Kein Monopol mehr für das Christentum
„Das Christentum ist heute radikal entmonopolisiert“, stellt Prof. Franz Gruber, Dogmatiker an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, in seinem Vortrag „Gott, Mensch und Jesus“ als Eingangsthese in den Raum. Wir leben in einer Zeit der realisierten Religionsfreiheit. Kirche ist wie andere Anbieter auch am religiösen Markt. Gerade durch die Hirnforschung sind neue Menschenbilder geschaffen worden. Gruber: „Die Hirnforschung zeigt heute Phantastisches. Sie erachtet aber die Subjektivität und die Einmaligkeit des Menschen als Selbst-Illusion.“ Ein neuer Materialismus erklärt den Menschen im Grunde als „biologische Maschine“. Die naturwissenschaftlich-technisierte Weltsicht führt heute beim Menschen selber zu einem Entsetzen darüber, was der Mensch eigentlich alles kann. Gerade durch die allgegenwärtigen Smart-Technologien werden junge Menschen heute nachhaltig prägend formatiert. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Menschen- und Gottesbild.
Die Idee Gottes ist unvermeidbar
Gruber konstatiert gegenüber den Schulverantwortlichen: „Wir befinden uns in einer Krise des Gottesglaubens und damit in einem ‚säkularen Agnosmus‘. Gott ist nicht mehr notwendig und begründbar. Gott ist überflüssig geworden.“ Die Naturwissenschaften kennen zum Großteil keine „Spuren von Transzendenz“. Wenn Glaube heute eine Rolle spielt, dann eher als „religionslose Spiritualität“. Es gibt zwar Feiertage und gesellschaftliche Rituale, aber eher aus „kultureller Identität“. Gruber hält überzeugt fest: „Gesunde Religion ist die Quelle für Humanität.“ Wenn diese Quelle versiegt, dann droht die Gefahr des „humanitären Analphabetismus“. Gruber verschweigt auch die Schattenseiten der Religion nicht, wenn er darauf hinweist, „dass im Namen der Religion Gewalt angewendet und begründet wurde.“ Allerdings: „Der Mensch ist ein Geschöpf, das Gott nicht nicht denken kann.“ Die Idee Gottes ist unvermeidbarer und höchster Gedanke des menschlichen Denkens. Wäre Gott nicht mehr präsent, wäre der Mensch ein zurückgekreuztes Tier. „Wir brauchen Gott zum Danken wegen der Gratuität unseres Lebens, weil Gott mehr als notwendig ist“, ist Gruber überzeugt. Genau das begründet den zweckfreien Aspekt des Menschen. Diese Erinnerung an die Zweckfreiheit hat drei Quellen: die Religion, die Philosophie und die Liebe.
Lebensförderlich, empathiefähig und ambivalenztolerant
Gruber betont in der Diskussion mit den TagungsteilnehmerInnen: „Wahrer Glaube zeigt sich an der Praxis, gerade anderen Traditionen gegenüber.“ Gruber sieht, „dass der Islam in den nächsten Jahrzehnten eine dynamisierende Wirkung in Europa entwickeln wird.“ Gerade die konfessionellen Schulen sind aufgefordert, ihre spirituelle Kompetenz zu entfalten. Nicht nur empirisches Wissen oder ein Leben alleine aus der Sozialethik heraus genügt.“Das Leben aus der spirituellen Quelle her zu deuten, ist besondere Aufgabe katholischer Privatschulen. Im großen Kontext der Sinnfrage ist die Spiritualität zu fördern, “ohne den Menschen zu instrumentalisieren”. Geprägt ist diese christliche Spiritualität dadurch, dass sie lebensförderlich, empathiefähig und ambivalenztolerant ist. Das ist Aufgabe und Chance der konfessionellen Privatschulen.
Zulehner: Kirchliche Schulen im atheisierenden Umfeld
Zulehner bestätigt ebenfalls, dass die ‚konstantinische Zeit‘ endgültig vorbei ist. Das ergibt die besondere Herausforderung heute: „Wie kann ich Überzeugungen haben, ohne fanatisch zu werden.“ Ohne Zweifel sind heute Glaube und Freiheit untrennbar miteinander verbunden. Die Gesellschaft ist unglaublich beschleunigt und überfordert die Menschen. Daraus entsteht eine Kultur der Angst, die entsolidarisiert. Zulehner daher in Richtung kirchlicher Schulen: „Wer aus einer kirchlichen Schule hinausgeht, sollte angstfreier leben können“. Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung sieht Zulehner in unserer Gesellschaft vor allem ein atheisierendes, spirituelles, christliches und muslimisches Feld. Das sind die SchülerInnen und Eltern heute und morgen. Das spirituelle Feld wird vor allem aus Erschöpften der „säkularisierten Moderne“ und aus den „spirituell erschöpften Kirchen“ genährt. Dort liegt eine große Chance für kirchliche Schulen: „Spirituell lebendig bleiben.“
Angst abbauen helfen
Ziel der Geschichte ist der allumfassende kosmische Christus. Der ist offen für Muslime, Buddhisten, Atheisten, spirituelle Pilger und ebenso für Christen. Immer steht die Kernfrage im Raum: Wann ist der Mensch am Weg des Heiles? Zulehner: „Wer ‚handfest liebt‘, wird in die Vollendung eingehen. Es geht darum, Spuren der Lieben zu hinterlassen.“ In Richtung kirchlicher Schulen fragt Zulehner: Können Menschen an ihrer Schule ablesen, „was Gott mit allen Menschen vor hat? Nicht das Leitbild zählt, sondern die Leitkultur, das konkrete Tun.“ Die Botschaft Jesu heute auf den Punkt gebracht heißt: „Liebe lernen.“ Es gibt heute eine massive „Gegenkultur zur Liebe“ und damit wird die Liebe durch die Angst beschädigt. Heute geht es vor allem darum, die Angst der Menschen zu verkleinern und die Liebe wachsen zu lassen, sich an der Berufungsgeschichte der Welt und aller Menschen zu beteiligen.“
Pädagogik des Weitens fördern
Praktisch fordert Zulehner angesichts der Globalisierung die TeilnehmerInnen am Kongress auf, sich an der „Pädagogik des Weitens, der Entprovizialisierung zu beteiligen, im besten Sinne katholisch zu sein.“ Durch eine Schule sollen WeltbürgerInnen geformt werden. Die Arbeit an der ökologischen Balance und die Förderung von Solidarität und Gerchtigkeit gehören konstitutiv dazu. „Wir sind in Österreich gut in der Mikro-Solidarität, aber es mangelt an Makro-Solidarität“, meint Zulehner mit Blick auf die globale Entwicklung. „Wer in einer kirchlichen Schule geformt wurde, nimmt ein hohes Maß an belastbarer Solidarität mit und die Ängste werden gezähmt mit Blick auf riskante Freiheiten“, ermutigt Zulehner die kirchlchen Schulverantwortlichen.