Ökonomisch orientierte Bildungsreform gescheitert
„Das Scheitern der Bildungsreform der letzten Jahre ist in ihrem Nationalen Bildungsbericht 2012 unumwunden zugegeben, weil sie nicht zu mehr Chancengleichheit geführt hat. Die omnipräsente Test-Orientierung führt in die Sackgasse, zu Anpassung und Verlogenheit.“ Lehrer spüren das ganz genau und gehen auf innere Distanz zur rein „ökonomischen Bildungssicht“, so der Bildungswissenschafter Jochen Krautz. Der österreichische Bildungsbericht 2012 spricht von „Neuorientierung der Einstellung“ der Lehrer, „Konsequenzen und Sanktionen werden angedroht“. Der „homo ökonomicus“ kann laut Krautz nicht das Pardigma für Bildung sein.
Es geht um die Person. Lernen heißt erkennen, nicht reproduzieren
„Was ist Bildung in einem personalen Verständnis?“, ist nach Krautz die Grundfrage: „Bildung muss sich immer in einer interpersonalen Beziehung vollziehen.“ Krautz plädiert für einen „Raum der gemeinsamen Aufmerksamkeit“. Es geht um ein „Sein-in-Beziehung“. Er nennt sieben Kriterien für gelingende Bildung. 1. Der effektivste Weg zu lernen ist die direkte Vermittlung. Die ineffizientesten Methoden sind die indirekten Formen. Die personale Beziehung von Lehrer zum Schüler und unter den Schülern ist die wesentliche Basis. 2. Bildung zielt auf Verantwortung durch Wert- und Sinnorientierung. 3. Bildung ist die individuelle Reformulierung von Kultur und damit vor allem eine innere Aktivität und nicht einfach eine Reproduktion von Wissen. 4. Bildung betrifft den ganzen Menschen, die Rationalität, Emotionalität und Ästhetik. 5. Lernen ist Erkennen, also eigenständiges Prüfen von Geltung. Selbstständig prüfen, ob etwas stimmt oder nicht. Das ist der aufklärerische Aspekt der Bildung und in Folge der Demokratie. Training von Kompetenz ist das genaue Gegenteil. 6. Lernen, Üben, Wissen und Können zielen auf „personale Könnerschaft“. Es geht um ganzes Dasein und erfülltes Dasein-Können und nicht um Reproduktion. 7. Bildung trägt die res publica. Die öffentlichen Angelegenheit ist Sache des Volkes und sollen von ihm entschieden werden. Der Bürger muss in der Lage sein, sich selbst und gemeinsam ein Urteil zu bilden. Krautz plädiert dafür, „das Schulwesen wieder mehr von der reinen ökonomischen Ausrichtung weggeführt wird und zu einem personalen Geschehen wird.“ Der homo ökonomicus ist ein reduktionistisches Menschenbild, wo alles auf den Nutzen reduziert und der Markt als Grundparadigma angenommen wird. „Der Markt steuert und tut so, als sei das nicht wandelbar“, führt der Referent vor den SchulerhalterInnen und DirektorInnen aus.
Veränderbares wird als unveränderbar dargestellt
Der Rahmen wird als unveränderbar dargestellt und indoktriniert. Krautz spricht zum Beispiel vom strategisch ausgelösten „Pisa-Schock“, um die Bildungslandschaft zu deregulieren und zu verunsichern. Kautz geht auch mit der Präpotenz der Ökonomen hart ins Gericht, die alles ökonomisch erklären wollen. Alles wird nach Vorteils- und Nutzenentscheidungen getroffen. Wirtschaft will alle Lebensbereiche erklären. Humankapital wird als Produktionsfaktor gesehen. Krautz setzt in dieser Logik die brennende Frage in den Raum: „Was ist, wenn sich Bildung nicht mehr rentiert?“ Diese Art des ökonomisch-orientierten Denkens widerspricht der europäischen Geistestradition. Kautz hinterfragt Begriffe der ökonomischen Steuerungsmodelle wie Wissensgesellschaft, Begabungsressourcen, Humankapital, Output-Orientierung, Effizienzsteigerung, Bildungsstandards, Evaluation, zentrale Prüfungen, Kompetenz, autonome Schulen, Privatisierung. „Mit sehr ausgeklügelten Methoden und Strategien wurden die Beteiligten und die Öffentlichkeit getäuscht“, ist Krautz überzeugt: „Es zeigt sich, dass viel Freiheit an das ökonomische System verloren gegangen ist.“
Freiraum für den Menschen
„Gerade konfessionellen Privatschulen fällt heute die hervorragende Aufgabe zu, den Blick wieder auf den ganzen Menschen in seiner eigenen Würde und Entwicklung in den Mittelpunkt zu stellen“, betont Rudolf Luftensteiner vom Schulreferat der Ordensgemeinschaften Österreich: „Das wird dort und da auch Widerstandskraft gegen die Verzweckung und Instrumentalisierung der Jugend bedeuten, weil diese Ökonomisierung Bildung, Demokratie und Kultur gefährden. Lehrer sollten sich wieder mehr dem Unterricht direkt widmen können und nicht länger mit permanenten, kontraproduktiven Reformen beschäftigt werden. Delikat ist, dass diese Bildungsreformen ökonomisch kontraproduktiv sind.“
Was ist zu tun?
Krautz gibt einige Tipps, was in dieser „gesteuerten Situation“ getan werden kann: Innehalten und nachdenken. Propaganda verliert ihre Wirkung, wenn man sie hinterfragt. Ohnmachts- und Einsamkeitsgefühle sind Effekte der sozialpsychologischen Manipulation. Mitstreiter suchen und Dialog aufnehmen. Nachdenken und Kritik regt sich an vielen Stellen. Öffentlichkeit herstellen und Wirtschaftsvertreter immer wieder fragen: Wollt ihr wirklich Leute, die nicht mehr klar denken können? Krautz abschließend: „Der Mensch ist Person und will es sein. Das ist die Hoffnung.“
[fk]