Kindern wird mehr geglaubt
Die Geschichten von Demütigung und Missbrauch, die durch die Unabhängige Opferschutzkommission gesammelt und behandelt wurden, liegen Großteils einige Jahrzehnte zurück. „Es wird aber auch in Zukunft Fälle geben“, erklärt Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic illusionslos. Sie fordert eine Präventionsplattform, die auf breitem politischen und zivilgesellschaftlichen Boden steht. Gebessert habe sich seit den unzähligen Vorfällen, die erst heute aufgearbeitet werden, das gesellschaftliche Klima: „Die Eltern sind mutiger geworden, den Kindern wird mehr geglaubt und die Gesetze haben sich geändert.“ Es gilt nicht mehr als chic, gewalttätig zu sein, es ist nicht mehr chic, Kinder zu missbrauchen. Das Buch, das im Verlag Leykam erschienen ist, wurde heute, 19. November 2013, präsentiert.
Die Täter verbindet ihr unreifer Umgang mit Sexualität
„Je mehr Tränen, umso mehr Strafe.“ Es können einem schon die Tränen kommen, bei den Erinnerungen, die ehemalige Heim- oder Internatszöglinge schildern. Auch sie kommen im Buch zu Wort, das darstellt, wie die Opferschutzkommission gearbeitet hat. Der Band eignet sich jedoch nicht als „Gruselkabinett“. „Alle, die mit Kindern zu tun haben, sollten das Buch gelesen haben“, sagt Kommissionsmitglied Ulla Konrad, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, bei der Buchpräsentation. „Es sind Märtyrer, von denen wir da sprechen.“ Den theologischen Zusammenhang betont Kommissionsmitglied und Publizist Hubert Feichtlbauer. Eine Theologie, die Sexualität über viele Jahrhunderte vor allem als Sünde verstand, ist nicht hilfreich für die sexuelle Reifung von (Priester-)Persönlichkeiten. Und bei allen Unterschiedlichkeiten der Täter und Täterinnen: ein unreifer Umgang mit Sexualität verbindet sie.
Therapie und Strafe wirkungsvoller als Strafverschärfung
Der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller, ebenfalls Kommissionsmitglied der Opferschutzkommission, tritt für eine ganzheitliche Betrachtung des Phänomens Kindesmissbrauch ein, sowohl der sexuellen, wie auch der erzieherischen Gewaltanwendung. Für eine wirkungsvolle Prävention sieht er es nötig, auch die psychologischen Hintergründe der Täterinnen und Täter zu erforschen. Nicht im Sinne einer Entschuldigung, sondern im Sinne der Vorbeugung und der Frage: Wie geht man am besten mit Tätern und Täterinnen um? Ist Strafverschärfung das adäquateste Mittel? Haller hält eine Kombination aus Strafe UND Therapie, ähnlich dem „Therapie statt Strafe“ bei Suchtkranken, für wirkungsvoller.
Diözesen, Männer- und Frauenorden arbeiten zusammen an einer Aufarbeitung
Die Stiftung Opferschutz wurde von Diözesen und Ordensgemeinschaften gemeinsam gegründet. Sie führt aus, was die Opferschutzkommission beschließt. Das heißt, sie ist für den Kontakt zu Beschuldigten verantwortlich, ebenso wie für die Aufbringung des Geldes, das die Kommission Betroffenen zuspricht. Sr. Cordis Feuerstein gehört als Vertreterin der Frauenorden zum dreiköpfigen Vorstand der Stiftung. Ein wichtiges Projekt der Opferschutzstiftung ist die Unterstützung einzelner Gemeinschaften bei der Entschuldigung. „Manche Opfer wollen Kontakt zu den Beschuldigten, manchmal ist es auch umgekehrt. Die Antwort kann dann jeweils mit Ja oder NEIN ausfallen“, erzählt Sr. Cordis Feuerstein aus der Arbeit der Stiftung. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass Missbrauch auch heute geschieht, ist sich Sr. Cordis im Klaren. Aber das System habe sich stark verbessert: „Wenn Ordensfrauen heute mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sind sie bestens ausgebildet. Sie haben Supervision und jegliche Unterstützung. Eine ErzieherInnenausbildung gibt es überhaupt erst seit den 1970er-Jahren. Bis dahin dachte man, erziehen, das kann doch jeder.“
In Frauenorden überwog psychischer und physischer Missbrauch vor sexuellem
Ordensfrauen waren für den Staat eine kostengünstige Variante, Kinder mit dem Stempel „schwererziehbar“ unterzubringen. Die Schwestern hielten es oft für das Opfer ihres Lebens, sich den Kindern zu widmen, die niemand wollte – ohne Ausbildung, 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr. Ohne eigenes Zimmer, ohne Rückzugsbereich. Dass das immer wieder „schiefging“, die Erzieherinnen oft restlos überforderte, lag auch am System. Das gilt nicht als Entschuldigung für die Taten der Einzelnen. Es ist aber wichtig für die Frage, wie man heute mit diesen Täterinnen umgeht. „DIE Lösung für diese Frage gibt es nicht“, sagt Sr. Cordis Feuerstein. „Hinaushauen bringt jedenfalls nichts.“
Missbrauch weiter dem Tabu entziehen
Heute wird sehr viel genauer hingeschaut, bevor jemand in einen Orden aufgenommen wird, ist Sr. Cordis überzeugt. Viele Elemente der Ordensausbildung beschäftigen sich außerdem mit Persönlichkeitsbildung, wie der zweijährige, ordensübergreifende Novizinnenlehrgang der Frauenorden. „Prävention ist ein sehr umfassender Begriff“, meint Sr. Cordis. „Wichtig ist es, hellhörig zu bleiben und miteinander über das Thema zu reden.“
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