Interreligiöse Begegnungen im Alltag eines Ordensspitals
Sowohl Muslime als auch Juden schätzen den respektvollen Umgang im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. Das war der Grundtenor der Podiumsdiskussion über interreligiösen Dialog am Dienstag, 26. Februar 2013. An der Diskussion beteiligten sich am Podium Krankenhausleiter Dr. Reinhard Pichler, die muslimische Stationsleiterin DGKS Necmiye Öztürk, die jüdische Augenärztin Dr. Clara Ferdinaro, alle drei vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien, sowie Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft und Mag. Martin Engelberg von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Respekt vor anderen Religionen in Ordensspitälern
Frauen und Männer islamischen Glaubens würden sich in einem Ordensspital besonders gut aufgehoben fühlen, erzählt Amina Baghajati bei der Diskussion. „Muslime treffen dort auf mehr Verständnis für die Ausübung ihrer Religion.“ Dieselbe Erfahrung berichtet Mag. Engelberg von orthodoxen Juden. Sehr oft höre er von Bekannten, wie glücklich sie über den Respekt im Ordensspital seien. Für orthodoxe Juden ist es nicht leicht, sich einem Krankenhaus anzuvertrauen. Allein die Speise- und Zubereitungsvorschriften sind sehr streng. Außerdem ist zum Beispiel das Krankenbesuchsgebot eines der elementaren Gebote des Judentums. Das wird auch praktiziert, die Familie will Tag und Nacht am Krankenbett sein. Während noch vor 30 Jahren ein Betreten eines Krankenzimmers außerhalb der rigoros geregelten Besuchszeiten unmöglich war, haben sich die Besuchszeiten inzwischen allgemein weitgehend gelockert. Die Familie kann, wenn sie vom Personal respektiert wird, auch als hilfreich erlebt werden, zum Beispiel beim Essen Geben.
Der interreligiöse Krankenhausalltag braucht „irrsinnig viel Kommunikation“
„Ich habe erlebt, dass in diesem Haus vor wenigen Wochen ein Schabbat mit 30 oder 40 Personen gefeiert wurde. Gratulation und Dankeschön!“, sagte Martin Engelberg in Richtung Ordensspital Barmherzige Brüder Wien. Auch Stationsleiterin Necmiye Öztürk bestätigte, dass der Krankenbesuch für muslimische Familien sehr wichtig ist. Damit sich alle im Krankenhaus gut verstehen, ist es notwendig, „irrsinnig viel zu kommunizieren“. Sie selbst bietet den Familien rund um den Tod einer Patientin oder eines Patienten auch rituelle Waschungen nach islamischer Tradition an, oft auch in ihrer Freizeit. Die Angehörigen würden das Interesse des ganzen Teams spüren und oft ihre Dankbarkeit dafür ausdrücken. „Ihnen gefällt auch, dass im Namen des Krankenhauses schon das Wort „barmherzig“ vorkommt, so Stationsleiterin Öztürk.
Religiöse Gefühle werden geachtet
Wenn sie als Turnusärztin heikle Untersuchungen bei einem orthodoxen Juden machen sollte, war sie sehr vorsichtig, ob das für den Patienten auch passt, erzählt Augenärztin Clara Ferdinaro. Sonst habe sie einen männlichen Kollegen gebeten, die Untersuchung zu übernehmen. Untersuchungen durch eine Person des anderen Geschlechts seien auch für Muslime schwierig, stimmte auch Amina Baghajati zu. Allerdings wäre die Gesundheit ein wichtigerer Wert. Im Notfall sei alles möglich.
„Hier möchte ich sterben“
Krankenhausleiter Dr. Reinhard Pichler erwähnt einen interkulturellen Leitfaden, den das Krankenhaus seit Jahren weiter entwickelt. „Auch mit nicht religiösen Patienten gehen wir sorgsam um“, meint er. Und erzählt das Beispiel eines agnostischen Patienten, der sagte: „Ich bin nicht gläubig. Und ich will es auch nicht werden! Aber ich möchte bei euch sterben. Denn hier weiß ich, dass ich respektvoll behandelt werde.“
[ms]