Albert Wunsch: Es gilt, auch den seelischen Muskel zu trainieren
Leistung sei schon immer in unserer Gesellschaft verankert gewesen, betonte Albert Wunsch, Dozent an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln. Doch die 68er-Bewegung machte Leistung zu einem Unwort. Das Vergnügen rückte immer mehr in den Vorder- und die Verantwortung in den Hintergrund; die Gesellschaft verstand sich immer mehr als „Spaßgesellschaft“. Die Konsequenz daraus war auch die sog. Spaßpädagogik. „Lernen muss Spaß machen. Und wenn es das nicht macht, dann muss der Lehrer mehr Entertainer sein.“, so Albert Wunsch.
Vor 30 oder 40 Jahren lag für die meisten Menschen der Sinn des Lebens in einer zufriedenstellenden Existenz. Heute würde rund zwei Drittel aller Befragten darauf antworten, Der Sinn des Lebens bestehe darin, Spaß zu haben. Der Spaß wird zum Ziel. Das Fazit, das Wunsch daraus zieht: „Die Entwicklung von Eigenständigkeit, Selbstverantwortung, Durchhaltevermögen, Problemlösungsfähigkeit und Kreativität als Voraussetzung dafür fehlt völlig – weil der Spaß fehlt.“
Wachstum durch Anstrengung
Der Grund liege auch darin, dass Kinder und Jugendliche zu sehr verwöhnt werden. Wobei „Verwöhnung beginnt, wo die Herausforderung ausbleibt“, formuliert es der Kölner Erziehungswissenschaftler. Kinder haben ein Recht darauf, eigenständig Erfahrungen zu sammeln. „Wachstum entsteht durch Anstrengung, durch ein eigenständiges Meistern von Aufgaben und Problemen.“, so Wunsch. Wer nicht von klein auf Herausforderungen kennt, der wird auch später keine Herausforderungen meistern. Und weiter: „Wir müssen auch den seelischen Muskel trainieren. Jeder gemeisterter Konflikt und jede gemeisterte Herausforderung ist gutes Training für den seelischen Muskel.“
Wer verwöhnt, verstoße gegen den Grundsatz, alle Erziehungsmaßnahmen sind zum Wohl des Kindes. Falsches Helfen, fehlende Begrenzung und ausbleibende Herausforderungen führen letztendlich zu Nichtkönnen. Erfolg und Genuss ohne Anstrengung seien das Ziel; in der Folge führe das zu unmotivierten leistungsschwachen Jugendlichen. Wenn bis zu 25 Prozent der Lehrlinge die Berufsausbildung und bis zu 35 Prozent der Studierenden ihr Studium abbrechen, dann seien das alarmierende Zahlen. Antriebslosigkeit führe zu Ausbildungslosigkeit und diese wiederum zu Arbeitslosigkeit.
Das bedeute aber nicht, dass man völlig darauf verzichten sollte, Kinder ab und zu ein wenig verwöhnen. „Sich und anderen in ausgewogener Weise etwas Gutes tun ist über-lebenswichtig“, sagt Wunsch. Das sei situationsbezogen; man müsse aber sehr darauf achten, was wirklich gut für sich und sein Kind sei. Kinder müssten in die Welt hineinwachsen. „Die Basis dafür seien Eltern, die liebevoll und herausfordernd sind" und eine "wohlwollende, vorlebende und konsequente Erziehung" leben. Nur so könne eine selbständige Persönlichkeit ausgebildet werden.
+++ Univ.Doz. Dr. Albert Wunsch ist promivierter Erziehungswissenschaftler mit "Missio canonica". Der Hochschullehrer ist an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und an der Hochschule für Oekonomie & Management (FOM) in Essen/Neuss tätig. Daneben arbeitet er in seiner Praxis in Neuss als Paar-, Erziehungs- und Konfliktberater sowie als Supervisor und Coach und führt Fortbildungen für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Eltern durch. Er schrieb zahlreiche Fachbücher, u.a. "Die Verwöhnfalle. Für eine Erziehung mit mehr Eigenverantwortung" (2000), "Abschied von der Spaßpädagogik" (2003) und "Mit mehr selbst zum stabilen ICH. Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung" (2013).
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Quelle Foto: Kati Bruder
[rs]