Abschiednehmen ohne Neuanfang
„Der Film ist zu mir gekommen“, erzählt Helmut Manninger, Regisseur des Films „Die große Reise“. Eines Abends beim Einheizen zuhause sei eine Zeitungsseite übrig geblieben. Da stand: „Was geschieht mit dem Kloster?“ Die Frage habe ihn nicht mehr losgelassen. Also habe er bei den Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens angerufen und gefragt, ob er die Schwestern in Eichgraben im Wienerwald einige Zeit mit der Kamera begleiten dürfe. Nämlich genau in jener Zeit, in der sie ihr über 100 Jahre altes Haus zum Verkauf vorbereiten und ihre eigene Übersiedlung in die Hand nehmen müssen. „Ich habe großen Respekt vor den Schwestern, dass sie das sehr einfühlsame Filmteam mit auf den Weg genommen haben“, sagt Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, die eine Vorpremiere im Wiener Burgkino gesehen hat. Andere anwesende Ordensfrauen stimmten ihr zu: „In unserer Gemeinschaft wäre das glaube ich nicht möglich gewesen!“, meint eine Mitschwester anerkennend.
Ordensfrauen reagieren wie alle anderen Menschen auch
Die 25 Ordensfrauen in Eichgraben gehen sehr unterschiedlich mit der Nachricht um, dass die Ordensleitung die Auflösung ihres großen Hauses im Wienerwald beschlossen hat. Alle Reaktionen, die man in einer Firma, auf einem Bauernhof, in einer Familie angesichts der Auflösung auch erwarten könnte, sind zu finden. Die neugierigen Aufbruchbereiten sind ebenso Teil der Gemeinschaft wie die treuen Bewahrerinnen. Dass nach langem Zögern am Schluss doch alle JA sagen zu dem Schritt, zeugt von ihrer inneren Reife und Fähigkeit, die Wirklichkeit anzunehmen. „Gehorsam“ ist für die Schwestern ein Schlüsselbegriff. Der Film fängt die Anstrengungen der Schwestern, sich mit ihrer Situation anzufreunden, sensibel ein. Ein „großes Kompliment, mit welcher Ehrfurcht das Filmteam an den Film herangegangen ist“, spricht Sr. Beatrix Mayrhofer aus. Der Film kennt viele berührende Momente, ohne dabei ins Lächerliche abzugleiten: die Schwester, deren Geigenvibrato von den alten, zitternden Händen herrührt, der Schlüssel, der sich das letzte Mal im Schloss dreht, die bettlägrige Ordensfrau, die die Sanitäter zum letzten Mal in die Kapelle schieben…
Leben heißt Loslassen, im Kloster und außerhalb
„Der Film steht für mehr“, so die Einschätzung von Sr. Beatrix. „Er zeigt den Abschied von dieser Form des Ordenslebens. Die Frage ist, was ist heute und in Zukunft die Form des Ordenslebens, zu der wir gerufen sind?“ Sie wünscht sich, dass in den Köpfen des Publikums nicht hängen bleibt: „Ja, so leben eben alle Ordensfrauen.“ P. Maximilian Krenn, Prior des Stiftes Göttweig, der sich die Vorpremiere ebenso angesehen hat, sieht den Fokus des Films „Die große Reise“ woanders: „Nicht, wie wir als Ordensleute ankommen, ist die Frage, sondern das Thema Abschied und Altern. Und das betrifft ganz viele Menschen, das ist für viele relevant.“
Abschied verbindet Lebensphasen
Der Film konzentriert sich feinfühlig auf das unmittelbare Geschehen des Abschiednehmens. Ein wenig zu kurz kommt dabei, dass das Abschiednehmen immer eine Schwebephase zwischen anderen Phasen ist. Das Haus in Eichgraben hatte in Blütezeiten bis zu 250 Schwestern beherbergt, die sich auf ihren Dienst in aller Welt vorbereiteten. Es war nie als Altenheim gedacht gewesen. Diffus bleibt das Bild der Zukunft: Wohin brechen denn die Ordensfrauen auf aus ihrem Haus, das sie zurücklassen? Im Film bekommt man fast den Eindruck, dass sie es selbst nicht so genau wissen. Das macht das Abschiednehmen schwer. Wenn Aufbruch mehr Losreißen vom Gewohnten ist als Kennenlernen des Neuen, dann bleibt ein Schleier der Sentimentalität auf dem Geschehen liegen.
[ms]