David Bosshart: Es braucht eine Frömmigkeit des Fragens
„Es braucht eine Frömmigkeit des Fragens. Wichtiger als die Antworten sind die wichtigen Fragen zu stellen, zuzulassen, anzugehen.“ Bosshart sieht vor allem drei Fragen für den heutigen Menschen brennend: „Wozu gehörst du? Gemeinschaft und Dazugehören, zu einem Ganzen, zu einem Größeren ist für jeden Menschen entscheidend. Wofür willst du stehen? Das Christentum entschuldigt sich heute zu viel. Worauf kann ich mich verlassen? Im Wandel zählen tragende innere Werte.“ Die anwesenden Ordensleute ermutigt Bosshart, „klarer und deutlicher über die eigenen Lebensprogramme und Sichtweisen in der Gesellschaft zu reden.“
Die Lust am Lernen anstacheln
„Der Mensch verhält sich immer vernünftig, wenn er wo dazugehört, was größer ist als er selbst, was ihm Transzendenz eröffnet.“ Die größte Kulturleistung der westlichen Welt war, Bedürfnisse und Wünsche zu verschieben. Wer das kann, wird leichter überleben. „Diese Fähigkeit zum Verschieben von Bedürfnissen ist uns abhandengekommen.“ Was macht uns desensibilisierten Wohlstandsmenschen eigentlich noch menschlich? „Die eigenen Urteilskraft als verlässliche Instanz und die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Sich die Zukunft gut vorstellen zu können mit einer starken Imaginationskraft. Die Lust am Lernen anzustacheln.“
Von Statussymbolen zu einfachem aktivem Tun
Was heißt für Menschen, denen es gut geht, „echter“ Luxus? In unserer westlichen Welt leben wir in einer saturierten Epoche. Es besteht der Wunsch, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Im Grunde geht es darum: Wie können wir lernen zu sterben. Je älter eine Gesellschaft ist, umso weniger braucht sie sie beweisen. „Ein Bergsteiger ist erst im Tal am Ziel angekommen.“ Weniger heißt nicht verzichten, sondern die Schwerpunkte neu zu setzen. 34% wollen eine teure Anschaffung, 66% wollen eine Auszeit. „Wer mit allem versorgt ist, der sehnt sich nach dem Nichts.“ Von der Verschwendung zur Verschlichterung. Wie kann ich etwas schlicht und einfacher machen? Eine Luxusstudie belegt, dass der Mensch in der Vereinfachung erst das Wesentliche entdeckt. Als Beispiel nennt Bosshart den bewussten Umgang mit Lebensmittel. „Von Statussymbolen zu Skills, zum aktiven Tun.“
Ein bewusster Blick auf den Wandel
„Wir wissen nicht, wohin wir gehen. Alles, was wir wissen, ist: Wir gehen dorthin und das viel schneller.“ David Bosshart beschreibt damit die Geschwindigkeit des Wandels und die Angleichung an das Tempo der Maschinen und Technik: „Unsere Kinder sind viel jünger älter und alte Menschen bleiben länger jünger.“ Alle Produkte sind technologischer geworden. Es gibt kaum einen Lebensbreich, „der nicht an einem Gerät hängt“. Jeder Mensch in Mitteleuropa nimmt heute sein Smartphone 30.000 bis 60.000 Mal zur Hand. „Das Gerät weiß viel mehr von mir als ich selber.“
Seit einer Generation sind wir Laptop-Sklaven
Auf die Zukunft hin spricht Bosshart die mangelnde Kraft zu neuen Vorstellungswelten an: „Wir sind in einem Erfahrungsgefängnis. Wir leben in einem Gedankensilo. Es braucht die Kraft, sich die Dinge anders vorzustellen.“ Da hilft heute nachzuschauen, wie die Zukunft der Vergangenheit ausgesehen hat. Daraus lernen wir, wie wir heute in die Zukunft schauen. Der Mensch stellt sich Zukunft immer bequemer und einfacher vor. Die neuen Medien schaffen allerdings eine neue Komplexität. Aber: „Dieser Trend des Mitteilungsbedürfnisses in einer dauernden Vernetztheit lässt sich nicht stoppen.“ Seit 100.000 Generationen sind wir Jäger und Sammler. Seit 500 Generationen sind wir sesshaft. Seit 10 Generationen sind wir Industriearbeiter und seit einer Generation sind wir „Laptop-Sklaven“. Das heißt immer noch mehr „Cloud und schnelleren Wandel“. Wir brauchen immer weniger Hardware und dafür mehr Software. „Wir haben in einem Gerät fast das ganze Leben drinnen. Ich und mein Gerät.“
Die Automatisierung schreitet voran
„Entscheidend ist nicht, wer sie sind, was sie haben, sondern mit welcher Einstellung und Haltung sie diesen Wandel bestehen und gestalten wollen.“ Eine empathische Haltung zu dem, was kommt, wird der Freiraum größer, die Zukunft zu gestalten. Wer die neuen Technologien ablehnt, wird die Zukunft nicht verstehen. „Unsere Partner in Zukunft werden immer mehr auch die Maschinen sein. Wer es versteht, Maschinen zu Partnern, Mitarbeitern, Coaches, ja zu Freunden zu machen, wird mehr Gestaltungsraum schaffen. Dafür braucht es aber eine emotionale Beziehung zu den Geräten. Letztendlich ist die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Automatisierung.“ Der Mensch tut es deshalb, weil er ein bequemeres Leben führen will. Die Feinmotorik, die Emotionalität, die Intuition wird die Maschine noch lange nicht können. „Die Automatisierung schreitet voran.“ Wenn wir den Menschen Bequemlichkeit bieten, nimmt er das gerne an.
Familiarität in der Cloud
„Familiarität ist kein geografischer Ort, sondern ein digitaler Ort, die Cloud, die digitale Verbundenheit. Das wird den Menschen schnell vertraut. Was dem Menschen vertraut ist, daran ist er emotional gebunden. Wenn Geräte bequem sind, dann wird es unglaublich rasch angenommen.“ Die Technik hat ein Geschick entwickelt, quasi-erotische Beziehungen zu ermöglichen. In Japan werden die ersten Geräte im Verkauf eingesetzt, die Emotionen lesen können. Die alten Menschen werden dort auch Pflegerobotern überlassen. Bosshart: „Keine Mutter würde ihr Baby einem Roboter überlassen. Das sollte uns im Abwägen von Vor- und Nachteilen dieser Entwicklungen zu denken geben.“
Eine Balance finden
„Es wird alles viel schneller. Schneller essen, schlafen, leben, arbeiten, regenerieren, in Rente gehen, sterben.“ Bosshart belegt, dass sich der Mensch heute eine Stunde Schlaf „spart“. Bosshart ortet in den Sehnsüchten des Menschen eine neue Richtung: „Was sind die Sehnsüchte: Das Lokale, weil es einfach, überschaubar, sauber ist und aus einem verstehbaren Zusammenhang kommt. Es geht heute darum, Balance zu finden und eine bewusste Haltung zu diesen Entwicklung einzunehmen.“ Menschen, die keine Selbstdisziplin haben, lassen Technik zum Selbstzweck verkommen, werden süchtig. Gerade für junge Menschen ist daher das Umfeld entscheidend, ob sie diese Selbstkontrolle entwickeln können.
Vertrauen schaffen in einer segmentierten Welt
„Ordenschristen können in der Beteiligung an den Veränderungsprozessen diese Balance leben.“ David Bosshart rät, öfter die Löschen-Taste zu drücken. „Denn: Es fehlt uns gar nichts.“ Es geht heute um Vertrauen. „Wie kann heute Vertrauen über die eigenen Grenzen hinaus aufbauen?“ Durch die Segmentiertheit gibt es immer weniger gemeinsam tragende Werte.
+++ Dr. David Bosshart ist seit 1999 CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Das Institut ist ein unabhängiger Europäischer Think Tank für Handel, Wirtschaft und Gesellschaft (gegründet 1962 vom Europäischen Handelspionier Gottlieb Duttweiler). Davor war David Bosshart tätig in Handelsunternehmen, in der Beratung, in der Lehre und in der wissenschaftlichen Forschung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Megatrends und Gegentrends in Wirtschaft und Gesellschaft, Zukunft des Konsums und Konsumverhaltens, Globalisierung und politische Philosophie, Management und Wandel. David Bosshart ist Autor zahlreicher internationaler Publikationen (zB „Age of Less“), mehrsprachiger Referent und gefragter Key Note Speaker in Europa, Amerika und Asien. Forschen, hinschauen und verstehen sind seine Zugänge zur Welt.
Das Pressefoto zum Downloaden finden Sie hier. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Kati Bruder
[fk]