Father Jerry Thomas: Wir sind die Hirten der Jugend
Der Nordosten Indiens ist ein Schmelztiegel, berichtet Father Thomas. In Assam leben 35 Millionen Menschen mit unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Sprachen. Christen haben Muslime und Buddhisten als Nachbarn. 209 „Tribes“, also Stämme, sind offiziell eingetragen; rund 500 Dialekte werden gesprochen. Diese Vielfalt kann durchaus befruchtend sein, aber auch das Potenzial für Gewalt und Unzufriedenheit beinhalten. Nordindien ist ein Land im Übergang, erzählt Father Thomas. Generationen leben meist auf engem Raum zusammen, dementsprechend oft treffen auch unterschiedliche Ansichten aufeinander. Während die Älteren eher in ihrem traditionellen Denken behaftet sind, vertreten die Jüngeren moderne Ansichten. Auch hier gibt es genug Stoff für Konflikte.
In Indien kam es in den 90er-Jahren zu einem Wirtschaftsaufschwung. Doch nur wenige konnten davon profitieren. Dennoch stiegen die Erwartungen. Die ältere Generation erhoffte von der jüngeren positive Veränderungen für Gesellschaft und Land, schließlich hätten sie ja „eine Bildung erhalten“. Die jüngere Generation wiederum haderte oft mit ihren eigenen Erwartungen; ihre Wunschträume, die ihnen von Medien und Werbung eingeben wurden, konnte die Mehrheit nicht erfüllen. Das alles führte zu Frustration und letztendlich zu Gewalt. Und, so Father Thomas, "Wo die Sprache versagt, spricht die Gewalt - besonders wenn die Jugendlichen erfahren, dass sie von der Öffentlichkeit nur durch Bombenattentate wahrgenommen werden."
Doch der Weg funktioniert auch umgekehrt: "Haben frustrierte, wütende Jugendliche jemanden, der ihnen zuhört, dann gibt es keine Gewalt." Ihre Rebellion muss positiv bewertet werden, als Wesen ihres Alters gesehen werden: "Rebellion kann Impulsgeber und positive Energie sein. Sie kann in Engagement umgeformt werden und zum Wandel hin zu einer besseren Gesellschaft beitragen.", sagt der Ordensmann.
Sichere Räume
Voraussetzung dafür sei aber, dass die Jugend auch die Chance hat, ihre soziale Realität zu analysieren und ihre Probleme und Sorgen zu formulieren. Das sei eine "enorme Herausforderung". Da das tägliche Umfeld von Jugendlichen für sie oft ein "destruktiver Raum" sei, benötigen sie „sicherer Räume“ für das Ausleben ihres Widerstandsgeistes. Ansonsten „ findet die Rebellion in der Familie und auf der Straße statt."
Selbst Verantwortung übernehmen
Der Salesianerpater betonte, vor allem die Kirche müsse in ihrer Jugendpastorale auf diese Problematik eingehen. Man dürfe von den Jugendlichen nicht erwarten, dass sie perfekt seien, aber den Willen zur Veränderung in sich tragen. Eine "Etikettierung" oder gar Bestrafungen seien nicht zielführend. „Wir sind die Hirten der Jugend. Jugendliche müssen spüren, dass sie geliebt und angenommen werden. Sie müssen selbst in Freiheit Verantwortung übernehmen können."
Zahlreiche Friedensworkshops beweisen das. Der Ordensmann: "Viele Jugendliche, die an diesen Workshops teilgenommen haben, sind mittlerweile selbst Friedensvermittler in ihren eigenen Dörfern und Stämmen. Sie konnten mittlerweile viele Menschenleben retten.“
[rs]