Zeugnis für die Wahrheit
Sie werden wieder dicht aneinander gereiht stehen, die Stände, an denen den Menschen ein Blick in die Zukunft versprochen wird. Voriges Jahr zu Silvester sind sie mir in einer Seitenstraße von Wien beim Silvesterpfad aufgefallen, die vielen Anbieter von Wissen, Geheimwissen, Sternenwissen. Vermutlich sind dann auch viele Menschen angestellt gewesen, um sich wahr-sagen zu lassen, um einen Blick in die Zukunft zu tun, ein Wort der Hoffnung oder auch der Warnung zu bekommen für den eigenen Weg.
Es lebt sich, so scheint es, für viele Menschen leichter mit horoskopischer Deutung des Daseins, mit dem Beachten der Stunde. Wir wollen wissen, wie wir daran sind, ob uns die Stunde schlägt. Der griechische Ursprung des Wortes erklärt es, es geht um das „hora–skopéin“, um das Beobachten der Stunde, genauer gesagt um das Beobachten der Sterne zu genau dieser Stunde. Was ist jetzt wichtig und wahr?
Es ist eigenartig: wenn man das Wort beim Wort nimmt, springt eine doppelte Bedeutung heraus: das Wahrsagen und Wahr-Sagen, das Wahrsagen im Sinne des Herauslesens aus Sternen oder Karten oder Handlinien, oder das Wahr – Sagen, das Bekenntnis von Wahrheit, die gewusst wird oder geglaubt. Wahrsager sind überzeugt, dass sie Wahr-Sager sind. Zumindest bis ins 17. Jahrhundert hinein waren ja auch Astronomie und Astrologie zwei aufeinander bezogene Weisen des Wissens in einem geschlossenen Weltbild.
Suche nach dem Sinn des Lebens
Aber je mehr sich unser Wissen um Welt und Weltall zersplittert in hoch komplexe naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse und eine verzweifelte Suche nach dem Sinn des Lebens umso mehr wächst auch das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit. Versicherungen sind hoch im Kurs. Aber plötzlich erleben wir auch in unserem Land, dass junge Menschen die scheinbare Sicherheit unserer westlichen Welt verlassen, ihre Schullaufbahn, ihre Ausbildung abbrechen und ausbrechen.
Ob diese jungen Leute, die in den vergangenen Wochen in den Krieg nach Syrien gezogen sind, auch zuvor einen Wahr-Sager aufgesucht haben? Vielleicht haben sie sich gegenseitig beraten, vielleicht haben sie aufmerksam die Aufrufe verfolgt, die ihnen Lebenssinn und Zukunft versprochen haben in einem Land, das in Trümmern liegt. Sie ziehen nach Syrien, zu Hunderten, wie man hört, und manche wissen dabei nicht einmal, wo Syrien liegt. Das Schicksal dieser jungen Menschen geht mir persönlich sehr nahe und oft frage ich mich, was falsch läuft in unserer Gesellschaft, dass junge Menschen sich verlocken lassen zu so einem Schritt.
Vor rund 800 Jahren ist auch einer nach Syrien gegangen, ein junger Mann aus Assisi. Auch er wollte mitziehen in den Kampf um das Heilige Land. Aber sein Kampf wurde zum Ringen um Frieden, um Versöhnung. Bis nach Ägypten, zu Sultan Melek al Kamil, so sagt uns die Lebensgeschichte, ist Franz von Assisi gekommen, die Schlacht von Damiette mit ihren verheerenden Folgen konnte auch er nicht verhindern. Aber was Franziskus und seinen Brüdern durch die Teilnahme am Kreuzzug nicht gelang, gelang schließlich durch die Radikalität ihres Lebens, durch die Nachfolge Jesu. Franz von Assisi hat dem Evangelium ein neues Gesicht gegeben, er wurde zu einem Wahr-Sager der Frohen Botschaft. Christus wollte er verkündigen, ihm wollte er ähnlich werden. Jesus, den Mann aus Nazareth und seine Botschaft, wollte er sichtbar machen.
Darum hat Franziskus erfunden, was für Christen bis heute ein lieber Brauch ist: die Darstellung der Geburt Jesu in Betlehem. Eine Krippe gibt es in vielen Familien, wenn auch in vielen Schaufenstern und Kaufhäusern die Rentiere aus dem hohen Norden häufiger zu finden sind als die Schafe von Bethlehem. Franziskus inszenierte 1223 in Greccio ein richtiges Krippenspiel und das ganze Dorf war dabei. Die Weihnachts-geschichte wurde gespielt, und diese Geschichte beginnt beim Evangelisten Lukas mit dem Hinweis auf den Kaiser Augustus und der Feststellung: „Damals war Quirinius Statthalter von Syrien“ (Lk 2,2).
Wahrheit - das erste Opfer des Krieges
Syrien, da ist es wieder, dieses heute so gepeinigte Land. Es wird, so fürchte ich, keinen Frieden geben in Damaskus und keine Hoffnung in den Flüchtlingslagern im Libanon. Wer könnte den Frieden vermitteln, der hier schon vor 2000 Jahren von den Engeln verkündet worden ist? „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“, hat, so heißt es, Hiram Johnson schon 1917 gesagt. Wer von uns könnte wissen, auf welcher Seite die Wahrheit ist in diesem so grausam unheilvollen Chaos im Nahen Osten, im Vorderen Orient, in dem wahrscheinlich auch heute Menschen gefoltert werden und Kinder sterben.
Ich möchte nachdenkend zu dem einen Kind hinschauen, dessen Geburt zu Weihnachten gefeiert wird. Und mit einer Meditation über die Wahrsager und Wahr-Sager möchte ich bei der Weihnachtsgeschichte in diesem Syrien bleiben, zu dem unter der Herrschaft des Quirinius ja auch Judäa gehört hat. Dieser Publius Sulpicius Quirinius ist als Statthalter von Syrien historisch bezeugt, allerdings erst für das Jahr 6 n.Chr. So stoßen wir zuerst auf die Frage nach der historischen Wahrheit, nach den gesicherten Fakten.
Die Forschungs-ergebnisse zur genauen Datierung der Geburt Christi füllen Bände. Dass Kaiser Augustus in Rom regierte, ist unbestritten. Natürlich hatte auch der Kaiser seine Wahrsager. Aber er brauchte auch harte Fakten. Jeder Herrscher will wissen, wie viele Einwohner sein Land hat und wie viele Steuereinnahmen zu erzielen wären. Judäa aber war beherrscht von der „Wahrheit“ des romtreuen König Herodes. Dieser grausame Herrscher litt unter einem Verfolgungswahn und für den Tyrannen galt: Ich werde verfolgt, also muss ich verfolgen!
Ein König ist geboren!
In der Geburtsgeschichte bei Lukas erfahren wir neben der historischen, der militärischen und der wahnhaften Wahrheit auch noch die ganz praktische Wahrheit der Herbergsleute von Bethlehem: Wir haben keine Platz mehr! Josef findet für seine Frau einen Stall, die Hirten finden ein Kind, und die Sterndeuter, so erzählt uns Matthäus, finden einen Hinweis. Sie haben einen Stern aufgehen gesehen sind gekommen um dem König zu huldigen. (Mt 2,2)
Die altorientalischen Wahrsager werden zu Wahr-Sagern: Ein König ist geboren! Was Herodes zu Tode erschrecken lässt, wird dann dreißig Jahre später ein anderer Statthalter ebenfalls fragen: „Bist Du der König der Juden?“ Und der da gefesselt vor Pilatus steht, wird von sich sagen: „Ich bin geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Und dann folgt die Frage, die die Jahrhunderte durchzieht und jeden Menschen persönlich herausfordert: „Was ist Wahrheit?`“ (Joh 18, 38).
Fotos: Katrin Bruder, Fotolia.com/Maruba
[rs]