersprüche‘ geduldet. ‚Unterordnen und einordnen‘ war zentral. Das ‚Eigene‘ leben war nicht einfach.“ Rod sieht alleine in der Veränderung des Noviziates diese Auseinandersetzungen. „Weltfremdheit und Rückzug in die kleine Welt führt zu den Ressentiments gegenüber der Säkularisierung oder Digitalisierung heutiger Welt. Die Jungen werden mit dem ‚Selbstverwirklichungsverdacht‘ belegt. So wird das Zusammenleben in Generationen nicht einfacher.“
Was machst du mit deinem Leben?
Rod sieht bei den Jungen „eine neue Lebenshaltung, die vom ‚und – und‘ geprägt ist. Vernetzungsdenken ist zentral. Nicht gegen- oder nebeneinander, sondern miteinander. Dinge bewegen sich und sie denken alles in Prozessen. Es entwickelt sich.“ Sie hat ihre Arbeit in der Ordensentwicklung als „Alphabetisierung im Hinschauen, im Erfinden, im Forschen“ erlebt. Zentral dabei ist die Neugierde: „Wie tickt die Welt heute?“ Heute geht es um lustvolles Weiterdenken, um das bunte Leben, das Verstehen des Rundherum und um das Einbringen. „Heute sind Persönlichkeiten gefragt, die das Eigene einbringen, ihren Einsatz entlang ihrer eigenen Ausbildungen und Fähigkeiten leben und gestalten dürfen.“ Im Zugehen auf junge Menschen sieht die erfahrene Ordensentwicklerin zwei zentrale Ansätze: „Was machst du mit deinem Leben? Wo sind die Ideen heute?“ Rod sieht im Ordensleben („Vita consecrata“) eine große Anziehungskraft: „Spiritualität und Glaube ist eine Grundsehnsucht im Menschen. Diese Transzendenz-Sehnsucht der Menschen mit der Lebensform Ordensleben in Verbindung zu bringen, ist die Herausforderung. Dann suchen Menschen in der heutigen individualisierten Gesellschaft verbindliche Zugehörigkeit. Das WIR wird wieder stärker für das überindividualisierte und oft einsame ICH.
Auffindbare Orte und Bestärkung
Eine Mitschwester von ihr geht regelmäßig zu Migrantenkindern, um ihnen vorzulesen. Sie ist für die Kinder zur Oma geworden. Solche Beispiele zeigen, wie erfüllend Ordensleben sein kann, wenn es anschlussfähig ist. „Wo können wir uns einmischen und wo sind wir gebraucht?“ Es geht darum, „die Neugierde der Welt hereinzulassen und dafür auffindbar zu sein“. Rod sieht die Orden als „Raum für Bestärkung, für das Experiment, für Erfahrungen und für Fragen.“ Für Rod ist es ein gutes Zeichen, dass von den nachkommenden Ordensfrauen 60% eine abgeschlossene akademische Bildung mitbringen. „Es braucht für diesen stärkenden Dienst in unserer Gesellschaft selbstbewusste und kraftvolle Menschen, die in sich, in der Gemeischaft und in Gott verankert sind.“
Programm des Probierens
P. Riedlsperger sieht in der Ordensentwicklung der Zukunft viel mehr Raum zum Ausprobieren: „Ausprobieren, Erfahrungen machen, Bedingungen ausloten, wo etwas geht und wo nicht. Ich sehe einen experimentelleren Zugang zu manchen Fragestellungen der Orden. Begegnung und Austausch sind mir wichtig. Zentral wird es auch sein, einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen.“ Riedlsperger sieht noch viel mehr Freiraum, der für die Gestaltung der Zukunft einer Ordensgemeinschaft, von Werken und Einrichtungen genutzt werden kann. Die Folge wäre, „dass Gemeinschaften viel mehr als bisher als Innovationsanwälte agieren.“ Gerade in der Leitung kann Laien, Fachleuten und Externen viel mehr „Verantwortung auf Augenhöhe übergeben werden“.
Der Ordensauftrag, die Gemeinschaft und die MitarbeiterInnen
P. Riedlsperger zeichnet auf einen kleinen Zettel die drei „Kraftpunkte“: „Da ist einmal der Ordensauftrag, der von der Gründung und den Aufgabenfeldern definiert ist. Dann ist hier die Gemeinschaft, die bis vor einiger Zeit mit dem Auftrag ident war. Und da sind die Werke, die Einrichtungen, die Aufgabenfelder, die Engagements, wo sowohl Ordensleute als auch MitarbeiterInnen arbeiten. Da geht es viel um Professionalität und Identifikation.“ Riedlsperger sieht gerade in den Werken die zentralen Veränderungen von der Berufung zur Professionalität, aus Werken wurden Unternehmen und aus Notlösungen Innovationen. „Es geht um die tiefe Einsicht, dass wir einander zutrauen, auf Augenhöhe am Ordensauftrag mitzuarbeiten. MitarbeiterInnen sind keine Notlösung, sondern sie leben den Auftrag ohne die Lebensform der Ordensleute. Der Geist, der Spirit erfasst und inspiriert in ihrer Arbeit.“
Klar und verständlich
Was ist der Ordensauftrag? „Den Ordensauftrag klar, verständlich und heutig formulieren und aktiv kommunizieren können, ist ganz zentral und für die Entwicklung hinein in die Zukunft entscheidend.“ Riedlsperger sieht gerade bei den Leitungspersonen hier eine große Verantwortung. Er weiß positive Beispiele, wie MitarbeiterInnen der Ordensauftrag anhand einer Fahrt zu den Gründungsorten besonders zugänglich wurde: „Solche Maßnahmen schüren diese persönliche Begeisterung, die auf andere überspringt und andere ansteckt.“ So entstehen Magnetismen, die anziehen.
[fk]