Sozialwissenschaftler P. Alois Riedlsperger plädiert für eine "Kultur der Genügsamkeit"
“Die tägliche Erfahrung von immer mehr, immer schneller, immer raffinierter trägt nicht mehr.”, sagt P. Alois Riedlsperger. Das spiele sich auf zwei Ebenen ab: “Gesellschaftlich: Die Fortsetzung der herrschenden Dynamik in Wirtschaft und Gesellschaft zeigt sich als ruinös. Persönlich: Die dramatisch hohe Zahl von Burnout-Fällen zeigt, dass es vielen einfach zu viel wird.”
Eine grundlegende Umorientierung
“Da Einzelmaßnahmen keinen Ausweg aus der herrschenden Wirtschafts- und Lebensweise schaffen werden, geht es um eine grundlegende Umorientierung. Das Programmwort einer solchen Umorientierung ist: Genügsamkeit.”, bringt es der Sozialwissenschaftler P. Riedlsperger auf den Punkt. Das braucht “ein Gespür für Genug: entgegen einem immer mehr, immer schneller und immer raffinierter gilt es, ein Gespür zu entwickeln, was wann und für wen genug ist.” Wer kann diese Sehnsucht nach dem “Immer-Mehr” stillen? Riedlsperger sieht ein Kriterium für Genug: “Kriterium ist, was den einzelnen, was einer Gemeinschaft wichtig ist für ein gutes Leben – im Sinne von Qualität des Lebens. Es geht um die Fähigkeit, Grenzen wahrzunehmen oder zu setzen, damit das Leben wieder zu sich findet.” Es stimmt: Das Leben sucht sich gerade. Irgendwie macht es dabei einen etwas hilflosen Einsatz.
Genügsamkeit – eine Frage der Kultur
Für Riedlsperger geht es um die Frage einer Kultur, um die Entwicklung von sinnvollen und gemeinschaftlich geteilten Lebensweisen. Entscheidend ist dafür die Reflexion von Erfahrungen und ihr Austausch mit anderen: Was macht Freude, was ist köstlich, fein, herausfordernd, erfüllend? So können neue Lebensweisen entstehen, Ausdrucksformen für ein gutes Leben.” Das ist nicht nur “schön” gesagt, sondern lässt die feinen Schwingungen eines neuen Lebens erahnen, erspüren. Das ist nach Riedlsperger aber nicht ohne ein “statt” zu haben: “Souveränität statt Fernsteuerung: Weniger ist oft ein Mehr bei der Menge konsumierter Güter, genutzter Medien, wahrgenommener Termine.” Und: “Solidarität statt Eigennutzendominanz: Genügsamkeit schafft Freiheit zum Teilen und das Interesse für gemeinsame Lösungsansätze.”
Genügsamkeit – eine Frage der Rationalität
"Angesichts der herrschenden Rationalität des Nie genug des Gewinn orientierten Sektors der Ökonomie bedarf eine große Transformation eine Änderung der vorherrschenden Rationalität, die die ökologischen wie sozialen Grenzen permanent missachtet.” Riedlsperger fordert eine “Orientierung am „Haushaltssektor“ein: Hier gilt eine Rationalität des Genug: Genug gekocht! Genug gepflegt! Genug gereinigt! Was jemand erhält, hängt nicht von Einkommen und Kaufkraft ab, im Blick steht, was für ein gutes Leben benötigt wird.” Dann folgt daraus die “Orientierung an einer „solidarischen Ökonomie“: In der Bewegung der Solidarischen Ökonomie werden Wirtschaftsweisen neu erprobt, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen – im Sinne eines Genug für alle."
Genügsamkeit – eine Überlebensfrage
"Angesichts der Übernutzung des Planeten durch eine Minderheit der Weltbevölkerung und der bedrohlichen Folgen des Klimawandels wird bereits jetzt die Frage der Genügsamkeit zur Schicksalsfrage für Menschheit und Schöpfung.”, sagt P. Riedlsperger. Wir brauchen “Prozesse der Verständigung: Die Entwicklung einer weltweiten Kultur bedarf Prozesse der Verständigung über entsprechende Lösungsansätze.” Und: “Initiativen für den Wandel: Die Entwicklung zukunftsfähiger Lebensweisen braucht konkrete praktische Versuche.” Prototypen sind gefragt, Gründermentalität für das neue solidarische Leben. Ordensgemeinschaften alt und neu sind gefragt.
Das Modell „Sonntag“ als Nagelprobe
P. Riedlsperger zum Abschluss: “Eine Kultur der Genügsamkeit, eine Ökonomie des „Genug für alle“ lässt sich für ChristInnen vom Sonntag her denken. Woche für Woche erfolgt eine gesellschaftliche Unterbrechung, die anzeigt: Genug gearbeitet! Genug gewirtschaftet! Eine solche Genügsamkeit schafft eine neue Freiheit. Als innere Freiheit macht sie frei von Angst, unnötigem Besitz und „haben wollen“ und als äußere Freiheit eröffnet sie einen Gestaltungsraum in sozialer Gerechtigkeit.”
Quelle Foto: Jesuiten in Wien
[rs]