Würdig für das Archiv? Der Studientag im Rückblick
Für einen Tag der Nabel der Archivwelt: Am 30. Jänner 2023 strömten Archivar:innen aus ganz Österreich zum Studientag der Archive in Salzburg. (c) ÖOK_ml
Da die letzten Tagungen corona-bedingt online stattfinden mussten, waren viele Teilnehmer:innen sichtlich erfreut, sich endlich wieder einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen und Gelegenheit zum persönlichen Austausch zu haben.
Veranstaltet wurde der Studientag von der Fachgruppe der Archive der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich im Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) und dem Bereich Kultur und Dokumentation in Zusammenarbeit mit dem Archiv der Erzdiözese Salzburg und der ARGE Diözesanarchive Österreichs.
In vier interessanten Vorträgen wurden moderne Zugänge zum Themenfeld „Bewertung“ besprochen, Einblicke in die Zusammenarbeit mit Archivträgern und Verwaltungen gegeben und auch die spezielle Herausforderung der Übernahme digitaler Archivalien beleuchtet.
Geballtes Archiv-Know-how: Magdalena Egger, Lukas Winder, Sandra Pfistermüller, Susanne Fröhlich, Christine Gigler, Miriam Trojer, Johannes Leitner und Iris Forster (v.l.n.r.) freuen sich über den gelungenen Studientag. (c) ÖOK_ml
Bewertung im Archiv - alte und neue Grundsätze
In ihrem Auftaktvortrag betonte Susanne Fröhlich, Leiterin des Referats Digitales Archiv und IT-Services im Österreichischen Staatsarchiv, die Bedeutung der Bewertung. Sie gelte als eine der Kernkompetenzen von Archivarinnen und Archivaren, denn nur durch überlegtes Aussortieren von unpassenden sowie unwichtigen bis weniger wichtigen Unterlagen hätten Archive genug Arbeitszeit- und Raumkapazitäten zur Erhaltung und Nutzbarmachung von aussagekräftigem Archivgut. Bei der Frage, wie man idealerweise dabei vorginge, Archivgut sowohl quantitativ zu verringern als auch qualitativ zu verdichten, gab die Expertin den Teilnehmer:innen eine Vielzahl an Informationen und Tipps mit auf den Weg. So wüssten beispielsweise viele nicht, dass die Datenschutzgrundverordnung für Archive mit Archivordnungen keine Probleme bereitet. Außerdem appellierte Susanne Fröhlich, sich intensiv mit der Rechte- und Autorenverwaltung zu beschäftigen. Als Beispiel führte sie IT-Expert:innen an, die keine inhaltliche Arbeit leisten, sondern ausschließlich für die zugrundeliegende EDV zuständig sind. Sie sollten nur Lese-, aber keine Schreibrechte erhalten. Ein weiterer Tipp: „Das Löschen von Inhalten sollte unbedingt einem 4-Augen-Prinzip unterliegen und nicht von Einzelpersonen im Alleingang vorgenommen werden dürfen“, so die erfahrene Archivspezialistin. Darüber hinaus empfahl sie unter anderem, fixe Datenübernahmezyklen und Schnittstellen zu definieren sowie Standards für strukturierte Daten festzulegen.
Aktenpläne als wertvolle Hilfe für archivische Bewertungsentscheidungen
Christine Gigler vom Archiv der Erzdiözese Salzburg ließ die Tagungsteilnehmer:innen in ihrem Vortrag einen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit werfen: Um das in den Pfarrkanzleien und -registraturen vorhandene Schriftgut übersichtlich und nachvollziehbar zu organisieren, wurde in monatelanger Arbeit ein spezieller Aktenplan entworfen, der seit Anfang 2022 in den Pfarrämtern der Erzdiözese Salzburg zum Einsatz kommt. „Bei der Erstellung eines Aktenplans spielen neben der schlüssigen Ablagestruktur auch Bewertungs- und Überlieferungskriterien eine Rolle“, ließ die Vortragende wissen. Der Prozess einer geordneten und sachgemäßen Aussonderung von Unterlagen werde maßgeblich unterstützt, indem die im Aktenplan enthaltenen Metadaten auch Angaben zu Aufbewahrungsfristen und archivischen Bewertungsentscheidungen enthielten.
Reges Interesse: Rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten den spannenden Vorträgen der Expertinnen. (c) ÖOK_ml
„Besonders die Erfassung von Aufbewahrungsfristen und Bewertungsentscheidungen im Aktenplan trägt dazu bei, dass Unterlagen einfacher ausgesondert werden können und die damit verbundenen Abläufe transparent und nachvollziehbar gestaltet werden“, so Christine Gigler. Anhand des Aktenplans ließe sich jederzeit feststellen, welche Akten nach dem Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet werden könnten und welche es wert seien, ins Archiv der Erzdiözese Salzburg bzw. ins jeweilige Pfarrarchiv übernommen zu werden. Dadurch könne der Aktenplan, der eigentlich dem „Record Management“ zuzuordnen sei, im Life Cycle von Schriftgut auch als praktisches Tool zur Überlieferungsbildung verstanden werden.
Zwischen Traditionsbewahrung und moderner Archivarbeit
Nach der Mittagspause gewährte der Beitrag von Miriam Trojer, Archiv- und Bibliotheksleiterin des Prämonstratenserstifts Wilten, einen Einblick in die Herausforderungen einer Bewertung in Ordensarchiven. Hier könne man nicht so leicht nach klassischen Bewertungskatalogen arbeiten, wie das bei staatlichen Archiven der Fall ist. „Ordensarchive sind heterogener, unstrukturierter und erfordern viel intuitives Handeln im Umgang mit der Frage nach der Archivwürdigkeit“, gab die Vortragende zu bedenken. Der Grund dafür liege in der besonderen Struktur eines Ordens, die eine Mischung aus Familie und Unternehmen darstellt. „Viele der Richtlinien und Vorgaben helfen nur bedingt in der täglichen Bewertungsarbeit, viel wichtiger sind hier profunde Kenntnisse des Ordens, dessen Charismas und seinem Auftrag“, so die erfahrene Archivleiterin. In Folge machte sie deutlich, dass die teilweise bereits gut strukturierten Verwaltungsakten zu wenig sind, um den Orden im Archiv darzustellen. Dazu benötige es vor allem persönlichere Unterlagen wie Nachlässe – und für die Archivarin oder den Archivar viel Intuition und Sensibilität.
Archive auf dem Weg ins digitale Zeitalter
Über Jahrhunderte hinweg waren Archive in der „analogen Welt“ beheimatet. Hier ging es für Archivar:innen vor allem darum, welches Papier möglichst langlebig ist oder wie man Schädlingsbefall verhindert. Mit dem Eintritt in das Digitalzeitalter stellen sich plötzlich ganz andere Fragen. Im letzten Vortrag des Tages setzte sich Sandra Pfistermüller mit dieser neuen, spannenden Themenwelt auseinander. Sie beleuchtete unter anderem die Frage, wie mit E-Mails umzugehen sei, welche Rolle Dateiformate spielen und warum man großen Wert auf Sicherungskopien legen solle.
Geschichtsträchtiges Ambiente: Nach zwei "Online-Jahren" versammelten sich die Teilnehmer:innen heuer im Domchorprobensaal am Salzburger Kapitelplatz. (c) ÖOK_ml
Besonders wichtig erachtete sie die präkustodiale Phase: „Potenziell archivwürdige digitale Objekte sollten bereits bei ihrem Entstehen, also am Beginn ihres Lebenszyklus, in optimaler Weise verwaltet werden“, forderte die Vortragende. Digitale Objekte würden sonst in vielen Fällen die Zeitspanne, bis sie später einmal in ein Archiv aufgenommen werden, nicht überdauern. Außerdem sei die zeitgerechte Verwaltung digitaler Inhalte auch eine Investition in die Zukunft: „Für Archive, die gewöhnlich mit Ressourcenknappheit zu kämpfen haben, bedeutet die Übernahme chaotischer, unstrukturierter Dateisammlungen eine immense Belastung, im schlechtesten Fall eine nicht bewältigbare Aufgabe“, betonte Sandra Pfistermüller. Um dieser Herausforderung offensiv zu begegnen, wurde – speziell für digitale Objekte aus dem Vor- bzw. Nachlassbereich – ein Leitfaden entwickelt, der viele zu berücksichtigende Themen anspricht, mögliche Strategien sowie Umsetzungsvorschläge bietet und je nach den zugrunde liegenden Kompetenzen, Motivationen und Ressourcen angepasst werden kann.
Mit jeder Menge aktuellen Informationen im Gepäck, machten sich die Teilnehmer:innen nach diesem Vortrag wieder auf den Heimweg. Im Anschluss an die Tagung fand noch eine Sitzung der VÖA-Fachgruppe der Archive der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften statt.
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Jahrestagung 2022 der Archivar:innen
[markus lahner]